Enrico Mielke, Bisamjäger aus Letschin

Fischer im Wasser
 Enrico Mielke, Bisamjäger aus Letschin Fotografie: Stefan Schick 2017
 

Und im Schilf sitzen die Rohrdommeln

Aufgeschrieben von Tina Veihelmann

Die Arbeit ist das eine. Was ich den Tag über in der Natur sehe, ist das andere. Und das mag ich. Und deshalb mache ich meine Arbeit auch so unwahrscheinlich gerne und könnte mir nichts anderes mehr vorstellen. Ich sehe Singschwäne und Biber und Waschbären und Seeadler. Und dann sind da die Rohrdommeln, die sieht eigentlich kein Normalsterblicher sonst. Aber ich sehe sie, wenn ich in meinen Wathosen durchs Schilf gehe.
Ich arbeite beim Gewässer- und Deichverband als Bisamjäger. Vorher war ich dort als Baumaschinist angestellt. Dann war die Stelle als Bisamjäger ausgeschrieben, und ich habe mich beworben. Nicht, weil ich den Bisam nicht mag. Aber ich bin auch privat Jäger, und ich bin unheimlich gern in der Natur. Das war eigentlich schon immer so. Ich bin 1970 geboren und bei meiner Oma und meinem Opa aufgewachsen, die einen kleinen Bauernhof hatten. Ich war den ganzen Tag draußen und hatte ein sehr enges Verhältnis zu Tieren.
Als Bisamjäger zu arbeiten, ist ein anstrengender Beruf. Den Bisam jagt man das ganze Jahr über. Es gibt keine Schonzeiten. Und das Gebiet, in dem ich die Bisams fange, ist sehr groß. Es wird umschlossen von der Oder zwischen Hohenwutzen und Frankfurt (Oder), von der Strecke zwischen Frankfurt und Wernsdorfer Schleuse und von der Bundesstraße B 158. Alle Gewässer, die innerhalb dieser Linien liegen, gehören zu dem Gebiet, für das ich verantwortlich bin.
Der Bisam ist keine Ratte, wie viele meinen, sondern er ist eine Wühlmausart. Samt Schwanz ist so ein Bisam etwa 40 Zentimeter lang und lebt in röhren­förmigen, verzweigten Erdbauen. Zur Zeit spricht man immer nur über den Biber, wenn es um Schädlinge am Deich geht. Aber der Bisam ist eigentlich der schlimmere Schädling. Seine Röhrengänge sind verzweigter als die vom Biber. Die Bisams durchhöhlen in verschiedenen Höhenlagen die Graben­böschungen oder den Deich und jeder Bau hat mehrere Kessel. Dazu kommt, dass Bisams sich noch schneller vermehren als Biber. Die Weibchen tragen bis zu vier Mal im Jahr jeweils vier bis sieben Junge. Man kann sich vorstellen, was das bedeutet. Warum der Bisam als Schädling nicht in aller Munde ist – der Biber dagegen schon? Ich würde sagen, weil der Bisam seit langem bejagt und erfolgreich eingedämmt wird. Ich fange etwa 600 Bisams im Jahr. Dass er als Schädling bekämpft werden muss, ist im Brandenburgischen Wassergesetz festgeschrieben. Seit ich denken kann, also mindestens seit DDR-Zeiten schon, wird er in Fallen gefangen. Als Kind kannte ich den Bisamjäger, der meinen Vorgänger ausgebildet hat.
Wenn Sie mich fragen, ob ich denke, dass man den Biber genauso wie den Bisam bejagen sollte, würde ich sagen: Nein. Es gibt Stellen, wo der Biber durchaus sein kann, ohne dass er dem Menschen schadet. Zum Beispiel kenne ich bei Münchehofe eine fast auenwaldartige Landschaft – die ist zu manchen Zeiten grün. Zu anderen Zeiten staut der Biber Wasser an, dann ist sie überflutet. Und beides ist wunderschön. Etwas anderes ist es mit den Gräben und mit dem Deich. Da haben weder Biber noch Bisams etwas verloren.
Bevor ich angefangen habe, Bisams zu jagen, bin ich angelernt worden. Dabei habe ich viel über Bisams erfahren. Dann habe ich gelernt, wie man Bisamfressstellen und Bisambaue findet. Wenn ich an der Wasserkante entlanggehe, schaue ich, ob irgendwo der typische gelbe Sand liegt, den die Bisams aus ihren Röhren herausgraben. Nicht weit davon ist meistens der Eingang des Baus, ein etwa stiefelspitzenbreites Loch, das unter Wasser liegt. Mit meinen Wathosen gehe ich dann ins Wasser und suche dieses Loch. Wenn ich es gefunden habe, postiere ich nicht weit davon eine Schwimmfalle im Wasser.
