Wir brauchen und wollen mehr Eigenverantwortung

Henrik Wendorff
Henrik Wendorff, Landesbauernverband Brandenburg, Worin Foto: Stefan Schick

Henrik Wendorff, Landesbauernverband Brandenburg, Worin

Aufgeschrieben von Lars Fischer

2001 haben im Landkreis die beiden Bauernverbände Bad Freienwalde und Strausberg/Seelow fusioniert und seitdem bin ich Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Märkisch-Oderland. Das war damals nicht so geplant, auch nicht, dass ich wenig später als Vizepräsident in den Vorstand des Landesbauernverbandes Brandenburg gewählt wurde. Und als vor zwei Jahren die Frage im Raum stand, wer in Zukunft dem Landesverband als Präsident vorstehen soll, da bin ich gefragt und gewählt worden. Ich bin ein Mensch, der sich gerne einmischt.
Die Herausforderung als Geschäftsführer und Gesellschafter eines Biobetriebes diesen Verbänden vorzustehen, war früher, als die Gräben zwischen den konventionell und den ökologisch wirtschaftenden Landwirten tiefer waren, größer als heute. Ich habe immer versucht, beide Seiten zu verstehen. Und ich weiß auch, dass es auf beiden Seiten Fundamentalisten gibt, die man wohl nie zusammenführen kann. Aber es gibt eine ganz große Mitte, in der die Übergänge fließend sind. Integrierter Pflanzenbau, extensive Grünlandbewirtschaftung, integrierte Gemüseproduktion, extensive Mutter­kuhhaltung, hier verwischen leicht die Grenzen zwischen konventionellem und ökologischem Landbau. Gerade auch in einer Region wie Branden­burg, in der wir mehr als die Hälfte schwache Sandstandorte haben und das nie zu den intensiv bewirtschafteten Regionen gehört hat. Wenn man das Oderbruch wegen seiner besonderen Qualität der Böden hier mal ausklammert, die nicht typisch ist, weder für das Land noch für den ganzen Landkreis. Auf den leichten Standorten ist man näher beieinander. Und vieles nähert sich weiter an, wird noch fließender, was die Grundlagen der landbaulichen Wirtschafts­weisen anbelangt.
Wenn ich von einer Pflanze einen guten Ertrag haben will, dann muss ich sie erst mal gut in den Boden bringen, dafür muss die Bodenbearbeitung gut funktionieren, auch die Aussaat und ich muss die Pflanze vor schädlichen Ein­flüssen schützen, denen sie ausgesetzt ist, und sie gut mit Nährstoffen ver­sorgen. Diese Grundsätze gelten im konventionellen wie ökologischen Landbau. Die Unter­schiede liegen in den Hilfsmitteln. Im konventionellen Bereich nehme ich chemische Pflanzenschutzmittel, um die Saat vor dem Unkrautdruck zu schützen, im ökologischen Bereich nehme ich den Striegel, arbeite also mit mechanischen Mitteln und Methoden. Dass ich aber die Pflanzen schützen muss, ist eine Grundlage der Landwirtschaft. In der Viehhaltung ist es genauso. Ich muss die Tiere ernähren und eine erfolgreiche Reproduktion machen, wenn ich im Wettbewerb auf dem Markt bestehen will, im ökologischen wie im konventionellen Bereich. Und mittlerweile greift man im konventionellen Bereich auch wieder auf mechanische Methoden zurück, wenn ich an den Strohstriegel denke oder mechanischen Pflanzenschutz. Die mechanische Bodenbearbeitung war durch chemische Methoden verdrängt worden und kommt jetzt wieder. Im ökologischen Landbau ist sie gepflegt worden, da gab es ja die chemischen Alternativen nicht. Die Fronten sind aufgebaut worden, weil behauptet wurde, nur in der konventionellen Landwirtschaft liege die Zukunft oder nur in der ökologischen. Heute sagt man, wir können mit dem ökologischen Landbau nicht alle Probleme dieser Welt lösen, aber mit einer konventionellen Landwirtschaft, wie sie sich bis vor einigen Jahren entwickelt hat, eben auch nicht. Dadurch ist man enger zusammengerückt.
Man kann das nicht rein betriebswirtschaftlich betrachten, welche die beste Landwirtschaft ist. Dann vergisst man den Faktor Nachhaltigkeit, die Fragen der Ressourcenschonung und der Ökologie. Betriebswirtschaftlich ist eine Zwischenfrucht zum Beispiel teuer, verursacht mir nur Kosten. Aber wenn ich über die Jahre sehe, dass ich dadurch den Boden im Wert erhalte, seine Bodenstruktur und seinen Humusgehalt, komme ich zu einer anderen Einschätzung. Landwirtschaft wird viel zu häufig durch den Markt dazu gedrängt, das kurzfristige betriebliche Überleben in den Mittelpunkt zu rücken. Bei fehlender Liquidität denkt man nur in Jahresscheiben, manchmal nur bis zum nächsten Monat: Kannst du den Lohn bezahlen, die Betriebsmittel? Das war bei uns hier in Worin zu Anfang auch so. Erst mit einer gewissen Stabilität konnten wir anfangen, ans nächste Jahr und sogar ans übernächste zu denken. Wenn die betriebliche Ökonomie funktioniert, kommt man in den Bereich hinein, über Nachhaltigkeitsfragen nachdenken zu können, darüber, wie ich es schaffe, alle drei Bereiche der Nachhaltigkeit betrieblich auszubalancieren: Öko­nomie, Ökologie und Soziales. Oder nehmen wir die Drainage der Felder: Meine Eltern­generation hat die mal mitgebaut, ich ernte eigentlich nur, weil ich Erfolg habe mit der Drainage, repariere ich sie selbst aber nicht, dann übergebe ich das Problem auch nur an die nächste Generation. Das ist nicht nachhaltig. Als wirtschaftlich stabiles Unternehmen kann ich mir heute darüber mehr Gedanken machen. Hier stehen wir jetzt. Es gibt aber immer Begleitmusik, zum Beispiel, dass ich kurzfristige Pachtverträge habe, eine Fläche nur zwei, drei Jahre beackern kann und weiß, sie wechselt dann weg. Hier brauche ich mir keine längerfristigen Gedanken machen.
