Wasserstandanzeiger – eine Wasserzeitung für das Oderbruch.

Wasserstandanzeiger – eine Wasserzeitung für das Oderbruch.

Eine Sommerschule im Rahmen des Oderbruchpavillons. 12.09.-17.09.2010

Präsentiert beim Randthema Nr. 18

Das Oderbruch ist eine „Wasserlandschaft“. Als größter eingedeichter Flusspolder Deutschlands unterliegt es einer regelmäßigen Überflutungsgefahr. Seine Nutzung und Besiedlung basiert auf der ständigen Abführung von Drängewasser über ein komplexes Graben- und Schöpfwerkssystem.

Der Umgang mit dem Wasser im Oderbruch hat technische, ökologische, kulturelle und politische Dimensionen, an ihn knüpfen sich viele individuelle Ängste und Erwartungen. Hochwasserschutz und Melioration, die Vorbeugung gegen eine mögliche Flut und die Sicherung einer ständigen Vorflut realisieren sich nicht von selbst. Sie verlangen den Oderbrüchern viel Arbeit ab, sie haben die Landschaft maßgeblich verändert und sie werden seit der preußischen Kolonisierung vor 250 Jahren mit staatlicher Unterstützung realisiert. Das aufwändige Management des  Landschaftswasserhaushaltes ist heute Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen im Kontext der Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie.

In der Sommerschule wurde eine „Wasserzeitung“ produziert. Die Teilnehmer befragen Landwirte und Mitarbeiter des Gewässer- und Deichverbands, Bewohner, Politiker und Wissenschaftler nach ihren Sichtweisen, Erfahrungen und Forderungen, recherchieren historische Informationen zum Verhältnis von Wasser und Landschaft im Oderbruch, lassen sich Geschichten und Anekdoten erzählen, schreiben Porträts und Berichte, fotografieren und zeichnen. Bei einer Haushaltsbefragung in allen Teilen des Oderbruchs wurden zudem 150 Personen anhand von Fragebögen zu ihrer Sicht auf das Wasser in der Landschaft befragt. Aus diesem Material erstellten wir eine Zeitung, die unmittelbar gedruckt und am letzten Abend der Sommerschule öffentlich präsentiert wurde. Die Zeitung sollte die Vielfalt der Perspektiven und die gegenwärtige Brisanz des Themas verdeutlichen und die fachliche sowie politische Auseinandersetzung fördern.

Eine gemeinsame Veranstaltung des Oderbruchpavillons mit der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNE) und der Hochschule Osnabrück.


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Zitate


Zum Abschluss der Sommerschule wurden die zentralen Ergebnisse in szenischen Formen,
Bildern und Vorträgen den eingeladenen Oderbrüchern im Theater am Rand präsentiert.

Ein Sprechchor aus Kolonisten im Stil der griechischen Tragödien bildete den Rahmen für die Vorstellung.
Er rief die Odernixe um Beistand in den großen Wassernöten des Oderbruchs an.

1. Oh ihr Wassergeister und Sumpfgötter, wir rufen euch an!
Als wir betraten, oh Odernixe, deine Landschaft, am Flusse gebaut,
standen wir, ratlos und müd’, im Schlamm, im stillen Morast,
umschwirrt von Mücken und fremden Vögeln,
das Gefieder aufs Wasser schlug, geheimnisvoll,
und dichter Nebel hing zwischen den Weiden.
Du, Wilde, sandtest uns ein seltsam’ Willkommen.
Die Boote der Fischer, die Sträucher, die Inseln im Bruch
und deine vielen Gewässer, dunkel und glucksend,
mühsam nur von den Siedlungen geschieden,
machten uns bang. Denn lang würde es dauern
bis trockenen Fußes man hier könnte wandeln.
Doch nun heischen wir deinen Rat, in schwierigen Zeiten!
Das Wasser drängt von allen Seiten herein,
die Oder hinab fließt es in schrecklichen Mengen
und fällt auch vom Himmel in unendlichem Regen,
schier aussichtslos scheint unser täglicher Kampf,
mühsam widersteh’n wir der Flut und singen dir, oh Nixe,
von Angst und von Wut, wir die Kolonisten im Bruch!