Die Schwimmfallen, mit denen ich arbeite, sind erst vor einigen Jahren entwickelt worden. Früher haben wir Haargreiffallen und Tellereisen benutzt. Aber die Schwimmfallen sind sehr viel besser: Es sind schwimmende Drahtgestelle, in denen sich ein Köder befindet. Der Zugang ist so gemacht, dass anders als früher kein Beifang mehr in die Falle schwimmen kann – also kein Otter, keine Enten, auch kein Biber und kein Mink. Als Köder benutze ich Möhren, Äpfel oder Pastinaken. Über dem Köder befindet sich eine Conibearfalle, die dem Bisam das Genick zerschlägt und ihn sofort tötet. So kann es nicht passieren, dass das Tier nicht sofort tot ist und lebend mit schmerzhaft eingeklemmten Gliedmaßen in der Falle hängen bleibt. Ein anderer Vorteil der Schwimmfallen ist, dass ich sie im Wasser platzieren kann, sodass kein Unbefugter den Fang herausnehmen kann.
Wenn ich einen toten Bisam aus der Falle genommen hab, nehme ich einen Spaten, hebe ein Loch aus und begrabe ihn. Obwohl ich meine Arbeit gern mache, graust es mich jedes Mal, wenn ich den erschlagenen Bisam aus der Falle nehmen muss. Das ist komisch, aber auch nach acht Jahren, in denen ich das schon mache, ist das nicht weggegangen. Deswegen möchte ich die toten Bisams nicht mitnehmen und irgendwas damit machen. Einige Bisamjäger nehmen die Bisams mit, balgen sie ab, spannen die Felle auf und trocknen sie. Die Häute kann man an die Pelzindustrie verkaufen. Daraus werden Mützen und Jacken gemacht.
Ich habe gelesen, dass in Kanada der Bisam auch bejagt wird. Dort wird er von Trappern wegen der Pelze gefangen. Auch sein Fleisch wird gegessen, genauso wie das von Biber und Nutria. Warum eigentlich nicht? Man isst ja auch Kaninchen. Wobei ich selbst das Fleisch vom Bisam nicht essen wollte. Aber es gibt wohl auch hier Bisamjäger, die das machen. Als ich Kind war, habe ich das einmal miterlebt. Meine Mutter hatte in Altbarnim eine Gaststätte. Ich kann mich noch gut erinnern, wie eines Abends der damalige Bisamjäger zur Tür hereinkam – mit einem erlegten und schon abgezogenen Bisam. Die Gäste tranken gerade ihr Feierabendbier, wie man das zu DDR-Zeiten jeden Tag machte, und der Bisamjäger sagte zu meiner Mutter: Mach mal die Pfanne heiß, jetzt gibt es ein paar Bisamkeulen. Meine Mutter machte das für ihn. Und dann saß er da im Gastraum und aß seine Bisamkeulen.
Die älteren Bisamjäger erzählen, dass es zu DDR-Zeiten noch mehr Bisams gegeben hat als heute. Dass sie im Winter auf dem Eis mit Luftgewehren nach ihnen geschossen haben. Und dass damals in jedem Graben welche schwammen. Ich kann das schwer beurteilen. Seit ich Bisams jage, fange ich jedes Jahr etwa gleich viele von ihnen. Aber falls die Population tatsächlich zurückgegangen sein sollte, könnte es daran liegen, dass der Bisam wieder mehr natürliche Feinde hat. Es gibt ja mehr Raubwild als früher. Den Mink und den Wasch­bären zum Beispiel gab es hier noch nicht, als ich Kind war.
Die Landschaft hier hat sich seit meiner Kindheit verändert. Es sind neue Tiere zugewandert – wie eben der Waschbär und der Mink. Der Biber ist angesiedelt worden. Es gibt viel Schönes. Aber es gibt auch schlechte Entwicklungen. Ich kenne gerade um Altbarnim herum Gräben, die waren früher mal so tief, dass man vom Baum aus hineinspringen und in ihnen baden konnte. Heute wäre das überhaupt nicht mehr denkbar. Diese Gräben sind verschlammt und versandet, wie viele Gräben im Oderbruch. Das ist schade. Schade ist auch, dass es an den Gräben kaum mehr Gewässerrandstreifen gibt. Das sah schöner aus, und da lebten so viele Vögel, Schmetterlinge und andere Insekten. Jetzt wird da überall rangepflügt bis an die Grabenkante. Ich wäre dafür, wieder neue Gewässerrandstreifen anzulegen.

Aus: Wasser – Fotografien von Stefan Schick und Ulrich Seifert-Stühr und Berichte zum Thema Wasser im Oderbruch. Werkstattbuch 2, Aufland Verlag 2017