Eine Sommerschule für ein landschaftspolitisches Bildungsprogramm im Oderbruch
22.05.-27.05.2011
Präsentiert beim Randthema Nr. 20 im Theater am Rand in Zollbrücke
Landschaft ist mehr als natürliche Umwelt oder Gegenstand der Kunst, sie ist eine Lebensgrundlage und sie kann Heimat sein. Was sie für uns genau bedeutet hängt davon ab, wie wir sie uns bewusst machen. Landschaften sollten Gesprächsthema sein: Je mehr wir uns mit ihnen auseinandersetzen, desto feiner und differenzierter werden Wahrnehmung und Identifikation. In der Sommerschule für Landschaftskommunikation werden jedes Jahr Studenten deutscher Hochschulen eingeladen, sich im Oderbruch mit landschaftlichen Kernfragen zu beschäftigen. Ausgangspunkt der Sommerschule im Mai 2011 war eine Konzeption von Anne Kulozik, durch Bildung an Schulen das Landschaftsbewusstsein bei Kindern und Jugendlichen zu stärken. Gearbeitet wurde mit Schülern der Grundschule Altreetz, der Inselgrundschule Neuenhagen, dem evangelischen Johanniter-Gymnasium Wriezen und dem Bertolt-Brecht-Gymnasium Bad Freienwalde.
Bei der Sommerschule 2011 haben Studenten und Mitarbeiter der Technischen Universität Dresden und der Hochschule Osnabrück die Akademie für Landschaftskommunikation unterstützt (Namen nicht sortiert): Thorsten Obracay, Tobias Hartmann, Marcia Bielkine, Katharina Jungblut, Jasmin Anuschka Tecker, Pia Lamprecht, Inga Bellstedt, Imke Mahlstedt, Fanny Neubert, Caroline Neubert, Christiane Scholz, Catharina Hoffmann, Barbara Oeser, Christoph Brückner, Maren Poetsch, Katharina Böhm, Benjamin Hähnel, Verone Stillger, Catrin Schmidt, Romy Hanke, Kenneth Anders, Lars Fischer, Andrea Seidel, Anne Kulozik, Almut Undisz, Tino Schlinzig
Unterrichtsstunde mit dem Landschaftspuzzle
Die Studenten sprachen in einführenden Unterrichtsstunden mit den Kindern über den Begriff „Landschaft“ und verdeutlichten mit Hilfe eines Landschaftspuzzles, aus welchen Bestandteilen Landschaften aufgebaut sein können und was sie einzigartig macht. Die Kinder sollten auf das leere, schematische Puzzle, das aus den Grundelementen des Oderbruchs aufgebaut ist (Himmel, Acker, Grünland, Deich, Alte Oder, Stromoder, den Höhen und natürlich den Gräben), von Hand Details einzeichnen, die dem Betrachter klar machen: Das ist unser Oderbruch!
Detailierte Zeichnungen von Treckern mit Egge, Kopfweiden oder Wale, die in der Alten Oder schwimmen: Decken diese Zeichnungen eine differenzierte Landschaftswahrnehmung bzw. Bildungsdefizite auf? Welche Aussagen lässt die Unterrichtsstunde, die mit dem Landschaftspuzzle durchgeführt wurde, zu? Die Stunde zeigt, dass die Kinder durch verschiedene Erfahrungen voneinander und miteinander über die Landschaften lernen können. Eine streng statistische Auswertung der Ergebnisse ist nicht sinnvoll, aber trotzdem lassen sich viele Schlüsse aus den Zeichnungen der Kinder ziehen, weil sie intensiv durch Gespräche begleitet wurden. Das Landschaftspuzzle, half einerseits, die Besonderheit der eigenen Heimat aufzuzeigen, andererseits, die eigene Rolle in der Landschaft zu begreifen.
Die älteren Schüler der Gymnasien trafen dabei sehr komplexe, landschaftspolitische Aussagen. Erfahrungen und Visionen für ihre Landschaft wurden im Gespräch konkretisiert.
Befragung von möglichen Partnern für ein landschaftspolitisches Bildungsprogramm, Juli 2011
Landschaftsbezogene Bildung ist eine Generationen übergreifende Angelegenheit. Die Schulen brauchen Partner in der Landschaft, die den Kindern die praktischen Zusammenhänge nahe bringen können. Umgekehrt überdenken die Erwachsenen in der Bildungsarbeit auch viele selbstverständlich gewordene Haltungen und stellen ihre Wahrnehmung auf den eigenen Landschaftsraum neu ein. Deshalb wurden im Rahmen der Sommerschule zur landschaftspolitischen Bildung sehr verschiedene Akteure im Oderbruch aufgesucht und nach ihren Bindungen an die Landschaft befragt. Zudem wollten wir wissen, welche Anforderungen sie an ein landschaftspolitisches Bildungsprogramm stellen und inwiefern sie selbst bereit wären, mit den Schulen entsprechende Kooperationen einzugehen.
Konrad Philips, Wildtiergehege Wriezen:
Als ehemaliger Revierförster hat Philips eine enge Bindung an die Landschaft entwickelt. Für ihn wird sie nur durch die wesentlichen Phasen ihrer Veränderung erklärbar: Die Trockenlegung des Bruchs und die Veränderungen am Gewässerbett der Oder, die Ausräumung der Landschaft in den 50er Jahren und der momentan überwiegende Anbau von Mais, Raps und Triticale, also die Tendenz zu einer geringeren Vielfalt an Ackerfrüchten bilden die wesentlichen Stationen, die auch Kindern klar vor Augen gebracht werden sollten. Darauf aufbauend lassen sich viele Beobachtungen einordnen: Während es im Oderbruch keine Himmelsziegen und Moorochsen mehr gibt, nutzen seit der Vergrößerung der landwirtschaftlichen Flächen Scharen an Wildgänsen das weit einsichtige Land jedes Jahr als Rastplatz. Der Bitterling ist noch zu finden, die Aalquappe und Welse in den Buhnenlöchern – Sumpfschildkröten dagegen sucht man heute vergebens. Die Landschaft ist geprägt von Pappelreihen, in den 50er Jahren gepflanzt zur Produktion von Holz für Paletten- und Streichhölzer, eine Pflanze, die auch die Geschichte der hiesigen Menschen erzählt – genauso wie die Kopfweide, die Charakterbaumart des Oderbruchs, deren Triebe auf vielfältige Art und Weise genutzt wurden und tlw. auch immer noch genutzt werden.
