Zwischen Flut und Vorflut – Wasser und Leben im Oderbruch

Zwischen Flut und Vorflut
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Zwischen Flut und Vorflut

 

Flüsse schaffen Lebensräume, das ist eine alte menschliche Erfahrung. Seit Jahrtausenden bringen Menschen ihre Tiere auf den saftigen Wiesen entlang der Flüsse zur Weide. Schon im Alten Testament ist die grüne Aue der Inbegriff einer fruchtbaren, friedlich ruhenden Niederung.

Das Oderbruch ist eine solche grüne Flussaue und eine fruchtbare allemal – dieser Tatsache verdankt sie ihre landwirtschaftliche Bedeutung. Der Strom hat durch seine Hochwasser über Jahrhunderte frischen Auenlehm und Schwemmsande in die Niederung gebracht. Ruhe und Frieden prägen diesen Landstrich allerdings nur zeitweise. Das liegt vor allem an den menschlichen Auseinandersetzungen mit dem Wasser.

Die Oder mäandrierte bis vor 250 Jahren in vielen kleineren Armen, die Winters und Sommers über ihre Ufer traten und die ganze, nach Westen und Norden abfallende Ebene überschwemmten. Als Siedlungsplätze waren daher nur die markant erhöhten Ränder des Bruchs sowie einige Schwemmsandinseln in der Niederung geeignet. Viele dieser Ortschaften kann man heute daran erkennen, dass sie das Präfix „Alt“ im Namen tragen. Oftmals sind es wendische Siedlungen, deren Menschen sich auf die schwierigen Lebensbedingungen im und am Oderbruch eingelassen hatten.

Das moderne Preußen gab sich mit diesen Bedingungen nicht zufrieden. Der Aufschwung des preußischen Staates nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) ist eng mit der Kolonisierung zahlreicher Sümpfe, Brücher, Moore und Luche verbunden. Im Oderbruch versprachen die guten Auenlehmböden hervorragende Bedingungen für die Landwirtschaft und somit Platz für staatlich angeworbene Siedler aus vieler Herren Länder – eine kleine zusätzliche prosperierende Provinz konnte hier entstehen. Die Voraussetzung dafür war ein geschickter und massiver Eingriff in den Flussverlauf, eine Flussbegradigung radikalen Ausmaßes.

Die Oder wurde in sechs Jahren unter der Leitung des Wasserbauingenieurs Simon Leonhard von Haerlem (1701-1775) entlang des östlichen Bruchrandes in ein neues Bett verlegt. Somit begann für die sich westlich der neuen Deiche erstreckende Niederung im Jahre 1753 eine neue Zeitrechnung. Die alte Bruchvegetation wurde ausgeräumt, in Windeseile entstanden neue Siedlungen, eine moderne Landwirtschaft hielt ihren Einzug und die Fischerei wurde im wahrsten Sinne des Wortes an den Rand gedrängt. Die Veränderungen in der Landschaft müssen selbst nach unseren heutigen Maßstäben von großer Dynamik gewesen sein.

Zur Ruhe gekommen ist das Bruch seither jedoch nicht. Der zweite Weltkrieg hat seine Spuren hinterlassen. Vor allem aber bringt sich die Kraft der Oder durch immer wiederkehrende, manchmal verheerende Hochwasser in Erinnerung. Beinahe jede Generation im Oderbruch hat seither die Macht des Flusses erfahren. Die hier lebenden oder neu eintreffenden Bewohner waren oftmals genötigt, von vorn anzufangen.

Die Deiche trennen die Landschaft von einem Fluss, der deutlich über der Landoberfläche im Oderbruch dahin fließt und immer noch zweimal im Jahr erheblich anschwillt. Die jährliche Sedimentation ist seither unterbrochen und der größte geschlossene Flusspolder Deutschlands geschaffen worden. Das tägliche Leben im Polder findet im Angesicht einer möglichen Flut statt. Aber dies ist nur die eine Seite des Lebens im Oderbruch mit dem Wasser. Denn aufgrund dieses Niveauunterschieds drücken permanent große Wassermassen unter dem Deich hindurch in die Niederung – so genanntes Drängewasser. Dieses Wasser speist eine ganze Reihe der alten Oderarme und die vielen Entwässerungsgräben, die im Lauf der Zeit gezogen worden sind. Wird es nicht abgeführt, ist der Boden im nördlichen Bereich, dem Niederoderbruch, zu feucht für eine ackerbauliche Nutzung. Die ständige Vorflut ist für das Leben also ebenso bedeutsam wie der Schutz vor möglichen Hochwassern. Und sie schafft ein sensibles Gleichgewicht zwischen den Nutzern: Greift jemand in das Wasserregime auf seinen Flächen ein, sind auch andere davon betroffen.

Zwischen Flut und Vorflut besteht ein Wechselverhältnis, das in ständiger Balance gehalten werden muss. Denn letztlich müssen die unterirdisch eindrängenden Wassermassen zurück in die Oder – nur eben weiter flussabwärts, am Ende eines zweiten, eigens geschaffenen künstlichen Flussbettes, der Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße. Da das Gefälle der Oder insgesamt gering ist, kann es zu Rückstau kommen, wenn der Strom sein Wasser nicht frei in die Ostsee abfließen lassen kann. Dann kann die Vorflut aus dem Bruch nur noch mit Schöpfwerken erreicht werden, die das Wasser aus der Niederung pumpen. Dieses gesamte System erfordert einen hohen Pflege- und Energieaufwand: Die Oder und ihr Wasser unterliegen einem täglichen Management.

Dieser Radwanderführer soll Ihnen nahe bringen, dass das Leben und Arbeiten zwischen Flut und Vorflut nicht nur eine Angelegenheit für Ingenieure ist. Deiche, alte und neue Flussarme und Siedlungen, Schöpfwerke und Gräben bilden landschaftliche Elemente, die das Leben der Menschen in der Landschaft in dieser Form ermöglichen und mitbestimmen. Wir haben einige dieser Elemente zu einer Rundreise von etwa 45 km verknüpft, die man an einem Tag bewältigen kann. Genießen sie das Oderbruch und haben sie ruhig den Mut, mit seinen Bewohnern zu plaudern. Aus ihrem Leben mit dem Wasser haben sie viel zu erzählen – und sie tun dies auch gerne!

Zwischen Flut und Vorflut

Die Wasserorte

In konzentrierter Arbeit wurden mit 15 Experten jene „Wasserorte“ diskutiert und ausgewählt, die im Projektzusammenhang beschrieben und zu einer Fahrradtour verknüpft werden. Alle diese „Wasserorte“ zeichnet eine Informationsdichte aus, in der das komplexe Wasserregime im Oderbruch ebenso wahrnehmbar wird wie die Vielfalt der wassergebundenen Landnutzungen von der Landwirtschaft über den Tourismus bis zur Fischerei und historische Schichten im Umgang mit dem Wasser. Diese Orte sind:

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Wriezen

Der Stadt Wriezen kam in der Entwicklung des Oderbruchs lange Zeit eine Schlüsselfunktion zu. Besucher, die heute durch Wriezen radeln oder spazieren gehen, finden aber auf den ersten Blick nur wenige Anhaltspunkte, die auf die einstige Bedeutung hindeuten. Es scheint, als wäre mit der Eröffnung des Oderkanals 1753, dem Kupieren der Alten Oder 1832 und der Trockenlegung des Bruchs nicht nur der Name „Wriezen an der Oder“ hinfällig, sondern der Stadt auch ihre wichtigste Lebensader abgeklemmt worden.

Die natürliche Lage des Ortes an der schiffbaren Oder, das fischreiche Bruch im Blick und die ansteigenden Höhen im Rücken war für die Stadtgründung 1337 von Vorteil. Die durch Wriezen führenden Handelsstraßen von Frankfurt nach Stettin und die von Magdeburg kommende Via Vetus komplettierten die Gunst des Standortes. Die Stadt war im Besitz der Schifffahrtsrechte, stromaufwärts nach Schlesien, stromabwärts nach Pommern und durch die angelegten Kanäle nach Polen und Preußen. Die Einnahmen aus dem Fisch- und Kahnzoll flossen in die Kassen. Der Handel und das Gewerbe florierten. Tonnenweise wurden Fische und Krebse aus dem Bruch zu Wasser und zu Land nach Berlin geliefert und bis nach Böhmen, Schlesien, sogar nach Italien exportiert. Einmalig für deutsche Lande gründete sich 1692 eine Hechtreißerinnung und monopolisierte die Fischverarbeitung und den Fischhandel in ihren Händen. Es gab alle nötigen Gewerke, um die Stadt und die Dörfer im Bruch mit dem Notwendigen zu versorgen. Und sobald die regelmäßigen Hochwasser die Wiesen freigaben, wurde Vieh zur Hütung ins Bruch getrieben. Reine Ackerbauern gab es nur wenige. Mit der Ansiedlung des Bruchamtes wurde die Stadt zudem das Zentrum der staatlichen Verwaltung des Landstrichs. Wriezen an der Oder war unbestritten die Hauptstadt des Oderbruchs.

