Landschaftsfotograf Stefan Hessheimer

Über die Architektur einer Landschaft

Gespräch mit dem Fotografen Stefan Hessheimer aus Groß Neuendorf

Steckbrief:

Stefan Hessheimer wurde 1952 in Leipzig geboren und wuchs am Dresdener Stadtrand auf. Sein Vater war freiberuflicher Grafiker. Die spätere Jugend verbrachte er in Berlin, wo er auch einen Einstieg ins Berufsleben fand. Er ist Autodidakt. Da er Musiker oder Fotograf werden wollte und beides auch längere Zeit parallel betrieb, entzog er sich schon frühzeitig festen Ausbildungs- oder Anstellungsverhältnissen.

Bis 1977 tingelte er mit verschiedenen Bands als Gitarrist, dann entschied er sich für die Fotografie und erlangte mit etwas Geschick den begehrten Status als Freiberufler. Hessheimer etablierte sich bald als Fotograf: Arbeiten für Magazine, Zeitschriften und Buchverlage, Modefotografie und Schallplattencover im Pop- und Klassikbereich sicherten sein Auskommen.

Mehr als die Hälfte der Zeit investierte er aber in eigene Arbeitszusammenhänge, z.B. in eine intensive Auseinandersetzung mit der Gegend um den Berliner Bahnhof Ostkreuz. Ende der achtziger Jahre kaufte er ein Haus in Groß Neuendorf/Oderbruch. Hier richtete er später eine Galerie ein, gibt Fotokurse und entfaltet kulinarische Genüsse unter dem Titel „Koch & Kunst“.

Ankunft im Oderbruch

In den achtziger Jahren fotografierte Stefan Hessheimer für „Kultur im Heim“ und lernte dabei verschiedene Landhäuser kennen. Diese Erlebnisse fanden auch einen biografischen Widerhall: Die Kindheit im grünen Dresden-Gorbitz, direkt an einer großen Streuobstwiese und die Ferien auf dem Land bei den Großmüttern in Thüringen verdichteten sich zur Erinnerung an eine sinnliche Kindheit und zum Bedürfnis, auf dem Land zu siedeln. Er suchte in Mecklenburg, fand nichts und annoncierte 1987 in der Wochenpost: „Suche Haus zum Taxpreis“. Eine der ersten Zuschriften kam aus Groß Neuendorf.

Auf der Fahrt dorthin fiel Hessheimer das besondere Licht der Ebene und der Oderstrom auf. „Ich habe mich schnell darauf eingelassen.“ Das Haus war groß, eine ehemalige Kneipe später auch als Laden genutzt und ein schöner Garten verhießen Zukunft. Die Lage war optimal – ein Fußballplatz, ein Friedhof und ein Park mit Bäumen um die Kirche sagten ihm: das ist ein Ort für eine Bleibe.

In den ersten Jahren beschränkte sich die Nutzung des Hauses auf den Sommer und die Wochenenden. Als die 89er Wende einsetze, spürte Hessheimer den neuen ökonomischen Druck. In den Folgejahren veränderte sich die Rolle des Oderbruchs und seines Hauses in seinem Berufsleben – es wurde immer stärker zu einem Ort der Produktion.

Architektur einer Landschaft

Dass das Oderbruch für Stefan Hessheimer zum Arbeitsgegenstand wurde, lag von Anfang an nahe. Die Landschaftsfotografie war neu für ihn, nur durch Arbeiten für Klassik-Plattencover gab es bereits Ansätze. Da er es gewohnt war, eigene Arbeitsfelder zu definieren, setzte er auch im Oderbruch zunächst einen Schwerpunkt ohne unmittelbares Verwertungsinteresse. Die Photographien (Hessheimer wählt die alte Schreibweise) der hiesigen Landschaft sollten etwas Grundsätzliches verdeutlichen, etwas, das Hessheimer in einem langen Prozess des Erlebens, Denkens und Empfindens an ihr gefunden hat. (Siehe Text „Alle Wetter“ am Ende). Es seien keine touristischen Bilder, meist entstünden sie in den „Nicht-Jahreszeiten“, so dass sie für einen Betrachter nicht immer leicht einer Vegetationsperiode zuzuordnen sind.

