Einen präparierten Biber würde ich vorn an mein Tor hängen!
Aufgeschrieben von Almut Undisz
Ich bin hier im Oderbruch aufgewachsen und lebe jetzt seit gut zwei Jahren in Zollbrücke, direkt hinter dem Deich. Und das kann ich gleich mal sagen – wenn ich eine Angst habe, dann vor Feuer. Dass ein Anruf kommt, dass mein Haus brennt und ehe ich da bin, ist es weg. Vor dem Wasser, davor, dass ich absaufe, habe ich keine Angst.
Außerdem sind wir die letzten, die das Wasser kriegen. Bei uns vor der Haustür bricht der Deich nicht, da ist seit 1997 eine Betonwand drin, das ist hier mit der sicherste Deichabschnitt. Also bricht der Deich höchstens einen Kilometer weiter vorn oder hinten und das Wasser fließt erst durchs halbe Bruch, ehe es wieder hier ankommt. Da kannst du gemütlich auf den Damm gehen und gucken, wie dein Haus absäuft.
1997 war ich hier mit meinen 16 Jahren als jüngster Deichläufer unterwegs. Wir waren hier in Zollbrücke untergebracht. Mein Vater hat oben in der Gaststätte den Stützpunkt geleitet und wir saßen im Dammmeisterhaus, konnten uns da aufwärmen und hatten unsere Schichten. Wir waren sechs bis acht Leute pro Schicht und sind immer zu dritt je nach rechts und nach links gelaufen. Wir haben am Deichfuß nach Sickerstellen geschaut, und wenn da etwas war, also dass irgendwo mehr Wasser durchkam, haben wir das gemeldet. Dann kam gleich die Feuerwehr oder die Bundeswehr und hat Sandsäcke gebracht. Das war schon ziemlich brenzlig. Gleich hier hinter Zollbrücke standen riesige Pappeln. Weil der Deich abgesackt war, wurden die Bäume alle gefällt, denn die Hubschrauber mussten ran und Sandsäcke bringen und so weiter.
Einmal bin ich bei Hohenwutzen bis zur Brust eingesackt in den Deich, als dort der Deichabbruch war. Da mussten wir alle hin zum Helfen. Der Deich war schon kurz vorm Brechen. Die ganze Böschung war abgesackt und ich bin beim Laufen einfach plötzlich weg gewesen. Dann kamen von rechts und links zwei Arme und zwei Bundeswehrsoldaten haben mich da rausgehoben. Und dann ging es weiter. Das war für mich die brenzligste Situation. Es war schon lebensgefährlich für uns. Und das Traurigste ist, dass ich kein einziges Foto mehr von dieser Zeit habe. Die sind mir geklaut worden in der Schule. Das waren tolle Bilder, wie ich unter den Hubschraubern gestanden habe und so.
Ja, wenn man heute auf dem Deich steht und das Schild sieht, kann man sich fragen, warum haben die denn damals so eine Welle gemacht. Aber die Deiche waren vor 1997 noch viel flacher und das Wasser stand 20 Zentimeter unter der Deichkrone. Das sieht man heute da vorne gar nicht. Die Leute fragen mich manchmal und dann erkläre ich ihnen das.
Manches war auch cool: Ich hatte damals meine Angel dabei zum Fische fangen und habe oben von der Deichkrone aus geangelt.
Und dann bin ich in dieser Zeit noch jeden Tag durchs Dorf und habe mich um all die Tiere gekümmert, weil die Leute evakuiert waren. War ja sonst keiner mehr hier. Nur die Hühner sind dageblieben. Eigentlich war es auch eine schöne Zeit. Mit den Leuten, die noch da waren, gab es einen wahnsinnigen Zusammenhalt, man hat jeden Abend zusammen gesessen und gegrillt und zusammen gegessen.
