Die Weide als Brotbaum des Oderbruchs

Brennholz, Korb und Oderlix

Ein Randthema in Zollbrücke, 6.Mai 2010

Ob als gepflegte Kopfweide oder als wilder Strauch in der Weichholzaue – die Weide ist der typische Baum dieser Landschaft. Vielen Menschen half sie beim Überleben, sie ist eine Wunderpflanze: produktiv, schön und nützlich. Wie sieht ihre Zukunft aus? Können wir diese heimische Ressource nutzen und welche Erfahrungen machen die Menschen, die mit ihr arbeiten? Wie sieht es um die Zukunft des Korbflechterhandwerks aus, wie kann man mit ihr heizen, welche technologischen Eigenschaften hat sie? Was bedeutet die Weide in Mythologie und Dichtung und welche Rolle kommt ihr in der Landschaftspflege zu? Der Abend stellt alte und neue Wege vor, die Weide als Brotbaum des Oderbruchs wieder zu entdecken.

Mitwirkende: Dr. Kenneth Anders, Lars Fischer und Almut Undisz (Büro für Landschaftskommunikation), Gudrun Anders (Gesang), Jens-Uwe Bogadtke (Lesung), Thea Müller (Korbmacherei Buschdorf), Udo Muszynski (Korbflechter, Eberswalde), Patrick Thur (HNE Eberswalde), Martin Rätz (Weidenflöte), Toralf Schiwietz (LPV Mittlere Oder), Dr. Gerald Schrödl (Institut für Landschaftsplanung und Gehölzbegutachtung), Prof. Dr.-Ing. Ulrich Schwarz (HNE Eberswalde), Stefanie Silbermann (Produkt-Design KH Berlin) , Korbflechterei Schulz, Neuenhagen, Sven Wallrath (Lichtinstallation) u.a.

Weidenabend
Weidenabend
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Parallel zeigten Künstler aus dem Oderbruch Arbeiten, in denen die Weiden Gegenstand sind: Stefan Schick, Stefan Hessheimer, Sophie Natuschke, Kathrin Heinrich, Heidi Köhler, Antje Scholz, Victor Baselly. Auch zwei Arbeiten aus der AG Bildende Kunst der Grundschule Neutrebbin waren dabei.

 


Brennholzszene

Wir wissen auch nicht, wo wir künftig unser Holz zur höchstnötigen Feuerung hernehmen sollen, da alles abgehauen ist…
(1755, Fischer von Altkietz)

WeidenabendJens-Uwe Bogadtke

Jens-Uwe Bogadtke

Mensch, kalt isset, meine Fresse, obwohl wa schon Mai ham. Ick wer man do no wat ufflejen. Der Winta war janz schön frostich jewesn, aba irjendwie hat dit Brennholz do jereicht. Ick hab imma no ´n Biz im Schuppen liejen. Dabei vasteh ick dit ja ni, dieset Jahr war ´t ja bloß Weide jewesn, wat ick jehabt hab. Sonst ha´ick imma no wat von de Höhn jekricht, Buche oda Eiche, dit brennt ja bessa, vor allm länga, dit hat n viel höheren Brennwert, wie die Fachleute saren.

Dit jute Hartholz hat mir also der Förster immer holn lassen, wenn ick wollte, fürn Entgelt, jewissamaßn. Aba vorletztet Jahr sin die Brennholzpreise jeradezu explodiert, dit konnt ick mir ni mehr leistn, zumal o no der Trecka von meim Nachbarn ni so janz in Ordnung war und von den Höhen bis hier int Bruch runta is ja n janzet Ende.

Pass uff, sarick zu meim Nachbar, dit macht janüscht, sarick, wir ham die janzn Jahre och imma mit Weide zujeheizt, mit Weichholz. Da drüben sin die olln Koppweiden, die müssn eh ma jeschnittn wern, sarick, bis da rüba schafft et dein Trecka uff alle Fälle no. Ick fahr rüber zu Wörpel und lass die Kettensäje scharf machen und denn jet et los, die ham wa ratz-batz jestutzt und da kommt janz schön wat zusamm, sarick.

Na dit reicht do nie für uns beede, sachta. Die paar Strunkse da ohm dranne!

Wart ma ab, sarick, staun wirste, wie viel dit is. Und denn uff een Sonnahmd sin wa los und ham die Weiden jeköppt. Für de Kettnseje wart ja keen Problem jewesn, die is da durch wie in Butta, mit die Weidenäste macht sich dit eigntlich bessa als wenn de ´n dicken Eichenstamm nehm tust. Und am Ahmd hattn wir beede de Schuppens voll mit die Weide bis untat Dach, so viel Holz war da no nie drinne jewesn. Jut Ablagern, kleen jenuch war et schon. Brauchste och mehr davon, dit schon, na klar, aba jereicht hat et, frach mein‘ Nachbarn! Und et wächst o schnell wieda nach, dit is Wahnsinn, wie schnell dit jeht. Da kannste bei andre Bäume länga wartn.

Na watn? Die Weide jehört nu ma int Odabruch wie andaswo die Kiefa, die hier ja nüscht zu suchen hat. Wenn ick dit sehe, die Leute, wie se ihre Konifern in Jattn setzen, dit passt do ja ni hier hin! Na jut, n paar kleene Fichtn hab ick mir o da hintn hinjesetzt, bei de Hühnas. Aba n Nadelboom kannste o ni köppn, oda bloß een mal, denn is Sense, da wird nüscht jescheitet draus. Dit is do dit Spezielle bei die Weide, damit et imma wieda nachwachsn tut und sojar richtich schön aussieht.

Und denn weeß man am Ende ja ni mehr, wie alt die Bäume eigntlich sin, mir kommt et manchma so vor, als wenn die, die no da sin, no de Zeit vorm altn Fritzn erlebt ham. Wie dit früha ausjesehn ham muss im Bruch, als dit no rejelmeeßich übaschwemmt war, allet volla Weidn, die janze Landschaft. Aba dit meiste warn, gloob ick, Sträucha. Imposant wart bestimmt trotzdem jewesn, so dichte und vaschlungen und man wusste bestimmt ja ni, wo een Baum oda Strauch uffhört und wo der andre anfang´ tut. Und man wusste o ni, wo eijentlich Land und wo Wassa war, weil die Weiden da eijentlich keene Orientierung jehm. Die haltn ja dit Wassa aus wie och dit Land, solange dit Grundwassa ni weg is. 