Auf einem Kupferstich von Matthäus Merian aus dem Jahr 1652 reicht das Bruch mit seinen fischreichen Wasserläufen unmittelbar an die Stadt. Alle Schiffe von der Oder konnten in der 600 Morgen großen Faulen See einschiffen und am Markt anlanden, dort, wo jetzt der Bahnhof steht und ungenutzte Bahndämme liegen. Man hatte, so der Chronist Ulrich noch 1830, von hier aus eine freie Aussicht auf das Bruch, „wodurch die Stadt eine Eigentümlichkeit erhält, die wohl nicht leicht wieder gefunden wird“. Mit der Entscheidung, die Niederung trocken zu legen, war nicht nur der Stab über die Silberweiden, Schwarzpappeln, Stieleichen und Eschen in den Bruch- und Auenwäldern, sowie über die Weidengebüsche, Stauden, Rörichte und Flutrasen auf den waldfreien Stellen gebrochen, sondern über die gesamte Lebens- und Wirtschaftsweise einer Landschaft.

Mit der Urbarmachung des Niederoderbruchs wurde die Stadt zunächst reicher und wuchs: Waren und Dienstleistungen für die neu angelegten Kolonistendörfer wurden gebraucht, die Landwirtschaft entwickelte sich zum treibenden Sektor, das Bruchamt organisierte die Ansetzung der Kolonisten. Von Haerlem nahm mit seinem Stab in Wriezen Quartier und leitete die Arbeiten: Aushub am Kanal, „Bewallung“ der alten Oder und Schaffung der für die Vorflut notwendigen Gräben.

Die Entwässerung der Faulen See durch eine Verbindung zum Landgraben unterhalb von Wriezen wurde nötig, um die dringend nötige Vorflut zu schaffen. Vorher stand hier schon bei mäßigem Anwachsen der Oder das Wasser den ableitenden Hauptgräben: der Volzine, dem Friedländer Strom und dem Letschiner Hauptgraben – alles alte Oderarme –  entgegen und behinderte deren freien Abfluss, was zu Überschwemmungen der nun für die Landwirtschaft vorgesehenen Flächen führte.

Der radikale Wandel der Verhältnisse traf unter den Wriezener Bürgern auch auf Widerstand. „Da man nicht sicher ist, daß die mit vielen Kosten angefertigten Dämme bei großem Wasser von bösen Leuten dürften durchstoßen werden“, wird auf Vorschlag von Haerlems ein Dammmeister oder Teichschauer angestellt und mit Polizeifunktion ausgestattet. Acht gab es im Oderbruch. Sie mussten wöchentlich die Dämme visitieren, sobald das Wasser aber über die Ufer trat, waren tägliche Kontrollen vorgegeben. Bei Hochwasser musste dort, wo Wasser durch den Deich zu laufen begann, auf der Wasserseite Mist vorgebaut werden. Der Wriezener Dammmeister wohnte in einem Haus direkt auf dem Deich an der Landgrabenbrücke. Das Haus steht noch heute.

Nicht nur Überschwemmungen brachten die Oderdämme immer wieder in Gefahr. Sie wurden auch durch das Vieh geschädigt, das zu den Hutungsflächen über die Dämme getrieben wurde. Die Feldmäuse, damals Polacken genannt, taten ihr Übriges. Um die königlichen Investitionen zu sichern, wurde die Anlage eingezäunter und gepflasterter Viehtränken am Landgraben und der Bau einer Brücke angeordnet.

Als 1810 die Gewerbefreiheit in Preußen eingeführt wurde, verlagerten sich viele Gewerbe in die neuen Kolonistendörfer, so dass manche Gründe wegfielen, sich nach Wriezen zu wenden. Mit der Kupierung der Alten Oder 1832, von der man sich eine Ausspülung des stark versandeten Oderkanals versprach, verloren dann die Binnenschifffahrt und die Bruchfischerei zusehends ihre einstige Bedeutung für Wriezen. Die Stadt versuchte zwar den Schiffsverkehr nach Oderberg aufrecht zu erhalten: Der Landgraben wurde ausgebaut und ein Hafenbecken nahe der Kalkbrennerei angelegt. Für kurze Zeit entstand ein reger Umschlagplatz. Doch die Eröffnung der Oderhäfen in Groß Neuendorf und Kienitz 1913 setzten dem ein Ende. In den 1960er Jahren wurde das Hafenbecken zugeschüttet.

Das Gelände der alten Kalkbrennerei am alten Stadthafen gehört heute der Familie Brennecke aus Wriezen. Sie betreibt hier einen Kanu-Verleih. Wer das Oderbruch vom Wasser aus erkunden will, kann auch sein Fahrrad gegen ein Boot tauschen und auf der Alten Oder nach Bad Freienwalde paddeln, um dort mit der Tour durch die Wasserorte zu beginnen. Den Transport der Räder übernimmt der Kanu-Verleih. Den alten Hafen sollte man aber in keinem Fall verlassen, ohne im Büro der Brenneckes vorbeigeschaut zu haben: Hunderte Fotos an den Wänden lassen erahnen, was Wriezen einst ausmachte.

Zwischen Flut und Vorflut
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Altwriezen

Das Rundlingsdorf Altwriezen wurde vor über 700 Jahren von slawischen Fischern besiedelt. Vom Wriezener Dammmeisterhaus erreicht man es zunächst auf einem zum Fahrradweg ausgebauten Bahndamm, dann auf dem Deich der Alten Oder.

In askanischer Zeit war Altwriezen der bedeutendste Ort im Niederoderbruch. Die ersten christlichen Kolonisatoren wollten ihn zu einer deutschen Stadt ausbauen. Die vom Land abgeschnittene Lage inmitten des Bruchs stand dieser Idee entgegen, denn das 13. Jahrhundert fiel in eine Vernässungsperiode, wodurch sich das Wasserregime in der Landschaft veränderte. Die Stadt wurde dennoch gegründet: Auf den Terrassen am Westrand des Bruchs entstand Wriezen, Altwriezen blieb ein Fischerdorf.

Der Rundling als frühe Siedlungsform im Oderbruch verdankt sich wohl vor allem den naturräumlichen Gegebenheiten. Die ihren Lauf wechselnde Stromoder mit ihren vielen Nebenarmen lagerte bei Hochwasser grobkörnige Materialien ab, die bandförmig wenige Meter über die Umgebung hinaus ragen und die alten Wasserverläufe markieren. Diese Erhöhungen, auch Rähnen genannt, boten einigen Schutz vor dem Wasser und wurden daher von den Bruchbewohnern als Siedlungsräume angenommen. Inmitten der wasserreichen Gegend war vor der Trockenlegung die Verfügbarkeit von Trinkwasser ein Problem. Entscheidend bei der Auswahl der Siedlungsplätze war daher auch die Frage, welche Bereiche überhaupt Schichten trinkbaren Wassers führten. So kam es, dass die alten Bruchdörfer trotz hinreichenden Siedlungsplatzes über Jahrhunderte nie mehr als 28 Fischerfamilien eine Wohnstätte boten. Der Brunnenbau war eine der vornehmsten Aufgaben im Oderbruch.