Nach fünf Jahren suchte Hessheimer nach einem vorläufigen Abschluss und plante eine Publikation ausgewählter Arbeiten in einem Buch. „Bücher machen ist was Solides.“ Da die Verlagskonditionen ziemlich schlecht waren, gründete er kurzerhand selbst einen Verlag: die EDITION EDISOHN. Das „penibel gemachte“ Buch hatte einen transparenten Umschlag, der die Verhaltenheit der Landschaft verdeutlichen sollte – „und außerdem ist es einfach oft neblig hier.“ Der Band erschien 1994 und war ein wirtschaftliches Abenteuer: „Ein Drittel der Kosten habe ich mir geliehen, ein Drittel bei der Druckerei durch Raten gestreckt und ein Drittel war Hoffnung.“

Das Buch wurde ein Erfolg und konnte auch deshalb schwerlich einen wirklichen Abschluss der fotografischen Arbeit mit dem Oderbruch bilden. Nachdem die erste Auflage 1996 vergriffen war, erschien 1997 eine erweiterte und überarbeitete zweite. Die Nachfrage nach den Photographien stieg, das Interesse ist inzwischen deutlich über das Bildungsbürgertum hinausgewachsen. Jährlich produziert Hessheimer Kalender. Im Verlaufe der Jahre, resümiert er, habe sich die Bildsprache nicht grundlegend gewandelt, allerdings sei er in der Folge des Buches z.B. auf die Suche nach den einfachen Grundfarben in der Landschaft gegangen – und danach, was wir mit diesen Farben assoziieren. Außerdem verfeinere sich der Zugang durch die zunehmende Gewissheit, Zeit zu haben. „Wenn ich etwas in diesem Jahr nicht finde, dann geschieht es vielleicht im nächsten Jahr … oder nie.“ Als Fotograf sei er zwar Sammler, aber einer, dessen Geduld dadurch wächst, dass er schon vieles in seinem Fundus hat.

Fotokurse

bot Stefan Hessheimer erst für die Volkshochschule an, später entwickelte er ein eigenes Kurssystem in seiner eigenen Galerie. Die wichtigste Philosophie, die er zu vermitteln sucht, sei es, „eine Haltung zu den Dingen zu gewinnen.“ Er vermittelt den Teilnehmern die Funktion des Lichts und erläutert anhand dreier Fotografen exemplarische Sichtweisen und Bildsprachen. Die Hauptsache bleibe aber: „Man muss etwas mitzuteilen haben.“ Davon ausgehend könne man alle wichtigen Entscheidungen in der Fotografie treffen.

Die Galerie

eröffnete Hessheimer 1999. Verbunden damit waren Bauarbeiten am Haus, die bis heute andauern. Zu Anfang war noch unklar, wie sich die Einrichtung auf Dauer entwickeln sollte. „Zuerst stellte ich nur die eigenen Sachen aus, aber das wurde auf Dauer langweilig. Bald stellten wir auch andere Künstler aus.“ Nun zeigte sich wiederum, dass jenseits der Vernissagen in einer Galerie im ländlichen Raum „nicht viel los“ war. Daraufhin entwickelte er das Konzept für Koch und Kunst – thematische Menüs mit möglichst vielen Zutaten aus der Region und dem eigenen Garten. Nach Anmeldung können sich die Gäste in der Galerie nunmehr das Oderbruch visuell und kulinarisch einverleiben. Die Strenge, mit der er auf die heimischen Produkte achtet, wird hin und wieder durchbrochen und es wird mit „Gästen“ gekocht, etwa einem französischen Käse oder einem Fisch aus dem Meer. Das Kochen entwickle sich, man gehe immer einen Schritt weiter, in letzter Zeit werden neben Gartenkräutern Blüten verwendet, nicht nur als Dekoration, vor allem des Geschmacks wegen.

Das Oderbruch als sozialer Ort

scheidet sich oftmals für Stefan Hessheimer noch in Zugereiste und Angestammte. An den Initiativen für den Erhalt der hiesigen Alleen oder gegen die Oderbruchtrasse beteiligten sich überwiegend Menschen, die sich diese Landschaft – wie er – ausgesucht hätten. Diese Leute machten Interessen geltend. Ein ähnliches Engagement vermisse er oft bei den Einheimischen. Sturheit, Trostlosigkeit, Fremdenvorsichtigkeit und eine manifeste Angst vor allem Neuen konstatiert er bei vielen seiner Mitbewohnern im Oderbruch. In diesem Zwist macht sich auch die große lebensweltliche Nähe bemerkbar, die Hessheimer inzwischen zu seinen „Nachbarn“ hat – im Gegensatz zu vielen anderen „Neusiedlern“ hat er sich in den letzten Jahren immer weiter auf das Oderbruch als Arbeits- und Lebensraum eingelassen – und also auch auf seine Menschen. Dementsprechend sieht er sich auch besonders stark mit den hiesigen Verhältnissen konfrontiert.