Ich bin 1965 geboren und komme aus einer Landwirtschaftsfamilie. Mein Vater war Landwirt, dessen Vater ebenfalls Bauer. Der andere Opa war Fischer. Groß geworden bin ich in Lietzen und Kienitz an der Oder oft bei meiner Oma, der Fischersfrau. In Seelow bin ich zur Schule gegangen. In der polytechnischen Oberschule hat Landwirtschaft damals eine große Rolle gespielt. Ich habe zum Beispiel im UTP, im Unterrichtstag in der Produktion, wie das hieß, im Schafstall gearbeitet und auf der LPG. Patenbrigade war die Molkerei Seelow. Und da ich immer mit Landwirtschaft umgeben war, lag es nah zu sagen, jetzt machst du eine Berufsausbildung in der Landwirtschaft. Mit meinen beiden besten Freunden zusammen habe ich auf dem VEG (P) Lietzen Agro­techniker gelernt, einem Volkseigenen Gut Pflanzenproduktion, direkt unterstellt dem Kombinat Saat- und Pflanzgut. Wir sind alle drei angenommen worden, obwohl sie nur einen Lehrling wollten. Aber dann waren sie schließlich froh, alle drei zu haben. Die Berufsschule war in Seelow, in Golzow das Internat. Praxis auf der LPG in Gorgast. Wir haben alles gelernt, was in der Landwirtschaft so zusammenkam, auch Gemüsebau. Nach dem Abschluss kam gleich die Armeezeit. Danach bin ich ins VEG Lietzen zurück. Mein Studium zum Agraringenieurökonom habe ich in der wirren Zeit 1989/90 abgeschlossen. Für den Abschluss haben wir nach dem Ende der DDR in der neuen BRD richtig kämpfen müssen. Letztlich haben wir einen „bundesdeutschen“ Abschluss bekommen, den es so heute nicht mehr gibt.
Das VEG wurde 1990 von der Treuhandanstalt übernommen und stand vor dem Zerbrechen. Ich bin daher nach dem Studium ohne Arbeit Sozialhilfeempfänger geworden. Wie viele andere auch habe ich mich umgeschaut nach neuen Perspektiven. Eine Weile bin ich Lkw im Fernverkehr gefahren in den alten Bundesländern, das war das einzige, was ich schnell machen konnte. Für mich war aber klar, dass ich wieder nach Hause gehe. Ich hatte ja meine Mutter hier und das elterliche Haus, an dem es viel zu tun gab.
Ich habe dann angefangen, in der landwirtschaftlichen Beratung zu arbeiten und habe ein halbstaatliches System für die Beratung von Landwirten in Brandenburg mit aufgebaut, so hieß das damals noch. In den alten Bundesländern gab es die Landwirtschaftskammern und eine Agrarverwaltung, in Ostdeutschland nur die staatliche Verwaltung. Für die landwirtschaftliche Beratung wurde in Brandenburg keine Landwirtschaftskammer etabliert, sondern Beratungsringe als formaler Rahmen gewählt. Das war eine aufregende, verrückte und spannende Zeit. Viele Betriebe waren in Umbruchstimmung, haben sich neu gegründet oder umgewandelt. Hatte man einen Ring aus 30, 40 Landwirten aufgebaut, bekam man staatliche Zuschüsse für deren umfassende Beratung: juristisch, betriebswirtschaftlich, sozial, sozioökonomisch. Mit drei Kollegen zusammen, von denen sich jeder ein bisschen spezialisiert hatte, haben wir versucht, so ein Beratungssystem aufzubauen. Dafür haben wir von den einzelnen Landwirten die Zuschüsse bekommen, die sie aus Landesmitteln für zertifizierte Beratungsleistungen erhielten, 3 000 DM pro Landwirtschaftsbetrieb im Jahr waren das, glaube ich. Das war ein gutes, effizientes System, weil staat­licher Zuschuss und Eigenanteil zusammenkamen. So konnte man auch Dinge abdecken, die nicht über Stundensätze gelöst werden können, die sozioökonomische Beratung etwa, Betriebsnachfolge, Betriebsversicherungen, Alters­sicherungen – alles Themen, wo es bis heute viele Fragen gibt, die aber gerade in strukturschwachen Betrieben vernachlässigt werden. 1997 hat man sich dann aber entschieden, dass die Landwirte die Beratung selbst finanzieren müssen. Das System verlor an Attraktivität und ich stand vor der Frage, was machst du aus deinem Leben?