In der Beschreibung einer Oderbruchreise aus dem Jahr 1765 schildert Oberpfarrer Samuel Buchholtz das Aussehen der alten Bruchdörfer genauer: Sie „lagen auf einem Haufen mit ihren Häusern und hatten meistens gewaltige Wälle von Kuhmist, als Häuser hoch, um sich her, die ihnen Schutz wider Wind und Wetter und Wasserfluthen im Winter und Frühlinge und zu Kürbisgärten im Sommer dienten. Den übrigen Mist warfen sie aufs Eis oder ins Wasser und ließen ihn mit der Oder wegtreiben.“

Der Kahn war nicht nur wegen der jährlich wiederkehrenden Hochwasser das wichtigste Verkehrsmittel, sondern für die vom Fischfang und ein wenig Viehzucht lebenden Dorfbewohner unverzichtbar. Solange das Wasser auf den Wiesen stand, regelte der Dorfschulze das Abfischen der ertragreichen Gewässer. Ansonsten gingen die Bruchbewohner in dem so genannten Erbwasser gegen einen Pachtzins ihrem Hauptgewerbe nach. Fielen die Wiesen trocken, trieb man das meist im Stall gehaltene Vieh ins Bruch auf die Rähnen. Hochwasser gefährdeten Altwriezen immer wieder. 1736 wurde die Hälfte des Ortes von der Flut fortgerissen. Die Lücke im Rundling wurde nicht wieder geschlossen und ist vom Deich der Alten Oder gut zu sehen. Mit dem Bau des Oderkanals wurden die vielen Brücher, das sind  feuchte, beweid- und betretbare Wiesengründe, und Seitenarme der Oder eingedämmt, auf dem Höhepunkt der Arbeiten traf das 1749er Hochwasser den Ort nach einem Eisstau mit voller Wucht. Die Altwriezener Fischer machten die Deicharbeiten dafür verantwortlich und baten die Obrigkeit, die Zudämmungen schleunigst zu beseitigen. Da die Einführung von Dammwärtern mit der Gefahr böswilliger Deichdurchstiche „wie im Dezember 1749 bei dem coupierten Campitzgraben gegenüber Altwriezen wirklich geschehen“, begründet wurde, liegt die Vermutung nahe, das die Altwriezener sich nicht aufs Bitten allein verlegt hatten.

Die Fachwerkkirche fiel dem Wasser damals nicht zum Opfer, sie wurde erst zu DDR-Zeiten abgerissen. Nur noch das in einem Gerüst hängende Geläut erinnert an sie und an die alte Mitte des Rundlings. Im Gegensatz zu anderen Dörfern hielten die Altwriezener auch bei der Erweiterung des Ortes an der Siedlungsstruktur des Rundlings fest und bauten auf gesicherter Stelle einen neuen. Altwriezen ist daher im strengen Sinn ein Doppelrundling. Auch im zweiten Rundling stehen die Mittelflurhäuser mit dem Giebel zum Dorfanger. Demnächst wird die <<< Familie Persiel in ihrem liebevoll sanierten Haus ein Keramik-Café eröffnen und so einen Einblick in das Haus gewähren. Scheuen sie sich nicht, die Altwriezener auf ihr Dorf anzusprechen. Vielleicht landen Sie in der Musikinstrumentenwerkstatt des Komponisten <<< Martin Rätz und lassen sich auf musikalische Weise in die Landschaft einführen.

Große Fachwerkscheunen zeugen davon, dass Altwriezen den notgedrungen Übergang vom Fischer zum Bauerndorf wohl mit Gewinn vollzogen hat. In einer dieser Scheunen ist heute die Landherberge Altwriezen untergebracht: Ein Tip für Radler, die länger im Oderbruch verweilen wollen oder einfach nur ein Rad ausleihen wollen.
Eine große Runde im inneren Kreis des Dorfes kann den Besuch in Altwriezen abschließen. Wieder auf dem Radweg entlang der Alten Oder in Richtung Neulewin werden die verlassenen Stallgebäude zwischen den Deichen auffallen. Sie gehörten zur intensiven Enten- und Gänsezucht, die im Oderbruch eine längere Tradition hatte, mit der Wende aber aufgegeben wurde. Die flachen Wasser dienten dem Federvieh als Auslauf – erhebliche Belastungen des ohnehin kaum mehr fließenden Gewässers waren die Folge. Kurz vor Karlshof quert die Route die Alte Oder und führt, beschattet von Eichen, in ein Dorf mit gänzlich anderem Gesicht.

Zwischen Flut und Vorflut
Das Haus der Persiels wurde um 1800 gebaut. Die großen Bauernhäuser ersetzten die auf weniger festem Grund errichten Gebäude der Fischer.

<<< Wohnen heute in Häusern von gestern

Zwischen Flut und Vorflut
Der Taubenturm ist eine der Beschaulichkeiten, die Altwriezen zu einer kleinen Oase machen.
Zwischen Flut und Vorflut
Skizze zur Anlage des Doppelrundlings aus dem zweibändigen Standardwerk Das Oderbruch, herausgegeben von Peter Fritz Mengel, Deichhauptmann des Oderbruches, 1934 in Eberswalde.
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Neulewin

Neulewin zählt zu den ältesten und schönsten Kolonistendörfern im Oderbruch, obwohl es durch natürlichen Verfall und die Schäden des Krieges seiner historischen Substanz beraubt wurde. Von besonderem Interesse ist der sich malerisch durch den Ort schlängelnde Dorfgraben, der auf beiden Seiten von einer etwas zurück gesetzten Häuserreihe gesäumt wird. Nur Neurüdnitz wurde in ähnlicher Weise an einem vorhandenen Graben angelegt. Im Juni 1755 berichtet der Generalmajor von Retzow dem König, dass der Ort fast vollständig errichtet und besiedelt worden sei. In den ersten Jahren lebten hier wohl um die 500 Neusiedler, verteilt auf 80 Familien. Neulewin entstand, wie auch Neubarnim und Neutrebbin, auf königlichem Land, erkennbar an der Vorsilbe „Neu-“ im Ortsnamen. Die Häuser dieser Siedlungen wurden im Auftrage König Friedrichs II. errichtet und gemeinsam mit einigen Morgen Land an die Kolonisten als Eigentum vergeben. Die Größe der Hofstellen variierte zwischen 10 und 90 Morgen – vier Morgen sind ein Hektar –, die abhängig von der vorgesehenen Stellung der Kolonisten in der Gemeinschaft und vom mitgebrachten Vermögen vergeben wurden. Von 10 Morgen konnte keine Familie ernährt werden, also mussten diese Siedler ein Gewerbe ausüben oder sich als Tagelöhner verdingen.

Die ersten Jahre waren nun überaus schwer: Der Boden musste urbar gemacht, gerodet und umgeworfen werden. Zahlreiche Hochwasser machten den Neusiedlern zu schaffen. Die schlecht gebauten Häuser nahmen schnell Schaden. Der Landesherr hatte angewiesen, dass nicht Paläste, sondern „Schaafställe und Wirtschaftsgebäude“ zu bauen seien. Die Balken wurden in die Erde gelegt, der Fußboden bestand aus festgestampftem Lehm, die Wände aus Holz und Lehm, die Dächer aus Schilf. Diese Häuser hatten eine Lebensdauer von 20-25 Jahren. So kam es, dass einige Siedler ihren Hof wieder verließen, wie einem 1762 verfassten Brief von Haerlems an die Dorfschulzen zu entnehmen ist, in dem der Oberdeichinspektor diese Entwicklung beklagt und zur Bestrafung der Kapitulierenden auffordert. Es dauerte Jahrzehnte, bis sich die großen Hoffnungen, die die Kolonisten mit dem Neuanfang auf fremdem Boden verbanden, einlösten und das fruchtbare Land hohe Erträge abwarf. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts begannen der Anbau von Zuckerrüben und die Gänsemast. Für große Beachtung sorgte die Landwirtschaftsaustellung 1925 in Neulewin, die ca. 8000 Menschen besuchten.

Die Anlage von Schachtgräben war bei der Besiedlung üblich und diente der Entwässerung der Hofstellen. Der Bodenaushub wurde etwas entfernt vom Graben zu beiden Seiten aufgehäuft, so dass die Häuser etwas erhöht errichtet werden konnten. In Neulewin nahm man den natürlichen Wasserlauf des Lewingrabens auf, daher der geschlängelte Verlauf. Die Flächen zwischen Graben und Häusern befanden sich bis 1858 in königlichem Besitz, danach konnte die Gemeinde sie erwerben und an die Anlieger verpachten. Schon ab 1830 hatte die Nutzung als Gemüse- und Obstgärten begonnen. 1901 gründete sich der Verschönerungsverein, der in den Folgejahren unter anderem mit verschiedenen Wettbewerben für die Verbesserung des Dorfbildes sorgte. In dieser Zeit wurden die alten, teilweise zerbrochenen Kopfweiden entfernt und Birken nachgepflanzt, die jetzt an einigen Stellen des Dorfangers prägend sind. Perle des Oderbruchs – so wird Neulewin vor dem 2. Weltkrieg häufig genannt. Anwohner berichten davon, dass es bis in die 1970er Jahre noch möglich und üblich war, auf Schlittschuhen entlang des Lewingrabens, der in den Stadtgraben mündete, bis zur Volzine zu fahren.

