Heinz Prügel, Altglietzen

„…Frieden und Geborgenheit…“

Ein Beitrag aus dem Projekt „Brücke der Wünsche“ 2004

Heinz Prügel
Heinz Prügel in seinem Garten.

Die Eheleute Prügel.
Die Eheleute Prügel.

Blick in das Oderbruch aus dem Garten.
Blick in das Oderbruch aus dem Garten.

Welche früheste Erinnerung verbinden Sie mit dem Fluss, der Oder?
Ich lebte mit meinen Großeltern (sie waren für mich Mutter und Vater weil ich bei ihnen aufwuchs) ca. 200 m von der Oder entfernt, im Fährweg in Hohenwutzen. Vater arbeitete auf der anderen Seite der Oder auf dem Sägewerk von Herrn Hubert als Flößer. Seit meiner Kindheit führte sein Weg über die Oder, im Sommer mit dem Kahn, im Winter zu Fuß. Als ich ein kleiner Junge war, nahm mich Vater oft mit dem Kahn mit zur anderen Seite, hier besuchte ich Oma und Opa, die Eltern meines Vaters. Opa war bei der Wasserbauverwaltung angestellt und war Schiffsführer auf dem Motorboot „Markart“. Ich durfte einige Male nach Schwedt oder Küstrin mitfahren.

Welche landschaftlichen Eindrücke der Umgebung sind Ihnen am stärksten in Erinnerung? Können Sie uns einen konkreten Ort sagen, der Ihnen in der Oderlandschaft wichtig ist?
Ich war noch keine sechs Jahre alt, als ich in der Oder schwimmen lernte. Das schönste Kindheitserlebnis war immer nach einem Gewitter, da rannten wir durch die Pfützen, dass uns der Dreck bis an die Ohren spritzte (nackt) und dann ging es kopfüber in die Oder, in ein sauberes Wasser.

Wann haben Sie das erste Mal die Grenze überschritten und welche Erlebnisse hatten Sie auf der „anderen“ Seite? Welche Gefühle und Ansichten hatten Sie damals von Ihren deutschen Nachbarn? Haben sich diese Gefühle gewandelt?
Als der Konzern „Waldhof“ 1936-38 die Zellstofffabrik aufbaute, war es mit dem ruhigen Leben zu Ende. Menschen kamen aus aller Herren Länder hierher und als am 1. Mai die Fabrik eingeweiht wurde, hatten Tausende Arbeit. Eine Siedlung wurde auf der anderen Seite gebaut, so bekam Niederwutzen einen Nebenort, der den Namen „Johannismühle“ trug und einen eigenständigen Bahnhof hatte. Mit 14 begann ich eine Lehre im Labor der Zellstofffabrik und ging täglich über die „von-Saldern-Brücke“. Mit fünfzehn Jahren musste ich hier an der Oder das Vaterland (gegen den Bolschewismus) verteidigen. Auf der Potsdamer Konferenz wurde die Oder zur Grenze erklärt, somit verlor Deutschland seine Ostgebiete. Die Deutschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben und ich war eine Zeitlang damit beschäftigt, die Flüchtlinge mittels einer Fähre von der einen Oderseite auf die andere zu transportieren. Es entstand eine tiefe Kluft zwischen uns und den Polen, Hass lag auf beiden Seiten.
Jahre später hatte sich die Lage an der Oder verbessert. In den fünfziger Jahren wurde die Brücke, die im Krieg zerstört worden war, wieder aufgebaut. Ich ruderte einen Kahn über die Oder, ohne dass ich einen Meter abtrieb und so wurde ich damit beauftragt, Kollegen auf die andere Seite zu rudern, um dort ihre Arbeit zu verrichten. Zu der Zeit gab es für uns noch keinen Kontakt zu den Polen. Nach der Fertigstellung der Brücke wurde sie verbarrikadiert und schwer bewacht. In den siebziger Jahren fuhren wir mit Freunden zu ersten Mal über Schwedt nach Königsberg (Neumark), in unsere alte Kreisstadt. Die Gefühle, die ich damals hatte, kann ich aus heutiger Sicht nicht beschreiben, es war kein Hass mehr vorhanden, aber auch keine Freude, denn für den verlorenen Krieg mussten wir nun bitter bezahlen. Die deutschen Ostgebiete mussten wir an Polen abtreten und das konnte ich immer noch nicht so recht begreifen. Erst später kam ich zur Einsicht.