In seinen Erläuterungen unterscheidet Philips immer wieder zwischen der Landschaft vor und nach diesen Eingriffen. Erkennen lassen sich diese Unterschiede für ihn insbesondere bei der Betrachtung der Artenvielfalt. In der heutigen Oderbruchlandschaft, mit den großen landwirtschaftlichen Flächen, dem linearen Wasserablaufsystem und dem Verlauf der neuen Oder und ihrer Gräben, sind nur 10% der Tierarten ursprünglich hier vorkommend. 90% sind nur durch den Einfluss des Menschen auf das Oderbruch sesshaft geworden. Diese Zusammenhänge zwischen dem Eingriff des Menschen in die Landschaft und den daraus folgenden Veränderungen in der Artenzusammensetzung sind für Konrad Phillips von großer Bedeutung und wichtiger Schlüssel zur Wahrnehmung von Landschaft. Er vermittelt sie auch schon im Bereich der Jugendarbeit, unter anderem durch die Betreuung eines ornithologischen Lehrpfades und die Arbeit mit Schülern im Wildgehege. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen muss, wie er betont, anschaulich und praktisch orientiert sein. Nicht nur die Augen sondern auch andere Sinne müssen angesprochen werden, das Interesse für ein Thema kann entwickelt werden indem man die Vermittlung von Wissen mit dem Spielerischen verbindet –Dinge aus dem Spiel heraus entwickelt – „Der Jugend das irgendwie unterjubelt, dass sie Interesse daran findet“.
Eisenbahnverein Letschin, e.V.:
Das Gespräch mit drei Mitgliedern des Eisenbahnvereins offenbarte direkte Heimatbeziehungen. Sie haben früher bei der Arbeit Sauerampfer an der Bahn gepflückt und Spargel gestochen. Wichtige Landschaftselemente sind heute für sie Kopfweiden, Leere, weit schauen können, Matsch und Felder. Typische Tiere sind für sie der Storch und seit 20 Jahren auch der Kranich.
Mitglieder des Vereins arbeiten pro Jahr mit ca. 15 Kindergartengruppen und 40 Schulklassen, einzelne Aktivitäten werden durch die Aktion Mensch gefördert. „Aktuell interessiert man sich nicht mehr für Landwirtschaft, sondern für Modellbau und Technik.“
Kinder und Jugendliche haben Identifikationsschwierigkeiten mit dem Oderbruch, wenn sie außerhalb des Oderbruches zur Schule gehen. Ein Unterrichtsfach Landschaftskunde sollte alte Bewirtschaftungsformen, handwerkliche Grundfertigkeiten sowie ein regionales und saisonales Bewusstsein in Bezug auf Nahrungsmittel vermitteln. Außerdem sollten Möglichkeiten der Nahrungsmittelversorgung im Oderbruch bis hin zur Selbstversorgung vermitteln werden, da die Kenntnisse, um in schwierigen Zeiten mal was anzubauen, verloren gegangen sind.
Einige Zitate: „Oderbruch ist Urlaub.“ „Ich zähle mich zur Landschaft, weil sie mich prägt und ich sie versuche zu prägen.“ „Der Oderbruchdreck hängt hier ja so fest.“ „Die zweite Welle Berliner wollen nur ihre Ruhe und sind gegen Alles. Sind nicht am Tourismus interessiert.“ „Man kriegt die Leute nicht zusammen.“
Die Bedeutung der Bahn für das Oderbruch: sie war früher hier das bedeutendste Transportmittel, um raus zu kommen, um Früchte aus dem Oderbruch zu transportieren, Kleinbahn für das Einsammeln in der Fläche. Das Oderbruch hat einen speziellen Menschenschlag; Hugenotten, Fischer und Strafgefangene. Seine typischen Geräusche? Sich ineinander schiebende Eisschollen auf der Oder (hört sich an „wie Krieg“), „Quaken der Frösche, tausende“, und leider auch 10 Meter hohe Mückenschwärme.
Christian Filter, Hofmanufaktur und Landwarenhaus:
Filter ist gebürtiger Berliner und wohnt seit zehn Jahren im Oderbruch. Der Architekt betreibt seit einiger Zeit eine Lohnmosterei und Schnapsbrennerei. Für ihn ist die Landschaft „…alles rundherum…“. Dazu gehören Apfelbäume, grasende Schafe, Häuser mit ihren Bewohnern und der weite Blick mit dem großen Horizont – nicht nur Natur, sondern auch Kultur. Im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen versucht er, zu seinen bestehenden Streuobstwiesen weitere mit alten Sorten zu etablieren. Gerade eröffnet er das Landwarenhaus Altreetz neu – mit Waren des täglichen Bedarfs, Bioprodukten und Waren aus der Region.
Die Grundsteinlegung für die Umweltbildung sieht Herr Filter im Elternhaus über die Schärfung der Wahrnehmung für die Landschaft. Die Schule sollte dann mit einer Art Baukasten, der aus den Grundelementen Natur, Pflanzen und Heimatkunde besteht, tiefergehende Kenntnisse vermitteln. Dieser ist durch seine Abstraktion für alle Landschaften anwendbar. Zudem sieht er in der Stärkung der Bereitschaft zur ehrenamtlichen Mitarbeit große Chancen zur Verbesserung des Grundverständnisses von Landschaftswahrnehmung, da er selbst schon Erfahrung in diesem Bereich durch Einladung von Kindern auf seinen Besitz zur Mithilfe beim Ernten und Mosten gesammelt hat.
Andre Schneider, Fischerei im Oderbruch.
