Der Sicherheit des Oderbruchs verpflichtet
Gespräch mit Dipl.-Ing. Hans-Peter Trömel vom Landesumweltamt Brandenburg,
Abteilung Gewässerschutz/Wasserwirtschaft im „Deichhaus“ in Bad Freienwalde
Steckbrief:
Hans-Peter Trömel ist gebürtiger Sachse: 1941 in Radebeul geboren, machte er in Riesa sein Abitur und nahm anschließend eine Lehre auf. Am Bad Freienwalder Weidendamm lernte er 1 ½ Jahre Gewässerunterhaltung und Meliorationsausbau, daraufhin studierte er in Magdeburg und Dresden Wasserwirtschaft. Sein Berufsleben verbrachte er wiederum in Bad Freienwalde. Hierher führten ihn nicht nur die guten Erinnerungen der Lehrzeit zurück, sondern auch seine spätere Frau und die berufliche Gelegenheit, die Leitung des Flussbereiches Bad Freienwalde zu übernehmen. Diese im Volksmund als „Deichgraf“ bezeichnete Tätigkeit führte Trömel unter anderen institutionellen und fachlichen Voraussetzungen auch nach der 89er Wende fort, nunmehr als Bereichsingenieur der Nebenstelle Bad Freienwalde des Landesumweltamtes Brandenburg. In Bad Freienwalde und im Oderbruch ist er nicht nur wegen seiner Profession bekannt, sondern auch wegen eines vielfältigen ehrenamtlichen Engagements. Trömel ist Stadtverordneter, Mitglied des Oberbarnimer Kulturvereins, leitet die Ortsgruppe des BUND und tritt hin und wieder mit Lesungen in Erscheinung.
Erste Annäherung an das Oderbruch als Landschaft
Bevor Trömel in Bad Freienwalde seine Lehre aufnahm, versuchte er, sich im Atlas über die Region zu orientieren. Bis heute erinnert er sich an den großen weißen Fleck, der auf der Karte zu sehen war – einer Wüste gleich schien das Oderbruch leer und flach. Umso stärker war der Eindruck, den die erste Bahnfahrt von Eberswalde über Falkenberg auf ihn machte: das südliche Hügelflair stand in einem reizvollen Kontrast zur offenen Bruchniederung. Der freundliche Bahnhofsvorplatz Bad Freienwaldes beeindruckte ihn wie ein Landschaftsgarten – aus der Stahlstadt Riesa kommend war das kurstädtische Flair für Trömel besonders anziehend. Der landschaftliche Reiz der Region besteht für ihn bis heute aus dem früh erfahrenen Kontrast zwischen der flachen Bruchniederung und den umgebenden freundlichen Höhenzügen. „Man kann hier in Bad Freienwalde beides haben – die Berge und die flache Landschaft.“
Wasserwirtschaftliche Annäherung an das Oderbruch
Das Oderbruch lernte Trömel nach Antritt der Lehre aus wasserbaulicher Sicht kennen. Vor allem hieß das: Gräben zu mähen und mit Steinen beladene Karren zu schieben. Die Arbeit an den Landgräben bedeutete auch, das Bruch aus einer ganz anderen Perspektive und in einer ganz anderen Struktur zu sehen, als dies beim Durchfahren oder Durchlaufen möglich ist. Die grundlegende Bedeutung der Wasserwirtschaft für die Landschaft erfuhr Trömel so von Anbeginn.
Die Wasserwirtschaft war traditionell, so auch zu DDR-Zeiten, nach Flusseinzugsgebieten strukturiert. Diese naturräumliche Gliederung schildert Trömel als großen Vorteil gegenüber der heutigen Praxis, in der nach den Territorien der Bundesländer eingeteilt wird. „Dadurch kaufen wir das Wasser von Sachsen und verkaufen es an Berlin weiter.“ Trömel hofft auf eine neuerliche Gliederung nach Flusseinzugsgebieten durch die Europäische Wasserrahmenrichtlinie. Unabhängig von der politischen Bewertung des Systems scheint ihm die bürokratische Organisation der Bundesrepublik Deutschland in vielen Bereichen uneffektiv und nicht am Gegenstand ausgerichtet. In dieser Hinsicht sei in der DDR manches klüger geregelt worden. Trömel baute von 1969 den Bad Freienwalder Standort für einen Flussbereich der Oder auf, der zum Einzugsgebiet Spree-Oder-Neiße gehörte. Seine Direktion hatte die Funktionsfähigkeit der wasserwirtschaftlichen Anlagen und den Deichschutz zu gewährleisten sowie alle anderen wasserwirtschaftlichen Prozesse zu betreuen. Mit bis zu 80 Beschäftigten in drei Meisterbereichen hatte er sowohl bau- und ingenieurtechnische Leistungen als auch Kontroll- und Messarbeiten zu gewährleisten.
