Gernot Schmidt, Landrat des Landkreises Märkisch-Oderland in Seelow

Gernot Schmidt, Landrat des Landkreises Märkisch-Oderland in Seelow
Gernot Schmidt, Landrat des Landkreises Märkisch-Oderland in Seelow Fotografie: Stefan Schick 2017

Jedes Hochwasser ist ein Einzelfall!

Aufgeschrieben von Kenneth Anders

Als Landkreis sind wir Katastrophenschutzbehörde – sind also verantwortlich für die Hochwasserabwehr. Diese Funktion bestimmt zunächst einmal die öffentliche Aufmerksamkeit für unsere Arbeit. Als Untere Wasserbehörde sind wir auch zuständig für die Kontrolle der Gewässer­unterhaltung und für die Funktion des gesamten Systems. So spielen wir in verschiedenen Zusammenhängen eine zentrale Rolle für das Wasser im Oderbruch. Der Landkreis hat dabei eine Ausgleichsfunktion, d. h. er muss sich zu seiner ureigenen Basis bekennen, gerade in den politischen Auseinandersetzungen um die Wasserwirtschaft. Und diese Basis ist in unserem Falle ein Wassersystem, das den größten Flusspolder Deutschlands unterhält. Wir haben hier eine Agrar- und Siedlungslandschaft. Die Frage der Landnutzung darf man nicht nur Extremisten überlassen. Dafür stehen wir. Deshalb haben wir für die Modernisierung der Schöpfwerke auch immer Investitionszuschüsse gezahlt. Das Land und die Kommunen stehen in ganz klaren Verantwortungen. Und der Landkreis sollte sich immer dafür engagieren, dass sie diese Verantwortung auch wahrnehmen können.
Wir hatten in der jüngeren Geschichte schon einige Hochwasser zu bewältigen und wir haben sie immer gemeistert. 1997 ist natürlich das prominenteste Hochwasserereignis, aber es gab z. B. auch gefährliche Eishochwasser. Bis jetzt haben unsere Systeme funktioniert. Dabei muss man auch sehen, dass wir ein großer Arbeitgeber sind. Wir haben 800 Beschäftigte im Haus, deshalb sind wir in der Lage, die notwendige Logistik mit Menschen zu unterstützen. Die normalen Leistungen und Aufgaben einer öffentlichen Verwaltung treten im Katastrophen­fall in den Hintergrund. 1997 haben wir bestimmte Behörden sogar ganz geschlossen. Die Mitarbeiter des Landkreises werden durch die Landesbehörden, die Polizei, die Katastrophenschutz- und Hilfsorganisationen
und durch ehrenamtliche Helfer flankiert – alle sind dabei. Im Krisenfall bilden wir einen Stab. In Zusammenarbeit mit dem Landesumweltamt werden die Hochwasserstufen definiert und ausgegeben – und dann gibt es nach dem Katastrophen­schutzplan die Szenarien, nach denen im schlimmsten Fall zu handeln ist. Nun besteht in der konkreten Situation auch immer ein Ermessens­spielraum – am Ende hängt es am Landrat, er muss zum Beispiel entscheiden, ob evakuiert wird. In Katastrophenfällen hat das keinen politischen Charakter, da halten sich alle anderen mit Weisungen zurück. Jedes Eingreifen in diese Dinge löst ja finanzielle Verpflichtungen aus, wenn es schief geht. Also muss ich den Ermessensspielraum wahrnehmen. Und dann muss die Entscheidung durchgesetzt werden. In einem solchen Fall wird nicht mehr diskutiert.
Dabei ist es wichtig, sich klar zu machen, dass jedes Hochwasser ein Einzelfall ist, Wassermenge, Wind, Jahreszeit, alles ist von Mal zu Mal verschieden. Wenn der Deich aufgrund einer Eisversetzung bei Sophienthal bricht, läuft alles von Süden her voll. Wenn du einen Rückstau vom Dammschen See im Norden hast, gibt es eine ganz andere Dynamik – nicht weniger gefährlich, aber anders. Man kann aber auch gute Abflussverhältnisse haben, dann läuft es nur Richtung Glietzener Polder und bleibt dort hängen. Oder es bricht sich woanders Bahn. 1997 haben uns die großen Deichbrüche in Polen gerettet. Jedes Hochwasser ist anders, man kann es nicht am Pegel festmachen.
Spezielle Bauvorschriften im Polder haben wir nicht. Ich bin auch dagegen. Die Leute müssen selbst Verantwortung übernehmen. Wer sich nicht klar macht, wo er wohnt, muss mit den Schäden leben. Ein modernes Fertighaus mit Schaumpolystyroldämmung ist nach einer Überflutung hin. Ein ordent­licher Ziegel- oder Fachwerkbau übersteht das. Der Rest ist Risiko.
Durch die Sanierungen im Nachgang des 1997er Hochwassers haben wir andere Deiche. Ob sie besser sind, wird sich zeigen. Es gibt viele Diskussionen darüber, aber da ist auch viel Ideologie dabei, und es mischen sich Leute ein, die eigentlich nicht mit der Region verbunden sind. Es braucht nicht nur Technik, du brauchst auch besondere Menschen, die mit einer besonderen Eigentumsbindung in der Landschaft stehen. Das ist früher der freie Bauer gewesen, der hatte ein besonderes Interesse. Daraus hat sich dieser besondere Menschenschlag entwickelt und auch diese besondere Alltagskultur. Sie war nicht von den Gutsdörfern bestimmt. Deshalb war die große Zäsur für die Region das Jahr 1961 – die Zerstörung des freien Bauerntums, die war der entscheidende Schnitt. Manches ist wohl noch übrig, man muss wieder anfangen. Wir sind gar nicht so schlecht, wir müssen nur aufpassen, was jetzt kommt.

Aus: Wasser – Fotografien von Stefan Schick und Ulrich Seifert-Stühr und Berichte zum Thema Wasser im Oderbruch. Werkstattbuch 2, Aufland Verlag 2017