Schneider zog mit seiner Familie vor 10 Jahren auf gut Glück in das Oderbruch, um die seit vielen Generationen ausgeübte Tradition der Oderfischerei fortzuführen. Er verbindet mit dem Oderbruch die weite, flache Landschaft, die kleinen Gräben, die Felder und alten Dorfstrukturen und nicht zuletzt auch den Fluss, der je nach Wasserstand und Wetterlage einen anderen Charakter hat. Der Fluss bildet neben einer familienbetriebenen Pension eine wichtige Lebensgrundlage durch seinen artenreichen Fischbestand, aber auch als Ausflugsort für Bootstouren mit Touristen. Die Organisation verschiedener Bootstouren setzt dabei eine gute Kenntnis der Landschaft voraus, da man „sich ja nicht für zwei Stunden mit den Leuten in den Kahn setzten und nur Hallo und auf Wiedersehen sagen“ kann. Um das Oderbruch verstehen zu können, muss man die Veränderungen die durch den Menschen herbei geführt wurden verstehen lernen und sollte dieses Wissen auch an kommende Generationen weiter geben. Dabei kann man am Warthebruch auf der polnischen Seite der Oder anschaulich sehen, wie sich das Oderbruch bei nachlassendem menschlichen Einfluss entwickeln könnte. Auch ein Vergleich mit Bildern aus alten Zeiten macht das deutlich. Diese Veränderungen der Landschaft beobachtet er auch innerhalb der Flusslandschaft, die nach jedem Hochwasser anders aussieht, wo Sandbänke entstehen und auch wieder verschwinden. Eine Kooperation mit Schulen könnte er sich durchaus vorstellen.
Frau Lieske, Landtagsabgeordnete, Kreistagsabgeordnete, SPD-Fraktion:
Für sie ist die Oderbruchlandschaft die unglaubliche Weite, Ruhe und der Naturreichtum. Frau Lieske ist in Seelow geboren und aufgewachsen. Bis auf ein paar Unterbrechungen ist sie hier geblieben: „Der Oderbruchboden klebt schon ganz schön!“ Das Oderbruch hat eine ganz eigene Problematik. Die Menschen hier sind eher traditionell. Sie sieht die Künstler, die hierher kommen, als Bereicherung. Die administrative Ordnung des Oderbruchs und der Planungsregion tragen nicht zur Vermittlung von Identifikation bei. Vielleicht sollte in einer Art Zukunftskonferenz geklärt werden: „Wo wollen wir hin?“. Sie hält es für wichtig sich mit der Eigenart des Oderbruch zu identifizieren, vor allem für die Bewohner. In der Bevölkerung herrscht ein Defizit an Information über Zusammenhänge von Naturereignissen und Landschaftsraum. Bildungsschwerpunkte liegen nicht auf einem fächerübergreifenden Bildungsangebot. „Es wird kaum Wissen über Heimatgeschichte in den Schulen vermittelt.“ Unterricht ist dazu aber mitunter nicht möglich, da die Lehrer hierfür nicht ausgebildet sind. Es fehlt die Unterstützung für die Lehrer zum Thema (z.B. Weiterbildung). Frau Lieske sieht ihren politischen Bildungsauftrag, ist aber der Meinung, dass eine Umsetzung letztendlich durch Jeden erfolgen muss. Auch die Kommunen sieht sie in der Verantwortung, um dieses Thema in den Grundschulen aufzunehmen. Ein regionales Denken gestaltet sich schwierig, wo kein direkter Effekt spürbar ist. Sie findet es daher erforderlich Kommunikationsprozesse anzuregen und zu begleiten.
Martin Müller, Förster, Naturschützer und Ornithologe.
Müller lebt seit seiner Geburt im Oderbruch und identifiziert sich sehr mit der Landschaft. Er führt regelmäßig ornithologische Kartierungen durch und hat die örtliche NABU-Gruppe gegründet.
Die Landschaft, die er noch als Kind gekannt hat, mit ausgeprägten beweideten Grünlandflächen und feuchten Gebieten, ist für ihn heute Teil einer Wunschvorstellung. Mit der Bodenmelioration im Oderbruch ab den 60er Jahren und der damit einhergegangenen Absenkung des Grundwasserspiegels verbindet er eine zunehmende Verarmung und Verkünstlichung. In der heutigen Industrie- und Agrarlandschaft sei es besonders wichtig, natürliche Bereiche als Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu erhalten und wiederherzustellen. Dazu gehört die Schaffung neuer Gehölzstrukturen entlang von Gewässern und die Erhöhung des Grünlandanteils.
Für die landschaftspolitische Bildung sollten Kinder die Natur unbedingt außerhalb der Klassenräume kennenlernen, um sie zu ermutigen, sich anschließend eigenständig mit der Landschaft in der sie leben, auseinander zu setzen. Häufig würden die Leute die Bedeutung einer solchen Bildung erst erkennen, wenn sie selbst Eltern sind.
Haus der Naturpflege e.V.:
Als Vertreter des Hauses der Naturpflege befragten wir Frau Götter (Geschäftsführerin) und Frau Knospe (Vorstandsvorsitzende). Sie haben beide ein genaues Bild ihrer Landschaft. Sie charakterisieren das Oderbruch als weites, plattes Land, welches durch die umliegenden Höhen begrenzt wird. Als bestimmende Elemente der Landschaft beschreiben sie die großen Felder, Hecken, die Oderarme und deren Randbepflanzung. Als typische Siedlungsform für den Oderbruch nennen sie die Kolonistendörfer mit den Kirchen oder Bethäuser und die kleinen Gehöfte.
Das anvisierte Schulfach sollte eine fachübergreifende Basis besitzen. Ihrer Meinung nach sollte das Schulfach vor allem den praktischen Naturschutz und die Vermittlung von Artenkenntnissen zum Inhalt haben. Zum Beispiel sollten Kenntnisse über die „Symbolpflanze“ Weide mit ihrer historischen Bedeutung, die Anbautradition von Gemüse und die traditionelle Haustierwirtschaft im Unterricht behandelt werden. Außerdem müssen Kinder vor allem die heimischen Tier- und Pflanzenwelt kennen. Da das haus der Naturpflege sich überwiegend in der Umweltbildung engagiert, gibt es hier viele Erfahrungen. Eine kontinuierliche Kooperation mit den Schulen in Verbindung mit einem landschaftsbezogenen Unterricht ist aber nicht gelungen.
