Das Lied vom Einzelkämpfer

Das Lied vom Einzelkämpfer

Sommerschule am Oderbruch Museum Altranft vom 19.-24. September 2016

Präsentiert am 23. und 24. September 2016 in der Feldsteinscheune auf dem Berg-Schmidt-Hof Altranft

Das Team der Rock-Oper

Das Handwerk ist Teil der ländlichen Kultur. Wo es verschwindet oder an den Rand gedrängt wird, verblasst auch die Kraft des ländlichen Lebens. Wo es neu entsteht, erhält auch die ländliche Sesshaftigkeit Impulse. Fertigkeiten, Materialbewusstsein und Selbstwertgefühl des ländlichen Lebens gehen mit der Präsenz und Vitalität bestimmter Gewerke in den Dörfern und kleinen Städten einher.

Im Rahmen des Themenjahres „Handwerk“ am Oderbruch Museum Altranft haben Sommerschülerinnen der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNE) Handwerker und Handwerkerinnen im Oderbruch nach ihrer Arbeit befragt. Gemeinsam mit der Rockband HELIO aus Wriezen präsentierten sie ihre Eindrücke an zwei Abenden in der Feldsteinscheune des Berg-Schmidt-Hofes in Form einer kleinen Rock-Oper, die Szenen, Dialoge, Lieder und Choreografien rund um das Handwerk bot. Der folgende Beitrag gibt einen Teil der Aspekte wieder, die an diesem Abend auf die Bühne gebracht wurden.


Zitate


Von Banausen
Das Lied vom Einzelkämpfer

Ich bin ein Banause. Ein Handwerker. Handwerkskunst, téchnaibanausikaí, ist was ich tue. Ich bin ein Banause. Xenophon, sprach diesen Sommer auf der Akropolis aus, wie die Athener über uns denken:

„die so genannten handwerklichen Berufe sind verrufen und werden aus gutem Grund in den Städten besonders verachtet. Sie schädigen nämlich die Körper der Arbeiter und Aufseher, indem sie diese zwingen, zu sitzen und unter einem Dach zu arbeiten; manche nötigen sie sogar dazu, den ganzen Tag vor dem Feuer zuzubringen. Sind die Körper aber erst verweichlicht und von der hellen Hautfarbe der im Haus Tätigen, werden auch die Seelen anfälliger für Krankheiten. Auch gewähren die so genannten handwerklichen Berufe die geringste freie Zeit, sich noch um Freunde oder die Stadt zu kümmern, so dass solche Leute unbrauchbar zu sein scheinen für geselligen Umgang und zur Verteidigung des Vaterlandes. Folglich ist es in einigen Städten auch keinem Bürger erlaubt, in handwerklichen Berufen zu arbeiten.“

Rolle seitwärts in den Stand an den anderen Bühnenrand, Hülle abwerfend, ein zweites, lachendes Gesicht aufsetzend)

Heute ist das Handwerk ein Berufsstand und eine Organisationsform der gewerblichen Wirtschaft. Die handwerkliche Tätigkeit, die von der industriellen Massenproduktion abzugrenzen ist, ist eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf dem Gebiet der Be- und Verarbeitung von Stoffen sowie im Reparatur- und Dienstleistungsbereich.

Der Handwerks-Meister ist Arbeiter, Kapitalgeber und Unternehmer in einer Person, er ist ein Eckpfeiler der Volkswirtschaft, der in der Regel auf Bestellung für einen weitgehend lokalen bzw. regionalen Absatzmarkt produziert. Dazu bedient er sich der überwiegenden Hilfe von Handwerks-Gesellen und Auszubildenden des gleichen Gewerbezweigs.

Mit beiden Gesichtern in der Bühnenmitte:

Wer sind die Banausen von morgen?


Eine Grabrede
Das Lied vom Einzelkämpfer

Herzlich Willkommen zur Vollversammlung des Fördervereins der Autoschlosserinnen und Autoschlosser!

Schön, dass Sie gekommen sind. Am heutigen Tage, im Jahre 2046, schließt nun leider die letze freie Autowerkstatt im Oderbruch. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts entstand dieser Beruf und viele Dorfschmiede fanden hier eine neue Perspektive. Nun, 150 Jahre später, geht die letzte Autoschlosserin in Rente. Wie ihr nur zu gut wisst, müssen nun alle Autoteile programmiert werden, ganze Baugruppen werden nur noch ausgetauscht und Schweißvorgänge sind heute automatisiert. So gibt es für die letzte freie Werkstatt keine Perspektive und der Beruf des Mechatronikers ist ganz an diese Stelle getreten. Die Entwicklung hat sich ja nun auch dadurch verstärkt, dass der Personen-Nahverkehr auch hier auf dem Land mit Elektrobussen die Automobilität an den Rand gedrängt hat. Es ist jetzt an uns, weiter an unsern Oldtimern zu schrauben und unsere Kultur zu erhalten: am Zylinderkopf zu arbeiten, die Keilriemen per Hand zu spannen, Zündkerzen zu putzen und Karosserien zu schweißen bis die Werkstatt leuchtet, Motoren in Einzelteile zu zerlegen, Getriebe ein- und auszubauen. Auch zu Hause können wir alte Autos schrauben und die Freiheit der eigenen Werkstatt und ihre Abläufe erhalten.

Nun lasst uns der letzten Werkstatt im Oderbruch die Ehre erweisen, Abschied nehmen und sie in schöner Erinnerung behalten.

In einer an ein Begräbnis erinnernden Zeremonie werden Werkzeuge in eine Kiste gelegt. Die letzte Trauernde nimmt Kiste mit von der Bühne.