Und jetzt haben wir einen tollen neuen Deich und den Biber. Der Biber ist für mich eine Katastrophe. Bei uns ist jeder gesunde Baum angefressen oder gleich ganz kaputt. Wenn man auf der Flussseite schaut – da standen früher eine Menge Bäume! Jetzt sind es noch drei angefressene Weiden, die auch gerade kaputt gehen. Die großen Pappeln, da ist inzwischen die ganze Allee gefällt. Wenn ich im Garten einen Baum pflanze und nicht sofort was drum mache, ist er am nächsten Tag hinüber. Das ist irre. Bei mir hat es letztens wieder einen großen Apfelbaum erwischt. Wenn ich Holz mache oder Bäume beschneide, ziehen die Biber das Reisig vom Lagerfeuer weg. Ich stapel die Äste auf und am nächsten Tag sind sie übers ganze Grundstück verteilt bis runter zum Graben. Es ist Wahnsinn, was die Viecher für Ausdauer und Kraft haben. Die müssen im Konvoi arbeiten, einer allein schafft das nicht. Einmal haben die eine Weide gefällt und innerhalb einer Nacht vollständig zerteilt und weggeschleppt. Am Morgen habe ich nur noch die Rutschspuren gesehen. Das sind ganz fleißige Tiere und sie sehen ja auch possierlich aus, aber sie sind hier einfach falsch. Einmal hat sich einer vor mich hingestellt auf seinen Schwanz, der war einen halben Meter hoch. Dem möchte man nicht im Dunkeln begegnen.
Hier sind alle fünfhundert Meter Baue mit Familien. Das sind Massen. Die gehen mittlerweile an die harten Erlen, die fressen sogar große Eichen an. Und meine Kürbisse! Die machen so viel Schaden. Wenn der GEDO kommt, um den Graben auszubaggern, oder die Landwirte mähen wollen, haben sie wahnsinnige
Angst, dass sie mit den Fahrzeugen einbrechen. Das ist sogar gefährlich für Mähdrescher, wenn da ein Bau von mehreren Metern Durchmesser im Boden ist. Und du darfst nichts machen. Wenn du was machst, bist du gleich der böse Verbrecher, weil die Tiere so geschützt sind. So ein Baum muss 100 Jahre wachsen, der Mensch darf nicht dran rühren, aber was der Biber macht, ist scheißegal.
Das Amt macht jetzt eine Schadensauflistung, und wir arbeiten daran, dass wir dann eventuell Schadensersatzansprüche dem Land gegenüber geltend machen können. Hier ist zum Beispiel die Ringstraße gesperrt. Das ist die wichtigste Straße für die Deichverteidigung im Hochwasserfall. Schön aufwändig ausgebaut nach 1997. Die ist seit anderthalb Jahren gesperrt wegen Biberschäden. Wenn jetzt ein Hochwasser kommt, haben wir vor allem ein Problem durch den Biber. Der ist ja auch überall im Deich. Da gibt es Höhlen, die sind so groß wie Zimmer. Als das Eishochwasser war, haben wir das gesehen. Riesige Höhlen und dann schauen dich 20 Augen an, weil die mit der ganzen Familie drinsitzen.
Das Schlimme ist, die Tiere machen so viel Schaden und bringen keinen einzigen Nutzen. Wenn Hochwaser kommt, wie will man das weghalten, wenn der halbe Deich aus Löchern besteht? Gittermatten halte ich nicht für sinnvoll.
Da gehen die einfach drei Meter weiter und buddeln dort einen neuen Bau. Schotter wäre eine bessere Lösung.
Dann heißt es, der Wolf sei bald da und wäre ein natürlicher Feind des Bibers. Das ist der nächste Schwachsinn, also ob ein Wolf wegen eines Bibers ins Wasser springt, wenn direkt daneben genug Schafe und Ziegen auf der Weide stehen. Wenn ich hier was entscheiden könnte – einen klugen Umgang mit diesen Tieren hier im Hochwassergebiet gibt es nicht. Wenn die Hochwasserschutzanlagen durch die Tiere beschädigt werden, dann haben die hier nichts zu suchen. Wir können sie ja gern in Sanssouci wiederansiedeln, vielleicht merken die da oben es dann endlich.
Es heißt, es gäbe nur 1 500 Tiere im Oderbruch. So viele zähle ich schon allein hier bei uns in der Ecke. In jedem Graben, in jedem Loch, es gibt nichts, wo sie nicht sind. Im Mäckisee, wo ich früher gebadet habe, steht auch kein Baum mehr, in Altreetz an der Pumpstation, im Bruchsee in Schiffmühle … überall. Wenn der NABU wenigstens mal nachpflanzen würde!