Marga van Tankeren, Leiterin der Heimatstuben in Letschin,
wuchs auf in Berlin und verlor ihr Herz bei einem Besuch im Oderbruch. Seit 14 Jahren wohnt sie nun am Rand der Landschaft in Müncheberg. Das Oderbruch ist nach ihrem Verständnis „…alles Menschenwerk und der Mensch hat sie nicht verbogen…“ Dabei stellt sie etwas Natürliches und Besonderes dar, mit ihren Tieren, Menschen und weiteren Elementen – ohne dabei heil zu sein, denn dies wäre zu romantisch. Frau van Tankeren arbeitet nicht unmittelbar in oder mit der Landschaft, aber sie vermittelt Zusammenhänge, die Geschichte des Oderbruchs in einer großen Bandbreite, in der sich die Themen Literatur, Kunst, Musik, Natur und Heimat überschneiden. Die Heimatstuben stellen die Letschiner Plattform für Kommunikation dar. Nach ihren Vorstellungen liegt der Schwerpunkt der Vermittlung des Landschaftsbewusstseins bei der Schule und nicht im Elternhaus. Die Voraussetzung für eine gute umweltpolitische Bildung sind motivierte und solide ausgebildete Pädagogen. Zudem sollten diese nach Möglichkeit zu dem Ort eine starke Bindung haben.
Stefan Hessheimer, Fotograf in Groß Neuendorf:
Hessheimer braucht den Fluss als Ziel, nicht nur im Winter. Das Oderbruch ist für ihn achtbar und ehrbar, aber vielmals nur im Bewusstsein der Zugezogenen. Blau-Braun sind ganz klar für ihn die Farben des Oderbruchs. Große weite Felder findet er nicht schön, fotografisch nicht interessant, aber er akzeptiert sie als Ausdruck der landwirtschaftlichen Nutzung im 20. Jahrhundert. Er kennt die reiche Vogelwelt mit Finken, Spechten, Wasservögeln, Blaumeisen, Mehlschwalben und anderen mehr. Er bezeichnet das Oderbruch als „eine spröde, wechselwarme Landschaft“ und vergleicht es mit einer auch häufig missverstandenen Eidechse. Er beklagt die Unfähigkeit der Menschen aus der Landschaft zu schöpfen was alle benö¬ti¬gen und verweist auf eine Situation des „jeder gegen jeden.“ „Die Potenz des Raumes wird nicht genutzt.“ Die Geschichte der Land¬schaft würde er als Element in einem Fach Landschaftskunde einführen. Die Kinder sollen verstehen, dass es eine künstliche Landschaft ist, die durch Arbeit unterhalten werden muss „… damit sie raffen wo sie leben“, da die Landschaft nicht so eindeutig ist. Für ihn ist es ein Ziel, die Region so zu gestalten, dass sie im Kreislauf ist, in Harmonie, aber ein Lösungsansatz fehlt ihm: „wenn ich ihn hätte!“ … „Das Oderbruch hat mir viel gegeben, ich kann hier leben, da muss ich was zurück geben.“ Zum Jahresende veröffentlicht er seit mehreren Jahren einen Fotokalender mit Landschaftsmotiven aus dem Oderbruch.
Steffi Bartel, Erlebnishof Uferloos in Kienitz.
Frau Bartel lebt seit 11 Jahren im Oderbruch und betreibt den Erlebnishof „Uferloos“. Dort können Kindergruppen Tage oder Wochen verbringen, untergebracht in Jurten und zelten, stets draußen in der Landschaft. „Landschaft ist das, was da ist.“ Das Land, die Bebauung, auch ruinöse Gehöfte, die nur noch an Gehölzinseln mit Obstbäumen erkennbar sind. Und das Wasser, das überall in der Landschaft ist. Das Wasser verbindet die Landschaftselemente, ebensolches gilt für die Tiere. Das Leben mit dem Wasser ist allgegenwärtig, wir leben mit dem Wasser. Durch das Binnenhochwasser im vergangenen Jahr haben sie ihren Hof mit seinen Senken und Höhen erst richtig kennen gelernt. Den Kindern vermittelt sie die Natur vom Großen zum Kleinen, von der Gesamtheit der Landschaft hin zu den Details. Die Kinder kommen meistens aus Berlin, die Schulen im Oderbruch nutzen ihr Angebot wenig. Dabei wäre sie froh über mehr Interesse der Oderbrücher und meint, dass auch die hier lebenden Kinder gravierende Wissens- und Erfahrungslücken haben. Ganz wichtig für landschaftliche Bildung ist die Vermittlung im Landschaftsraum, außerhalb der Klassenzimmer. Um dies umzusetzen müssten allerdings die Lehrer und Hortbetreuer dafür gewonnen und begeistert werden. Auch sie müssten geschult werden, sollten mit den Kinder mittun, draußen in der Natur lehren und lernen. Dabei können alle Fächer involviert werden – von Tierspurflächenberechnung bis zu Instrumentenbau aus Naturmaterialien. Neben Naturvermittlung gehört auch das Wissen über die Entstehung und Prägung der Landschaft auch durch den Menschen zu ihren Lehrinhalt. Ihr schönstes Feedback war die Mail eines Opas, der beglückt schrieb, wie sein Enkelsohn im Kamin Feuer mit Birkenrinde anzündete.
Thomas Förder, Landschaftspflegeverband Mittlere Oder:
Förder ist kein geborener Oderbrücher, aber 15 Jahre haben ihm gereicht, um sich tief in dieser Landschaft zu verwurzeln. Er lebt an der Oder, etwas abseits des dörflichen Lebens. So ist es genetisch in seiner Familie festgelegt, sagt er. Landschaft sei das Wichtigste, erst danach folgen Wohnort und Arbeit.
Ein bewegtes Leben ermöglichte es ihm, Landschaften aus vielen Blickrichtungen zu erleben: Als Lehrer, durch die Arbeit auf einem Fuhrbetrieb mit Pferden, als Landschaftsplaner, Naturschützer und als Vater. Die heutige Arbeit im Landschaftspflegeverband sei die Schnittstelle, in der verschiedene Ansprüche an die Landschaft zusammengeführt werden.