Das zweite Standbein | Ein Turnstück in vier Übungen
Das Lied vom Einzelkämpfer

Übungsleiter: So, liebe Handwerkerschaft, willkommen bei „Medizin nach Noten“, dem neuen Format der Handelskammer, um Sie, liebe Meister, Gesellen und Lehrlinge, fit zu halten. Fit für Ihren Dienst am Kunden. Thema des heutigen Abends ist das 2. Standbein. Ein Turnstück in vier Übungen. Hier unser Modell …

Erste Übung: Der Spieler
Die erste Übung heißt „DER SPIELER“. … So – nimm erst mal die Grundposition ein. … (Zum Publikum) Das entscheidende dieser Übung ist das Stehen auf einem Bein. … Wir sehen, diese Position ist relativ stabil … Aber schon kleinere konjunkturelle Schwankungen können das Gebilde aus dem Gleichgewicht bringen. Bitte das Bein absetzen. … (Zum Publikum) Sie sehen, in dem Moment, wo das Spielbein gebraucht und benutzt wird, ergibt sich eine wesentlich höhere Standfestigkeit. Diese Position macht Sie aber auch flexibel und leichtfüßig. Und sie ist etwas fürs Auge: sieht einfach, mühelos und spielerisch aus. Danke. Meine Damen und Herren Handwerker, diese Übung ist bestens geeignet für Fleischer mit Partyservice oder für Zimmermännermit Sägewerken.

Zweite Übung: Die Eiche
Die zweite Übung zum 2. Standbein heißt „DIE EICHE“. …  Das entscheidende dieser Übung ist das Stehen auf einem Bein. Sie täuschen sich, wenn sie meinen, dass wären zwei Beine. Schauen Sie genau hin. Das ist eins!!!! Zugegeben deutlich kräftiger als bei der Übung zuvor… Wir sehen, diese Übung macht Sie sehr standfest und stabil – in alle Richtungen. Auch Druck kann Ihnen nichts anhaben. Außerdem wurzelt die gemeine Eiche tief genug, um sich in die Höhe und in die Breite zu entfalten. Danke. Meine Damen und Herren Handwerker, diese Übung ist bestens geeignet für Friseure, Tischler, Glaser, orthopädische Schuhmacher. 

Dritte Übung: Der Sumoringer
Die dritte Übung am heutigen Abend heißt „DER SUMORINGER“. … Das entscheidende dieser Übung ist das Stehen auf zwei Beinen. Wozu diese Übung, fragen Sie sich? Diese Übung macht Sie ausgeglichen und widerstandsfähig. Was könnte Sie schon in dieser Position umhauen? Nun der Sumoringergang. … Sie sehen, liebe Handwerker, es ist nur kurzzeitig möglich, dass eines der beiden Standbeinedas gesamte Gewicht trägt. Das macht es immer wieder nötig, zur Grundposition zurückzukehren. Meine Damen und Herren Handwerker, diese Übung ist bestens geeignet für Uhrmacher mit Schmuckverkauf, für Maurer, die auch Dachdecker sind, und umgekehrt.

Vierte Übung: Der Vielfüßler
Nun kommen wir zur vierten und letzten Übung dieser Ausgabe von „Mach mit, mach`s nach, mach`s besser“ für Handwerker. Sie heißt „DER VIERFÜSSLER“. … So – bitte die Grundposition einnehmen. … Das entscheidende dieser Übung ist das Stehen auf vielen Beinen. Sie können durchaus mal auf das eine oder andere Bein verzichten, aber dauerhaft ist dies nicht möglich. Weil die anderen Standbeine die Last nicht lange tragen. Diese Übung erzeugt aber eine große Verbundenheit mit dem Raum, schränkt allerdings den Weitblick etwas ein. Meine Damen und Herren Handwerker, diese Übung ist bestens geeignet für Allroundtalente, die auchberuflich breit aufgestellt sein möchten. Und wenn all das nicht reicht, auch noch Zeitungen austragen.

Epilog
So, meine Damen und Herren Handwerker, wir sind nun am Ende unserer Übungsstunde angekommen. Ich hoffe, meine Übungen … und ich können Ihnen zu mehr Standfestigkeit verhelfen. Wir sehen uns schon in einer Woche wieder zu einer weiteren Folge … Bis dahin üben Sie gut und bleiben Sie standhaft. Auf Wiedersehen!


Das Lied vom Einzelkämpfer
Leidenschaft

Die Helligkeit von frisch gehobeltem Holz. – Nach der Arbeit heißt es fegen.
Die Maserung des Holzes. – Splitter sind schmerzhaft.
Der Geruch von Kien beim Aufsägen des Stammes. – Ist die Säge schon stumpf?
Das Knistern eines frisch geflochtenen Korbes. – Und ein Almosen zum Lohn.
Die Glut des Schmiedefeuers. – Oder unerträgliche Hitze.
Der Klang des Eisens auf dem Amboss. – Da beschweren sich die Nachbarn.
Der Geruch von frisch geräucherter Wurst. – Fleischer essen Schokolade.
Die Schärfe des Fleischermessers. – Und was ist mit den Vegetariern?
Die Munterkeit eines gut frisierten Kopfes. – Hab ich noch nie gesehen.
Der Schwung des gewaschenen und geschnittenen Haares. – Das ist doch Eitelkeit.
Die Elastizität des Leders. – Das kann man heute auch anders machen.
Die Wärme des frisch gebackenen Brotes. – Gibt’s auch bei Netto.
Der Duft des Kuchens. – Ich ess keinen Kuchen.
Der Klang des Geigenholzes. – Da müsste man erstmal Geige spielen können.
Der Geruch von Fensterkitt. – Macht man doch heute mit Silikon.
Das Geräusch des Glasschneiders. – Da kräuseln sich mir die Fingernägel.
Die Gefügigkeit des Tons auf der Drehscheibe. – Ist das sowas wie Knete?
Die Ordnung der Werkstatt zum Feierabend. – Aber dafür muss man doch erst aufräumen.
Der Glanz des geschärften Beils. – Nie gesehen, keine Ahnung.
Das Klopfen des Beitels beim Abbund. – Was ist Abbund?
Die erste Wärme, die aus einer installierten Heizung strömt. – Bei uns ist es immer warm.
Die Helligkeit nach dem Betätigen des neuen Lichtschalters.  – Was soll daran Besonderes sein?
Die sauber geschlossene Dachhaut. – Na, das will ich aber auch hoffen.
Das warme Rot der Ziegel. – Ich mag lieber blau.
Die Spannung eines gut gebauten Polsters. – Ich geh in Möbelhaus, die machen das mit Schaumstoff.
Das Ticken der gut gehenden Uhr. – Das ist Nostalgie.
Das Anspringen des Motors. – Ich  hab keine Fahrerlaubnis.
Die mit Öl getränkte Luft. – Furchtbarer Gestank.
Der Geruch des Kalkmörtels. – Kann man sich damit verätzen?
Das Geräusch des Hobels. – Elektrohobel klingen grässlich.
Die Lebendigkeit des Materials. – Plaste ist praktisch.
Leidenschaft ist schwer übertragbar.