Vom Kriegsende an herrschten bis 1990 Nutzgärten mit Gemüseanbau vor. Inzwischen findet man ein abwechslungsreiches Bild, Obstwiesen grenzen an Blumengärten und Kartoffeläcker. Jedes Jahr entkrautet der GEDO den Schachtgraben, was aufgrund der besonderen Lage nur in Handarbeit geleistet werden kann. Unlängst sind neue Weiden gepflanzt worden.

Nach den Meliorationsarbeiten am Ende der 1970er Jahre und der Änderung des Verlaufs im Abfluss zur Volzine im Westen hin hat der Schachtgraben heute keine wasserwirtschaftliche Funktion mehr. Nahe der alten Schule wurde in den letzten Jahren ein kleiner Park angelegt. Hier findet sich ein Denkmal für die in den Kriegen gefallenen Neulewiner und die alte Eiche, neben der bis Kriegsende ein 1905 errichtetes Denkmal für Friedrich II. stand.

Verlässt man den Ort in Richtung Karlsbiese, so kommt man an einer Schautafel zur Erinnerung an die Oderbruchbahn vorbei, die im Volksmund „Rübenbahn“ genannt wurde. Diese fuhr von 1911 bis 1966 zwischen Wriezen und Groß Neuendorf und verband so das Oderbruch mit der Welt, indem sie den Anschluss an die Staatsbahn brachte, wobei weniger der Personenverkehr, als vielmehr der Transport landwirtschaftlicher Produkte im Vordergrund stand.

Das Eiscafè in Karlsbiese bietet noch eine Erfrischung, bevor die Passage zum Deich bei Güstebieser Loose beginnt.

Interessantes am Rande
Atelier Baugatz/ Kulturstube, OT Kerstenbruch
Landmarkt im denkmalgeschützten Gebäude von 1965

Übernachtung/ Essen
Oderbruchperle
Pension Puschmann
Eiscafè Karlsbiese

Zwischen Flut und Vorflut
Der Weg nach Neulewin führt an der Kulturscheune in Kerstenbruch vorbei. Hier arbeiten die ortsansässigen Künstler Herr und Frau Baugatz.
Zwischen Flut und Vorflut
Im Sommer ist der Graben bei einem sehr niedrigen Wasserstand zugewachsen und voller Entengrütze. Erst nach der Krautung wird er richtig zu sehen sein.
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Güstebieser Loose

Was muss es für eine unerhörte Spannung gewesen sein, bevor die Wassermassen in das neue Bett strömten! Sieben Jahre hatten die Arbeiten am Oderkanal in Anspruch genommen, mit einem ungeheuer großen Aufwand an menschlicher Arbeitskraft. Schon unter Friedrich Wilhelm I. war mit der Errichtung eines Deiches von Lebus bis Zellin begonnen worden, die im rechten Winkel auf Wriezen zufließende Alte Oder bei Güstebiese stellte nun eine prädestinierte Stelle für den Anschluss eines geraden Flusslaufes stromabwärts dar. Ein leichter Höhenzug bewirkte bis 1753, dass die Oder hier dem Gefälle in der Landschaft folgend nach links knickte. Diese natürliche Barriere nutzte man damals als „Fangdamm“. Dieser wurde am 02.07.1753 durchstochen. Seitdem fließt die Oder in ihrem jetzigen Bett. Die Alte Oder blieb noch bis 1832 offen und wurde dann geschlossen, da es immer wieder bei Hochwasser zu Überschwemmungen am alten Flusslauf kam. Außerdem bedurften bis dahin neben dem neuen Deich auch die Deiche der Alten Oder der Pflege und Erhaltung.

Die Alte Oder ist vom Deich aus kaum zu sehen, nur ein teichähnliches kleines Gewässer findet sich. Dass an dieser Stelle noch nicht einmal Drängewasser in die Alte Oder durchströmt, liegt an der rechtwinkligen Abbiegung – Drängewasser strömt nur in quer zur Strömungsrichtung im Grundwasserleiter verlaufende Gewässer ein. Die Alte Oder soll durch ein Durchlassbauwerk im Deich wieder als Fließgewässer reaktiviert werden. Dass wäre ihr nicht nur ökologisch zuträglich, sondern würde auch ihre touristische Attraktivität stärken. Das Wasser nimmt dann den Weg durch unterirdische Rohre, die nur binnenseitig sichtbar sein werden. Bei Reitwein im Oberoderbruch ist bereits ein Durchleiter intalliert worden. Eine Entspannung bei Hochwasser kann solch ein Durchlassbauwerk nicht leisten, da es in solchen Situationen geschlossen wird.

Circa einen Kilometer südlich von Güstebieser Loose ist ein Biber in einem Teich am Deichfuß heimisch geworden. Dass sich die zeitweilig fast ausgestorbenen Tiere wieder im Oderbruch ansiedeln, erfüllt nicht nur die Deichbauer mit Sorge, da Biber imstande sind, den Deich zu schädigen, indem sie ihn untergraben. Zwar sind nur Orte gefährdet, an denen das Wasser permanent anliegt und die gleichzeitig hochwassersicher sind. Solche Stellen gibt es zumindest auf der Seite der Stromoder kaum. Problematischer ist der Biber darum für das Grabensystem, wo zum Teil beachtliche Biberdämme entstanden sind, die die Vorflut beeinträchtigen können und daher beseitigt werden mussten. In der Alten Oder, die für die Vorflut keine Funktion erfüllt, wäre der Biber nicht das Problem. Auch den Landwirten verursacht der Biber Sorgen: Lassen die Bauern im Winter die Wasserstände möglichst weit absenken, um den Boden ausfrieren zu lassen, brauchen Biber auch im Winter konstante Wasserstände, stauen also das nötige Wasser an, indem sie entsprechende Dämme bauen.
Biegt man ca. 600 m vor dem Deich von der Route nach links zum Dorf Güstebieser Loose ab, so findet man einen Info-Punkt, in dem auch Getränke und Eis angeboten werden, und kreuzt gleich darauf die Alte Oder. Wenige Meter flussaufwärts finden sich deutliche Spuren der Biber.

Der Name Güstebieser Loose verweist auf eine für das Oderbruch typische Siedlungsstruktur und führt uns in das ausgehende 18. Jahrhundert. Der sukzessive Nutzungsbeginn auf den erst nach und nach abtrocknenden Flächen hatte dazu geführt, dass viele Bauern sehr versprengte Flächen besaßen und damit weite Wege zu ihren Wiesen und Äckern zurücklegen mussten. Durch die Gebietsreform in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Neuverteilung. Die Flächen wurden vermessen, zusammengelegt, neu aufgeteilt und per Los vergeben. Dabei war eine Gleichberechtigung aller Beteiligten wichtig. Viele Bauern bauten nun ihre Höfe auf dem neu erhaltenen Land abseits der Dörfer. So entstanden die Loose-Gehöfte. Güstebieser Loose gründete sich bald darauf als eigene Gemeinde, ebenso wie andere Looseansiedlungen, deren namengebende Dörfer jenseits des Stromes lagen. Die Orte auf polnischer Seite heißen heute Gozdowice (Güstebiese), Czelin (Zellin) oder Stare Lysogórki (Altlietzegörike).

Nach der Verlegung des Flussbettes entwickelte sich ein reger Fährverkehr zwischen den beiden Ufern der Stromoder. Schließlich besaßen nicht wenige Bauern Land auf der einen und den Hof auf der anderen Flussseite. 11 Fähren verkehrten im Bereich zwischen Küstrin und Hohensaaten, zumeist von der Strömung angetriebene Gierseilfähren. Als sich 1930 Güstebiese zum Luftkurort entwickelt und von zahlreichen Berlinern besucht wird, ist die Fähre das Haupttransportmittel zum Badestrand auf der heute polnischen Seite. Nach 62 Jahren soll nun der Fährbetrieb zwischen Güstebieser Loose und Gozdowice wieder aufgenommen werden.