In meim Jattn jibt et o ´n paar Weiden, die sin no von meim Großvata her, die hatta seinazeit für Zaunpfähle einjeschlaren und denn ham se ausjetriem. Die behalt ick o, obwohl mir letzten Herbst balde eene uffn Schuppn jekracht is, da hatt ick ma grade no Glück jehabt, sonst wär dit janze Wellasbest futsch jewesn. Aba eene von die Weidn is mir die liebste, die is hintn inne Ecke von meim Jattn, da war nämlich in meine Kindheit imma der Schafbock anjekettet jewesn. Und die Kette is och imma dranjebliem. Und denn isse injewachsn und heute kiekt bloß no der Eisenring raus, aus de Rinde. Da sarick imma zu meine Frau, pass uff, sarick, wenn wir ma int Gras beißn, denn is der Ring och no einjewachsn und nüscht erinnert mehr dran.

So, denn wer ick ma, brenn` tut et ja jetze. Dit is och jut, bei die Weiden, damit se schnell anjehn. Deswejen hat man se och früha jerne jenutzt für de Backöfen, rin mit die Scheite, een Kien ranjehalten und wuff, allet brannte wie Zunda.

Kann ja von Euch nachher ma eena die Klappe zumachen, wa? Oda wisst ihr jani mehr, wie dit jehn tut, wa? Mensch, n Ofen muss man do feuan könn´!

(Text: Kenneth Anders)

 


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Weidenpfeifen – wie werden sie gemacht und gespielt?

Wie man eine Weidenpfeife baut und spielt, erklärte der Komponist Martin Rätz. Der Altwriezener baut selbst Instrumente und hat ein besonderes Interesse für alte und elementare Musizierweisen. Die Weidenpfeife war früher in allen Landschaften eine Selbstverständlichkeit.

Mit Gudrun Anders trug Rätz ein finnisches Weidenlied vor. Das Klopfen im zweiten Teil gibt nicht nur den Rhythmus vor – es ist auch nötig, um den Bast vom Weidenholz zu lösen.

Musiktitel anhören Lied hören: Finnisches Weidenlied

Bauanleitung für eine kleine Weidenflöte
Von Martin Rätz

Was braucht man, um eine Weidenflöte herzustellen? Man braucht erstens ein Stück fingerdickes Weidenholz, einfach abgeschnitten von einer der vielen Sorten, ich glaube, die gehen fast alle zum Weidenflötenmachen. Es muss aber im Frühling sein, wenn die Weiden im Saft stehen. Des Weiteren braucht man ein scharfes Messer, mein Taschenmesser, das ich immer bei mir trage. Mit diesem Taschenmesser schneide ich mir also einen passenden Zweig zurecht.
Der erste Akt ist, dass ich ein Bodenstück abringele, das ich später als Griff für das Abziehen des Bastes benutze. Dann mache ich eine Kerbe für ein Labium, in dem später die Töne entstehen sollen. Dieses Labium entsteht durch einen senkrechten Schnitt und einen seitlichen Schnitt und schon habe ich das Mundstück einer Flöte.
So, nun kann ich hier noch nicht hinein pfeifen und es kommt auch nichts dabei heraus. Das Entscheidende ist jetzt das Klopfen der Weidenflöte. Man nimmt dazu die Schale des Taschenmessers oder ein Klopfholz. Damit fange ich jetzt an die Weide weich zu klopfen, damit sich der Bast vom Holz löst.

Dieser alte Brauch ist schon immer musikalisch begleitet worden.
Zum Beispiel:
Saft, Saft, Seide,
Holler Erl und Weide,
Süpp, sapp Säge,
ich mach mir eine Flöte.
Ei mein liebes Pfeifchen,
Tü tü tü tü tüüü,
Tü tü tü tü tüüü.

Mit Gefühl, damit es nicht einreißt, wird das Holz aus dem Bast herausgezogen. Es ist eine Röhre entstanden.
Der nächste Schritt wäre jetzt oben ein Stück vom geschälten Weidenholz abzuschneiden und eine Labiumkante hinein zu machen. Dazu wird das abgeschnittene Stück am Rand entgratet und dann ein kleines Stück vom Rundholz der Länge nach abgespalten. Jetzt wird das Holzstück mit der abgespaltenen, flachen Seite wieder in die Röhre eingesetzt. So, dass der Spalt zum eingeschnittenen Labium weist, wo die Luft austritt und der Ton entsteht. Fertig ist das Mundstück und der Flöte lässt sich ein Ton entlocken.
Glättet man nun auch das übrig gebliebene längere Holzstück, so dass es sich in der Röhre aus Bast hin und her schieben lässt, und setzt es wieder ein, lassen sich die Flötentöne in der Höhe verändern.
Fertig ist die Weidenflöte.


(leicht bearbeitete und ergänzte Transkription der mündlich vorgetragenen Anleitung von Lars Fischer)

 


Weidenabend

Die Weide als Gehölz

Dr. Gerald Schrödl vom Institut für Landschaftsplanung und Gehölzbegutachtung beschrieb die große Vielfalt an Weidenbäumen und Sträuchern und ging auf die bei uns heimischen Arten ein. Dabei erläuterte er auch die traditionelle Bedeutung der Weide in der Landnutzung. Als Schattenspender an den Viehweiden machte die Weide selbst allzu feuchte Standorte nutzbar und auch als langer und leichter Forkenstiel war sie sehr beliebt.

 


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Die Materialeigenschaften von Weidenholz

Prof. Ulrich Schwarz, der sich an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) im Fachbereich Holztechnik mit der Gestaltung, Konstruktion und Herstellung von Produkten aus Holz beschäftigt, beschrieb die Materialeingenschaften des Weidenholzes. Das weiche und leichte Holz ist von gleichmäßiger Struktur, im Vergleich zu anderen Baumarten wenig dauerhaft und witterungsbeständig, dafür aber biegsam und zäh. Als Werkholz ist es heute kaum mehr von Bedeutung und harrt seiner Wiederentdeckung.