Das Lied vom Einzelkämpfer
Das Lied vom Einzelkämpfer
Helio: Baumarkt Blues

Da kommt doch noch was drüber, da kleben wir was dran
Da nimmste Silikon, machstn paar Leisten dran
Dann nimm doch noch n Winkel, das dauert ja sonst Tage
Sei doch kein feiner Pinkel, das Handwerk is ne Plage.

Das muss nich ewig halten, den Aufwand macht sich keiner
Die Leute wollen sparen, was bist denn du für Einer
Gibt Fertigaggregate, die baust du ein im Keller
und wenn die mal kaputt sind, dann liegts am Hersteller.

Für alles gibt es schnelle Pflaster,
Da geht es fix, da rollt der Zaster,
Doch wo bleibt da mein alter Stolz,
Ich bin doch noch aus anderm Holz!

Was willst du hier noch diskutiern, das musst du dir nicht geben!
Ein Haus steht heut nich lange, dann wird es abgerissen,
Das ist doch nach Jahrzehnten schon vollständig verschlissen,
Du baust nich für die Ewigkeit,  du baust zum Überleben.


Das Lied vom Einzelkämpfer
Das Lied vom Einzelkämpfer
Helio: Weißglut

Ich hab geschwitzt, mich nicht geschont,
stand immer früh auf, kaum zu Haus gewohnt,
keine Mühen gescheut, hast dich immer gefreut,
Jetzt bin ich fertig.

Ich war unterwegs, hab Baustoff rangeschafft,
hab nie geklagt, dich nie angeblafft,
hab alles verbaut, kein bisschen versaut,
doch jetzt bin ich fertig.

Komm schon, jetzt zahl doch deine Rechnung – das ist unfair
Komm schon, jetzt zahl doch deine Rechnung – das ist unfair
Oder ich weiß nicht, weiß nicht, was ich tu

Leute mit nichts, haben kaum genug,
wir zahlen pünktlich und immer gut.
Solche wie du sind ein Betrug.
Du machst mich fertig.

Ich hab Familie, gebe Lohn und Brot,
nicht nur ich bin in so schwer in Not.
Jetzt pass mal auf, ich hau dir eine drauf,
Dich mach ich fertig.

Leute wie du, ihr zerstört ein Leben,
so will ich nie sein, das ist voll daneben,
schlimmer als ein Dieb, der mich hierher trieb:
Jetzt bin ich fertig!

Und vor Gericht, spielt für euch die Zeit,
ihr habt einen Anwalt, der grinst gescheit,
ich steh nackt in der Flur, was macht ihr nur?
Ihr macht mich fertig!

Komm schon, jetzt zahl doch deine Rechnung – das ist unfair
Komm schon, jetzt zahl doch deine Rechnung – das ist unfair
Oder ich weiß nicht, weiß nicht, was ich tu

Das Lied vom Einzelkämpfer


Das Lied vom Einzelkämpfer

Leidenschaft
Briefe von Marcel P. an seine Freundin

Hallo Nadja,
es ist wirklich krass, dass man dich in deinem Ferienjob nicht anrufen kann. Selbst hier im Oderbruch gibt es fast überall Funknetz, bloß in Kienitz ist schlecht. Dass ich nochmal mit Briefeschreiben anfangen würde, hätte ich nicht gedacht. Da kannst du mal sehen, wie gut ich dich finde.
Jedenfalls stehen mir jetzt zwei seltsame Wochen bevor. Ich kam gestern Abend nach Hause und setzte mich an den Abendbrottisch. Mama guckte mir beim Essen zu und sagte kein Wort. Da wurde mir mulmig und dann hab ich gefragt, was denn los ist. Und da hat sie gesagt, sie hat etwas für  mich organisiert, für die ersten zwei Wochen Sommerferien.
Du fährst Handwerker ab. Hier in der Gegend. In der ganzen Region. Ich habe alles ausgemacht.
Zimmerleute, Dachdecker, Geigenbauer, Bäcker, Fleischer, Friseure, Autoschlosser. Jeden Tag einen. Du fährst hin, guckst ihnen bei der Arbeit zu, legst mit Hand an, wo man dich darum bittet und fragst sie nach ihrer Arbeit.
Dann hast du Ferien. Dann kannst du mit deiner Freundin wegfahren.
Wozu soll denn das gut sein?
Mein lieber Sohn, sagte Mama da, du weißt nicht, was du mal im Leben anfangen willst. Ich seh‘ dich nicht auf der Hochschule. Du musst dich bewerben. Wenn du keine Idee hast, musst du dir eben mal angucken, was es so gibt.
Gar nüscht muss ich, sag ich. Ich fahr nirgendwo hin.
Du fährst, sagte sie.
Und dann stand sie auf. Wahrscheinlich mach ich das jetzt einfach. Morgen geht’s los. Wär ich bloß mit dir zu dem Ferienjob gefahren.