Die Idee einer landschaftspolitischen Bildung für Kinder hält er für sehr wichtig. Zusätzlich sei es wichtig, sich mit jedem Kind individuell zu befassen. Wissen über Landschaft würde er in einer möglichst großen Bandbreite an Angeboten vermitteln, um ihren ganzen Reichtum aufzuzeigen: Artenvielfalt, Geschichte, das Zusammenwirken von Natur und Mensch, aus dem sich stetig Konflikte ergeben. Dabei sollten die Besonderheit und der Wert von Landschaften nicht vereinfacht sondern so tief und weit gelehrt werden. Der Schlüssel liegt im Betrachten, Anfassen und auch mal „in den Mund stecken“, um ein Gefühl für Landschaft zu entwickeln. Bei dem einen früher, bei dem anderen später.
Download: Befragung von möglichen Partnern für ein landschaftspolitisches Bildungsprogramm, Juli 2011
Ein Tag am Deich – Spiele und Übungen zur Landschaft
Was eine Landschaft ist, kann man nur zum Teil im Klassenzimmer erfahren. Die Schüler wurden deshalb zu einem Tag unter freiem Himmel eingeladen, um mit den Studenten zusammen einzelne Besonderheiten des Oderbruchs zu thematisieren. Als Ort wurde der Oderdeich bei Bienenwerder gewählt, da hier die meisten der acht Landschaftselemente des Puzzles direkt zu sehen waren: Oder und Deich, Höhen und Himmel, Wiesen und Acker sowie die Gräben. Lediglich die Alte Oder musste man sich an dieser Stelle dazu denken – was auch geschah. Die Teilnehmer der Sommerschule hatten sechs Stationen vorbereitet, die von den Schülern absolviert wurden.
Zum Abschluss des Tages sangen die Teilnehmer ein Lied über die Geräusche des Oderbruchs:
Wie das Oderbruch klingt
Die Welt hat Wasser, Luft und Tier, die schweigen selten still.
Ein jedes Wesen singt und rauscht, so wie es leben will.
Aus welchen Klängen aber ist das Oderbruch gebaut?
Wie tönen Vogel, Mensch und Fisch, wie ist ihr Leis‘ und Laut?
Der Kranich schreit grus grus
Die Gans ruft ga ga
Der Trecker macht tok tok
Der Kiebitz ruft kuji wit
Der Rehbock macht hö! hö!
Wechselkröte macht libliblib
Der Wind macht sch-fauch
Der Storch klappert klack klack
Das Wasser macht gluck gluck
Der Bagger macht schmatz schmatz
Der Frosch macht quak quak
Das Auto fährt ns ns
Die Grauammer macht ziderit-schepper
Der Oderkahn macht nöht nöht
Der Fisch macht blub blab
Die Kuh macht muh muh
Der Schwan fliegt sirr sirr
Das Schaf macht bäh mäh
Die Ente landet zsch zsch
Die Grille macht zi zi
Der Kahn rudert platsch fatsch
Der Regen prasselt prrrrr prrrr
Das Fahrrad klingelt ring ring
Die Leute sagen Tach! Tach!
Die Pumpe macht eee eeee
Und wir machen He ho!
Download: Text und Noten – Wie das Oderbruch klingt
Die Landschaft auf der Bühne
Den Höhepunkt der Sommerschule bildete ein szenisch gestalteter Abend im Theater am Rand. Für offene Fragen wurden Bilder oder darstellende Formen gefunden. Der Abend bildete den Versuch, die Erfahrungen der Sommerschule mit den programmatischen Aspekten der Europäischen Landschaftskonvention zu verknüpfen. Es sollte gezeigt werden, dass der Weg zu landschaftskundlichem und landschaftspolitischem Unterricht, der gut in den Curricula verankert ist, weit aber auch attraktiv ist. Zugleich erlebte das Kinderbuch über das Oderbruch „Wie ich die Nixe entdeckte und mit dem Deich nach oben rannte“ das als begleitendes Lehr- und Erfahrungsbuch konzipiert wurde, seine Buchpremiere.
Eingangszene: Wie die Europäische Landschaftskonvention nicht nach Deutschland kam:
1. Versammlungsleiter: Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ladies and Gentlemen. Ich begrüße sie herzlich zu unserer Zusammenkunft mit Vertretern aus 38 Staaten Europas. Zu verabschieden gilt es heute ein Übereinkommen des Europarates zur Zukunft der Landschaften in unserem Kontinent. Es freut mich, dass sie so zahlreich erschienen sind!
2. Stellvertretender Leiter: Gleich zu Beginn unserer Tagung hier im schönen Florenz möchte ich vorschlagen, dass wir die Kernideen für den vorliegenden Entwurf einer Europäischen Landschaftskonvention in gebotener Kürze noch einmal Revue passieren lassen. Es geht schließlich darum, wie wir zukünftig mit unseren Landschaften politisch umgehen wollen.
3. Vertreter: Die Landschaften in Europa werden sich immer ähnlicher. Durch die Agrarsubventionen werden die immer gleichen Feldfrüchte gefördert. Die Vielfalt schwindet.
4. Vertreter: Traditionelle Landnutzungen, die die Besonderheiten der Regionen ausmachen, sterben aus! Dafür prägen immer gleiche Lagerhallen an den Autobahnen und die Flachbauten der Discounter an den Ortseinfahrten das Bild.
5. Vertreter: Sektorales Denken ist weiter auf dem Vormarsch, jeder holt sich aus den Landschaften, was er kriegen kann! Landschaften sind immer weniger Räume des Gemeinwohls!
6. Vertreter: Die Bindung der Menschen an ihren Landschaftsraum lässt nach, weil immer mehr Menschen in den Städten wohnen. Und die, die aufs Land ziehen, suchen Ruhe, die Arbeit bleibt in der Stadt.
7. Vertreter: Abwanderung bestimmt das Bild. Dadurch werden die Zivilgesellschaften in den ländlichen Räumen schwächer.
8. Vertreter: Medien und Mobilität fördern die Loslösung vom Raum. Es ist nicht mehr so wichtig, was in der eigen Umgebung passiert.
9. Vertreter: Durch die Etablierung erneuerbarer Energien kommt auf die Landschaften ein ungeheurer Veränderungsdruck zu. Wenn sie ihre Eigenart entwickeln wollen, brauchen sie öffentliche Diskurse.
