Der dankbare Storch
In früher Zeit, so erzählt man sich in Gabow bei Freienwalde, stand auf der Scheune des Fischers Schulz ein Storchennest. Einst wollte das Storchenpaar im Frühling wie gewöhnlich das Nest wieder beziehen, doch da zeigte sich ein anderer männlicher Storch und es entbrannte ein heißer Kampf um das Weibchen. – Der fremde Storch blieb Sieger, sein Gegner wurde fürchterlich zugerichtet, stürzte vom Scheunendach und brach sich ein Bein. Das Weibchen wollte aber durchaus von dem fremden Storch nichts wissen, sondern blieb ihrem verunglücktem Manne treu, so daß der andere Storch endlich das Weite suchte.
Die alte Schulzen nahm sich des Verwundeten an, verband ihm den Fuß und heilte ihn, wonach der Storch eine große Zuneigung zu ihr an den Tag legte. Als er vollständig wiederhergestellt war, sagte einst die Alte, die vor der Türe Wolle spann, zu ihrem Liebling, der ohne Furcht auf dem Hofe umherlief, sein Futter aus der Hand seiner Retterin nahm und dann auch auf das Dach zu seinem Weibchen flog: „Kneppendräjer, ik hebbe di nun dien Been jeheelt, nu kannst du mi ut jennet Lant, wo du nu balle hentrekst, ok fär mine Möe wat metbrengen.“
Das Storchenpaar zog bald danach fort, und als es im nächsten Frühjahr wieder erschien, war die Alte zufällig vor der Hintertür. Sieh, da flog der Storch ganz dreist zu ihr vom Dach herunter, und legte eine goldene Münze zu ihren Füßen. Auf der Münze stand eine Inschrift, die aber selbst der Prediger in Freienwalde nicht lesen konnte. Lange wurde das Goldstück in der Familie als Andenken aufbewahrt, kam dann in das Schulzenamt und von hier an den Amtmann in Neuenhagen, wo die Gabower früher Hofdienste zu leisten hatten. Der Amtmann hatte nämlich die ihm auf einem Gelage erzählte Geschichte für ein Märchen gehalten und durch den Augenschein erst eines besseren belehrt werden müssen. – Wo aber seitdem die Goldmünze verblieben, weiß niemand, da der Amtmann aus Neuenhagen fortgezogen ist.
Aus:
Märkische Heimatbücher
Herausgegeben von Rudolf Schmidt
Rudolf Schmidt
Freienwalder Sagenbüchlein
Freienwalde an der Oder
Verlag von Thilo und Dann
Ca. 1921
Störche sind in vielen brandenburgischen Landschaften heimisch. Im Oderbruch findet man sie in beinahe jeder Ortschaft. Darunter sind einige hart gesottene Individualisten, so etwa jener am Scheunenberg in Bad Freienwalde, der fast jährlich bereits Ende Februar sein Nest bezieht und es für die folgende Brutzeit instand setzt. In Neutornow stieg 2003 sogar ein Storch im Oktober über die Kuhwiese, die sonst nur im Frühjahr und Sommer von einem Paar nach Nahrung abgesucht wird. Alte Strommasten, Schornsteine, Dachfirste mit Wagenrädern: Schon immer hielten die Oderbrücher reichlich Nistplätze für ihre großen Gäste bereit.
Beim Liederwettstreit „Ein Lied fürs Bruch“ 2005 in Kienitz wurde denn auch gesungen: „Der Storch ist unser Wappentier!“
Im folgenden Text wird deutlich, dass die Bindung an die Störche eine lange Tradition hat.
Wenn Sie selbst Bilder von Störchen im Oderbruch fotografiert haben, können Sie sie uns gern schicken, sie werden in diesem Betrag eingestellt.
August 2006