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Zum heutigen Auftakt meiner Handwerkerreise hab ich einen Tischler besucht, der noch gelernt hat, alles mit der Hand zu machen. Als er endlich nach anderthalb Jahren Lehrzeit an die Maschinen durfte, war es für das Gesellenstück umso schwieriger sich, einzufinden. Mit der Hand zu lernen und zu arbeiten kann er nur jedem raten.
Als absolute Koryphäe der Handarbeit erwähnte er einen Tischlermeister auf einer Baustelle, der keine Maschine angefasst hätte, aber schneller mit der Hand, als die Lehrlinge an der Kreissäge arbeiten konnte.
Natürlich nehmen die Maschinen heute auch Arbeit ab und erleichtern den Arbeitsalltag durch ihre Schnelligkeit und Präzision. Für die Lösung kniffliger Fragen greift er jedoch nach wie vor auf seine Erfahrungen mit der Handarbeit zurück. Neben den Raum einnehmenden schweren Industriemaschinen liegen Hobel und Stemmeisen als gleichwertige Arbeitsgeräte bereit.
Seine Hände sind in all den Jahren heil geblieben. Nur einmal hat ihn die große Fräsmaschine fast erwischt. Aber er wirkt vorsichtig und bedacht.
Seine persönliche Handschrift ist schön gerade-eine konkrete Kante, die ihm mehr liegt als die Bewegung der Rundungen. Vielleicht arbeitet er deshalb bevorzugt an Türen und Fenstern. Als das Thema darauf kommt, spricht er von Berufung.
Er ist bescheiden, ehrlich und setzt auf Transparenz und die Qualität seiner Arbeit. Pressspan, minderwertige Materialien und chemische Zusätze kommen nicht auf seinen Tisch. Für seine Kunden bleibt er greifbar auch wenn mal etwas im Nachhinein sein sollte. Das merken die sich und daher macht er sich keine Sorgen um Konkurrenz oder fehlendes Auskommen.

Ich hab heute das erste Mal geschweißt, wirklich, so richtig mit dunkler Brille, Funkenflug, grellem Licht.  Als ich vor der kleinen Werkstatt stand, dachte ich zuerst, was das wohl wird heute, aber dann ging es dort richtig ab.
Der Mensch findet für jedes Problem eine Lösung. Er schweißt, schraubt, trennt, dreht, sägt und bohrt bis er sein Ziel erreicht hat, die Karosserie wieder hält, das Auto wieder fährt. 2005 hat er sich als KFZ-Schlosser selbständig gemacht in seiner Werkstatt, die er in die alte Scheune neben seinem Wohnhaus in Wuschewier gebaut hat.
Mit Freude hat er mir seine Werkstatträume gezeigt, die Hebebühne, die Schweißerecke … Die nächste Überraschung war, dass sich hinter der KfZ-Werkstatt noch ‘ne komplette Tischlerei befand. Teils mit selbstgebauten Maschinen, teils mit gekauften. All das ist nicht nur Hobby, sondern auch Überzeugung und Autarkie, das Wohnhaus der Familie hat er auch selbst gebaut.
Das Tüfteln und Improvisieren ziehen sich als roter Faden durch seine Geschichte. Doch das ist heut fast abgeschafft, sagt er, es gibt ja alles zu kaufen.
Seine freie Werkstatt ist nicht nur typenoffen. Manchmal kommen auch die Jungs aus dem Nachbarort, bringen sich ‘nen Kasten Bier mit und Musik und schrauben selbst. Wie der ‚Schrauber‘ gesagt hat, das klang richtig stolz.
Manches kann in der Werkstatt nicht gemacht werden, die Elektronik in neuen Autos beispielsweise. Dann schmeißt er in einer befreundeten Werkstatt etwas in die Kaffeekasse und lässt den Fehler am Computer auslesen. Der persönliche Kontakt zu seinen Kunden und Transparenz in seiner Arbeit sind ihm wichtig. Er stellt sich mit ihnen unter das Auto auf der Hebebühne und erklärt, was gemacht werden muss. So lässt sich ein Gefühl für den Aufwand und den Preis der Reparatur vermitteln. Offen und ehrlich.

Heut war ich bei einer Töpferin. Sie macht klassische Gebrauchskeramik in Serien. Öffnungszeiten sind bei ihr nicht möglich, die Leute kommen einfach vorbei oder rufen an: „Ich brauch eine Salatschüssel und neue Teller“ und kaufen sich so nach und nach ihr Geschirr.  Zum Verkauf fährt sie zwei- bis dreimal im Monat am Wochenende auf kleine Märkte, meistens in der Region, manchmal auch weiter weg. Als sie als Neuling dastand, ging ihr im Kopf rum: „Was denken die jetzt, hab ich das richtig gemacht?“ Da wird erst mal die Keramik betastet und der Henkelblick auf die Tassen angewendet. Es freut sie, wenn dann jemand etwas mit ihr tauschen will. Es gibt keine wirkliche Konkurrenz, weil jeder eine eigene Handschrift hat und seine Persönlichkeit einbringt.
Als Alleinerziehende mit zwei Kindern wollte sie nach der Ausbildung keiner anstellen. Also hat sie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Das Geschäft geht, solange man Kundschaft findet. Du musst schon Idealist sein. Sie ist auch mit wenig zufrieden. Wichtig ist, dass man mit sich selber klar kommt. Wenn jemand krank wird oder der Ofen kaputt ist, gehen sich hier in der Gegend die Töpfer gegenseitig zur Hand.
Mittwochs geht sie in die Schule arbeiten. Die Kinder üben das Rollen kleiner Tonwülste für die Motorik. Einmal die Woche gibt sie auch Reitunterricht.
Sie dreht auch ganz gerne. Am Ende des Tages, wenn die Kinder im Bett sind hat sie die Ruhe dafür. Es gibt Tage da sollte man nicht drehen. Im Januar ist dann Zeit um zu experimentieren und neue Sachen zu probieren. Ihre Muster sind regional: Ein Haus, ein Baum, ein Trecker. Viele Muster wurden durch ihre Kundschaft angeregt. Die Idee zur Eulenserie kam von ihrer Nichte, lange bevor die Eulen so modern waren. Manche mögen die Tassen ganz glatt glasiert, sie findet es schön, wenn man den Ton spürt.