Über den Wert von Weiden

Die große Artenvielfalt im „ökologischen Windschatten“ der Weiden beschrieb Toralf Schiwietz vom Landschaftspflegverband mittlere Oder. Zudem machte er die landschaftsästhetische Bedeutung der Weiden für das Oderbruch mit zahlreichen Bildern greifbar.

Weiden bieten großen Reichtum, stetes Wachstum, enormen Umsatz und eine breite Produktpalette.

Reichtum
Spezialisten erhalten oft einen Namen,
folgende Arten sind auf Weiden spezialisiert:
Weiden-Tintling, Weiden-Rotkappe,
Weidenknospenmotte,
Weidenblatteule,Weidenkahneule,
Weiden-Herbsteule, Weidengelbeule,
Weidenkarmin, Weidenglucke,
Weiden-Sichelspinner, Weidenbohrer,
Mittlerer Weidenschwärmer,
Kleiner Weidenschwärmer, Weidenblattwespe,
Braungelbe Weidenblattwespe,
Weidenknopfhornblattwespe,
Weidenrutengallmücke, Weidenrosengallmücke,
Weidenholzgallmücke, Weidenkätzchenfliegen,
Weidenrindenlaus,
Weidenschaumzikade, Weidenjungfer,
Gelber Weidenblattkäfer,
Kleiner Weidenblattkäfer, Rothalsiger Weidenbock,
Weidenböckchen, Weidenmeise,
Weidenlaubsänger (vielen auch als Zilpzalp bekannt).

Hier war jemand aktiv – er könnte „Weiden“-Biber heißen. Er ist Pflanzenfresser und kann den Winter nur überleben, wenn er Weidenrinde als Nahrungsquelle hat. Hierfür legt er ein Nahrungsfloß aus Weidenästen vor seinem Bau im Wasser an.

An, in und von Weiden leben noch viele weitere Tierarten – insbesondere Insekten, u.a. 132 Schmetterlingsarten, 78 Wildbienenarten und über 100 Käferarten. Allein an Silberweide wurden 40 Insektenarten je Baum und 39 Individuen auf 1 Meter Zweiglänge nachgewiesen (Hacker 1999). Mit Räubern und Parasiten profitieren über 1000 Tierarten von Weiden.
Welch ein Reichtum durch Artenvielfalt!

Wachstum und Umsatz
Mit einem Keimling oder
einer Setzstange fängt es an.
Sie werden schon bald
ein Baum – von Beginn
an mit enormem Lebenswillen.

Pilze und Tiere …
… bohren, nagen, picken sich in Rinde, Holz und Blätter,
… fressen Rinde, Blätter, Pollen, Nektar, Samen, Mulm
… leben in, auf, von und durch Weiden.

Innerhalb von für Gehölze wenigen Jahren werden Weiden
nach 50 – 70 Jahren zu stattlichen, reifen Bäumen und
Sträuchern. Der regelmäßige, fachgerechte Schnitt von Kopfweiden
bewirkt hier einen noch schnelleren Prozess, so dass eine Kopfweide
schon bald Mulm und Lebensraum für Raritäten wie den Eremiten bietet.
Ein Wald aus Weiden ist eine Weichholzaue, ein Urwald.

Die Weichholzaue zeichnet sich aus durch das Nebeneinander von schnellem Wachstum und Zerfall, sie ist europaweit bedeutender Lebensraum, prioritärer Lebensraumtyp im europäischen Schutzgebietsnetz Natura 2000.

Im Odervorland wird dies zusätzlich gefördert durch jährliche Hochwasser, hier kommt den Weiden ihre Überflutungsverträglichkeit (über 3 Monate) zu gute.

Weidenabend

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Zur Bedeutung der Weiden für Umsatz und Wachstum im Jahresverlauf sei auf Honigbienen und Wildbienen Bezug genommen: Bienen benötigen Nektar (Kohlenhydrate) und Pollen (Eiweiß). Weiden blühen bereits ab März. Salweide, Korbweide und Silberweide lösen einander in der Blüte ab und bieten den Bienen ein sogenanntes „Weidenfließband“ (Droege et al. 1984) bis Löwenzahn und Obstbäume blühen. Weiden sind für Imker das „Brot der Bienen“ (ebenda).

Weidenabend

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Die schnelle Reife von Weiden ist besonders für Tiere von enormer Bedeutung.
Die Larven von Moschusbock und Eremit (bei Käfern: Engerlinge) leben bis zu 4 Jahre in einem wassereimer-großen Mulm-Körper von alten (Kopf-)Weiden.
Nach der Umwandlung in die stattlichen und faszinierenden Käfer verbleiben ihnen nur ein paar Wochen für Partnersuche und Vermehrung.

Es ist auch mal von Vorteil schnell alt und reif zu werden, lang alt zu sein!

Produkt-Vielfalt
Das Weiden-Portfolio unserer Kulturlandschaft Oderbruch bietet Einzelbäume, … Baumreihen … Alleen – hier die am häufigsten
fotografierte Kopfweiden-Allee zwischen Sophiental und Kienitz.

Weidenabend

Durch ihr Design wirken Weiden auch im Winter anziehend,.…

Weidenabend

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… ist jeder Baum ein Unikat, für manchen ein Kunstwerk. Somit kann eine ganze Landschaft ein Kunstwerk sein.

Pflanzt, setzt, pflegt, duldet
Bruchweiden, Grauweiden, Ohr-Weiden, Sal-Weiden, Korb-Weiden, Silberweiden,
sowohl ihre weiblichen als auch männlichen Exemplare.

Denn Weiden können für uns Menschen „Gold“ wert sein!


Toralf Schiwietz & Thomas Förder, LPV Mittlere Oder e.V.; Lindenstr. 7; D-15230 Frankfurt (Oder)
Fotos: Brunkow, Dr. Schrödl, Schiwietz.

Quellen: Droege, G. et al. (1984): Das Imkerbuch. VEB Deutscher Landwirtschaftsverlag, Berlin.
Hacker, H. (1999): Die Insektenwelt von Weiden. In: LFW: Berichte aus der Bayrischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. Nr. 24. S. 25-27)

<<< Kopfweidenpflege. Ein Beitrag von Toralf Schiwietz, (2009)


Neue Wege für ein altes Handwerk

Einige Sätze über ein kurzes Gespräch mit Thea Müller, Bodo Schulz und Udo Muszynski; drei Korbmacher, die unterschiedliche Wege eingeschlagen haben und deren amtliche Berufsbezeichnung heute Flechtwerkgestalter lautet.