Übernachtung/ Essen
Getränke im Infopunkt am Ortseingang ca. 1 km abseits der Route
Pension Rusche www.rusche-monika.de

Abstecher in Richtung Süden
Keramikwerkstatt am Oderdeich www.keramikoderbruch.de

Zwischen Flut und Vorflut
Braun und träge liegt die Alte Oder kurz hinter dem Deich. Das Siel soll ausreichend Wasser zuführen, um die Alte Oder wieder zu einem attraktiven Fließgewässer zu machen.
Zwischen Flut und Vorflut
Im diesem Qualmwasserdeich lebt und wirkt ein Biber, wie unschwer an den umgestürzen Bäumen zu sehen ist. Deichbauer und Teile der Anwohnerschaft sind beunruhigt.
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Zollbrücke

Eine Brücke und eine Zollstation wird man hier vergebens suchen – schon seit 200 Jahren ist das Element aus der Landschaft verschwunden, das dem Ort seinen Namen gegeben hatte. Im Zuge der Trockenlegung war hier eine Holzbrücke entstanden, um den Bauern Zugang zu ihren Acker- und Weideflächen zu ermöglichen. Ein Erlass des Königs von 1769 regelte, „was…im Brück-Haus an Brück-Geld zu erlegen“ und wer davon ausgenommen sei. Die Bauern durften die Brücke frei benutzen, da der Oderkanal ihnen den Weg auf ihre Wiesen abgeschnitten hatte. Nach zahlreichen Schäden durch Eisgang und Hochwasser und eingedenk der Tatsache, dass der Oderstrom sich verbreiterte und so die Spannweite erhöht werden musste, wurde die Brücke nach ihrer Zerstörung 1805 nicht wieder aufgebaut. Stattdessen konnte man mit einer Fähre den Fluss überqueren. Als ersten Haus wurde 1753 das Gasthaus „Dammkrug“, später „Fährkrug“ von Kolonist Brauneisen erwähnt. Das benachbarte  Dammmeisterhaus stammt vermutlich auch aus diesen Jahren. Nach einem Brand wurde es 1859 als Backsteinhaus neu errichtet. Im dahintergelegenen Dammbohlenschuppen lagern die Hölzer, die im Hochwasserfall in die Deichscharte eingelassen und in früheren Zeiten mit Kuh- und Pferdemist verstopft wurden, heute mit Sandsäcken ausgefüllt werden. Diese Deichscharte, das letzte Bauwerk dieser Art am Oderdeich, wurde im Zuge der umfassenden Deichbauarbeiten nach dem Hochwasser 1997 saniert und so als Reminiszenz an die Geschichte des Oderbruchs erhalten.

1838 war Zollbrücke Ausgangsort einer der verheerendsten Hochwasserkatastrophen. Nach dem Einsetzen des Tauwetters im März stieg der durch massives Grundeis angestaute Strom unaufhaltsam an, überflutete den Deich, bis dieser auf 275 m Breite brach. Innerhalb von zwölf Stunden überschwemmte das Wasser 28 Ortschaften, 8000 Menschen waren davon betroffen und befanden sich auf der Flucht oder auf den Dachböden ihrer überschwemmten Häuser.

Ab 1830 erlebte die Oderschifferei einen bedeutenden Aufschwung. So verschifften die Oderbruch-Bauern unter anderem Zuckerrüben in havelländische Zuckerfabriken. Von den Schiffern sind noch verschiedene Geschichten überliefert, die sich besonders um die ausgiebigen Trinkgelage ranken.

Das Dammmeisterhausensemble, zu dem auch eine große Fachwerkscheune gehört, wurde in den letzten Jahren von Künstlern der Region für eine Verkaufsausstellung genutzt und soll nun umfassend saniert und ausgebaut werden.

Einige hundert Meter südlich von Zollbrücke fallen zwei ringförmige Wälle am binnenseitigen Deichfuß ins Auge – die Qualmwasserdeiche oder auch Schlossdeiche. Bei hohen Wasserständen kommt  es durch den Wasserdruck zu einer Unterströmung des Deiches mit Grundwasser. Dieses tritt häufig unmittelbar hinter dem Deich an die Oberfläche und bildet temporäre Flachgewässer. Um einen Druckausgleich zu schaffen und so die beginnende Ausschwemmung von  Sand aus den unteren Bodenschichten zu vermeiden, die schließlich zum Absacken des Deiches führen kann, werden solche Stellen mit Qualmwasserdeichen umschlossen.
Qualmwasser ist Grundlage für sehr wertvolle Biotope. Diese bieten einen gewissen landschaftsökologischen Teilersatz für die durch die Bedeichung verloren gegangene Überflutungsaue. Bei Zollbrücke geben sie der selten vorkommenden und vom Aussterben bedrohten Rotbauchunke Habitat. Auffällig ist das monotone Rufen der Unken, die man nur im seltensten Fall zu Gesicht bekommt.

Das Schöpfwerk Zollbrücke befindet sich 400 m weiter an der Straße landeinwärts und ist eine Besichtigung wert. Die 38 Schöpfwerke II. Ordnung im Oderbruch dienen in der Hauptsache der Entwässerung der anliegenden landwirtschaftlichen Flächen in die Vorflut und somit der Erhaltung der Nutzbarkeit dieser Flächen. Durch das Hochpumpen des Wassers wird künstlich ein Gefälle erzeugen, über das das Wasser seinen Ablauf nehmen kann. Gut zu sehen ist der Rechen an der Einlassstelle zum Mahlbusen, mit dem Stöcke und Ähnliches von der Anlage ferngehalten werden. Im Mahlbusen steht dann das eigentliche Pfahlschöpfwerk, wobei sich die 4 Propellerpumpen unter Wasser befinden. Hinter der Anlage fließt das Wasser wenige Meter entfernt in den Mucker.

Der Ziegenhof Zollbrücke wartet in einem kleinen Hofladen mit seinen Produkten auf, speziell das Ziegeneis sei hier empfohlen.

Zurück am Deich bietet sich das Gasthaus für eine ausgedehnte Pause mit gutem Essen oder selbstgebackenem Kuchen an. Auch eine Übernachtung ist hier möglich.

Auf dem Weg zum Spitz kommt man nach wenigen Kilometern zu der Eisenbahnbrücke, die 1892 erbaut, 1945 teilweise zerstört und 1955 aus militärstrategischen Gründen wiedererrichtet wurde. Bis heute blieb sie jungfräulich.

Sehenswertes am Rande
Theater am Rand www.theateramrand.de
Ziegenhof Zollbrücke www.ziegenhof-zollbruecke.de
Gasthaus www.gasthaus-zollbruecke.de

Zwischen Flut und Vorflut
Das Schöpfwerk Zollbrücke ist ein Pfahlschöpfwerk. In den im Mahlbusen gelagerten Bohrpfählen befinden sich die Pumpen. Das Wasser fließt weiter in den Mucker.
Zwischen Flut und Vorflut
Zur alljährlich stattfindenden Deichschau lädt die untere Wasserbehörde des Landkreises alle für die Deichsicherung zuständigen Stellen und Partner ein. An der Deichscharte Zollbrücke gibt es Frostschäden, die beseitigt werden müssen. Gut erkennbar sind die Fassungen für die Deichbohlen.
Zwischen Flut und Vorflut

Der Spitz

Die Berichte über den Fischreichtum des Oderbruchs vor der Trockenlegung würden „allen Glauben übersteigen“, bemerkte Theodor Fontane (1819–1898) im zweiten Band seiner Wanderungen durch die Mark Brandenburg, „wenn nicht urkundliche Belege diese Traditionen unterstützten.

In den Gewässern fand man: Zander, Fluß- und Kaulbarse, Aale, Hechte, Karpfen, Bleie, Aland, Zährten, Barben, Schleie, Neunaugen, Welse und Quappen. Letztere waren so zahlreich, daß man die fettesten in schmale Streifen zerschnitt, trocknete und statt des Kiens zum Leuchten verbrauchte. Die Gewässer wimmelten im strengsten Sinne des Worts von Fischen, und ohne viele Mühe, mit bloßen Handnetzen, wurden zuweilen in Quilitz an einem Tage über 500 Tonnen gefangen. In den Jahren 1693, 1701 und 1715 gab es bei Wriezen der Hechte, die sich als Raubfische diesen Reichtum zunutze machten, so viele, daß man sie mit Keschern fing und selbst mit Händen greifen konnte…“

Heute haben die Fischer der Oderfisch GmbH aus Wriezen am „Spitz“ ihren letzten Standort im Niederoderbruch. Der Name „Spitz“ ist für die Siedlung Rüdnitzer Ausbau erst in den letzten Jahren offiziell geworden, er geht auf den alten Fährkrug zurück, der hier an der Stromoder gestanden hatte und in den 1980er Jahren abgerissen worden ist.