Heute präsentierte sich mir ein kleiner Bäckerladen mit Holzregalen, verschiedenen Brot- und Brötchensorten, Gebäck, Kuchen und einer dahinter liegenden Bäckerstube. Es roch nach Brot, Brötchen und nach Arbeit. Arbeit seit nun schon 9 ½ Stunden – und ich war 10 Uhr morgens da. 17:30 Uhr schließt die Bäckerei und ein paar Stunden später, mitten in der Nacht beginnt der Arbeitstag des Bäckers von Neuem. An Schlaf ist kaum zu denken und wenn, dann auf den Tag verteilt für ein, zwei maximal drei Stunden am Stück. Übernommen hat der den Laden von seinem Vater. Seit über 100 Jahren existiert dieser Familienbetrieb, heute in der dritten Generation und in der wahrscheinlich letzten. Niemand will eine körperlich so harte Arbeit mit langen Arbeitszeiten ausführen. Ob ich das könnte, frage ich mich.
Mit der Größe des Betriebs wäre er zufrieden. Mit seiner Frau, einer weiteren Angestellten und einem Gehilfen für wenige Stunden am Morgen ist er gut aufgestellt, er will auch nicht größer werden. Die Nachfrage an Backwaren ist im Laufe der Jahre zurückgegangen. Während früher noch über 200 Brote jeTag gebacken wurden, sind es heute um die 40. Dass viele die 13ct-Brötchen aus dem Supermarkt kaufen, kann er verstehen.
Der neue Backofen mit fünf Kammern, die alle unabhängig voneinander beheizt werden können, erleichtert die Arbeit sehr. Der alte Ofen musste anderthalb Stunden vor Benutzung angeheizt werden, dann wurde gebacken und vor der nächsten Benutzung ginge das Spiel von vorne los.
Um die Mittagszeit legt sich der Bäcker für wenige Stunden aufs Ohr. In einem Bottich unter dem Arbeitstisch steht die Sauerteigmischung für den nächsten Tag schon bereit.

Heut hab ich einen ziemlich krisenfesten Beruf kennengelernt, denn kaputte Füße wird es immer geben. Platte, gespreizte, verbogene, offene, gelähmte. Manchmal sind sie von Geburt an kaputt, manchmal durch die Arbeit, manchmal durch eine Krankheit oder einen Unfall. Wie dem auch sei: Kaputte Füße brauchen professionelle Hilfe und die bekommen sie bei einem orthopädischen Schuhmacher. Der kennt sich aus. Wie andere ein Buch lesen, liest er kaputte Füße. Füße haben für ihn nämlich Gesichter. Sind unverwechselbar.
Die Fußgesichter müssen dann auch vermessen werden. Das macht er selbst und das macht er sehr genau – mit Papier, Stift, Blaupause, Lineal. Wofür? Für eine Einlegesohle. Für ein Paar Schuhe. Klar, es gibt auch in seinem Geschäft Muster von der Stange. Mustersohlen. Musterleisten. Aber auch die brauchen ja noch Gesichter. Das ist wichtig! Und das kann kein Computer! Für die Gesichter braucht man nämlich Zeit. Ein gutes Auge. Eine geschickte Hand. Ausdauer und Geduld. Und viel Erfahrung. Für ein paar komplette Schuhe braucht man zwei bis drei Arbeitstage. Mit 20 Euro bist Du dann natürlich nicht dabei. Die Krankenkasse ist aber ein guter Zahler. Manchmal bestellen sich seine Kunden auch ein paar Schuhe extra ohne Rezept. Weil sie wirklich helfen können.
Ihn befriedigt es, wenn es seinen Kunden mit den neuen Schuhen besser geht. Sie freuen sich dann mit den Augen, winken mal durch die Fensterscheibe oder rufen an und sagen DANKE. Orthopädische Schuhe können auch richtig schnieke sein. Leicht. Modern. Schnittig. Kein Unterschied zu Nike, Puma und Adidas. Wirklich! 

Heut war ich beim Friseur – nicht als Kunde sondern als Praktikant.
Das Familienunternehmen hat mittlerweile zwei Filialen: eine führt der Vater, die andere der Sohn. Der hat mit seinen 15 Mitarbeitern dieses Jahr sogar den Zukunftspreis  gewonnen. Sie setzen auf Klasse, nicht auf Masse und deren Qualität wird entsprechend honoriert. Keine der Mitarbeiterinnen wird verheizt. Dank des Mindestlohns musste auch die Konkurrenz die Preise anheben. Billigfilialen sowie der Friseur-Tourismus nach Polen waren noch nie wirkliche Konkurrenten. Der Betrieb bedient eine vollkommen andere Zielgruppe als es die Schnippelläden mit ihren robusten Ost-Dauerwellen tun.
Kennst Du schon Color-ID? Hat er mir auf seinem tablet gezeigt. Den Instagram-Account haben sie vom Produktlieferanten. Im Betrieb gibt es nur eine Marke für sämtliche Produkte. Das sorgt für eine stabile Qualität. Einen Make-up Bereich führen sie auch, außerdem heben sie sich von der Masse mit Splissschnitten, Typveränderungen und Hochzeitsfrisuren ab. Dafür schicken sie die Mitarbeiter regelmäßig auf Schulungen, deren Kosten übernommen werden.
Den Azubis zahlen sie nicht nur die Weiterbildungen und Seminare, sondern auch die Unterkünfte und die Bücher. Der Chef selbst ist regelmäßig in Frankfurt – nicht an der Oder sondern am Main – und in Berlin. Die meisten anderen Betriebe haben lediglich Lehrlinge als billige Arbeitskräfte, die nach der Ausbildung den Laden verlassen. Die Lehrlinge hier bleiben im Betrieb. Man setzt auf Lehrlinge „aus der eigenen Zucht“.