Wie diese Landschaft in fünfzig Jahren einmal sein wird, wagt Hessheimer sich kaum vorzustellen – vielleicht, weil so schwer zu wissen ist, ob sie ihre Potenziale nutzen wird. Dazu gehört seines Erachtens vor allem die Vergangenheit als Gemüsegarten Berlins, die auch die Zukunft sein könne. Aber wer kann das wissen?

Alle Wetter! Das Oderbruch in den Photographien Stefan Hessheimers

Wind, Klatschregen, Hitze, Nebel und Kälte: Das Oderbruch geizt mit Momenten der Geborgenheit und des arkadischen Lebensgefühls. Es hindert den Betrachter geradezu daran, einen freundlichen Zusammenklang von Mensch und Natur zu empfinden. Man ist meist damit beschäftigt, sich den Lehm von den Schuhen zu schleifen oder den Schal gegen Windlöcher abzudichten.

Die Landschaft ist so elementar, dass man leicht in ihr verloren geht: Himmel und Erde begeben sich in schroffen Gegensatz oder heftige Einigkeit – es scheint keinen Ort für einen Zuschauer zu geben. Graue Tristesse und violette Bedrohung schlagen ineinander um. Das ist nichts für Beschaulichkeit und entlockt kein „Oh Täler weit, oh Höhen.“ Auf der Suche nach der antiken Ideallandschaft muss man das Oderbruch wohl verlassen. Die Natur hat es flach gemacht, der Mensch hat es ausgeräumt.

Trotz dieser widrigen Umstände ist ausgerechnet die Renaissancemalerei, die doch gerade nach dem stimmigen Ensemble suchte, für Stefan Hessheimer auch ästhetischer Ausgangspunkt seiner Annäherung an das Oderbruch. Das trifft auch dort zu, wo er gegen ihre ehrwürdigen Regeln verstößt, wo er sich für einen anderen Schnitt oder eine andere Symmetrie entscheidet. Er fragt die Landschaft nach dem, was sie auf den ersten Blick am meisten vermissen lässt: nach einem möglichen Standpunkt des Betrachters. Wo finde ich Halt zwischen Himmel und Erde?

Hessheimer sucht nach den Chancen der Perspektive, nach Schwerpunkten im Schwerelosen, nach Gegengewichten im Himmel, nach vertikaler Ermunterung im Ausgeliefertsein an den Horizont und nicht zuletzt nach farblicher Gnade in der Härte der physischen Formen. Diese Landschaft ist zwar voller Kontraste: industrielle Landwirtschaft, Wohnen und Verkehr, Müllplatz und Garten bieten sich dem analytischen Blick an. Hessheimer streift sie jedoch nur beiläufig. Spuren interessieren ihn als Textur, nicht als Zeichen. Symbolische Elemente – Kreise, Sterne, Gesichter – werden spielerisch von ihm eingefangen, sind aber nicht konstitutiv. Und auch romantische Sichtweisen sind eher ein Nebenprodukt als ein Fluchtpunkt seiner Arbeit. Bestimmend ist immer die Suche nach einem menschlichen Blick. Es zeichnet ihn als Fotografen aus, dass er dabei unbestechlich bleibt und nicht vorschnell auf Versöhnung zielt. Was der Landschaft an Zusammenklang nicht auf ehrliche Weise abzugewinnen ist, was sie nicht freiwillig schenkt, das ist auch nicht zu haben. Vielleicht später einmal, man muss warten können. Die Bilder loten aus, wie weit sich das Oderbruch jenseits der Idylle für einen Betrachter als Ensemble öffnet. „Ich glaube daran, dass es so ist, wie ich es fotografiere“, sagt Hessheimer. Es ist auch so, können wir ihm versichern – weil Du es möglich gemacht hast.

Kenneth Anders

Foto Stefan Hessheimer Landschaft
Foto Stefan Hessheimer

 

Foto Stefan Hessheimer Landschaft
Foto Stefan Hessheimer

 

Foto Stefan Hessheimer Landschaft
Foto Stefan Hessheimer

 

Foto Stefan Hessheimer Landschaft
Foto Stefan Hessheimer

 

Foto Stefan Hessheimer Weide
Foto Stefan Hessheimer

 

Foto Stefan Hessheimer Allee
Foto Stefan Hessheimer Landschaft

 

Foto Stefan Hessheimer Allee
Foto Stefan Hessheimer

 

Foto Stefan Hessheimer Landschaft mit Regenbogen
Foto Stefan Hessheimer

 

Weitere Links:
<<< www.kochundkunst.de – Die Galerie von Stefan Hessheimer in Groß Neuendorf
<<< www.fotokurse-im-oderbruch.de – Fotokurse im Oderbruch
<<< www.odergaerten.de – Initiative „Offene Gärten im Oderbruch“