In einer Szene zur Fischerei beschreibt ein Fischer die dramatisch gesunkene Bedeutung der Fischerei in der Landschaft – nicht nur wegen der Trockenlegung der Gewässer, sondern auch wegen veränderter Konsumgewohnheiten (Der Chor fordert: Wir wollen Pangasius). Am Ende verteilt der Fischer Angelkarten und verlässt sein Boot (vgl. den Artikel zur Fischerei im Wasserstandsanzeiger).

2. Einstmals der große König hatte gerufen nach uns,
werbend und fordernd uns herbeigelockt,
aus den umliegenden Höhen und aus fernen Gefilden:
Kommt, so rief er, in meine neue Provinz!
Baut, Kolonisten, das Land an und macht es urbar,
das Wasser wird weichen fortan dem trockenen Land,
Kanal und Deich, grad und preußisch, geben euch Sicherheit,
und Gräben dienen nun der großen Melioration.
Fett wachse der Weizen, satt sprieße die Wiese
auf dass die Kühe uns allen im Staate liefern Fleisch und Milch,
und jeder werde selig nach seiner Facon!
Ein freies Land sollt es werden, und befreit vor allem vom Wasser.
Doch du, Odernixe, wohin solltest du nun weichen?
Wir tragen dich stolz auf unserer hellen Fahne.
Und suchen dich doch, wo immer du Verstecke gefunden hast:
Im Genschmarer See oder nördlich bei Oderberg?
Nixe, oh mächtige Nixe, wir rufen dich an!

Das Credo dreier Landwirte für einen angemessenen Umgang mit dem Wasser wurde in der nächsten Situation beschrieben. Dabei kamen unterschiedliche betriebliche und naturräumliche Bedingungen zu Sprache
(vgl. die Artikel zur Landwirtschaft im Wasserstandsanzeiger).

3. Als hunderte Gräben nun mühsam waren gezogen
um anzuschließen das Bruch an die große Vorflut zur See
konnten siedeln wir allerorten, und Loose-Gehöfte
prächtig und blühend, entstanden auf neu gewonnenem Land.
Doch schicktest du mit Viadrus’ Kräften immer neues Wasser.
Unter dem Deich drängt ’s hinein in unsere neue Provinz.
Und nie schien zu verenden der drängende Fluss,
bis schließlich wir Schöpfwerke errichteten, an den Feldern.
Hier luden wir freundlich dich ein, im Mahlbusen zu baden,
und deinen Frieden zu machen mit der neuen Situation.
Doch unwillig verbargst du auch weiterhin dein Antlitz,
nie wolltest, du Wilde, einzieh’n in künstliche Gewässer,
und gleich feuchtete der Acker, sobald einmal
die Pumpen aussetzten für einen Herzschlag.

Vier Angler in einem Boot unterhalten sich über die sonderbaren Begrifflichkeiten des Wassers: Vorflut und Drängewasser – was bedeutet das eigentlich? Die Vorflut, vermutet einer, ist die Welle vor der Flut – erst kommt das Dünne, dann kommt es ganz dicke. Und ein Polder – ist das ein Überflutungsgebiet? Aber das Oderbruch ist doch ein Polder? Warum wohnen wir dann eigentlich hier?