hab ich nochmal einen Tischler besucht, gerade mal 10 Jahre älter als ich.
Egal mit welchem Sinn, ob ganz der Nase nach, dem Ohr oder bloß den Augen, die Tischlerei war nicht zu verfehlen. Als einziges Gebäude mitten auf dem Anger, dort wo der Geruch von Holz und das metallische Kreischen des Sägeblattes durch ein halbgeöffnetes Scheunentor dringt, dort werden aus Buche Küche, aus Robinie Fensterladen, aus Kiefer Treppe.
Tritt man ein, ist man sogleich mittendrin. Auf kleinstem Raum fügen sich ausladende Maschinen zwischen dem Gebälk ein als stünden sie seit jeher hier. Auf 360° alles erreichbar: Eine Pirouette in Handwerkerhosen. Und eine Drehung weiter ist schon der Garten – mit Terrasse für den Feierabend, auch wenn es den häufig nicht gibt: Zu licht ist die Hecke zur Straße. Jemand kommt immer und erspäht die Handwerkerhosen weil noch etwas zurechtgesägt werden will „nur was kleines, nur ganz schnell“. Aber man muss auch lernen „Nein“ zu sagen, die Waage zu finden zwischen „Der Kunde ist König“ und „Ich bin mein eigener Herr“. Den eigenen Wert kennen und sich nicht für weniger verkaufen, aber sich trotzdem nie ausruhen auf dem eigenen Können, sondern immer weiter lernen wollen. Offen sein für neue Technik und Fragen stellen an alte Meister. Nicht nur selbst begeistert sein, sondern die Begeisterung in anderen entfachen. Denn trotz einer Werkstatt voller Werkzeug, Holz und Maschinen, sind die Menschen wichtig. Deshalb steht das Scheunentor offen.
Und Zeit bekommen bei ihm auch die neu eingebaute Tür aus Eiche oder das Carport aus Kiefer. Bei ihm heißt es nicht „Fertig und zahlen“, sondern erstmal wirken lassen und schauen ob’s passt und für alle Fälle: Das Scheunentor steht ja (fast) immer offen.

Ich war bei einem Eismacher, der seinen Beruf seit 1983 ausübt. Sechs Tage in der Woche. Im eigenen Geschäft. Seine Frau arbeitet auch dort. Macht den Kuchen und die Torten. Manchmal auch so gern wie ihr Mann das Eis. Manchmal aber auch nicht. Jedenfalls machen die beiden das schon 33 Jahre lang. Überleg mal: So alt sind wir beide zusammen!
Die Kunden stehen, sitzen und schlemmen da, wo früher einmal ein Backofen stand – auf zwei mal zweieinhalb Meter. Denn der Eismacher und seine Frau sind Bäckerskinder. Aber von unterschiedlichen Bäckern – versteht sich. Selbständige Arbeit kennen die beiden also von klein auf. Aber anders als ihre Eltern machen sie eben in Eis und Kuchen und nicht in Brot und Brötchen.
Die Menschen, die hier Eis und Kuchen essen, fragen komische Sachen. Zum Beispiel: „Schmeckt dit Erdbeereis ooch nach Erdbeere?“ oder „Wann machen semalJurkeneis wie uff de Jrüne Woche?“ – Man muß Geduld mit ihnen haben, sagt die Chefin dann immer. Aber „wenn man lang jenuch im Jeschäft ist wie wir, kann man sich ooch mal Erziiiehungleesten“.
Das mit der Erziehung geht dann so: „Nee, dit Erdbeereis schmeckt nach Pflaume. Wat denken Sie denn?“ oder „Mit sonem exotischen Jurkeneiszeugsvagraulnwanich unsre Stammkundschaft.“ Das sitzt! Und trotzdem kommt der Kunde wieder. Eis und Kuchen essen. Lecker bleibt eben lecker.
Die komischen Anfragen von Kunden hören aber einfach nicht auf. Da hilft alle Erziehung nichts. Der Eismacher und seine Frau wissen sich aber auch hier zu helfen: Die Frau verkauft sie dann einzeln verpackt an den Karnevalsverein Letschin. Das ist ihr zweites Standbein! Und er lässt sich in der fünften Jahreszeit auch nicht lumpen und macht dann schon mal auf Wunsch – Rollmops mit Nougateis.

Das war heut keine optimistische Begrüßung: „Das Korbmacherhandwerk ist durch.“ Mit diesen Worten bat mich der Korb- und Flechtmeister in seine Werkstatt, die er gemeinsam mit seiner Frau führte. Durch sie hat der gelernte Stahl- und studierte Maschinenbauer dieses Handwerk auch für sich entdeckt. Sein Gesellenstück war ein Puppenstuhl, den er bis heute aufbewahrt und mit Stolz präsentiert.
Vor der Wende wurde ausschließlich mit Weide geflochten; inzwischen hat er Rattan – das ist eine Lianen-Art – für sich entdeckt und baut daraus Möbel: Sessel, Regale, sogar ganze Schränke. Nach wie vor liebt er sein Handwerk, das jedoch immer mehr an Wertschätzung verliert. „Keiner gibt mehr 540 Euro für einen Korbsessel aus“, an dem er eine Woche arbeitet. Zudem sind die Kosten für seinen Rohstoff regelrecht explodiert: „Eine Rattan-Stange kostete 1990 2,30 DM. Heute bezahle ich dafür 20 Euro.“
Auch bedauert er das Image der Korbflechter: „Die Leute denken, ein Korbmacher ist behindert, sitzt im Keller und sabbert vor sich hin.“ Ob das auch der Grund war, warum er als Meister nur einen einzigen Lehrling ausgebildet hat? Dabei schwärmt er für sein Handwerk, an dem er besonders die Kreativität schätzt: „Aus Rattan kann man alles bauen.“ Und am liebsten sind ihm auch die Kunden mit eigenen Ideen.
Auch wenn er im Mai 2018 in Rente geht, wird er seine Werkstatt noch offenhalten – vorrangig für Reparaturen – aber als Ausbilder kommt er für mich dann ja nicht mehr infrage. Aber selbst kurz vor dem Ruhestand hat er noch immer neue Ideen: „Man muss ‚was für die Umwelt tun!“,  denn es wurmt ihn, beim Einkauf immer alles in Plastiktüten verpackt zu bekommen. Und welches Handwerk, wenn nicht seines, sollte dafür Alternativen anbieten.