Die Korbmachermeisterin Thea Müller aus Buschdorf in der Gemeinde Zechin ist eine der Letzten, die im Oderbruch Weidenruten schneiden, schälen und zu Körben flechten. Das einst in fast jedem Dorf im Bruch anzutreffende Handwerk der Korbmacherei, so ihre Einschätzung, wird in einigen Jahren ausgestorben sein. Lehrlinge finden sich nicht mehr, die wenigen noch aktiven alten Meister werden wohl sterben, ohne ihr Wissen weitergeben zu können und der Markt für traditionelle Korbwaren ist nicht nur im Oderbruch, sondern in ganz Ostdeutschland seit nunmehr 20 Jahren fast zum Erliegen gekommen. Es gibt keine industriellen Verfahren zum Flechten von Körben, Wäschetruhen oder Holzkiepen, jeder Korb muss von Hand gefertigt werden. Und diese Handarbeit hat eben ihren Preis, den zu Wenige zu zahlen bereit sind – da greifen viele lieber auf Angebote aus Billigländern zurück, so sie überhaupt noch einen Weidenkorb erstehen wollen.

Wie reichhaltig die Produktpalette der Korbmacher war, erläuterte Frau Müller an Hand einiger Exponate, die sie aus der Sammlung ihres privaten Korbmachermuseums, dass sie in der alten Dorfschule in Buschdorf betreibt, mit ins Theater am Rand gebracht hatte. Vom großen Wäschekorb und der robusten Kiepe über verschiedene Schalen aus geschälter wie ungeschälter Weide bis hin zu Spielzeugkinderwagen und Wandschmuck reichte die Auswahl und konnte dennoch nur einen kleinen Ausschnitt dessen vermitteln, was das Korbmacherhandwerk zu leisten vermochte.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Korbmacherei war bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts enorm. Ganz zu schweigen davon, das Körbe zum Sammeln von Früchten und Kräutern unbestritten zu den ältesten Gebrauchsgegenständen der Menschheit gehören, waren nicht nur die Haushalte in Stand und Land im Alltag auf Korbmacherwaren angewiesen. Die Reusen der Fischer waren lange aus Weide geflochten, die Landwirtschaft benötigte Körbe, selbst das Militär transportierte bis zum zweiten Weltkrieg seine Granaten in schützendem Weidengeflecht. Und im Möbelbau der Jahrhundertwende war auf die Fertigkeiten der Korbmacher kaum zu verzichten. Um den Bedarf an Korbweide für die gewerbliche Produktion von Korbwaren im Deutschen Reich zu decken, wurden gezielt Weiden angebaut, vor allem in Ostpreußen, aber auch im Oderbruch.

Nach und nach erst verdrängten Draht und Kunststoffe Weidenrute und Rohr.

Anders als in der Überflussgesellschaft des Westens spielte das Korbmacherhandwerk in der Mangelwirtschaft Ostdeutschlands noch bis 1990 eine wichtige Rolle in der so genannten Konsumgüterproduktion. Nach klaren Vorgaben der staatlichen Plankommission wurden wagonweise Tabletts, Körbe, Teppichklopfer etc. produziert. Meist fertigten die Werkstätten oder Betriebe wie „Falke Korbwaren“ in Falkenberg nur wenige Produkte, diese aber dann massenweise und im Akkord. Solche Produktionsverhältnisse waren zwar ermüdend und ließen den Handwerkern wenig Raum für Kreativität, so Frau Müller, aber verdienen konnte man recht gut.

Der Einzug der Marktwirtschaft und die abrupt einsetzende Globalisierung läutete das Ende der traditionellen Korbmacherei in Ostdeutschland und damit auch im Oderbruch ein. Wer als Korbmacher bestehen wollte, musste seinen Betrieb radikal neu ausrichten und eine Nische im Möbelbau oder im Kunsthandwerk finden. Bodo Schulz und seine Frau, die eine Korbmacherwerkstatt in Neuenhagen betreiben, gingen diesen Schritt und haben sich mit der Anfertigung von hochwertigen Korbmöbeln nach Kundenwunsch bis heute behauptet. Neben einem Lehnstuhl aus Weide hatte Korbmachermeister Schulz auch ein anderes Produkt seiner Werkstatt mit ins Theater gebracht: Einen schlichten massiven Holzrahmen mit hellem Geflecht aus geschälter Weide. Dieser Rahmen ist Teil eines modernen, sehr sachlich gehaltenen Teehäuschens, das in Zusammenarbeit mit einem Holzbauer und einem Architekten für eine Villa in der Schweiz entworfen wurde. Die Zukunft der Korbmacherei in Deutschland geht in diese Richtung, weg vom Alltagsgegenstand hin zum Design- und Kunstobjekt oder zum schmückenden Flechtwerk. Viele Kollegen in den neuen Bundesländern bezeichnen ihre Werkstatt denn auch konsequenter Weise heute als Studio und sich selbst als Kunsthandwerker, erzählt Innungsmeister Schulz. Der Verlust der Tradition spiegele sich auch in der Berufsbezeichnung Flechtwerkgestalter wider, unter der die Handelskammer die Korbmacher heutzutage führt.

Für Udo Muszynski aus Eberswalde, der die Korbmacherei in den 80er Jahren für sich entdeckte, aber Anfang der 90er Jahr wieder aufgab, um sich als Veranstalter für Jazz-Konzerte selbstständig zu machen, war es gerade die Mischung von handwerklicher Tradition und künstlerischer Arbeit, die ihn und einen Freund für die Korbmacherei einnahmen. Sie waren in der DDR auf der Suche nach einem weitestgehend selbstbestimmten Leben. Da lag es nahe, sich einem Handwerk zuzuwenden, dessen materielle Voraussetzungen nahezu überall gesichert werden können: Weiden wachsen fast überall und die nötigen Werkzeuge wie Stechpfriemen, Schlageisen, Ausputzmesser und Weidenspalter- und schäler sind überschaubar.  Nicht ohne Grund war die Korbmacherei früher auch ein klassischer Noterwerbszweig und gehörte der Korbhausierer ins Bild des Landlebens.