10. Vertreter: Die Landschaftsplanung muss gestärkt werden! Landschaften brauchen eine räumliche Ordnung der Interessen.
11. Vertreter: Landschaft ist ein politischer Gegenstand. Landschaft braucht Auseinandersetzung. Das muss in die Köpfe.
12. Vertreter: Was überhaupt die eigene Landschaft ausmacht, muss ins öffentliche Bewusstsein.
13. Vertreter: Man kann die Geschichte nicht zurückdrehen, aber für die Zukunft brauchen wir Menschen, die ihre Landschaften gut kennen und Verantwortung für sie übernehmen können!
14. Vertreter: Heimat ist keine leere Formel, Heimat ist eine Liebesbeziehung zum Raum!
15. Vertreter: Es braucht die Teilhabe der Bevölkerung an den Entscheidungen. Dafür brauchen wir geeignete Formen.
16. Vertreter: Wir brauchen landschaftspolitische Bildung.
17. Vertreter: Die muss aber an den Schulen stattfinden und in den Lehrplänen verankert sein. Es reicht nicht, die Kinder an Wandertagen in Umweltbildungseinrichtungen zu schicken!
18. Vertreter: Die Bewohner der Landschaft müssen in die Bildung einbezogen werden! Nur generationenübergreifendes Lernen ist nachhaltig!
19. Vertreter: Landschaften sind ein wichtiger Teil der Lebensqualität. Gerade Europa hat einen riesigen Reichtum an eigenartigen, voneinander unterscheidbaren Landschaften hervorgebracht.
20. Vertreter: Landschaftspolitische Bildung in Sizilien muss anders gemacht werden als in Smaland! Sie funktioniert nur, wenn man sich mit den lokalen Besonderheiten beschäftigt!
21. Vertreter: Meine Damen und Herren, alle diese Aspekte sind in das geforderte Übereinkommen aufgenommen worden!
22. Vertreter: Wir halten also fest: die Europäische Landschaftskonvention fordert alle Einrichtungen in den Europäischen Ländern auf, ihre Praxis daraufhin zu überprüfen, ob Landschaften darin die ihnen gebührende Rolle spielen!
23. Vertreter: Es werden keine neuen Institutionen benötigt und auch kein zusätzliches Geld. Es geht um eine Änderung des Denkens und der Inhalte!
24. Vorsitzender: Dann lassen sie uns abstimmen. Wer von Ihnen ist bereit, die Europäische Landschaftskonvention zu unterzeichnen und zu ratifizieren?
ALLE MELDEN SICH, BIS AUF EINEN. DER STEHT AUF UND STELLT SICH AN EIN REDNERPULT:
25. Der deutsche Vertreter:
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Wir erkennen Ihre Bemühungen durchaus an, aber Deutschland wird sich an dem Übereinkommen nicht beteiligen. Wir haben eine solche Initiative nicht nötig.
Deutschland hat ein Naturschutzgesetz. Außerdem haben wir einen großen, professionell aufgebauten Umweltbildungssektor. Deutschland hat sich zudem verpflichtet, zwei Prozent seiner Fläche als Wildnis zu schützen. Unsere Planungsverfahren sehen eine optimale Öffentlichkeitsbeteiligung vor.
Sie sehen also, dass Deutschland in Bezug auf die von Ihnen angesprochenen Problemen bereits mustergültige Lösungen geschaffen hat.
Und außerdem: Wo kommen wir denn hin, wenn Hinz und Kunz in diesen hochkomplexen Fragen ein Mandat bekommen? In Deutschland haben wir alle Zuständigkeiten hinreichend geregelt.
Damit ist alles gesagt. Auf Wiedersehen!
Eigenart
Ist eine Landschaft: klein und weit, am Wasser, im Nebel,
umfasst von lichten Hügeln aus Sand und Lehm,
mit Wald bestanden und von kargen Wiesen bedeckt.
Grün und grau schillert’s im Bruch, hell und dunkel gehen in mannigfaltigen Schattierungen ineinander über.
Der Himmel ist ein Ereignis aus Farben und Wolken.
Winde streichen rauschend über die Weiden, silbrig wispern sie und beschatten den Saum des Flusses, der träge dahinströmt.
Schilf und Kraut hüllen die Wasser ein.
Quappen und Welse, Aale, Hechte und Weißfische tummeln sich in Alter und Neuer Oder.
Die Wiesen stehen fett und saftig.
Auf den fruchtbaren Lehmböden der Aue gedeihen die Feldfrüchte.
Rehe fliehen auf den Feldern.
Menschen leben in eigenartigen Dörfern an Angern und Straßen.
Ihre Häuser sind aus Fachwerk und Stein, das Holz vom Wetter vergraut.
Die meisten haben schon viele Hochwasser erlebt, waren umspült vom Oderwasser, wurden verlassen, wieder aufgebaut und erneut bewohnt.
Wo die menschliche Hand sich zurückhält, wächst Holunder.
Die Luft ist von Mist und Erde schwer.
Der Krieg hat Spuren hinterlassen: Bombenkrater, in denen heute das Wasser steht,
Gebeine auf den Äckern, nie geschlossene Lücken in den Siedlungen.
Die Kirchenglocken werfen ihr Getön über den Sonntag.
Straßen verlaufen in rechten Winkeln und führen in seltsamen Pfaden von Ort zu Ort.
Auf den Schildern und Masten singen scheppernd die Grauammern.
Kraniche vollführen auf den Feldern ihre Tänze. Ihr Gesang hallt über die weiten Flächen.
Störche nisten auf Masten und Dächern. Sie folgen den Erntemaschinen auf der Suche nach Nahrung.
Kiebitze rufen in die Nacht.
Hier und da grasen Schafe und Ziegen. Viele Menschen halten sich Hühner.
Schleiereulen gehen lautlos auf Jagd.
Auf den Friedhöfen die Steine der ersten Kolonisten.
So eine eigenartige Landschaft: das Oderbruch.
Veränderung
Ist eine Landschaft, verändert sich leis.
Windrad um Windrad dreht sich im Kreis.
Die Menschen besorgt, vom Wasser am Deich.
Sie hüten die Scholle, sie sind nicht so reich.
Und andre verlassen die Heimat sobald
die Schule vorbei und sie hinreichend alt.