Glauben Sie, dass die Oder und ihr Umland einen anderen Eindruck auf Sie machen würde, wenn die Oder kein Grenzfluss und das Umland kein Grenz- oder Randgebiet wäre?
Hätte es niemals Krieg gegeben, wäre die Oder heute kein Grenzfluss, vielleicht, ja vielleicht würden wir heute anders leben: blühende Landschaften, Arbeit und Wohlstand, keine Sorgen, und Polen so weit.

Können Sie sich vorstellen, in einem vereinten Europa auf der „anderen“ Seite der Oder zu arbeiten oder zu leben?
Ich habe das Alter, wo ich nicht mehr an Arbeit denken muss, aber ich kann mir vorstellen, dass unsere Enkel, gesetzt den Fall, es gäbe in Europa keine Arbeitslosigkeit mehr, auch in Polen oder in anderen osteuropäischen Staaten eine Arbeit verrichten können.

Was erhoffen Sie sich von einem vereinten Europa, vom Beitritt Polens zur Europäischen Gemeinschaft? Wie kann die Region, also Ihr unmittelbares Lebensumfeld davon profitieren?
In einem vereinten Europa kann es absolut nicht geschehen, dass sich Völker kriegerisch auseinandersetzen. In einer Gemeinschaft sollten alle an einem Strang ziehen und nicht aus der Reihe tanzen. Profitieren kann eine Region nur, wenn sie mit den Nachbarn Handel und Wandel betreibt. Wir sind seit 1991 mit zwei Familien in einen so herrlichen Kontakt getreten, wie wir ihn nicht zu nächsten Verwandten pflegen. Als wir bei einer Tour über die Oder bei Schwedt in Polen waren, schlugen wir den Weg nach Niederwutzen ein, es war eine Fahrt und sie endete am Zaun der ehemaligen Fabrik. Ein freundlicher Pole ließ uns beide ins Gelände der Fabrik eintreten und wir machten mit diesen Fremden einen Rundgang. Erinnerungen wurden wach, da meine Frau auch hier in der Krankenkasse gearbeitet hatte. Ich schenkte dem Michail ein 5-Mark-Stück, er hätte mir bald die Füße geküsst für so ein Geschenk. Die Adressen tauschten wir aus und somit kam es zu ersten freundschaftlichen Beziehungen. Am 30. Januar 1992 lernten wir auf der Hochzeit bei Michail eine Familie aus Mieskowice (Bärwalde) kennen. Die Freundschaft zu dieser Familie verbindet uns zu einer Herzlichkeit bis zum heutigen Tag.

Wovor fürchten Sie sich in der Zukunft?
Ich habe Polen gegenüber keine Befürchtung, es gibt in Polen viele gläubige Menschen, was man von den Deutschen nicht sagen kann. Ein an Gott glaubender ist mir noch immer lieber, als ein Ungläubiger.

Was glauben Sie, erwartet die „andere“ Seite von den kommenden Zeiten?
Da Polen ein sehr armes Land ist, hoffen viele Menschen, so wie wir zu Zeiten der DDR, dass es ihnen besser geht und sie ein niveauvolles Leben erwartet.

Welche Ängste vermuten Sie bei Ihren Nachbarn hinsichtlich der großen Veränderungen?
Es ist zu vermuten, wenn die Grenzen zu Polen geöffnet sind, dass sich Deutsche in Polen ihre ehemaligen Besitzungen zurückkaufen werden.

Was ist Ihr innigster Wunsch für die Zukunft?
Was kann das wohl für eine Frage sein, der innigste Wunsch eines normal denkenden Menschen ist die Sehnsucht nach Frieden und Geborgenheit, ein Ende mit dem Morden in aller Welt.

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