Vor 1945 gab es nämlich zwischen Altrüdnitz und Neurüdnitz einen ständigen Fährbetrieb, der von den anliegenden Landwirten getragen wurde, um über die Oder auf die Flächen im Bruch zu kommen. Im Parallelgraben direkt am Deich, der das Drängewasser aufnimmt und es über den Mucker, die Stille und die Alte Oder abführt, stehen die Hälternetze der Fischer. Wird der Graben durch den Gewässer- und Deichverband zur Sicherung der Vorflut gekrautet, müssen sie allerdings die Netze herausnehmen – ohne die Wasserpflanzen wird nicht mehr genug Sauerstoff produziert, der für die Fischhaltung nötig ist.

Nur noch selten legen die Fischer ihre Netze in den alten Oderamen aus, sie gehen ihrem Gewerbe fast ausschließlich auf der Stromoder nach. Mit dem Scheerbrettrahmen, dessen zwei Flügel weit geöffnet in die Strömung gestellt werden, fangen sie neben Blei, Barsch und Quappe auch den Zander, der dem Hecht als Edelfisch den Rang streitig gemacht hat. Die Buhnen, angelegt, um die Strömung in der Flussmitte hoch zu halten und so die Versandung der Fahrrinne zu verzögern, bieten gute Fanggründe: hier stehen Hecht und Wels. Der Aal ist in seinen Beständen mittlerweile so stark gefährdet, dass er kaum noch die Oder hinaufzieht und zugekauft werden muss. Einen Teil ihres Fangs räuchern die Fischer und verkaufen ihn an den Sonnabenden direkt am Spitz.

Vor der Entwässerung des Oderbruchs wäre wohl der Pritzstabel eingeschritten, ein behördlich eingesetzter Fischereiaufseher, der auf der Oder und in den Odergewässern darauf zu achten hatte, dass alle Fische nach Wriezen gebracht werden. Sie durften neben dem Eigenbedarf Fische nicht reißen, das heißt schlachten, salzen und verkaufen, sondern nur gegen Waren tauschen, die sie für den eigenen Gebrauch benötigten. Obendrein gebührten dem Landesherrn nicht nur die Herrenfische wie Hecht und Wels, sondern auch ein Zoll, die zwei besten Fische eines jeden Fanges. Der Pritzstabel hätte die unrechtmäßig feilgebotenen Fische konfiszieren müssen. Die Dörfer waren zur Zwangslieferung ihrer Fische auf den Wriezener Fischmarkt verpflichtet. Seit 1692 lag der gesamte Fischhandel im Bruch in den Händen der so genannten Hechtreißerinnung in Wriezen. Nur Mitglieder dieser Innung durften Fische aufkaufen und für den Handel zu Recht machen, dafür zahlten sie den Reißpfennig.

Mit der fortschreitenden Entwässerung verknappte sich der Fischertrag aus dem „Erbwasser“ der Fischerfamilien, dem „Hegewasser“, das sie gleichfalls vom Amt gegen Zins pachteten und aus den „Freiheiten“, wo auch das Amt Reusen legen und Netze stellen konnte. Wie prekär die wirtschaftliche Lage wurde, lässt eine Eingabe der Fischer von Altkietz von 1755 erahnen: „Unsere Fischerei ist uns auch abgeschnitten, davon wir sonst unsere Nahrung gehabt. Gärten und Hofräume haben wir auch nicht mehr. Wir wissen auch nicht, wo wir künftig unser Holz zur höchstnötigen Feuerung hernehmen sollen, da alles abgehauen ist… so sind wir die elendsten Untertanen unter allen Bruchdörfern.“ Eine Untersuchung der Lage wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die Melioration eben andere Verhältnisse geschaffen habe.

Einige Jahrzehnte später mussten die Hechtreißer in Pommern Fisch bereits zukaufen, um den Bedarf des Fischmarktes in Wriezen zu decken. Die Hechtreißerzunft wurde deswegen angegriffen, wogegen die Händler erwiderten, dass jeder wisse, dass da, wo sonst Wasser gewesen, geackert werde. Und die Alte Oder sei mit der zunehmenden Schnelligkeit der Neuen Oder versiegt, so dass sie im Sommer zu Fuß passiert werden kann und keinen kleinen Kahn mehr fortführe.

Mit der Kupierung der Alten Oder war es schließlich mit der Herrlichkeit der Hechtreißer zu Ende. 1926 fand man bei Grabungen für die Kanalisierung der Hospitalstraße in Wriezen Ketten, geschmiedete Schlösser und Reste der festgemachten Kähne, die hier in der Faulen See früher lagen. Man hatte sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, die mit der Entwässerung überflüssig geworden Kähne fortzuschaffen.

Die Fischzucht und die Fischerei auf der Stromoder blieben die letzten Refugien für ein Gewerbe, das lange Zeit die Wirtschaft dieser Landschaft bestimmte. Noch bis zur Wende 1989 wurden im Neutornowschen See, im Stadtsee von Wriezen und hier am Spitz Fische gezüchtet. Das lohne heute nicht mehr, meinen die Fischer – und Hecht sei auch kaum mehr gefragt, zu viele Gräten. Und die alte Dame, die öfter nach „Spuckfisch“ gefragt hat, käme auch nicht mehr. Aber wer weiß, wenn der Durchleiter bei Güstebiese gebaut wird, wieder frischeres Wasser in der Alten Oder fließt und der Fischbestand wachsen kann, vielleicht wird es dann auch wieder Zeit für Oderfisch.

Zwischen Flut und Vorflut
Der Fischladen der Oderfisch GmbH in Wriezen in der Kanalstraße. Einst legten die Bruchfischer mit ihren Kähnen hier an, heute verkaufen die letzten Fischer hier ihre Ware.
Zwischen Flut und Vorflut
Die Fischhaltebecken am Spitz. Bis 1989 wurden hier auch Forellen gezüchtet, heute bieten die Fischer an den Sonnabenden frischen Räucherfisch aus der Oder an.
Zwischen Flut und Vorflut
Der Parallelgraben am Deich wird kontinuierlich mit Drängewasser aus der Oder gespeist, dass aus der höhergelegenen Oder durch den sandigen Grund seinen Weg findet. Es ist von hoher Qualität und eignet sich gut für die Fischhälterung.
Zwischen Flut und Vorflut
Wie in Güstebiese und Zollbrücke verkehrte auch bei Altrüdnitz eine Fähre, die vor allem für die Bauern, deren Flächen jenseits der Oder lagen, existenziell war.
Zwischen Flut und Vorflut
Der Name „Spitz“ geht auf den alten Fährkrug zurück, der an der Stromoder gestanden hatte. Vor 1945 gab es zwischen Altrüdnitz und Neurüdnitz einen ständigen Fährbetrieb, der von einer Interessengemeinschaft der anliegenden Landwirte getragen wurde.
Zwischen Flut und Vorflut
Zur Fähre gehörte ein Fährkrug – der „Spitz“. Jener an den Altrüdniter Loosen wude in den achtziger Jahren abgerissen, wogegen das Haus des alten Zollbrücker Fährkrugs noch vorhanden ist. Heute lebt nur noch der Name fort: die Neubauernsiedlung, die im Bereich der drei alten Loosegehöfte zwischen Oder und Neurüdnitz entstanden ist, trägt heute den Namen „Spitz“.
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Krummer Ort

Als am 30. Juli 1997 die Böschung des Deichs bei Hohenwutzen abrutschte, hielten viele Menschen den Atem an. Alle Mühen schienen umsonst gewesen zu sein, es konnte nur noch Minuten dauern, bis das Wasser die letzten Erdmassen beiseite drücken und das gesamte Oderbruch überfluten würde. Aber es kam anders. Der Deichfuß konnte stabilisiert werden – bis heute staunen selbst jene, die damals verzweifelt Sandsäcke in die nasse Wunde legten, wie die Böschung schließlich halten konnte. Am Deichkilometer 70,4 erinnert ein Stein an diese Stunden. Ein Rastplatz am Fuße des Deiches ist mit einem weiteren Gedenkstein versehen, der das ganze Hochwasserereignis und seinen glücklichen Ausgang vor Augen führen soll.