Geschlossen ist längst schon die Zuckerfabrik,
kann man denn Leben von Vogelmusik?
Und rufen die einen nach Arbeit und Geld
ziehn andre hinaus in die Ruhe, aufs Feld,
sie hoffen auf Freiheit und Ungestörtheit,
für sie ist die Landschaft zum Leben bereit.
Doch ziehen sich Vögel und Fische zurück,
für Nische und Schutz bleibt ein winziges Stück.
Und sprachlos stehn manche vor Graben und Fluss
Verstehn nicht, wie’s Wasser sich drängen muss,
und wenig sagt ihnen die Weide am Saum,
ist halt eine Pflanze, ist eben ein Baum.
So greift eine Fremdheit das Leben an
und wächst wohl auch Liebe zu Landschaft heran.
Was zählt uns die Heimat, der Winkel, der Ort,
fängt’s neu an zu wachsen, ist’s aus längst, und fort?
Statistik – Szene: Über die Schwierigkeit, Bildung wissenschaftlich auszuwerten
Arbeitszimmer Professor und Assistent Bruchmüller. Requisiten: 3 Puzzle im Ständer, 2 Tische, 1 Stuhl, Tabellenzettel, Graphiken, Papier, Papierkorb, langer Zettel
Bruchmüller am Tisch sitzend, wartend auf Prof
Prof Kommt rein, zerstreut, wirkt suchend, guckt auf Uhr, geht zur Tür und ruft: Bruchmüller!
Bruchmüller meldet sich „Hier.“ Prof Erschrickt, geht zu ihm: „Na wenn das so ist, dann können wir ja ENDLICH anfangen. Beginnen wir mit der Auswertung, Sie notieren.“
Prof Läuft auf und ab mit langem Zetteln in der Hand.
Prof: „Untersuchung der Landschaftswahrnehmung von Kindern. 70 Schüler. 1043 gemalte Objekte, 695 natürliche, 348 kulturelle. Himmel: Flugmaschinen: 30, Tiere: 100, davon Vögel: 94 … Vögel, Vögel, … wie unpräzise! Bruchmüller, was für Vögel denn? Kranich, Graugans, Kiebitz?
Bruchmüller: „Nun ja, einige sind recht detailliert, die meisten jedoch eeeeheer reduziert.“
Prof: „Mhpf.“ Blättert ein Stück weiter, ratlos, betrachtet Puzzle: „Element Wiese.“ Schaut auf Zettel. „Natürliche und kulturelle Objekte halten sich die Waage. Landwirtschaftliches Gerät: 3, Nutztiere: 29, Kopfweide: 1
Bruchmüller: „Mit Verlaub, sind wir schon bei den natürlichen Objekten?“
Prof: „Aber Kopfweiden sind doch kulturelle Objekte!“
Bruchmüller: Ach so!
Prof: Also welche Bäume haben wir noch?
Bruchmüller: Genau Vierzehn, Frau Professor.
Prof: Welche! Nicht wie viel! Die zählen wir doch dann erst!
Bruchmüller: Na Bäume eben. So genau kann man das nicht sagen. Manche sehen aus wie Weihnachtsbäume…
Prof: Ah, eine Plantage!
Bruchmüller: Nein, eher nicht, so Tannen eben, Nadelbäume.
Prof: Zeigen sie mal her! Das ist ja furchtbar. Viel zu ungenau. Da liegt eindeutig ein Bildungsdefizit. Und was ist denn das da?
Bruchmüller. Ich glaube, das ist ein Walfisch…
Prof: Wollen die uns verarschen?
Bruchmüller: Ich glaube, sie wollten einfach ein bisschen Spaß machen.
Prof: Bruchmüller, so geht das nicht. Haben sie denn mit den Schülern keine begleitenden Interviews geführt? Was bitte ist: Der tote Königsfisch? Oder „einfach nur Grünzeugs“? Was ist ein Gänsebraten? Was sind Kobolde und Elfen, Quallen und Seeschlangen? Was ist „Frau Müller im Bikini?“ Und der NVA-Bunker?
Bruchmüller: Naja, den gibt’s wirklich, bei Harnekop… und außerdem hatten die Kinder gerade ein Projekt zu Unterwasserwelten
Prof: Und da haben sie sich mit Landschaftselementen wie „Billighotel“ oder Piratenfloß beschäftigt oder was? Bruchmüller, so kann ich nicht arbeiten! Zählen sie das zu Ende aus und geben sie es dann in unser Statistikprogramm ein. Vielleicht kann ja mal einer meiner Studenten eine Doktorarbeit darüber schreiben. Ich widme mich einstweilen meinem Vortrag über die Bologna-Reform.
Prof. geht ab.
Bruchmüller: Mein Gott ist der unflexibel.
Eine Initiative für landschaftspolitische Bildung für das Oderbruch. Erfahrungen aus 18 Monaten:
Referatsleiter im Bildungsministerium: Danke, dass sie meiner Einladung gefolgt sind. Ein landschaftspolitisches Bildungsprogramm für das Oderbruch? Wir möchten uns hier im Ministerium ein etwas genaueres Bild machen, bevor wir über eine Förderung entscheiden. Daher bitte ich die Bürger, ihre Vorstellungen knapp zu umreißen und die Vertreter der Schulen und aus der Politik um ihre Einschätzungen.
Bürger 1: Die Landschaftskunde für das Oderbruch sollte eine fachübergreifende Basis haben, vor allem aber sind praktischer Naturschutz und die Vermittlung von umfassenden Kenntnissen über unsere heimischen Tier- und Pflanzenarten nötig, z.B. die Weide in ihrer symbolhaften Bedeutung für die Region. Aber auch die Anbautradition von Gemüse, die traditionelle Haustierwirtschaft sind unverzichtbare Themen. Sowie etwa das Erkennen der Geometrie in Tierspuren bis zum Instrumentenbau aus Naturmaterialien.
Bürger 2: Ein Unterrichtsfach Landschaftskunde sollte alte Bewirtschaftungsformen, handwerkliche Grundfertigkeiten sowie ein regionales und saisonales Bewusstsein in Bezug auf Nahrungsmittel vermitteln. Außerdem sollten Möglich¬keiten der Nahrungsmittelversorgung im Oderbruch bis hin zur Selbstversorgung vermittelt werden, da die Kenntnisse, um in schwierigen Zeiten mal was anzubauen, verloren gegangen sind.