Kannst Du Dir vorstellen, dass das Geschenk, über das Du Dich zu Deinem 17. Geburtstag am meisten freust, ein Bolzenschussgerät ist? So ging es dem Fleischer, bei dem ich heute war.
Während er das erzählte, stand er am Schlachttisch. Vor ihm hingen zwei Schweine und zwei Schafe, die er mühelos geschickt auseinandernimmt. Er wollte schon immer Fleischer werden. Einfach wurde es ihm in der DDR aber nicht gemacht, da musste der Vater kommen und auf den Tisch hauen. Aber jetzt ist er zufrieden. Den ganzen Tag ist er in der eigenen Fleischerei. Vor der Selbstständigkeit dachte er, er müsse dann endlich weniger arbeiten. Trugschluß!
Zum krank werden hat er keine Zeit. Wird er aber auch nicht – weder mit gebrochenem Bein, noch mit offenen Händen. Das geht schon irgendwie – muss ja schließlich.
Das Organisatorische wird immer mehr, aber die Arbeit ist leichter geworden durch Technik und leichtere Materialien. Er schlachtet für das Umfeld, die Nachbarschaft. Werbung macht er nicht. Ab und an kommen trotzdem auch Leute aus dem Berliner Umland. Auf diesen “Schlachttourismus” ist er eigentlich nicht angewiesen, aber er macht es, weil es ihm Spaß macht. Und auch wegen der Alten, die den Enkeln noch mal zeigen wollen, wie es früher war, macht er noch Lohn- und Hausschlachterei. Ausgebucht ist er bis zu einem Jahr im Voraus.
Neben der Arbeit in der Fleischerei läuft noch der Partyservice. Seine Fleischwaren tragen seine Handschrift. Das fängt mit dem höheren Schlachtgewicht der Sauen an, die er direkt beim Nachbarn so bestellt (obwohl der dann Gefahr läuft, Verlust mit der Mast einzufahren) und endet bei der individuellen Gewürzzugabe. Die Kunden wollen Qualität. Und sie bekommen genau was sie sich wünschen. Das ist auch sein eigener Anspruch.

Nachdem ich nun schon zwei Tischler kennengelernt habe, begegnete ich heut einem Zimmermann. Er stand in seiner Werkstatt. Im Sonnenlicht tanzte der Holzstaub, von dem der ganze Raum eingenommen schien. In der Halle und auf den unterschiedlichsten Geräten lagen beschnittene, behobelte Bretter. Dass diese Bretter einmal Teil eines Baumes waren, war hier noch sichtbar. Ich fragte ihn, warum er den Beruf des Zimmermanns wählte. Mit leuchtenden Augen und einer über das Holz fahrenden Hand sagte er, dass er eine gewisse Liebe für das Holz empfindet und das Gefühl der Holzbretter, wenn man sie berührt, ihn schon immer fasziniert hat. Heute will keiner mehr Zimmermann werden. Lehrlinge, Praktikanten, die junge Generation empfindet diese Liebe für das Holz nicht mehr. Schade findet er das. Die Zeiten ändern sich, denke ich mir.
Seine Lieblingsmaschine, das ist die Hobelmaschine. Diese kann ein rauhes, graues Brett in ein glänzendes, geschmeidiges Brett verwandeln.
Doch wer geht heute schon zu einem Zimmermann und fragt nach Holzmöbeln und Dielen, wenn man doch alles im Baumarkt bekommt? Qualitativ kommen diese Produkte natürlich nicht an die Holzstücke ran, die im Ganzen aus einem Baum geschnitten wurden. Die sind sowieso länger haltbar im Gegensatz zu den Produkten aus dem Baumarkt, die total vergiftet sind. Obwohl Privatkunden nicht zu seiner Hauptkundschaft gehören, wissen viele doch die Qualität, die Preise und die Regionalität der Produkte zu schätzen.

Also wenn ich alles im Oderbruch erwartet hätte – aber keinen Geigenbauer! Doch lernen kann man das hier nicht, dazu muss man ins Vogtland, nach Klingental. Soll ziemlich stark nachgefragt sein: Auf fünf Lehrstellen kommen 160 Bewerber. Ob ich die Eingangsprüfung schaffen würde? Ahnung von Musik hab ich nicht, aber so ‘was mit Holz könnte ich mir schon vorstellen. Und offensichtlich sind die Techniken seit 300 Jahren nahezu unverändert. Maschinen übernehmen nur die grobe Formung. Das meiste ist Handarbeit – teilweise mit total filigranen Werkzeugen: Hobel, die locker in eine Streichholzschachtel passen.  240 Arbeitsstunden stecken in einer Geige und davon baut man hier fünf bis 20 Stück im Jahr. Die meiste Zeit aber verbringt man mit Reparaturen. Auch die Chinesen können inzwischen sowohl optisch als auch akustisch hochwertige Instrumente bauen, verkaufen diese jedoch, weil sie „für eine Schüssel Reis und eine Tracht Prügel arbeiten“ für ein Zehntel des Preises.
Ob ich allerdings den ganzen Tag allein in der Werkstatt arbeiten könnte, weiß ich nicht. Die Alternative wäre eine Werkstatt mit mehreren Geigenbauern. Für die Einrichtung ‘ner eigenen Werkstatt müsste man mal locker 40.000 € in die Ausstattung investieren. Cool wäre, wenn man sich mit den Typen, die man bei der Ausbildung kennenlernt auch danach noch austauschen könnte. Kaum vorstellbar, dass früher  die Gesellen und Lehrlinge die Werkstatt zu verlassen hatten, wenn der Meister lackierte.
Auf keinen Fall will ich aber nebenher noch ‘was anderes arbeiten müssen, weil das Geld als Geigenbauer hinten und vorne nicht reicht. Der Typ, bei dem ich war, jobbt nebenher  auf dem Bioland-Hof Zielke in Vierlinden.