Wer am Krummen Ort steht, kann leicht erkennen, woher der Flussabschnitt seinen sonderbaren Namen hat: Der Oderkanal macht hier eine scharfe Krümmung. Sie war nötig, um den weit ins Bruch hinein ragenden Neuenhagener Sporn an seiner niedrigsten Stelle durchschneiden und mit möglichst geringem Aufwand wieder das natürliche Bett der Oder erreichen zu können. Diese Stelle des Deiches ist bei hohem Wasserstand besonders gefährdet, weil das Wasser hier fast im rechten Winkel auf den Deich trifft und Erosionsschäden am Bauwerk verursachen können. Eisstauungen im Winter verstärken diesen Effekt noch. Der Parallelgraben wurde dicht am Deichfuß entlang gezogen, um das Drängewasser aufzunehmen. Für das mit vielen Gräben durchzogene Hinterland kommt nur die Nutzung als feuchtes Grünland infrage.

Die Arbeiten zur Anlage des neuen Oderkanals begannen hier am Krummen Ort im Jahre 1747. Zunächst schuf man sich einen Schnitt durch die 16 Meter hohen Sandhöhen, die das Massiv des Neuenhagener Sporns mit den Höhenzügen Richtung Altrüdnitz verbanden. Die 1,7 Kilometer lange Strecke bis Hohensaaten war in knapp 18 Monaten überwunden, wobei zahlreiche Rückschläge und Unterbrechungen zu verkraften waren. Hunderte von Arbeitern wurden zum Militärdienst einberufen, andere erkrankten oder machten sich heimlich davon und eilten zur Ernte auf den heimischen Hof. Auch die topografischen Verhältnisse erwiesen sich als kompliziert. Die ausgehobenen Erdmassen mussten auf teilweise moorigem Untergrund sofort zu Deichen verarbeitet werden, um das neue Flussbett von alten Oderarmen wie der Gabower See abzuriegeln, aus denen das Wasser auf die Baustelle drückte.

Im Herbst 1748 war der Durchschnitt Richtung Norden geschafft. Nun wollte man mit dem Kanalbau flussaufwärts in Richtung Güstebiese fortfahren, wurde jedoch durch ein lang anhaltendes Winterhochwasser aufgehalten, bei dem das gesamte Gelände weitgehend überflutet wurde. So kam es, dass der neue Kanalabschnitt vom Krummen Ort schon 1749 zeitweilig in Betrieb genommen wurde – man schaffte Abfluss in Richtung Hohensaaten und konnte mit den Schachtarbeiten fortfahren. Der Neuenhagener Sporn ist seither eine Insel.

Heute ist schon von weitem am Horizont eine Brücke zu erkennen. Im Gegensatz zu der vorher bei Bienenwerder passierten Eisenbahnbrücke wird diese seit den 1990-er Jahren wieder genutzt und bildet nun einen Grenzübergang nach Polen, der auch Ausgangspunkt von wunderschönen Fahrradtouren sein kann.

Biegt man dagegen auf unserer Route in Hohenwutzen links Richtung Neutornow ab, kommt man hinter Altglietzen am Fuße der Gabower Hänge entlang, die schroff zur Oderniederung hin abfallen. Dieser Höhenzug beherbergt heute seltene gewordene Trockenrasen mit faszinierenden Pflanzen- und Tiergesellschaften und wurde deshalb unter Naturschutz gestellt. Es lohnt sich, das Fahrrad kurz abzustellen und einen Blick von oben in die Niederung zu werfen.

Schließlich durchquert man das Dorf Gabow, das in seiner Siedlungsform als Rundling aus dem 13. Jahrhundert zu erkennen ist. Im Gasthof Gänseblümchen lohnt sich eine Pause bei anspruchsvoller gastronomischer Betreuung.

Zwischen Flut und Vorflut
Der Krumme Ort bei Hohenwutzen. Der „Neue Oder-Canal“ hat hier aus dem Neuenhagener Sporn eine Insel gemacht.
Zwischen Flut und Vorflut
Gedenkstein an den Böschungsbruch vom Juli 1997 – die Bewohner des Bruchs nannten den glücklichen Ausgang  das „Wunder von Hohenwutzen“.
Zwischen Flut und Vorflut

Schöpfwerk Neutornow

Vom Schöpfwerk Neutornow geht eine Anekdote: Wenn die Bauern im Glietzener Polder am Ende des Winters ihre Felder bestellen wollten, fürchteten Sie durchnässte Böden aufgrund des Rückstaus der Alten Oder. Also forderten sie vorausschauend den Schöpfwerksmeister auf, seine Maschinen anzuwerfen und mit dem Abpumpen des Wassers aus der Stillen Oder zu beginnen. Dieser schätzte die Lage jedoch anders ein: das Wasser lief noch von allein ab und er verließ sich in aller Ruhe einstweilen auf die natürliche Vorflut. Um aber Konflikten aus dem Weg zu gehen, verbrannte man das aus der Alten Oder geborgene Kraut im Ofen und erzeugte so große Rauchschwaden, mit denen man den Bauern den Eindruck vermittelte, man heize bereits die Dampfkessel an.

Ob wirklich jemals ein solcher Trick angewandt wurde, ist nicht bekannt. Die Geschichte gibt aber Auskunft über die Funktion der Anlage: als Hochwasserschöpfwerk, dessen drei riesige Zentrifugalpumpen insgesamt 15 m3 Wasser in der Sekunde bewältigen können, dient es nicht der Grundwasserabsenkung, sondern nur der saisonalen Absicherung der Vorflut aus dem ca. 7000 ha großen Polder, die im Falle des Rückstaus der Alten Oder nicht mehr durch das natürliche Gefälle gewährleistet ist. Nur wenige Wochen im Jahr ist das Schöpfwerk heute noch in Betrieb, im Normalfall kommt die Vorflut ohne eine solche Hilfe aus.
Diese kurze Zeit ist allerdings <<< für die Landwirte existentiell. Erst durch das Schöpfwerk wurden in diesem nördlichsten und tiefsten Bereich des Oderbruchs dauerhaft stabile Verhältnisse für den Ackerbau geschaffen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts herrschte hier die Nutzung als Grünland vor, immer wieder unterbrochen von Phasen weit gehender Vernässung, die bei den damaligen Rückstauverhältnissen noch recht verheerende Wirkung haben konnten. Die Bedingungen im Niederoderbruch waren so instabil, dass sich schon im Jahre 1829 der Prediger Jakob aus Neuküstrinchen in einem Brief an das Finanzministerium wandte und beteuerte: „Nur künstliche Maschinen können, so sagen die der Sache kundigen, Hülfe für die Zukunft gewähren, 4 große Schöpfmühlen sollen das Bruch vor solcher fürchterlichen Überschwemmung bewahren können. Aber die Verarmten haben ja nichts, gar nichts ihre Rettung zu finden, wenn nicht die Gnade einer höheren Macht sich ihrer erbarmt.“ Erst 67 Jahre später, im Jahre 1896 wurde in Neutornow der Betrieb einer solchen „zweckmäßigen Entwässerungs-Anstalt“ aufgenommen. Voraussetzung war die Teilung des Bruchs durch verschiedene Dämme in einzelne Polder und die Errichtung von Meliorationsverbänden, die die Schöpfwerke fortan unterhielten.

Das Schöpfwerk ist ein industrielles Baudenkmal und zugleich vitales Element des Landschaftswassermanagements im Oderbruch. Heute werden seine Pumpen durch elektrische Turbinen angetrieben, ihre Steuerung erfolgt aus der Ferne in Bad Freienwalde. Der Schornstein des Schöpfwerkes ist also außer Betrieb, er wurde ein wenig gekürzt und stabilisiert. Die oben nistenden Störche sind besondere Individualisten, die die Neutornower durch ihre unkonventionellen Besuchszeiten immer wieder in Erstaunen versetzen: gern erscheinen sie schon im Februar, vor wenigen Jahren machte ein Storch Furore, der in Neutornow Ende Oktober noch einmal Quartier nahm. Am Schicksal der Störche nehmen die Oderbrücher viel Anteil, schon in Sagen wird das intensive Verhältnis zu ihrem geheimen Wappentier beschrieben.