Vertreter 1: Vielen Dank für ihren Antrag auf Unterstützung eines landschaftspolitischen Bildungsprogramms an unsere Stiftung. Leider müssen wir ihnen eine abschlägige Antwort erteilen, da wir andere Schwerpunkte in der Jugendarbeit fördern.
Bürger 3: Es ist eine offene Frage, wer diese landschaftskundliche Bildung durchführt? Schulen? Elternhaus? Vereine? Da müssen sich viele in der Landschaft engagieren. Zentral ist:
Kinder sollten die Natur unbedingt außerhalb der Klassenräume kennenlernen. Um dies umzusetzen, müssten allerdings die Lehrer und Hortbetreuer dafür gewonnen und begeistert werden.
Kinder sollten sich eigenständig mit der Landschaft auseinandersetzen Und mit Spaß und Witz sollte man versuchen der Jugend das Wissen irgendwie unter zu jubeln, dass sie Interesse daran findet.
Vertreter 2: Auf Ihren Antrag an unsere große privatrechtliche Umweltstiftung muss ich Ihnen leider eine Absage erteilen. Wir fördern keine Bildungsvorhaben.
Bürger 1: Es sollte dringend ein Wissen um die historische Dimension der Landschaft in die Bildung einfließen.
Vertreter 3: Für das staatliche Schulamt muss ich Ihnen leider mitteilen, dass wir sie nicht unterstützen werden. Für solche Dinge haben wir keine Kapazitäten.
Bürger 2: Das Wissen über Landschaft sollte in einer möglichst großen Bandbreite an Angeboten und möglichst individuell vermittelt werden, um den ganzen Reichtum der Landschaft aufzuzeigen: Artenvielfalt, Geschichte, das Zusammenwirken von Natur und Mensch, aus dem sich stetig Konflikte ergeben. Dabei sollten die Besonderheit und der Wert von Landschaften nicht vereinfacht sondern so tief und weit wie möglich gelehrt werden.
Vertreter 4: Ich bin Leiter einer Grundschule im Oderbruch. Ihre Vorstellungen sind interessant, aber ich frage mich, ob hier nicht das Fahrrad ein zweites Mal erfunden werden soll. Wir arbeiten doch schon mit den Partnern im Dorf, besuchen den örtlichen Landwirtschaftsbetrieb und auch andere Einrichtungen in der Region. Ob hier wirklich etwas Neues entsteht, muss sich erst noch zeigen.
Bürger 3: Der Unterricht sollte mit einer Art Baukasten aus den Elementen Natur, Pflanze und Heimatkunde tiefergehende Kenntnisse über die Struktur und die prägenden Elemente der Landschaft vermitteln.
Vertreter 5: Ich leite ein Gymnasium im Oderbruch und finde die Initiative gut. Wir sind dabei. Allerdings werden wir von sehr vielen Institutionen und Akteuren gefragt, ob wir nicht mit ihnen kooperieren wollen. Wir können uns nicht zerteilen. Eine dauerhafte Kooperation mit außerschulischen Partnern ist nur möglich, wenn dies im Rahmen des Unterrichts erfolgt, denn wir haben nicht so viele freie Tage, wie wir Projekte durchführen könnten. Deshalb wird unsere Kooperation davon abhängen, ob es Ihnen gelingt, ihre Arbeit entsprechend kontinuierlich mit unserem Unterrichtsgeschehen zu verknüpfen. Wir können diese Verknüpfung nicht leisten und wir haben auch keine Ressourcen, sie zu finanzieren.
Bürger 1: Die Voraussetzung für eine gute umweltpolitische Bildung sind motivierte und solide ausgebildete Pädagogen. Zudem sollten diese nach Möglichkeit zu dem Ort, an dem sie unterrichten, eine starke Bindung erfahren haben.
Vertreter 6: Ich bin Grundschuldirektorin. Ob mein Kollegium und ich Interesse an einer landschaftspolitischen Bildung haben? Ick denke ma ni.
Vertreter 7: Als Schulleiter einer Grundschule im Oderbruch wäre ich sehr an einer solchen Bildungsarbeit interessiert. Ich unterrichte politische Bildung, mein Rahmenplan erlaubt es bereits jetzt, landschaftlich relevante Fragen zu integrieren. Wenn mir gut aufbereitete Bildungsmodule und Materialien angeboten werden, würde ich sie nutzen.
Bürger 2: Der Schlüssel liegt im Betrachten, Anfassen und auch mal „in den Mund stecken“, um ein Gefühl für Landschaft zu entwickeln.
Vertreter 8: Aus landespolitischer Sicht kann ich als Abgeordnete ihre Bemühungen nur unterstützen. Wir brauchen so etwas, sonst geht in den Regionen zivilgesellschaftlich nichts vorwärts. Man kann aber so etwas nicht verordnen, das müssen die Leute schon selber wollen.
Bürger 3: Die Bereitschaft zur ehrenamtlichen Mitarbeit von Bürgern und Betrieben, die mit all den Ressourcen in der Landschaft wirtschaften, muss gestärkt werden, soll es wirklich gelingen, das Grundverständnis für die Eigenartigkeit der Landschaft zu verbessern.
Referatsleiter: Danke meine Damen und Herren für Ihren Beitrag. Wir werden die Diskussion bis auf Weiteres vertagen, s gibt doch offenbar hierbei eine Menge Hindernisse, für die wir im Moment keine Zeit haben. Hiermit möchte ich die Versammlung schließen.
Download:
<<< Lied – Wie das Oderbruch klingt
<<< Befragung von möglichen Partnern für ein landschaftspolitisches Bildungsprogramm, Juli 2011
Weitere Beiträge:
<<< Wie ich die Nixe entdeckte und mit dem Deich nach oben rannte. Eine kleine Landschaftskunde für das Oderbruch.
<<< Wasserzeitung – Sommerschule Wasser
<<< Sommerschule Subsitenzwirtschaft
<<< Geschichtswerkstatt Raumpioniere