4. Also schlossen zusammen sich die Nutzer und Eigner
zur gegenseitigen Hilfe, zur Arbeit an Wasser und Grund,
und baten dich, oh Nixe, um deinen gnädigen Beistand,
bis endlich fürs ganze Bruch konnte errichtet werden
ein gemeinsamer starker Verband. Doch teuer ward
der Betrieb der Schöpfmühlen, das Krauten der Gräben
und die Räumung der verschlammten Oderarme.
In Manneskraft, in Kohle und Elektrizität,
fordertest du, oh Nixe, eine ewige Gebühr.
Das kostet Geld. Und als Erbe des altgroßen Friedrich
springt alljährlich der Staat hinein in die klamme Bresche.
Stiehlt aber die Regierung sich leise davon,
verriegelt die Kassen und schweigt zum drängenden Wasser,
schlagen jederzeit Alarm wir vor hohen Ämtern und Posten,
denn nimmermehr halten allein wir der drohenden Unbill stand.

Die Kolonisten im Tauziehen mit dem Landesumweltamt. Auf den ersten Blick scheint es, als zögen alle an einem Strang, dann werden Partikularinteressen sichtbar und alle ziehen in ihre eigene Richtung – die Landwirte, der Naturschutz, die Bewohner mit ihre Kellern, die Fischer und Wasserbauer. Eine gute Gelegenheit für den Vertreter des Landes, das Tau einfach an einem Paragraphen festzumachen und sich auf Status Quo und Rechtslagen zurückzuziehen. Erst die Odernixe, die schließlich auf der Bühne erscheint, vermag es, die offenen Enden zu einem Knoten zusammenzufügen
(vgl. die Artikel über den GEDO und das Landesamt für Umwelt,

Gesundheit und Verbraucherschutz, LUGV).

5. Nicht nur das Wasser, oh Nixe, bedrängt uns im Bruche,
denn einen Boten schicktest du, pelzig und nass,
einen Nager mit plattem Schwanz, Holzfäller und Höhlenbär,
einst fest etabliert, doch vor Jahren gewichen von hier
gegessen von uns, als Pelztier genutzt und vertrieben.
Nun staut er an, der findige rastlose Biber, baut Burgen,
und bohrt sich in großen Kesseln in unseren kostbaren Deich.
Und weder mit Jagd noch Fang dürfen entschlossen wir ihm begegnen,
weil nun, als Teil der Natur er strengstens wurde geschützt.
Das dümpelnde, dampfende Wasser ist sein Element
so stehn wir, ratlos betrachtend sein emsiges Werk.
Und ist uns erlaubt nur schwächliches Management,
Derweil man den Bisam mit Falle und Flinte bejagt!

Ein Elbebiber will im sich Oderbruch ansiedeln. Er ist begeistert von den herrlichen Habitatqualitäten: Weiden, Wasser, Mais und Platz, soweit das Auge reicht. Der bereits ansässige Biber ist eher skeptisch. Zwar könnten die Menschen nicht viel gegen die Biber ausrichten, aber eine Freundschaft zwischen Mensch und Tier sei es nicht gerade. Schließlich werden beide von einer Bibermanagerin der Bühne verwiesen
(vgl. die entsprechenden Artikel im Wasserstandsanzeiger).

6. Ach, schlimmste Unbill wurd’ zuteil uns durch Viadrus’ Fluten,
herabströmend aus den Beskiden nach stürzendem Regen.
Denn brach erst der mühsam errichtete Deich,
verlangte die Flut an Seelen und Höfen ihren Tribut.
Im Leid erfuhren wir Hilfe von Mensch zu Mensch,
und stellten uns der schrecklich einbrechenden Not,
um tapfer im Anschluss das Land erneut zu besiedeln,
forträumend den Schlamm, wieder errichtend die Häuser.
Doch war erst das Wasser langsam geschwunden,
endlich geflossen nach Norden, ins ferne und große Meer,
vergaßen wir, Nixe, von Jahr zu Jahr dein zorniges Wüten,
und gingen weiter dem Tagwerk nach wie jeweils zuvor.
Um aber Hab und Gut, kündigt erneut sich die Flut an,
doch zu retten und zu schützen, brauchen wir klugen Rat!
Darum, ihr Wassergeister, macht gnädig uns weise,
auf dass wir besser gewappnet für den schlimmsten Fall!