Horizonterweiterung
Dem Verantwortungsbereich Trömels entsprechend, blieb sein berufliches Interesse für das Oderbruch nicht auf die wasserwirtschaftlichen Anlagen beschränkt. Wie seine Vorgänger, die in unterschiedlichen institutionellen Strukturen Verantwortung für die Deichanlagen innehatten, nahm auch er das Oderbruch als Landschaft wahr und beschäftigte sich intensiver mit ihren verschiedenen Facetten. Auch die meteorologischen Verhältnisse seien für die Steuerungsmöglichkeiten der Oderlandschaft relevant. Vor allem müsse man die Geschichte kennen, um Fehler vermeiden zu können. Grundwasser- und Schichtenwasserverhältnisse sowie der Eisengehalt bilden einige naturgeschichtliche Rahmenbedingungen, die jeder Landnutzer berücksichtigen müsse. Die verschiedenen Regulierungsbauwerke und Einbauten seien dagegen kulturgeschichtlich bedingte und ebenso relevante Elemente der Landschaft. Wer dies nicht tue, würde meistens bestraft. So seien unlängst neueinrichtende Landwirte von der Nässe überrascht worden, nachdem sie scheinbar normales Grünland umgepflügt und in Acker verwandelt hatten.
Bei seinem Bemühen um einen historischen Landschaftsbezug wurde ihm entscheidende Hilfe durch den Beirat des Oderlandmuseums zuteil. So lernte er den Gründer und damaligen Leiter des Museums, Hans Ohnesorge, kennen und übernahm von ihm später die Betreuung des geologischen Lehrpfades, den dieser aufgebaut hatte. Mit Dr. Reinhard Schmook, dem Nachfolger Ohnesorges im Oderlandmuseum, verbindet ihn bis heute eine Partnerschaft.
Die eigene Rolle in der Landschaft
Das Interesse für die Komplexität der Landschaft müsse man bei seinem Beruf mitbringen, resümiert Trömel, trotzdem sei er als Ingenieur nicht in der Rolle, über das Schicksal des Oderbruchs zu entscheiden. „Wir Deichleute sind Ausführende.“ Er selbst hätte durchaus vom Studium noch die faustische Emphase des „Ein Sumpf zieht am Gebirge hin“ mitgebracht. Und auch wenn sich diese Einstellung inzwischen sehr differenziert hätte (und auch bei Faust selbst viel diffiziler sei, als dies in der DDR vermittelt worden war) so stünde er doch immer noch prinzipiell hinter dieser Vorstellung, wenn auch in einem vielleicht vorsichtigeren Sinne. „Ich fühle mich jedenfalls der Sicherheit des Oderbruchs verpflichtet, so lange hier Menschen leben.“ Man müsse von einem Hochwasser zum nächsten lernen und dieses Wissen immer weitergeben – dadurch könne man die Chancen auch verbessern, Hochwasser abzuwehren. Trömel hat in seiner Amtszeit bisher zwei sehr gefährliche Hochwasser erlebt und mit abgewehrt – das Winterhochwasser 1982 und das Sommerhochwasser 1997. Die Armee habe in beiden Situationen eine entscheidende Rolle gespielt. Aber auch er selbst habe sich nach besten Kräften um die Sicherung bemüht. „Wenn ich in 2 ½ Jahren in Rente gehe würde ich mich freuen, eine Hochwasserkatastrophe verhindert zu haben.
Einschätzung der ökonomisch-politischen Grundlagen des kolonisierten Oderbruchs
Die Bruchgebiete vor über 250 Jahren zu kolonisieren, war Staatswille, keine soziale Dynamik der Region. Zunächst hatte die preußische Krone militärstrategische Gründe: der Zugang zur Festung Küstrin sollte dauerhaft hochwassersicher gemacht werden. Damit begann die Verlegung des Flusses nach rechts. Zudem habe man Futterreserven für die riesigen Reiterarmeen gebraucht, dazu wurde das Ackerland benötigt, welches in den ersten Jahren nach der Trockenlegung als Flussschwemmgebiet ungeheuer fruchtbar gewesen sei. Schließlich war der preußische Staat um die Ansiedlung steuerzahlender Untertanen bemüht.
Betrachte man die Gegenwart, müsse man einräumen, dass die damaligen Gründe für eine Trockenlegung eigentlich nicht mehr gegeben seien. Noch zu DDR-Zeiten sei ein entsprechender Landschaftsschutz als gesellschaftliche Aufgabe definiert worden – heute sei es mehr eine Frage der privaten Versicherung von Land- und Gebäudeeigentümern. Die individuell betroffenen Menschen müssten ihre Risiken zunehmend selbst tragen. Dies sei insbesondere beim Oderbruch ein sehr grundsätzlicher Konflikt. Eine langfristige Antwort auf diesen Notstand weiß Trömel nicht – er zieht nur seine praktischen Schlüsse daraus, dass die in der Landschaft lebenden Menschen ein Recht auf sichere Rahmenbedingungen hätten. Eine „extremistische Wahrnehmung“ der Landschaft, man solle sie doch entsiedeln, teilt Trömel daher nicht. Man müsse auf jeden Fall sehen, inwiefern die Erhaltung der Landschaft naturnäher gestaltet werden könne. Es müsse ein höherer ökologischer Selbstorganisationsgrad angestrebt werden. Dies betreffe sowohl den Grundwasserspiegel als auch die Bewirtschaftung der Wassergräben. So lasse man das Mahdgut nach dem Krauten inzwischen noch liegen, um den Lebewesen die Möglichkeit zu geben, ins Wasser zurück zu gelangen. Auch einige Wehre seien inzwischen für die Lebewelt durchlässiger geworden. Dadurch würden längere ökologische Korridore wieder instand gesetzt, was insbesondere für die Fischpässe von Bedeutung wäre.