Muszynski und sein Freund, der heute in Dänemark als Künstler Flechtwerke aus unterschiedlichsten Materialien gestaltet, erlernten das Handwerk bei Meistern in Thüringen und ließen sich dann im Barnim nieder. Die Korbmacherei versuchten sie bewusst zu reduzieren, flochten einfache Körbe aus ungeschälten Weiden. Durch Zufall konnten sie auf Versuchsanbauten von verschiedenfarbigen Weidenarten zurückgreifen, die der Forstbotanische Garten in Eberswalde angelegt hatte. Die mehrfarbigen Körbe fanden nicht nur ihren Absatz auf Märkten fast von allein, sie eröffneten Gestaltungsspielräume zum Künstlerischen hin. Sie zu nutzen war für die beiden Korbmacher, die sich der bewusst der planwirtschaftlichen Produktion entzogen, folgerichtig und führte früh vom Handwerk zur Kunst.

Ob ein solcher Umgang mit dem Handwerk des Korbmachers auch heute möglich wäre? Die entscheidende Frage ist, ob es Kunden gibt, die einen Mindestabsatz sichern und so die Subsistenz des Handwerkers gewährleisten. Das jedoch, so zeigte das Gespräch, scheint mehr als fraglich.

(Text: Lars Fischer)

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Kurzumtriebshecken an Gewässern: Ein neuer Weg in derEnergieholzgewinnung und ein Beitrag zur Regionalentwicklung im Oderbruch?

 
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Patrick Thur von der HNE Eberswalde untersuchte die Chancen und Risiken bei der Anlage von Kurzumtriebshecken aus Weiden im Oderbruch.

Seine Ergebnisse stellt er in einem gesonderten Beitrag vor:

<<< Kurzumtriebshecken an Gewässern: Ein neuer Weg in der
Energieholzgewinnung und ein Beitrag zur Regionalentwicklung im Oderbruch?

 


 
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Öffentliche und fiktive Verhandlung
vor dem Tribunal zur Schaffung moderner Landschaften,
finanziert durch das Förderprogramm GLOBAL FIT LAND,
Verhandlungssache Oderbruch

Kläger:  Interessengemeinschaft „Koniferus“, vertreten durch das Anwaltsbüro „Immergrün“
Angeklagte: die Silberweide (salix alba) und ihre unzähligen Verwandten
Verteidigung: Interessengemeinschaft „Weeping Willow“, vertreten durch das Anwaltsbüro „Wurzelwerk“.

Anklagepunkt 1: Die Weide macht depressiv

Anklage: Sehr geehrte Damen und Herren! Die Weide hat nun über viele Jahrtausende das Schicksal dieser Landschaft nachteilig bestimmt. Die sogenannten Weichholzauen gehören nun endlich, da der Mensch sich dieses Land untertan gemacht hat, weitgehend der Vergangenheit an. Dies ist ein großer Fortschritt, denn man könnte salopp formulieren, dass sich die Weide nicht entscheiden kann, ob sie eigentlich zum Wasser oder zum Land gehört. Diese Unentschiedenheit hat äußerst nachteilige Wirkungen auf den menschlichen Geist. Mit Günter Eich lässt sich, solange die Weide hier herrscht, über das Oderbruch sagen:
Das Vollkommene gedeiht nicht, hier bändigt keiner zu edlem Maß das Ungebärdige, und das Dunkle ist wie Vor der Schöpfung ungeschieden vom Hellen.
In unserer heutigen Zeit brauchen wir Klarheit in der Landschaft, für Verschlungenes sind die Medien zuständig. Wir schlagen deshalb vor, die verbleibenden Weiden zu roden und sie durch freundliche und in den deutschen Gärten beliebte Gehölze wie Krüppelkiefern, blaue Scheinzypressen und Rhododendronbüsche zu ersetzen!

Verteidigung: Ist ihnen überhaupt die Vielfalt bewusst, die wir mit den Weiden in unserer heimischen Pflanzenwelt finden? Bruchweide, Silberweide, Purpur-Weide, Korbweide, Palmweide, hunderte Weidenarten – und sie wollen Rhododendron pflanzen! Diese Büsche nennt man hier bei uns spöttisch Sachsentannen!

Anklage: Wenigstens verbreiten sie keine düsteren Stimmungen! Die Weide ist ein Baum, der trotz seiner lichtgrünen Blätter immer traurig wirkt. Seine biegsamen Zweige neigen sich der Erde zu und bei der Trauerweide hängen die Zweige bis auf den Boden, sodass sie von weitem wie ein Vorhang aus Tränen wirken. So eine Tristesse wollen wir hier in der Gegend nicht haben! Lesen sie mal nach im Buch „Die Magie der Bäume“, da steht, die Weide sei der Baum für den Menschen der in seiner Phantasiewelt lebt und Schwierigkeiten mit der sachlichen Realität hat. Es fehlt ihm an Halt im Leben und oftmals gestaltet es sich chaotisch und verschwommen. Leicht lässt er sich beeinflussen und verführen von anderen. Die Weltsicht ist negativ und schwer kann er Dinge positiv angehen.

Verteidigung: Aber ich bitte Sie, die Weide gibt doch dieser Landschaft Charakter und Eigenart! Zugegeben, sie steht vielleicht nicht gerade für ausgelassene Heiterkeit. Schon im Alten Testament können wir das erfahren: An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande.

Anklage: Sehen Sie!

Verteidigung: Und Bob Dylan, einer der größten Dichter der Gegenwart,  schreibt das heute fort: Man soll die Glocken schlagen, singt er, damit die Welt erfahre, dass Gott gegangen ist – der Schäfer ist eingeschlafen, dort, wo die Weiden weinen und die Berge voller verlorener Schafe sind. Die Weide, ein Baum der Trauer, ja! Aber für diese Trauer können sie doch nicht die Weiden verantwortlich machen, die hat doch mit unserem Leben zu tun, und zu dem gehört doch auch das Traurige und Verhangene! Übrigens weinen die Weiden, weil ihre Blätter im Sommer kleine Kondenswassertröpfchen absondern, süße und sogar erfrischende Tränen. Ich finde, das sollte man ihnen nicht zum Vorwurf machen!

