E. Sorgalla: Fischsuppe aus Oderwasser

Fischsuppe aus Oderwasser
 So viel Platz wie bei Güstebieser Loose hat die Oder entlang des Oderbruches nur noch selten.
Also ist auch der Platz für die Nixen recht eng geworden …
 

Erzählt von Emilia Sorgalla

Immer wieder fragen Reisende oder Zugereiste, weshalb es im niederen Oderbruch montags unmöglich sei, in eine Gastwirtschaft einzukehren. Tatsächlich ist es so, dass die hiesigen Wirte auch auf Bitten und Drängen, ohne ein Wort der Erklärung  am Wochenanfang die Türen ihrer Gaststuben geschlossen halten, die blitzblanken Töpfe und Kellen ruhen lassen.

Langes Grübeln über die Gründe oder Lesen in alten Verordnungen ergaben wenig, bis mir folgende Geschichte zugetragen wurde, die Licht ins Dunkel dieses seltsamen Brauches brachte.

Schon in alten Zeiten lebten die Wirte vom Reichtum der Oder. An den Rändern der Altdörfer setzten sie eigene Netze in den Fluss, griffen zuweilen die Fische mit den Armen aus dem Wasser oder schickten Kinder aus, die zu besonderen Anlässen Muscheln, Krebse oder auch die damals nicht seltenen Schildkröten einsammelten. Einmal im Jahr kündigte sich die Odernixe mit ihrem Gefolge an, um das Treiben der Menschen in den Dörfern zu beobachten. Sie lugte über Gartenzäune und Hecken, in Stuben und Ställe, neckte den einen, versteckte ein Geschenk für den anderen und ließ sich dann am Abend mit ihren Begleitern erschöpft  zu einem Mahl nach Menschenart in diesem oder jenem Gasthof nieder.

Voller Freude berichtete sie dann  am nächsten Tag den Bewohnern am Grund der Oder von ihren Erlebnissen und dem vorzüglichen Abendmahl. Der Odergott hörte mit Genugtuung, wie sich die Nixen am Treiben der Menschen erfreut hatten.

Viele, viele Jahre war ein gutes Leben im Oderbruch. Später jedoch erzürnte der Odergott. In neuen, schwierigen Zeiten immer auf ein kleines Geldsäckel unter dem Kopfkissen bedacht, sammelten die Oderbrücher alle Schildkröten ein und verkauften sie in abgelegene Länder. Dann kam ein König aus einem entfernten Ort. Er erstieg die Höhen im Westen und befahl, die vielarmige Oder in ein kleines Bett zu zwingen, und ließ auf dem nun ausgetrockneten Sumpfland die Felder bestellen. Und es begann ein Gewimmel von Menschen an der Oder.

Die Besuche der Nixen in den Dörfern wurden selten und hörten schließlich ganz auf, denn die Menschen waren mürrisch geworden, manche Zugereiste konnte man nicht einmal verstehen. Und es kam auch vor, dass ein kleines Nixchen, das dem Treiben heimlich zugesehen hatte, nicht mehr nach Hause fand, weil täglich neue Gräben, Wege und aufgeschüttete Wälle alles veränderten.

Erbost über die Einengungen, gab das Völkchen am Grund der Oder keine Fische oder Muscheln mehr an die Menschen heraus. Das aber machte den Oderbrüchern, die sich ja neuerdings von Korn und Vieh ernähren konnten, gar nichts aus.

Nur die Rechnung der Wirte stimmte nicht mehr. Hatten sie früher den Fisch nur eingesammelt, mussten sie nun das Fleisch und die Rüben teuer kaufen. Einige versuchten auch, ein Stück Land zu bestellen, hatten dann aber keine Zeit für die Küche mehr.

So machten sich die Gastwirte der alten Dörfer zu einen Bittgang an das neue Oderbett auf, um nach Fisch und Krebsfleisch zu fragen.
Der Odergott, verärgert in den weiten Hallen seines Unterwasserschlosses thronend, wollte nicht mit sich reden lassen. Schon wieder im Gehen, bemerkte einer der Bittsteller, dass die Odernixe ganz nah an den Thron herangeschwommen war und dem Odergott etwas ins Ohr flüsterte. Einige Augenblicke später verschwand sie in der Masse der Höflinge. „Nun“, meinte der Herrscher des Flusses, „eine Möglichkeit sehe ich. Wenn Ihr jede Sonntagnacht für meinen ganzen Hofstaat das Abendmahl bereitet, möget Ihr Euch allzeit wieder Fische und Krebse aus der Oder holen.“ Die Gastwirte sahen sich kurz an und stimmten eifrig zu. Einer erstieg sich sogar zu der Bitte, für die Suppe Fisch samt Oderwasser in die Küche tragen zu dürfen. Bedächtig nickte der Odergott. „Nur dürft ihr von unserer Einkehr niemandem berichten.“ Das war die einzige Bedingung, die er an die Menschen stellte .

Nun war die Freude groß. Jede Gastwirtschaft bereitete sich eifrig vor, einen Teil des Hofstaates des Wasserreiches zu empfangen. Fässer voll Wein wurden aus den neuen Dörfern herangeschafft, und lange Tafeln bogen sich unter den angerichteten Speisen. Kurz vor Mitternacht wurde geprüft, ob alle Fensterläden  gut geschlossen waren, denn ein Lichtstrahl hätte das Geheimnis schon verraten können.

Am nächsten Morgen – der Odergott war nach ausgiebigem Festmahl zufrieden und gutgelaunt in sein Schloss zurückgekehrt – war niemand in der Lage, einen Fuß in die Küche zu setzen geschweige denn, den Herd anzufeuern, denn alle Kraft war auf die wichtigen Gäste verwendet worden. Die Wirtschaften blieben geschlossen.
So ging es jede Woche. Man begründete in den nächsten Zeiten den Ruhetag mit leeren Gaststuben, denn  tatsächlich hatten schon vorher viele Oderbrücher am Montag weder einen Groschen in der Tasche noch ein halbes Stündchen Zeit zur Einkehr gehabt. So schöpfte niemand Verdacht.

Heutzutage kommen viele, die andere Sitten haben, ins Oderbruch. Sie schütteln über die Schilder „Montag-Ruhetag“ und über das Schweigen der Wirte nur ungläubig den Kopf.

Der Odergott aber regiert noch immer in seinem wässrigen Reich, und manchmal, an einem ganz bestimmten Tag im Jahr, kann man im Fluss, so man genau hinschaut, den einen oder anderen silbrigen Schemen aufblitzen sehen. Dann, so heißt es, versammeln sich die Nixen wieder, um den Menschen einen längeren Besuch abzustatten.  

 

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