Und beiläufig: Das muss ein unheimlich gutes Fleisch sein. Der lebt nur in sauberem Wasser und frisst nur Pflanzen, also nur gesunde Pflanzen. Wenn man überlegt, was ein Schwein alles frisst …
Das nächste Problem ist der Kormoran. Er ist einer der größten Feinde der Fische. Ein Kormoran frisst 1,5 Kilogramm Fisch am Tag. Wenn da zehn Vögel einfliegen, kann man sich ausrechnen, was die pro Woche rausziehen. Das letzte
Jahr war für mich das schlechteste Angeljahr, seit ich angeln gehe, und ich gehe angeln, seit ich laufen kann.
Da haben wir das nächste Problem. Es wird immer mehr Werbung fürs
Angeln gemacht. Inzwischen nimmt das überhand. Hinzu kommt, dass die Angeltouristen nur noch spezielle Fische mitnehmen, also Zander, Hecht, Wels. Einen normalen Blei angelt ja gar keiner mehr. Wir sind früher mit unserer Stippe gegangen, haben uns gefreut, wenn wir drei Fische hatten, und dann haben wir sie wieder rein geschmissen. Heute geht es nur noch darum, Edelfische zu fangen und immer größere und immer bessere. Wenn ich einen Hecht fange, freue ich mich und gehe nach Hause, denn mehr essen als den einen kann ich nicht. Jetzt sitzen sie unten am Fluss und haben drei oder fünf Angeln, obwohl in der Angelkarte steht, dass man nur zwei Angeln haben darf. Und sie holen Fische raus, die sie gar nicht verbrauchen können. Das ist zwar nicht erlaubt, aber es kontrolliert keiner. Die Wasserschutzpolizei oder die Kontrolleure der Fischereiaufsicht wären dazu berechtigt, aber die machen nichts. Noch dazu sind ein Haufen Schwarzangler unterwegs.
Natürlich ist auch das Wetter ein Aspekt. Wir hatten 2016 ein sehr trockenes Jahr. Wenn genug Wasser da ist, kommen auch mehr Jungfische nach. Dann steht das Wasser auf den Wiesen und im Schilf. Das brauchen die Fische zum Ablaichen. So hoch, wie es jetzt im März steht, könnte es durchaus bis Ostern bleiben.
Döbel und Rapfen sind Sportfische. Die machen Spaß an der Angel, die kämpfen. Da hast du einen ordentlichen Drill und brauchst eine gute Weile, ehe du die raushast. Aber sie sind sehr grätig. Wenn ich einen habe, freue ich mich und lasse ihn immer wieder schwimmen. Letztes Jahr hatten Angler hier einen Wels, der war 2,15 Meter lang und 68 Kilogramm schwer. Da hab ich auch gedacht: den an der Angel, da fahr ich Wasserski.
Im letzten Winter hatte ich fast täglich meine Angeln im Wasser und habe insgesamt nur drei Quappen gefangen. Und das war vergleichsweise viel. Es kamen andere Angler aus ganz Deutschland und haben nichts gefangen. Das liegt allerdings auch daran, dass zum Teil von polnischer Seite mit Netzen und Kähnen gefischt wird, also mit Schleppnetzen, was ja ohnehin verboten ist. Ich habe das selbst gesehen, aber es interessiert ja keinen.
Und jetzt noch was Schönes: ich kann hier schwimmen gehen. Ich wohne ja direkt am Laufgraben. Der ist zwar sehr sauber, aber man muss erst mal reinkommen. Der Boden ist wahnsinnig schlammig. Und der Graben ist irre kalt. Im Winter friert er auch nicht zu, im Gegensatz zur Stromoder. Ich gehe aber eigentlich überall baden. In der Alten Oder kann man gut in Altgaul schwimmen gehen, da haben wir mal Sand hingefahren und bissel Strand gemacht. Durch die Stromoder bin ich bei Niedrigwasser auch mal nach Polen gelaufen. Das kann man natürlich nur machen, wenn man weiß, wo das möglich ist, wenn man damit aufgewachsen ist. Man muss schon aufpassen, es gibt ja eine starke Strömung. An der flachsten Stelle, mitten in der Oder, ging mir das Wasser nur noch bis zum Knöchel. Bei der tiefsten Stelle musste man schwimmen, aber das war hier gleich kurz hinter dem Ufer. Ich kann das aber nicht zur Nachahmung empfehlen!
Aus: Wasser – Fotografien von Stefan Schick und Ulrich Seifert-Stühr und Berichte zum Thema Wasser im Oderbruch. Werkstattbuch 2, Aufland Verlag 2017