Anklage: Wer redet hier von Vorwerfen? Von Abholzen rede ich, von Abholzen!

Anklagepunkt 2: Die Weide ist böse.

Anklage: Ich bleibe dabei, dieses Nicht Land – Nicht Wasser, Nicht hell – Nicht dunkel, diese amorphe Lebenssituation der Weide gehört in die Wildnis und nicht in die Kultur und sie hat ihr im Verlaufe der Menschheitsgeschichte immer wieder berechtigtes  Misstrauen eingebracht, das unzweifelhaft auch in schlechten Erfahrungen wurzelt.
Nehmen wir nur einmal die Erlebnisse der Hobbits aus dem Auenland, die beinahe vollständig von einem Weidenbaum vernichtet worden wären. Erst wäre Frodo beinahe von dem Baum in das Flüsschen Weidenwinde geschoben und dort ersäuft worden, dann umschlang der Baum Merry und Pippin und drohte sie in seinem Inneren zu zerquetschen. Es ist eindeutig, die Weide ist böse!

Verteidigung: Das ist doch eine völlige Verzerrung der Bedeutung dieser Bäume bei Tolkien! Beim Herrn der Ringe gehören die Weiden zu den ältesten Pflanzen, die Elben nannten sie Tasarion. Sie werden stark und langlebig und bildeten im Ersten Zeitalter den größten Wald auf Mittelerde und sie haben alle Veränderungen der Welt überlebt. Bei allem Respekt für die Hobbits, aber wer mit Bäumen nicht reden kann, sollte ihnen eben fern bleiben. Statt dessen haben die Hobbits versucht, der Weide mit einem Beil und mit Feuer beizukommen! Und wer hat sie befreit? Tom Bombadil! „Iss Erde, trink Wasser geh schlafen! Bombadil spricht zu dir!“ So muss man mit Weiden reden!

Anklage: Ja sollen wir jetzt alle Baummenschen werden? Ich bleibe dabei, die Weide hat etwas Bösartiges. Das können sie bis in die letzten Winkel der Kulturgeschichte nachlesen und zuletzt konnten es unsere Kinder bei Harry Potter finden,  wo eine peitschende Weide vorkommt: Mit der Kraft eines rasenden Nashorns schlug die Weide gegen eine Wagentür und schmetterte Harry gegen Ron, während zugleich ein ebenso heftiger Schlag das Dach traf. … Wäre der Motor des Autos nicht wieder angesprungen, Harry und Ron wären ohne Zweifel umgekommen! Und alles nur wegen einer Weide!

Verteidigung: Alles, was man dazu sagen kann, ist die bewundernswerte Zähigkeit der Weide, durch die wir Menschen immer wieder einen Funken Respekt vor der Natur bekommen. Dass diese Bäume unter so widrigen Bedingungen bestehen, hat doch einen ökologischen Sinn, es bereitet den Weg für spätere Besiedlungen in der Natur vor: Die Weiden unterwerfen sich dem Wind so lange, bis sie so zahlreich und kräftig geworden sind, bis sie sich ihm entgegenstellen wie eine Mauer. Das ist ihr Daseinszweck. (Frank Herbert, Der Wüstenplanet).

Anklage: Wenn die Weide erdgeschichtlich gesehen ein Pioniergehölz ist, dann helfen wir den Entwicklung eben ein bisschen nach: raus mit ihnen, diesen windbrechenden Sträuchern, und her mit Kriechwacholder und Essigbaum!

Anklagepunkt 3: Die Weide gehört in die Hexenküche und in die Welt des Aberglaubens

Anklage: Dann kommen wir zum nächsten Punkt, nämlich zum schädigenden Einfluss der Weide auf den Verstand der Leute. Sie führt sie in den Aberglauben und in die totale Verwirrung, das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens bezeichnet sie als Selbstmörderbaum!

Verteidigung: Wie können sie den Volksglauben nur so denunzieren! Die Weide wurde als Wasserbaum der fruchtbaren Mondgöttin zugeordnet. Bilder der antiken Göttin Hera pflegte man aus Weidenholz zu schnitzen. Aus diesem Grund wurde die Weide auch gern bei Frauenkrankheiten eingesetzt, wie auch bei rheumatischen Schmerzen.

Anklage: Ja, aber auf Dauer eingenommen, soll Weidenrinde unfruchtbar machen! Auch für Hexenbesen wurden Weidenruten verwendet… und es gibt zahlreiche Überlieferungen, in denen eine Frau nachts in der Weide verschwindet. Als der Ehemann die Weide fällt, stirbt seine Frau. Er erkennt daran, dass er eine Baumnymphe geheiratet hat. Seine Kinder machen Flöten aus dem Weidenholz und können sich so mit ihrer Mutter unterhalten. Das ist doch grausam!

Verteidigung: Und eben aus dieser mächtigen Sagenwelt sind die lustigen Weidenpfeifen in allen Landschaften hervorgegangen!  In Schleswig singt man:
„Sipp, sapp, summ! Gif‘ ne gode Brumm. Sipp, sapp soit! Gif’ ne gode Floit.”
Die rheinischen Kinder dichten: “Zipper, Zipper, Zapper, Ech well mech e Flötsche mache…

Anklage: Wir haben heutzutage viel bessere Musikinstrumente als dieses schreckliche Weidengefieps!

Verteidigung: Die Weide wurde doch auch immer wieder zu medizinischen Zwecken genutzt, denken Sie doch nur an das gute Aspirin! So ein hilfreiches Gewächs, und früher funktionierte es noch ganz ohne chemische Industrie! Man stellte sich an den Weidenbaum und sagte sein Sprüchlein auf, etwa bei Zahnschmerzen:
Guten Abend, liebe alte Weide, Ich bring dir meine Zahnschmerzen heute
Und wünsche dir, dass sie bei dir bestehen, Und bei mir vergehen!

Anklage: Da gehe ich lieber zum Zahnarzt!