Drei Oderbrücher unterhalten sich über ihre Hochwasservorsorge. Während die einen pedantisch auf den Ernstfall vorbereitet sind, üben sich andere in Gelassenheit und Gottvertrauen. Eine gemeinsame Kultur des Umgangs mit dem Wasser gibt es im Bruch kaum – höchstens den Konsens, sich am besten gar nicht auf den schlimmsten Fall vorzubereiten und stattdessen lieber den Deich zu verteidigen. Alles andere sei letztlich Selbstaufgabe. (vgl. Artikel zur Anwohnerbefragung im Wasserstandanzeiger).

7. Nicht einfach ist’s auch, zu finden im Bruche den Kompromiss.
Denn allzu verschieden sind Anliegen und Nöte der Kolonisten.
Des einen überschüssiges Wasser fehlt, ist’s erst in der Vorflut,
dem andern in flachem Fischgrund und trockenem Feld.
Und abhängig sind, voneinander, die Gräben und Werke,
die Pumpen und Staue im großen System der Melioration.
Drum rufen wir, Nixe, dich an, aus dem Zwist heraus,
schlichte doch unsere Knäuel an kleinen Interessen,
und führe uns zu einer gedeihlichen Vision,
auf dass in Frieden wir unsre Landschaft unterhalten!
Dann mögen auch Reisende unser Bruch wohl besuchen
Sich erfreu’n am weiten Himmel, am Storch und am Fluss,
und bald auch mit Booten die Oder munter bevölkern.

Viele Gewässer im Oderbruch, vor allem die alten Oderarme, sind vom Boot aus sehr reizvoll. Auf dieser Basis entstanden  im Oderbruch erste Ansätze einer touristischen Inwertsetzung dieser wertvollen Strukturen. Sie sind aber sehr fragil und ihr Erfolg wird von der Entwicklung der landschaftlichen Strukturen im Oderbruch abhängen (vgl. die Artikel im Wasserstandanzeiger).

8. Oh Nixe, nach allem, was wir drängend dir vorgetragen,
hör nun, willig und gnädig, unsern innigen Wunsch:
Hilf uns finden ein gut Regiment für das Wasser,
auf dass die Bauern weiter mögen bestellen das fruchtbare Feld,
und nutzen fortan das grüne Land, wo es zum Ackern zu feucht,
auf dass die Fischer haben in Zukunft den üppigen Fang,
und er genossen würde an der Kolonisten reich beladenem Tisch
auf dass wir halten können im Zaume die Biber von Elbe und Weichsel
obwohl sie gehören mögen zu unserm geliebten Habitat,
auf dass die Leute sehen auf den schlimmen Notfall der Flut,
und bauen und leben in ihrem drohenden Angesicht: ohne Panik,
aber mit Klarheit. Und haben wir diese erreicht, hilf uns auch, oh
Nixe, zu schützen fortan den mühsam errichteten Deich.
In die Alten Arme der Oder laden wir fröhlich dich ein,
hier sollst du schwimmen können, und mit dir so manches Boot.
So wachs’ und gedeih unsre seltsame Wasserlandschaft.
Nix, oh Nixe, wir rufen Dich an!

Die Teilnehmer der Sommerschule 2010 &ndash Interviewer, Gestalter, Autoren und Schauspieler in einem:
Christoph Altmannshofer, Kenneth Anders, Inga Bellstedt, Matthias Eichler, Claudia Fischer, Lars Fischer, Florian Hoedt, Tanja Kaiser, Maria Klapper, Anne Kulozik, Imke Mahlstedt, Sophie Perl, Stefan Prell, Felix Riedel (nicht auf dem Bild), Silke Schönwald, Konstantin Schroth, Marcel Schwichtenberg, Uta Steinhardt, Verone Stillger, Patrick Thur, Almut Undisz, Hubertus von Dressler, Julia Wunderlich

Weitere Beiträge:
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