Zu diesem Zeitpunkt wurde die Stelle des Geschäftsführers des Betriebes hier in Worin ausgeschrieben. Der Betriebsleiter war schon nah am Rentenalter heran. Zudem stand der Betrieb vor einer größeren Kreditaufnahme, zu der die Bank sagte, das machen wir nicht mehr mit einem Geschäftsführer, der in Rente geht. Ein Kollege hatte diesen Betrieb beraten, eine Ausschreibung auf den Weg gebracht und mich um eine Beurteilung der Bewerber gebeten. „Warum hast du denn mich nicht gefragt“, habe ich ihm geantwortet, „der Betrieb ist gleich bei mir zu Hause um die Ecke.“ Am nächsten Tag hatte ich einen Gesprächstermin mit dem Geschäftsführer. Wir haben uns den Betrieb angeschaut und unterhielten uns einige Stunden lang. Am Ende hat er mich gefragt, ob ich die Betriebsleitung übernehmen würde und ich habe zugesagt.
Das war schon ein ganz schöner Sprung aus der Theorie in die Eigenverantwortung als Landwirt. Dann kam noch das Schicksal hinzu: Der Geschäfts­führer erkrankte. Ich habe eigentlich gar nicht mehr mit ihm zusammen­arbeiten können, nur drei Monate blieben an Einarbeitungszeit. Das war eine anstrengende Zeit, in der viel Neues auf mich zukam. Und parallel musste ich ja noch meine Betriebe, die ich über den ganzen Oderbruch verteilt betreute, an andere Berater übergeben. Seit 1997 bin ich nun Geschäftsführer der AGW Agrarwirtschaftsgesellschaft Worin mbH und versuche mit den Kollegen hier, das Unter­nehmen weiter aufzubauen, um Landwirtschaft zu betreiben – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Zwischenzeitlich habe ich von einem ausscheidenden Gesellschafter Gesellschaftsanteile übernommen und bin Miteigen­tümer des Betriebes geworden.
Die AGW wurde 1991 gegründet. Hier gab es mal eine große LPG, die ist aber nach der Wende aufgelöst, liquidiert worden. In vielen Orten ringsum stand man vor der Entscheidung, wie es nun weiter gehen sollte. In jedem Ort hat sich dann aus der einen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft heraus ein eigenständiges landwirtschaftliches Unternehmen gebildet, alles Neugründungen, GmbHs und Neueinrichter: So ist Worin entstanden, Diedersdorf, Trebnitz, Jahnsfelde, Marxdorf, auch Georg von der Marwitz aus Friedersdorf war dabei. Alle mussten sich schnell entscheiden, versuchen, Finanz­mittel zu besorgen, um das verrückte Unternehmen Landwirtschaft anzugehen. Den großen Einheiten hatte man damals keine Zukunft gegeben, Kooperativen, in denen mehrere Einheiten zusammenarbeiten, so was kannte man in der alten BRD nicht. Dort stand der einzelne Familienbetrieb absolut im Mittelpunkt. Diese Zeit des Übergangs nach den Maßgaben des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes war eine ganz schwierige. Das hat sich dann in dem Maße normalisiert, wie sich stabile Gesellschafterstrukturen entwickelten auf den Betrieben.
Wir Landwirte waren eine historische Besonderheit. Wir haben 1989 den Hebel umgelegt und sind mit wenig Eigenkapital, ob an Eigentumsfläche oder Vermögen auf dem Konto, gestartet. Das wäre heute undenkbar. Die Rahmenbedingungen waren aber so – und da muss man dankbar sein im Nachhinein – dass man uns die Chance gegeben hat, Eigenkapital aufzubauen, zu erwirtschaften. Denn Eigenkapital ist die Grundlage von allem. Dies haben aber nicht alle Landwirtschaftsbetriebe geschafft, das muss man auch dazu sagen. Unternehmerisches Vermögen und auch ein wenig Glück brauchte man schon. Der Aufbau von guten, stabilen Eigentumsstrukturen ist bis heute nicht ab­geschlossen.
Die Unterschiede zwischen erfolgreich wirtschaftenden Betrieben und weniger erfolgreichen waren in den 90er-Jahren geringer, weil man zu größeren Teilen von Preisausgleichszahlungen der EU gelebt hat. Aus diesen Ausgleichszahlungen jedoch Überschüsse zu erwirtschaften, war sehr schwer. Auch in Westdeutschland gab es Generationen, die keine Eigentumsbildung oder Verbesserung an der Betriebsstruktur vornehmen konnten. Die einzige Möglichkeit finanzielle Spielräume zum Beispiel für den Erwerb von Boden oder für Investitionen zu eröffnen, war der Weg über Gewinn und Bankkredite. Hier sind die Laufzeiten mitunter über 30 Jahre. Kontinuierlich Überschüsse zu erwirtschaften, ist in der Landwirtschaft sehr schwer aber notwendig. Wenn, dann hat man es über Wachstum und Intensivierung in der Tierproduktion geschafft, vor allem in den alten Bundesländern. Erst Stilllegungsprämien, dann die Erschließung von Ölsaaten für die Energieproduktion – so was hat schon mal die Möglichkeit geschaffen, die Kapitalausstattung zu verbessern. „Energiewirt“ war hier das Stichwort, sogar als „Ölbarone“ wurden moderne Landwirte bezeichnet. Auch wenn es nicht zum Baron gereicht hat, das waren politische Entscheidungen, die bei dem einen oder anderen mit einem glück­lichen Händchen finanzielle Spuren hinterlassen haben.