Verteidigung: Und hinterher nehmen sie eine Aspirin!
Auch bei Haarausfall, etwa in Schlesien, wurde die Weide angerufen:
Weide, ich komme zu dir und sage dir, dass alle Kirchen singen, und alle Glocken klingen, alle Episteln werden verlesen.
Mein (Haar-)Schwund soll in dir vergehen und verwesen.

Anklage: Dazu sage ich nur mit Günter Eich:  Die Weiden, verwachsene Weiber, gebeugt mit zottigem Kopf, zerlumpt sind ihre Röcke, die Läuse nisten im Kopf. Solches Haarwachsmittel kann mir gestohlen bleiben!

Verteidigung: Weide hilft auch gegen Fieber: 1 gehäufter Teelöffel mit ¼ l siedendem Wasser übergießen und 10 Minuten ziehen lassen, mehrmals täglich eine Tasse frisch bereiteten Teeaufguss möglichst heiß trinken!

Anklage: Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen sie die nicht vorhandene Packungsbeilage oder fragen sie ihre Kräuterhexe. Die sagt nämlich auch: Schwangere dürfen keinen Weidenrindentee trinken!
Und wenn ihnen das zum Beweis für die schädliche Wirkung der Weide auf Land und Leute nicht ausreicht, dann hören sie doch die Erzählung von der krummen Weide bei Ortwig im Oderbruch:
Als die Ortwiger noch keine eigene Kirche besaßen, mussten sie ihre kirchlichen Angelegenheiten in Groß Neuendorf erledigen. Einst sollte ein Säugling getauft werden. Das musste natürlich in Groß Neuendorf geschehen. Also machten sich die Paten mit dem Kind dahin auf – wegen des schlechten Weges mit dem Fuhrwerk. Als sie an die Stelle kamen, wo der Weg eine Biegung macht und dann geradeaus nach Groß Neuendorf weiterführt, kamen sie rechter Hand an einer auffällig krummen Weide vorbei. Sie ließen den Wagen anhalten und bewunderten die seltsame Gestalt des Baumes. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Er war doch gar zu krumm gewachsen!
Endlich fuhren sie weiter. Als der Neuendorfer Prediger sie nach dem Namen des Täuflings fragte, wusste ihn niemand; sie hatten über der Bewunderung der krummen Weide ganz vergessen, wie der Täufling heißen sollte. Sie mussten also einen Boten nach Ortwig zurückschicken, um von den Eltern den Namen des Kindes einzuholen.
Wenn sich seit jener Zeit jemand über etwas sehr wundert, dann heißt es im ganzen Oderbruch: Der wundert sich wie die Ortwiger über die krumme Weide!
Also, meine Damen und Herren, solche abstrusen Geschichten werden ihnen mit einer ordentlichen geradschaftigen deutschen Eiche nicht widerfahren!

Anklagepunkt  4: Die Weide ist wirtschaftlich nutzlos

Anklage: Lassen wir doch das ganze Geplänkel um Volks- und Aberglauben, nennen wir doch die Tatsachen mal beim Namen! Als Gehölz ist die Weide weitgehend nutzlos, einen richtigen Wald bildet sie nicht. Man kann eigentlich gar nichts Gescheites mit ihr anfangen und deshalb ist sie nämlich von den ersten Kolonisten auch mit Stumpf und Stiel gerodet worden, hier stand ja alles voll mit dem Zeug! Diese Werftweiden bedeckten große Strecken des Oderbruches, ihre Rodung machte den Brüchern viel Mühe und Arbeit. Das können sie schon im Mengel nachlesen!

Verteidigung: Halt halt, so leicht kommen sie mir nicht davon! Dort steht nämlich auch: Seit alter Zeit galt sie als der Baum des Oderbruches. …Die richtige Weidenkultur wurde aber erst durch Friedrich den Großen im Oderbruch durchgeführt, weil sie gutes Faschinenmaterial für die Oderdämme ergab. Da dies Material in brauchbarer Form früher von entfernteren Gegenden herangeschafft werden musste, legte Friedrich der Große auf die Anpflanzung von Weiden zur Instandsetzung und Unterhaltung der Dämme besonderen Wert.

Anklage: Ja, aber die Oderbrücher waren zur Durchführung dieser Plantagen, die man Weidenwörden oder Weidennester nannte, nur sehr schwer zu bewegen.

Verteidigung: Und nachdem es schließlich gelungen war, die Anlage einiger Kulturen durchzusetzen, wollten die Brücher einen Geldvorteil daraus ziehen und verpachteten die Weidenpflanzungen an die Korbflechter. Das hatte naturgemäß den Nachteil, dass später beim Schutz der Dämme die Faschinen fehlten. Aus diesem Grunde erließ Friedrich der Große in der „Teich- und Uferordnung vom Jahre 1769“ genaue Anweisungen über die Weidenkulturen, die besagen: „Damit das Bruch selbst künftig sich mit dem zu dem Pack- und Buhnenwerken nötigen Holze helfen kann, sollen diese sowie die Dämme mit Setzweiden und mit jungen Werderweiden bepflanzt werden.“ „Und damit diese Bepflanzungen durch das Vieh nicht wieder abgehütet und verderbet werden mögen, so sollen solch bepflanzte Sandbänke und Packwerke durch lebendige Zäune oder Rückwerke gehörig abgeheget sein.“ Dadurch kamen allmählich die Weidengehege in Gang.

Anklage: Aber da hören sie es doch, nur auf staatlichen Druck wurden diese ungeheuerlichen Bäume wieder angepflanzt. Das hat doch nichts mit einer freien Wirtschaft zu tun! Hören sie doch, schon bei Mengel ist vor achtzig Jahren zu lesen: Vor der Verbesserung der Entwässerung blieb den Oderbrüchern nichts anderes übrig, als auf den feuchten Strichen Korbweidenkulturen anzulegen. Es war ein Notbehelf, sonst  nichts!

Verteidigung: So lesen sie doch weiter: Da die Weiden lange Zeit sehr begehrt waren, brachten diese Anlagen durchaus eine zufriedenstellende Einnahme.