Weißt Du, was man als Uhrmacher braucht? Das hab ich heut erfahren: Eine ruhige Hand, ein gutes Auge, Geduld und Genauigkeit. Die Mechanik muss zum Schluss genau passen, alles muss haargenau, oder besser auf ¼ haargenau, ineinandergreifen.
Das Handwerk des Uhrmachers ist weniger vor allem Reparieren. Doch heute wollen die Leute kaum noch etwas repariert haben. Billigwaren und Duplikate überschwemmen den Markt. Etwas Kaputtes wird schlicht ersetzt, die Langlebigkeit unterliegt nun einmal dem ständigen Wandel der Mode.
Vor der Wende war das anders. Man hatte zwar nichts, aber das was vorhanden war, wurde wieder instand gesetzt. Zu dieser  Zeit  gab es noch viele Uhrmacher. Nun gibt es kaum noch große Werkstätten in der Region, die Arbeit fehlt. Zudem darf sich heute jeder als Uhrmacher bezeichnen, so wie auch ein Laie ein Restaurant eröffnen kann, ohne kochen zu können. Den wenigen „echten“ Uhrmachern macht das natürlich Konkurrenz, denn für Quarzuhren braucht es keine Uhrmacher. Ein zweites Standbein braucht man, um über die Runden zu kommen: Der Verkauf von Schmuck bietet sich an.
Dabei gibt es als Uhrmacher viel zu wissen. Eine der letzten Ausbildungsstätten ist in Glashütte, da wird streng selektiert. Abiturniveau ist erwünscht, und ohne Beziehungen läuft nichts. Eine gute theoretische Ausbildung ist für den Uhrmacher wichtig; der eigene Meister wurde mit Ehrfurcht betrachtet. Von den vier ehemaligen Lehrlingen des Uhrmachermeisters arbeitet lediglich noch einer als Uhrmacher und zwar der eigene Sohn. Doch der ging schon früh in den Westen.

Nachdem ich schon so viele Gewerke kennengelernt habe, die Holz verarbeiten, hab ich heut einen Handwerker kennenglernt, der mit einem Werkstoff hantiert, vor dem die meisten Leute großen Respekt haben: Glas. Nein, kein Glasmacher, die gibt’s  im Oderbruch nicht, schon aber Glaser.
Und gleich zu Beginn meines Besuches demonstriert mir der Meister, wie man Glas tatsächlich – wie Butter ! – schneiden kann. Nicht nur gerade, sondern auch Kurven, alle beliebigen Formen.
An seiner Arbeit schätzt er, dass sie abwechslungsreich ist. Nicht nur, dass die Zeit dann schnell vergeht, sondern kein Tag gleicht dem anderen. Am liebsten macht er komplizierte Dinge, die ihn fordern. Und stolz ist er dann auch auf seine Produkte, wie den Solarturm auf dem Dach des Theaters am Rand in Zollbrücke, an dem er mit einem Stahlbauer und einem Tischler zusammengearbeitet hat.
Sein Glas bezieht er aus dem Ruhrpott, wo einer der beiden großen deutschen Glasöfen steht. In seiner Werkstatt arbeitet er mit zwei Angestellten. „Meine Kollegen und ich sind eine lustige Truppe“, sagt er. Dennoch hat auch er Nachwuchssorgen. Geknickt erwähnt er, dass selbst sein eigener Sohn Handwerk nicht wirklich schätzt. „Alle Handwerker sind Millionäre, Pfuscher und Betrüger.“ – so nach seiner Ansicht auch die öffentliche Meinung.
Auch wenn er angesichts von Zahlungsrückständen – besonders von Privatkunden – schon viele finanzielle Einbußen hinnehmen musste und sich auch immer wieder über Besserwisser-Kunden ärgert, beobachtet er doch einen Wandel von der Geiz-ist-geil-Mentalität hin zu mehr Qualität, die die Kunden auch entsprechend honorieren.
Vielleicht hat dieses Handwerk ja doch eine Zukunft? Und zum Abschied ist es auch mir tatsächlich gelungen, aus einer Glasscheibe sauber einen Kreis auszuschneiden – ohne Blut zu vergießen.

Heute habe ich einen total irren Handwerker getroffen, ein ganzes Haus könnte der alleine bauen – ohne Strom. Er vertraut bei allem auf sein Gefühl, hat eine ganz eigene Sicht auf die Dinge, benutzt wo es nur geht Material aus der Region. So etwa hat er erzählt:

Mit 16 hat mich meine Mutter in die Malerlehre geschickt: Ich hab das gehasst, immer nur in geschlossenen Räumen arbeiten, aber ich hab mich durchgebissen. Manches war auch interessant: Einer konnte Holz lasieren, dass es aussah wie Ahorn, ein richtiger Zauberer war das. Später hab ich mir auf dem Bau Vieles von alten Zauseln abgeschaut, bin Maurer, Zimmermann und Dachdecker. 91 habe ich dann meinen eigenen Baubetrieb gegründet.
Ich mache keine neuen Häuser, das ist die Hölle, nur Altbau und Denkmalpflege. Hier überschneiden sich die verschiedenen Gewerke. Da ein Fensterrahmen, hier das Gebälk ausbessern, dort das Fundament neu aufmauern. Wenn ich nicht weiterweiß, lege ich mich zwei, drei Stunden auf das Canapé und dann kommen so Bilder- bis ich eine Lösung finde.
Die Leute bauen ihre neuen Häuser in vier Tagen und stehen dann draußen und rauchen, das Haus will sie nicht haben. Diese Häuser sind wie Thermoskannen, da bekommst du Sauerstoffmangel und kannst nicht mehr denken. Das Haus atmet nicht. Beton macht die Menschen krank, der ist gut für unter die Erde. Seit tausenden Jahren wohnen wir in Häusern aus Holz, Lehm, Feldsteinen, die tun uns gut. Wer weiß denn schon, wie uns das ganze neumodische Material bekommen wird?

Selbst seine Brotmesser hat der Typ selbst geschmiedet.