2001 haben wir unseren Betrieb auf ökologischen Landbau umgestellt. Wir haben Auswege gesucht aus einer Krise, die von einem Überangebot von Roggen auf dem Markt und dem Wegfall von Interventions- und Stützungs­aufkäufen geprägt war. Damals war der ökologische Landbau noch nicht so weit verbreitet und hatte noch keine guten Marktstrukturen, aber ich habe hier eine Chance gesehen für unseren Standort, der leichte Böden hat, relativ schwer zu bewirtschaften ist und wenig Ertrag bringt. Ich dachte, wenn du einen schlechten Boden hast – wir haben hier zwischen 17 und 24 Bodenpunkte – und mit diesem Wettbewerbsnachteil überleben willst, dann kannst du das nur in einer Nische machen. Von einem Betrieb in Jahnsfelde, der von Anfang an ökologischen Landbau betrieben hat und mit dem wir uns damals wie heute gut verstehen, konnten wir uns ein bisschen was abschauen, dass eine und andere lernen. Seitdem wirtschaften wir relativ erfolgreich, mal mit Rück­schlägen, mal wieder besser, und haben uns gut etabliert als solide wirtschaftender regionaler Landwirtschaftsbetrieb.
1997 hatten wir noch über 900 Sauen und 350 Mutterkühe. Von der Sauen­haltung haben wir uns getrennt, weil die Märkte so schwankend waren, die Fleischpreise im Auf und Ab des Schweinezyklus so gering und wir die Liquidität für diesen Betriebsteil nicht sichern konnten. Den Bereich haben wir verkauft, um nicht das gesamte Unternehmen zu gefährden, und mit dem Ackerbau und der Mutterkuhhaltung weitergemacht. Noch heute haben wir circa 200 Mutterkühe, auch um eine Kreislaufwirtschaft hinzubekommen, um den Boden in einem guten Zustand zu erhalten für unsere Nachkommen. Die Futtergrundlage produzieren wir komplett auf dem Betrieb, den Mist bringen wir wieder aus. Wir versuchen, die Stoffkreisläufe komplett zu schließen. Das ist nicht einfach, aber dem stellen wir uns auf den 1 000 Hektar, die wir bewirtschaften.
Selbstverständlich ist es etwas anderes hier um Worin zu wirtschaften als im tiefer gelegenen Oderbruch. Wenn wir nasse Jahre haben, dann freuen wir uns auf der Höhe über unsere Sandböden, im Oderbruch sind das die schwierigen Jahre. Ist es trocken, sind es gute Jahre für das Bruch und für uns die schlechten. Die Art und Weise zu wirtschaften und Ende des Jahres einen guten Ertrag zu haben, ist im Oderbruch etwas stabiler als auf der Höhe. Wenn es in der ertragsbildenden Zeit hier oben nicht regnet, ist der Ertrag weg. Das Oderbruch kann dann immer noch ein bisschen Wasser ziehen, weil es insgesamt näher am Wasser gebaut ist. Wenn man im Oderbruch ein paar Tage vor Weihnachten Weizen drillt und hat Glück, dann erntet man auch noch was. Das ist auf der Höhe undenkbar.
Es sind unterschiedliche Kulturlandschaften, beide sind von Menschen gemacht, aber die Vielfalt auf der Höhe ist eine etwas andere, als wenn man in das Oderbruch schaut. Das Bild dort hat sich schon ganz schön gewandelt. Die Zuckerrübe war mal prägend im Oderbruch. Ich bin in der Nähe der Zucker­fabrik Voßberg aufgewachsen, das halbe Dorf hat in der Fabrik gearbeitet. Wie in Industrieregionen sind Schichtbusse in andere Dörfer und Städte gefahren. Das ist alles weg. Mit dieser erfolgreichen Industrie waren ja andere Bereiche mitgewachsen, Handwerksbetriebe zum Beispiel. Das eine hat das andere befördert. Die Nachfrage nach Dienstleistungen war da, weil die Industrie­arbeitsplätze ja nicht schlecht bezahlt wurden. Mit dem Abwandern der verarbeitenden Industrie, vor allem auch der Milch- und Fleischverarbeitung waren schon mächtige Strukturumbrüche verbunden. Zuerst ging die Verarbeitung von Schwein und Rind, dann die von Geflügel. Die Milchproduktion ließ nach. Man hat überlegt, was man mit den vielen leeren Ställen macht. Die einfachste Art einen Milchviehstall umzurüsten, ist Geflügel darin zu halten, hier sind die Kosten am geringsten. Da gab es den Schlachthof in Neutrebbin noch. Fast jeder zweite Milchviehstall ist umgebaut worden in einen Geflügelstall.