Fährt man einige hundert Meter auf dem Schlafdeich weiter in das Bruch, gelangt man an den Bruchsee, der auch zum Baden geeignet ist. Dieses Gewässer ist eine historische Besonderheit: Es entstand beim Hochwasser von 1838 durch eine tiefe Ausspülung, nachdem der Deich entlang der Alten Oder gebrochen war. Dieser wurde dann um den neu entstandenen See herum wieder aufgebaut, wodurch er seither eine große Biegung beschreibt.

Sehr zu empfehlen ist auch der Besuch der am Hang gelegenen Neutornower Kirche, die einen wunderbaren Ausblick in die Niederung bietet. Sie ist der letzte erhaltene Kirchenbau auf königlichem Grund aus friderizianischer Zeit und zugleich eine der ersten Kolonistenkirchen, die unmittelbar nach der Trockenlegung errichtet und im Verlaufe der Jahrhunderte immer mehr erweitert wurden. Hinter der Sakristei ist das Grab des Vaters von Theodor Fontane, Louis Henri Fontane zu finden. Kurioserweise ist sein Name auf dem Grabstein falsch geschrieben. Kurz bevor die Dorfstraße am Ortsausgang auf die B 158 mündet, kann das liebevoll restaurierte Wohnhaus des Apothekers Fontane besichtigt werden, der hier bis 1867 seine letzten Lebensjahre verbrachte.

Zwischen Flut und Vorflut
Das Schöpfwerk Neutornow gewährt den Landwirten im Glietzener Polder seit über 100 Jahren stabile Bedingungen für den Feldbau.
Zwischen Flut und Vorflut
Zwischen Flut und Vorflut
Die drei imposanten Pumpen des Schöpfwerks können bis zu 15 m3 in der Sekunde bewältigen. Die flussabwärts wohnenden Neutornower spüren den gewaltigen Schub beim Baden in der Oder.
Zwischen Flut und Vorflut

Alttornow

Die Fischer des Dörfchens Tornow bei Freienwalde hätten es sich gewiss nicht träumen lassen, dass eines Tages in ihrem Dorf riesige Pumpen das Wasser aus dem Hinterland in eine Oder schaffen würden, die nach ihren Maßstäben einem Rinnsal gleichen würde. Tornow, am tiefsten Punkt des Oderbruchs gelegen, wurde 1414 erstmals urkundlich erwähnt. Damals lag es am Rohrstieg unweit der Hechtsee, einem immerhin zwei Kilometer breiten Nebenarm der Oder. Um von Freienwalde ans andere Ufer in die Neumark zu kommen, musste man eine Fähre benutzen, die Passage zum Neuenhagener Ritterlehen war zuweilen beschwerlich. Deshalb findet man noch heute in Schiffmühle einen Fährkrug, wo auch die Zölle erhoben wurden.

Nach Schiffmühle gelangt man trockenen Fußes, die Alte Oder wird problemlos von einer Brücke überwunden. Tornow ist als Stadtteil Alttornow mit Bad Freienwalde verschmolzen, nur am zentralen Siedlungsplatz erkennt man noch die alte dörfliche Struktur. Im Neubaugebiet am Hang erinnert noch ein Straßenname an die alte Zeit: Fischerstraße.

Das hiesige Schöpfwerk liegt wenige Meter hinter dem Bahnhof. Es hat die gleiche Funktion wie das Schöpfwerk in Neutornow und wurde ebenfalls 1895 erbaut, allerdings entwässert es den benachbarten Ranfter Polder und benötigt dafür nur zwei Pumpen. Bei der Sanierung des Gebäudes im Jahre 2005 bewiesen die Wasserwirtschaftler Sinn für die Schönheit und den historischen Wert des Denkmals. Es verblüfft durch seine klare und gleichzeitig elegante Backsteinarchitektur. Der Mantel einer alten Spiralgehäusepumpe ist zur Anschauung im Freien aufgestellt – heute erledigen neue Tauchmotor-Propellerpumpen ihren Dienst.

Das Schöpfwerk ist mit einem Stautor versehen, das geschlossen wird, wenn aus dem Polder gepumpt werden soll. Wer die gemächliche Strömung sieht, kann sich kaum vorstellen, wie schnell sich das Wasser hier anstaut, wenn es nicht frei abfließen kann. Dies kann allerdings nicht nur durch ein geschlossenes Tor oder durch Rückstau eintreten, sondern auch durch Wasserpflanzen und Algen, die die eingesetzten Fischschutzgitter verstopfen. Mit langstieligen Krautrechen schaffen die Schöpfwerker dann Abhilfe.

Bad Freienwalde ist als Kurstädtchen selten so eng mit dem Schicksal des Oderbruchs verbunden gewesen wie Wriezen. Gleichwohl hat es oft wichtige Steuerungsfunktionen für die Landschaft ausgeübt. Heute betreibt das Landesumweltamt im „Deichhaus“ in der Goethestraße eine Zweigstelle. In der Fassade an der Hofeinfahrt ist eine Kopie der Grabplatte des Urvaters der hiesigen Wasseringenieure, Simon Leonhard von Haerlem, angebracht.

Wer nach dem langen Tag noch Kraft hat, sollte sich das Freienwalder Schloss ansehen. Die kleine Residenz der Hohenzollern hatte seit 1909 dem späteren deutschen Außenminister Walter Rathenau gehört, worüber man sich in einer Ausstellung informieren kann. Etwas weiter oberhalb liegt das Haus der Naturpflege; ein idyllischer Schau- und Lehrgarten und zugleich eine Pionierstätte der ostdeutschen Naturschutzbewegung. Die Geschichte des Oderbruchs, das Leben seiner Bewohner und ihre Auseinandersetzung mit dem Wasser werden im Oderlandmuseum oberhalb des Marktplatzes dargestellt.

Sollten Sie nur noch das Bedürfnis nach einer kühlen Erfrischung haben, wird man sich in den leicht zu findenden Bad Freienwalder Gasthäusern über ihren Besuch freuen. Zurück nach Wriezen kommen Sie per Bahn oder auf dem Fontane-Radweg, an dem das Freilichtmuseum Altranft und das Storchenmuseum in Rathsdorf liegt.

 
Zwischen Flut und Vorflut
Das Schöpfwerk Alttornow, 1895 erbaut, liegt ganz in der Nähe des Bahnhofs. Eine Schautafel informiert über seine Ausstattung.

Zwischen Flut und Vorflut
Das Stautor am Schöpfwerk. Wenn gepumpt wird, muss es zuvor geschlossen werden, um den Rückstau in die Alte Oder zu verhindern.

 

Kenneth Anders, Lars Fischer und Almut Undisz


Zwischen Flut und Vorflut ist eine Gemeinschaftsproduktion des Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) Müncheberg und des Büros für Landschaftskommunikation Eberswalde.

Die Projektleitung lag bei Prof. Dr. Joachim Quast (ZALF). Seitens des ZALF haben Dr. Gerd Lutze, Dr. Claus Dalchow und Dipl.-Ing. Joachim Kiesel mitgearbeitet. Für das Büro für Landschaftskommunikation arbeiteten am Projekt Dr. Kenneth Anders, Lars Fischer und Almut Undisz.

Die Bad Freienwalde Tourismus GmbH, der Gewässer- und Deichverband Oderbruch, das Oderlandmuseum Bad Freienwalde, das Landesumweltamt Brandenburg und eine Vielzahl von Einzelpersonen unterstützen das Projekt.

Das Projekt „Zwischen Flut und Vorflut – Wasser und Leben im Oderbruch“ wurde gefördert vom Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz Brandenburg und Kulturland Brandenburg e.V.

Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) Müncheberg
Büro für Landschaftskommunikation

Ein Projekt im Rahmen des Themenjahres »Kulturland Brandenburg 2007 ¦ Fokus Wasser«.

Kulturland Brandenburg

Download:
<<< Wasserorte – Die Fahrradroute
<<< Wasserorte – Zwischen Flut und Vorflut – Originalkarte

Weitere Beiträge:

<<< Der Gewässer- und Deichverband Oderbruch. Von Jürgen Hartung
<<< Das Kunstprojekt FLUSSZEICHEN. Von Horst Engelhardt und Dr. Ernst-Otto Denk
<<< Das Oderbruch 2010. Gespräch mit Herrn Professor Dr. – Ing. habil. Joachim Quast
<<< Wasserstandanzeiger – eine Wasserzeitung für das Oderbruch. Eine Sommerschule im Rahmen des Oderbruchpavillons.