Einschätzung der wasserwirtschaftlichen Lage des Oderbruchs
Seit dem 1997er Oderhochwasser ist der Oderdeich auf ganzer Länge saniert worden – er weise heute eine gute Stabilität auf. „Zu Beginn des Studiums hielt ich den Deichbau für das einfachste Fach, dann wurde mir klar, dass es eigentlich das komplizierteste ist.“ Die Dimensionierung des Deiches sei z.B. abhängig von den Wasserständen und der Nässe des Deichkörpers. Der aktuelle Deich ist ein 3-Zonen-Deich, bestehend aus Dichtung, Stützkörper und Filter. Die Oderdeiche, saniert mit Geldern von EU und Bund, seien die derzeit modernsten Anlagen Europas.
Nach 1997 wurde der gesamte Landschaftswasserhaushalt einer grundlegenden Prüfung unterzogen. In diesem Zuge stellte man auch Drängewassermessungen an und stellte fest, dass dieses in bis zu 800 m hinter den Deichen noch an die Oberfläche tritt. Dies lege eine Nutzung der deichnahen Bereiche als Grünland nahe, da das Deichhinterland bei einer permanenten Bodenverwundung durch Ackerbau langfristig unterspült werde. Die Oberflächenspannung von Wiesen sei weitaus günstiger. Die Landwirte seien aber sehr schwer für eine solche Bewirtschaftung zu gewinnen. „Die Förderstrukturen laufen dem entgegen.“ Auch die partielle Rückverlegung von Deichen sei nicht nur teuer, sondern scheitere oft an Eigentumsverhältnissen.
Die alte Oder, auf der die Augen vieler Landwirte ruhten, war einst ein spreewaldartiges Gebilde. Mit ihren sechs Hauptgräben und zwei Hauptwasserläufen bilde sie heute ein sehr komplexes System des Landschaftswasserhaushaltes, in das auch im Verlaufe der letzten 250 Jahre mehrmals einschneidend eingegriffen worden sei. Ein permanentes Problem, das in der Bevölkerung meist nicht wahrgenommen würde, sei die Regulierung des Rückstaus durch das Wehr Hohensaaten an der Friedrichsthaler Wasserstraße. Solange die Wriezener alten Oder schiffbar war, wurde eine Fahrrinne ausgehoben, auch später noch sei der Pflegeaufwand relativ hoch geblieben, so habe man z.B. viermal jährlich gekrautet. Heute kraute man maximal zweimal jährlich. Dadurch würde das erforderliche Profil für einen ungehinderten Wasserabfluss auch gewährleistet, außerdem schränkten die Naturschutzgesetze eine häufigere Krautung ein.
Kenneth Anders
Im Hochwasserfall wird die Scharte durch eingelassene Balken geschlossen, zwischen die Mist gefüllt wird. Die zusätzlichen Kosten, die die Sanierung dieses historischen Elements verursachten, sowie die möglichen Risiken, die von ihm ausgehen könnten, sprachen zunächst gegen eine Beibehaltung und Sanierung. Trömel setze diese am Ende jedoch durch – als Reminiszenz an die Geschichte des Oderbruchs und um die Perspektive einer Wiedereinrichtung des Fährbetriebs offen zu halten.
Das gut erhaltene, gleichwohl sanierungsbedürftige Ensemble wurde noch bis vor wenigen Jahren als wasserwirtschaftlicher
Stützpunkt genutzt und umfasst auch noch zwei attraktive Fachwerkbauten auf einer alten Streuobstwiese.
Für die Zukunft ist eine öffentliche Nutzung vorgesehen, konkrete Modelle sind jedoch noch in der Schwebe.
An dieser Stelle bei Neulietzegöricke sprudelte hinter dem Deich permanent Wasser hervor, was der Deichsubstanz sicher nicht gut tat. Diese als „Quelle“ bezeichnete Austrittsstelle scheint nun durch die Deichsanierung zur Ruhe gekommen zu sein.
Weitere Beiträge:
<<< Das Oderbruch zwischen natürlicher und technischer Natur – Zur Produktion einer Kulturlandschaft – Dr. Siegfried Bacher, Berlin
<<< Das Oderbruch 2010 – Gespräch mit Herrn Professor Dr. – Ing. habil. Joachim Quast
<<< Zwischen Flut und Vorflut – Wasserorte
<<< Wasserstandanzeiger – eine Wasserzeitung für das Oderbruch.