Später haben sich diese gravierenden Veränderungen fortgesetzt. Einige langfristige Tendenzen sind für mich erkennbar. Es ist schwierig, die Tierhaltung in einem Maß in die Landwirtschaft zu integrieren, wie ich es für notwendig halte, um regionale und betriebliche Kreisläufe herzustellen. Das bedarf aber eben auch einer Infrastruktur für die Verarbeitung, die wir hier nicht mehr haben. Es konzentriert sich immer mehr auf Ackerbau, derzeit auch noch zu Zwecken der Energiegewinnung. Mir wäre viel lieber, wir integrieren Ackerbau, Tierhaltung und Energiegewinnung wieder, so wie man sich einen runden Landwirtschaftsbetrieb vorstellt. Regionale Kreisläufe im Gemarkungsverbund, das wäre für mich eine optimale Größe. Nicht zu kleinteilig und offen in der Entwicklung. Für solche Landwirtschaftsbetriebe oder Kooperationen müssen aber auch die Rahmenbedingungen passen, denn der eine gibt etwas ab, der andere nimmt was auf. Wenn sich der politisch gesetzte Rahmen ändert, geht das schnell alles nicht mehr auf. Am sichersten ist es, man bekommt es betrieblich hin, vor allem in den größeren Unternehmen. Eigene Futterproduktion und Abnahme der tierischen Reststoffe auf den eigenen Flächen. Aber viele Landwirte, vor allem junge, bevorzugen eine Spezialisierung, da kommt dem regionalen Kooperationsmodell wohl mehr Beachtung zu. Ich bin der Schweinehalter, mein Partner der Ackerbauer, da kaufe ich mein Futter bei ihm und gebe meine Gülle an ihn ab, er ist der Spezialist für die Verwertung organischer Reststoffe und ich für die Tiere. Wenn ein Schweinehalter heute aber keine Fläche hat für das Ausbringen der Gülle, kann er Schweine nur sehr schwer halten – diese Regeln erschweren zum Beispiel den Aufbau von solchen Kooperationen.
Auch die monotoner werdenden Fruchtfolgen sind ein Einschnitt, weil uns die marktfähigen Alternativen im Anbau fehlen. Mit dem Wegfall der Zuckerrübe wird jetzt wieder ein großes Loch entstehen, gleich neben dem, das sich mit dem Aus für die Kartoffel in der Region aufgetan hat. Mit der Reduzierung des Rapses, der aufgrund der Beizeinschränkung des Saatgutes und fehlender Pflanzenschutzalternativen nicht mehr wirtschaftlich anzubauen ist, zeichnet sich das nächste große Loch ab. Hierfür fehlen eindeutig rentable Alternativen.
Ich will es mir nicht zu einfach machen und auf die Politik schimpfen. Wenn wir noch eine Zuckerrübenfabrik hätten, würde die Rübe nicht aus dem Oderbruch verschwinden. Hätten wir eine Kartoffelfabrik würde auch die Kartoffel­produktion drumherum bestehen. Aber wir haben die Verarbeitung nicht. Wenn wir ehrlich sind, der Landkreis würde mit Blick auf die Kartoffeln verhungern, wir haben nur noch 90 Hektar im Landkreis. Das VEG Lietzen hatte mal an die 900 Hektar. Alt Zeschdorf mal 500 Hektar. So verändert sich das Bild. Die Produktion wandert mit den Verarbeitungsstandorten. Das ist der Nachteil der Arbeitsteilung. Und von den Landwirten verlangen wir Nach­haltigkeit, von der Industrie oft nicht. Aber unsere Partner sind Industrie­betriebe, die haben ganz andere Standortkriterien. Von uns Landwirten verlangt man eine fünfgliedrige Fruchtfolge, von der ich nicht weiß, wo ich zwei Glieder auf dem Markt lassen soll. Aber wir sollen diesen Spagat hinbekommen.
Man versucht natürlich die Verluste in der Fruchtfolge sowohl in der Wertschöpfung als auch für die Nährstoffbilanz und die Bodenqualität wieder auszugleichen, über mehrjährige Futterkulturen zum Beispiel. Aber dann muss man wissen, wo man das Futter lässt. Da die Biogasanlage zunehmend den Tiermagen ersetzt, können Kleegras oder Luzerne dort verwertet werden. Dieser Lückenschluss ist aber auch wieder umstritten. Sicher wäre der Tier­magen die bessere Alternative und dann erst die Biogasanlage, weil wir so einen größeren Kreislauf schließen. Das wäre mir lieber, aber wir sind in diesem
spezialisierten Stückwerk drin. Und wenn dann noch eine neue Generation von Bio­gasanlagen mit neuen Grenzwerten verpflichtend wird, was wieder Investitionen nach sich zieht, dann hinterlässt das Spuren bei uns Landwirten. Wir sind ja auf der Suche, wie wir die Lücken schließen können, aber die Mittel, die wir dafür benötigen, sind nicht immer da.
Es werden immer mehr Forderungen an die Landwirtschaft gestellt: markt­orientiert, kurze Wege, ohne Subventionen, nachhaltig, umweltverträglich, global, zu jeder Zeit und überall alles. Das passt nicht. Die gesamte Gesellschaft muss sich zukünftig darüber im Klaren sein, dass die Verantwortung für eine gesunde Lebensmittelbeschaffung nicht einseitig weg delegiert werden kann. Die städtische Bevölkerung macht das ja derzeit so, sie delegiert die Verantwortung für die Ernährung an das Land ab. Man kann aber nicht immer mehr Verantwortung delegieren, wenn ich den, der es machen soll, nicht in die Lage versetze, ihr gerecht werden zu können. Auf der anderen Seite nimmt die Anzahl der Landwirte ab, weil die höheren Anforderungen nur zu erfüllen sind, wenn ich mich als Landwirt betrieblich konzentriere. Wir werden immer weniger, dafür größere landwirtschaftliche Spezialisten. Getrieben von diesen Forderungen, läuft der Prozess in Richtung Wachstum und Spezialisierung. Das führt zu strukturellen Verwerfungen in der Landwirtschaft. Schaut man sich hingegen die öffentliche Meinung an, will die Gesellschaft aber eher viele Landwirte, viele Höfe. Hier tun sich Widersprüche auf.