Anklage: Ja, und jetzt lesen sie mal weiter: Heute ist aber die gute Konjunktur der Kopfweiden vorbei. Die Kulturen die noch stehen, werden von den Landwirten oft nicht einmal mehr abgeerntet, da sich in der Tat selbst der Arbeitsaufwand nicht lohnt und die Weiden unverkäuflich sind. Trotzdem bleiben notgedrungen diese unrentablen Anlagen bestehen, weil die Geldmittel fehlen, die Weiden auszuroden und wieder Ackerland daraus zu machen. Das Problem hat ja nun inzwischen die Komplexmelioration zufriedenstellen gelöst!

Verteidigung: Als ob das Tun der Leute von vornherein vernünftig wäre. Denken sie doch nur, erst werden die ganzen Weiden nach der Trockenlegung gerodet und plötzlich stellt man fest, dass sie einem fehlen! Sehr unangenehm wurde von den ersten Kolonisten das völlige Fehlen des nötigen Bau- und Brennholzes empfunden, ein Umstand, der schon das Etablissement erheblich erschwert hatte; musste doch das Holz aus entlegenen Heiden herangeholt werden. Diesem Mangel abzuhelfen, ist vom Generaldirektorium die Anpflanzung von Weidenbäumen auf den Deichen und an den Wegen angeordnet worden. Jedem Kolonisten wurde die Anpflanzung einer bestimmten Anzahl Weiden zur Pflicht gemacht. So ist der Holzmangel allmählich behoben worden, die Weide wurde der charakteristische Baum des Oderbruchs….Zur Behebung des Holzmangels musste auch in Wilhelmsaue jeder Kolonist die Verpflichtung zur Unterhaltung von Weidenbäumen unternehmen.

Anklage: Bauen mit Weide, ihnen geht es wohl zu gut?

Verteidigung: Man kann so manches mit der Weide anstellen, sie sollten diese heimische Ressource nicht gering schätzen: immer noch werden Körbe geflochten, Zäune gebaut, Weidenzelte angelegt, wird Brennholz genutzt und es leben unglaublich viele Tiere von der Weide! Und außerdem, was Sie hier vorbringen geht völlig über die Heimatgefühle der Leute hier hinweg. Hören sie doch Rudolf Schröder:
Weide, silbern Angesicht, weil ich dich von weitem sehe
leidet’s mich und hält mich nicht, bis ich grüßend vor dir stehe.
Hier im Oderbruch hat man die Weide doch geliebt!
Ich weiß ein Dörfchen: Eine Hand legt’s dichte – dicht an Wassers Rand, mitten in die Weiden!
Rohrspatzen rühren ihr Glockenspiel, und läutende Unken sind wunderviel, o, unter den himmlischen Weiden! Die Fischer singen beim Abendbrot sehnsuchtblutende Lieder und treiben breit hinab im Boot, – und Reiher tragen stromüber den Tod auf wogendem Gefieder.

Anklage: Den Tod, den Tod, ich sag es doch, die Weide ist nicht geheuer. Die alten Kopfweiden an den Wiesenrändern schütteln und regen ab und zu ihre Ruten, die so spärlich dünn sind wie Greisenhaare. Und die Weidenblätter, diese zieren Silberfischchen, flackern schon in dem grellbunten Angstleben des Herbstes. Noch einmal Unerhörtes wagen: mit freuderoten Gesichtern dem andringenden Reif entgegen wie in unbesiegbarer Lebensglut, und dann – dann kommt, was allem Lebendigen naht, mit steinerner Grimasse oder mit hartem, klirrenden Lachen. Das können Sie bei Gustav Schüler nachlesen und für mich sagt das nur eins: Die Weide verwirrt den Menschen die Sinne!

Verteidigung: Wir werden ja sehen, wer den längeren Atem hat: Meine Weiden oder ihre japanischen Ziergehölze!

Anklage: Ja, das werden wir sehen!

Urteil der Verhandlung: Mittel aus dem Förderprogramm GLOBAL FIT LAND …

Anklage (unterbricht): Es heißt englisch: Globäl fit Läänd!

…werden bis auf Weiteres nicht für Gehölzpflanzungen freigegeben. Das Geld wird stattdessen verpresst!

(Text: Kenneth Anders)

 


 
Weidenabend

Oderlix – Versuch einer Designlösung für die Regionalentwicklung im Oderbruch

Die in Berlin und Eberswalde arbeitende Produktdesignerin Stefanie Silbermannstellte ihre Annäherung an das Oderbruch vor und beschrieb, wie sie die Weide als Ausgangspunkt ihrer Designarbeit fand. Ihr Lösungsansatz ist in einem eigenen Beitrag dokumentiert:

<<< diplom:oder:bruch / Oderlix


 
Weidenabend

 

Weidenabend

 

Weiden sind schön

Beim Sommerschlaf unter dem Weidendach
Träum ich vom Leben mit dir
Die Weide weint dazu, wenn ich auch lach,
sie weiß viel mehr als wir.

Wie alt sie ist, weißt du kaum,
Sie wächst so schnell,
sie treibt heraus.
Ist ein Wassererdenbaum,
ihr Grün ist hell,
sie ist ein Haus.

Weiden sind schön.
Du kannst sie hier sehn.

Wir haben sie hundertmal gefällt,
Und uns jedes Mal gefreut,
Dass sie sogar geköpft ihre Nerven behält,
keine Lebensmühe scheut.

Sie wiegt in den Schlaf dich ein,
das ist ihr Brauch
im Oderbruch.
Peitscht den Wind und säuselt fein
Wo ich sie auch
im Garten such.

Weiden sind schön.
Du kannst sie hier sehn.

(Baue Zäune aus ihr. Flechte Körbe mir.
Was kann man alles Schönes machen!)

Weiden sind schön!

Beim Schattenschlaf unter dem Weidenlaub
Weint die Weide über mir,
ob ich ihre wilden Berichte glaub?
Sie weiß ja mehr als wir.

Ich nehm alle Tannen, Fichten,
Kiefern und
Zypressen fort.
Höre lieber die Geschichten
aus dem Mund
der Weiden dort!

Weiden sind schön.
Du kannst sie hier sehn.
Im Oderbruch stehn
Weiden so schön.

Text: Kenneth Anders
voc/git: Gudrun Anders

 

Musiktitel anhören Lied hören: Weiden sind schön

 


Weidenabend

Sven Wallrath aus Eberswalde inszenierte die Weiden am Theater am Rand durch eine Lichtinstallation.