Der Bereich Landwirtschaft braucht wieder mehr Eigenverantwortung, hier müssen die Zügel wieder ein bisschen länger gelassen werden. Als Landwirt brauche ich mehr Freiheit, um mich mit meinem Eigentum auf die gesellschaftlichen Forderungen regional einlassen zu können. Das heißt für mich auch, den Landschaftsräumen wieder mehr Eigenverantwortung zu übertragen, wie sie ihre Landwirtschaft gestalten möchten.
Ein Kollege hat mal gesagt: „Wenn du Hunger hast, hast du ein Problem, wenn du keinen Hunger hast, hast du viele.“ Es ist selbstverständlich geworden, dass Lebensmittel aller Art immer ausreichend zur Verfügung stehen. Um die Landwirtschaft wieder besser in der Gesellschaft und in der Region zu ver­ankern und ein neues gesellschaftliches Verständnis für eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern, braucht es viele parallele Wege. Wäre es nicht angebracht, in der Schule zu erklären, wie ein Lebensmittel entsteht? Ich glaube, hierfür könnten andere Bausteine aus den Lehrplänen etwas nach hinten treten. Umweltbildung, Ernährungsbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und nicht nur für Kinder, auch für Jugendliche und Erwachsene, tun not. Wir müssen zeigen, dass die Erdbeere hier bei uns nicht das ganze Jahr über wächst –
und zeigen, was dahintersteckt, dass ich sie zu Weihnachten auf dem Tisch habe. Wir müssen Neugier und Interesse für die Landwirtschaft wecken. Derzeit erreichen wir nur kleine Teile der Gesellschaft, die überwiegende Mehrheit nicht. Die hat auch oft keine Lust, sich damit zu beschäftigen, ist sehr zufrieden damit, wie es jetzt ist.
Mit Regional- oder Direktvermarktung allein ist das Problem nicht zu lösen. Ich fange als Landwirt nicht aus schlechtem Gewissen eine Direktvermarktung an. Ich drehe das jetzt mal um: Ich will nicht sagen, dass Direktvermarktung keine Möglichkeit für uns Landwirte ist, wieder in Kontakt zu unseren Kunden zu treten. Das macht sie in jedem Fall. Und sie hilft, ein Netzwerk aufzubauen, in dem ich zeigen kann, wie ich arbeite, wie die Produkte entstanden sind, wie Landwirtschaft funktioniert. Die Lebensmittelindustrie hat aber ihre eigenen Regeln. Natürlich hat sie auch ein gewisses Interesse an diesen Fragen, aber am Ende des Tages muss und will sie mit ihren Produkten Geld verdienen. Sie davon zu überzeugen, ein Risiko einzugehen, in der Hoffnung, dass sich mit unseren neuen Produkten am Ende ein Gewinn erwirtschaften lässt, in diese Vorleistung müssen wir als Landwirt mit hineingehen. Wenn ich ein regionales Getreide anbiete, dann muss ich mich auch in die Spur machen und für dessen Qualität stehen und Verwendungsmöglichkeiten andenken. Und dafür fehlt uns hier regional oft der Flaschenhals, das wären Schlachtunternehmen, Mühlen, Verarbeitungsbetriebe wie Molkereien. Da haben wir wieder das strukturelle Problem, dass wir unsere Rohstoffe weit fahren müssen, um sie verarbeiten zu lassen und an den Mann und die Frau zubringen, sprich in die Supermärkte. Ich bin richtig neidisch, wenn ich in andere Regionen schaue und sehe, was für großartige Netzwerke sie dort in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben und wo wir derzeit stehen.
Als wir den Schlachthof in Neutrebbin noch hatten, hatten wir auch starke Erzeugergemeinschaften, die die Angebote gebündelt haben und wir mit einer „Oderbruchente“ Punkten konnten. Wenn der Schlachthof aber weg ist und keiner das Interesse hat, so was auch neu auszuloben, dann bricht so ein Kartenhaus schnell wieder in sich zusammen. Und die strukturellen Defizite wieder aufzuholen, ist sehr schwierig. Wir haben es versucht mit dem Weiderind Märkisch-Oderland, aber eines fehlte uns: Der Schlachter, der getrennt schlachtet, zerlegt, verpackt etc. Das sind Bereiche, wo wir über Manufakturen, über Kleinteiligkeit nicht hinauskommen. Ich bin froh, dass wir mit der Mühle in Müllrose einen kleinen solchen Baustein haben: Einen Verarbeiter, der versucht Brandenburger Roggen am Markt zu platzieren.
Selbst bei mir, einem ökologischen Betrieb, denen man ja immer nachsagt, die Kreisläufe noch enger zu stricken, ist es genauso. Wir fahren fast alle unsere Produkte in die alten Bundesländer zur Verarbeitung. Und über die Landes­grenze
verbracht, werden sie jedoch anonym. Die sind zwar gefragt, denn es sind große homogene Partien von sehr guter Qualität, aber es sieht keiner mehr, woher sie kommen. Ich habe auch mal versucht, den Handel außen vorzulassen und habe einen Kunden direkt angerufen, einen Großbäcker, der auch Bio-Fladen­brote produziert und dafür einen Anteil ökologisch produzierten Roggen nutzt. Der hatte gar kein Interesse, mit mir zu sprechen, weil der Handel für ihn ein zuverlässiger Partner ist, der bündeln kann, der finanzieren kann. Das kann ich nicht. Wir versuchen es weiter an der einen oder anderen Stelle. Aber es fehlen die übergreifenden Strukturen, es mangelt an einer entsprechenden Standort- und Wirtschaftspolitik, an besserer Standort- und Wirtschaftsförderung.
Berlin sagt immer, Brandenburg kann für seinen Bedarf nicht genug produzieren, wir wollen mehr regionale Produkte. Ich schlage dem Wirtschaftssenator deshalb vor, dann macht doch nicht nur Standortförderung für digitale Start-ups, sondern auch für eine regionale Molkerei, einen Schlachthof. Sechs Millionen Menschen leben in Berlin und Brandenburg und wir haben keine wirklich große Molkerei. Wir haben großartige Verarbeiter jedoch nur in Münchehofe, Angermünde, Brodowin, Prenzlau und Elsterwerda, aber mit Blick auf den Bedarf von sechs Millionen Menschen liegt deren Produktion im niedrigen Prozentbereich. Wir haben auch keinen großen Schlachthof mehr in Brandenburg. Perleberg ist die einzige Ausnahme. Wir haben mit einem großen Brandenburger Wursthersteller gesprochen, die verarbeiten aber dort nur noch Teilstücke. Und Teilstücke heißt, sie brauchen zum Beispiel Schweine­leber, Bauch, Schale und nicht das ganze Schwein. Wenn ich dann keinen Partner finde, der mir das Schwein schlachtet, portioniert und vor allem die Herkunft kennzeichnet, wie soll das dann mit dem Nachweis der Regionalität funktionieren? Und vor dem Hintergrund, dass wir nur noch einen Tierbesatz von gerade einmal 0,4 Großvieheinheiten im Land pro Hektar haben, andere Regionen das Fünf- bis Zehnfache an Tieren aufweisen und aus einem größeren Fundus ziehen können. Wir können deshalb manche Nachfrage gar nicht bedienen, weil wir nicht die Masse an Teilstücken regional liefern können, die aufgerufen werden in den Verarbeitungsbetrieben vor allem mit Supermarktzugang. Dann sagt der Handel aber, das kann ich nicht mehr als regionales Produkt, zum Beispiel aus dem Oderland, vermarkten, da ist zu viel Fleisch aus anderen Regionen drin.
Die Gesellschaft sollte auch einmal ehrlich bewerten, was wir in den letzten Jahrzehnten im Rahmen des Naturschutzes gemacht und geleistet haben. Es wurden Naturschutzgebiete ausgewiesen, Landschaftsschutzgebiete, Vogelschutzgebiete, Schutzgebiete nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU, kurz FFH-Gebiete, Managementpläne wurden erstellt, Kernzonen eingerichtet. Das lese ich auf der einen Seite, auf der anderen Seite steht: Verlust der Artenvielfalt, bedrohte Arten, Bienensterben, Nitrat im Grundwasser. Vielleicht sollten wir mal hinterfragen, warum wir dies alles machen, wenn es am Ende des Tages so wenig bringt oder gar nicht geholfen hat. Die meisten sagen, die Landwirte sind der störende Einfluss, verantwortlich für den Artenverlust. Da wird nicht räumlich quantifiziert und qualifiziert, sondern es wird schnell geurteilt. Ich sage aber: Die Kulturlandschaft wie wir sie heute in Märkisch-Oderland sehen, haben wir als Landwirte in den letzten 30 Jahren positiv durch unsere Bewirtschaftung beeinflusst. Der Ausgangspunkt für unser Handeln war eine wesentlich intensivere Landwirtschaft hier in der Region. Ich würde aber auch behaupten, die Landschaft hätte sich genauso entwickelt, ob nun mit oder ohne die vielen Schutzgebiete. Aber mir sitzt eine Administration gegenüber, die pauschal und nicht differenziert standortbezogen vorgibt, was du zu machen und einzuhalten hast.
Bei uns hat sich alles wieder angesiedelt, der Biber, der Kranich, die Störche, der Milan, der Seeadler, Hasen, der Wolf – was willst du mehr. Und ich bin immer wieder überrascht, was man bei Kartierungen für Projekte wieder für Arten findet, von den bekannten Zauneidechsen angefangen. Den großen Arten­verlust kann ich als Laie in meinem Umfeld so nicht feststellen. Aber wahrscheinlich ist das auch alles relativ, wenn ich in die intensiv bewirtschaftete Börde schaue oder nach Niedersachsen, mag das alles anders sein. Die einen sagen, Landwirt, du musst Hecken anlegen und kleinteiliger werden, andere wiederum meinen, die großen Schläge sind bessere Rückzugsgebiete für einige Tierarten.
Eine große Niederlage als Vertreter der Landwirte war, dass wir nicht verhindern konnten, dass Gebiete und Regionen überrollt wurden mit überzogenen Naturschutzregelungen. Unsere Unwissenheit in den ersten Jahren nach der Wende wurde leider ausgenutzt. Am Anfang hat man uns Landwirte angefüttert mit Ausgleichszahlungen für Naturschutzleistungen, mit denen wir jetzt allein gelassen werden. Die Bewirtschaftung des Odervorlandes zum Beispiel, oder die Ausweisung von Tausenden Hektar Vogelschutzgebieten im Oderbruch, da hat man uns gelockt mit Finanzierungen, die man dann hat einschlafen lassen. Und jetzt kommen Landwirte zu mir, die Tausende Gänse auf dem Acker haben und mit den Problemen allein dastehen. Da ist keiner mehr an deiner Seite. Und hören will es auch keiner. Ich musste in den Medien die Reizwörter Stickstoff und Nitrat nutzen, die heute in aller Munde sind, damit überhaupt einer das Problem wahrnimmt. Der Vogelkot ist an sich nicht das Problem, die Konzentration auf der Fläche ist es. Wenn ich dem Landwirt immer engere Fenster für die Düngerausbringung gebe – bis in den Promille­bereich hinein – wird die Bedeutung solcher Faktoren wie Gänseschwärme und deren Kot immer größer. Die neue Düngeverordnung ist hier sehr komplex und zum Teil widersprüchlich. Ich weiß gar nicht, wie ich das einem Laien erklären soll: Gülle und Mist, natürliche Produkte aus der Tierhaltung, werden derzeit als die Schande des Landwirts gesehen. Der Landwirt reagiert und sagt, wenn Gülle und Mist in der mengenmäßigen und zeitlich richtigen Aus­bringung so schwer werden in der praktischen Handhabung, dann greife ich auf mineralischen Dünger zurück. Ich ersetze organischen durch mineralischen Dünger, Natur durch Chemie. Ein organischer Dünger verändert sich, der ist nicht jeden Tag gleich, und die Toleranz der Wirkung ist auch gegeben. Wenn ich aber immer zielgenauer arbeiten muss, nehme ich den mineralischen Dünger mit verbrieften Inhaltstoffen. Und was passiert: Partnerschaften zerbrechen zwischen Betrieben, in denen ein Ackerbauer den organischen Dünger eines Tierhalters abgenommen hat. Die Angst, Fehler zu machen, ist viel zu groß, die angedrohten Strafen sind so hoch, dass der Preis für organischen Dünger eine untergeordnete Rolle spielt. Ein Irrsinn. Ich sehe, wie in der neuen Verordnung die nächsten Fehlentwicklungen aufgemacht werden und komme nicht gegen an. Das ist doch schlimm. Darum habe ich das in den Zusammenhang mit den Zugvögeln gestellt, denn hier haben wir es auf den Punkt, unkontrolliert und ungesteuert und oberflächengewässernah kommt Naturdünger auf die gleiche Fläche, auf der der Landwirt das alles nicht machen soll. Und dass die Gänse seine Saat zertrampeln, kommt noch dazu. Gesagt wurde aber vorher, ist ja nur ein Vogel­schutzgebiet, dass wir hier ausweisen, da passiert doch nichts. Und wenn der Landwirt die Gänse nun verscheucht und seine Saat schützt, kriegt er es mit der Naturschutzbehörde zu tun – und hat das Problem doch nur verschoben auf die nächste Kultur oder zum Nachbarn. In den Oderwiesen scheint es den Gänsen jedenfalls nicht so gut zu schmecken wie die Saat auf dem Acker oder der Mais des Vorjahres.
Wenn wir in einer Kulturlandschaft leben, die einen Eiweißüberschuss hat, und jede Kulturlandschaft hat den. Wenn wir denken, hier machen wir unsere Kulturen und der Rest reguliert sich schon von selbst, obwohl wir den Tisch für viele Tiere, Biber, Wildschweine, Rehe, Wolf etc. reich gedeckt haben, geht das nicht. Auf der eine Seite wilde Natur und auf der anderen Kultur: Ohne Regulierungen, zum Beispiel durch die Jagd, geht das nicht. Wie können wir diese Zusammenhänge vermitteln? Das ist für mich die größte Enttäuschung, dass wir hier keine Lösungen gefunden und die Spannungen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz sich verstärkt haben. Es gibt zu viele Zielkonflikte. Beim Biber haben wir es durch. Dem Landwirt wird gesagt, du musst Bäume auszäunen, als Landschaftselemente vor dem Verbiss durch deine Weiderinder schützen. Nun kommt der Biber und legt sie um. Eine geschützte Tierart macht Pflanzen kaputt, für deren Schutz der Landwirt sorgen sollte. Und nun fehlt auch noch die Beschattung für die Tiere auf der Weide und das Gewässer, in dem die Fotosynthese nun ungehindert abgeht, verkrautet, was die Gewässerunterhaltung teurer macht, die durch die Staue und Baue der Biber ohnehin viel aufwendiger geworden ist. Vielleicht kommen wir ja irgendwann mal dahin, bestimmte landwirtschaftliche Grundproduktionsweisen, wie Weidehaltung, unter Schutz zu stellen, weil der Naturschutz es anders nicht hinbekommt.
Landwirt zu sein, heißt, Herausforderungen zu meistern. Jeden Tag, Woche für Woche, Monat für Monat und Jahr für Jahr. Viele Aufgaben stehen vor uns: Nachhaltigkeit, Klima-, Verbraucher- und Tierschutz, Ressourceneffizienz. Aber, und da bin ich wieder zuversichtlich, wir Bauern sind nicht das Problem. Wir sind immer Bestandteil der Lösung.

Aus: Landwirtschaft – Berichte zum Thema Landwirtschaft im Oderbruch mit Beiträgen u.a. von K. Anders, L. Fischer, A. Undisz, T. Veihelmann und G. Weichardt sowie mit Fotografien von Stefan Schick und Ulrich Seifert-Stühr. Werkstattbuch 3, Aufland Verlag 2018