Der Nix mit dem Kuchen und andere Sagen aus dem Oderbruch, herausgegeben von Joachim Winkler, Kinderbuchverlag Berlin 1986, Seite 53
An einem schwülen Sommertag vor vielen Jahren kam einmal ein Schuhmacher auf seinem langen Wanderweg recht müde und hungrig am Reitweiner Schloßberg von der Frankfurter Margarethenmesse an, um weiter seinem Heimatdorfe im Oderbruch zuzuwandern. Die Füße taten ihm weh, und er spürte alle Knochen im Leibe von dem Weg, den er schon in aller Herrgottsfrühe von Frankfurt aus begonnen, wo er am Tage zuvor seine gefertigten Schuhe verkauft hatte.
Und wie er sich nun dort zur Rast niederließ, um sich ein wenig auszuruhen, hörte er plötzlich eine wundersame Musik, die ganz in der Nähe spielte. Plötzlich stand ein reich gekleideter Diener in roter Livree, die mit vielen goldenen Litzen besetzt war, an seiner Seite und lud ihn ein, auf das Schloß zu kommen, dessen Ruinen auf dem Berge standen.
Der Schuhmacher ließ es sich nicht zweimal sagen und ging mit. Auf dem Schloßhof stand eine reichgedeckte Tafel mit vielen köstlichen Gerichten, an der er sich niederließ und gütlich tat. Und da ihn das viele Essen und der gute Trunk sehr müde machten, schlief er ein.
Als er endlich aufwachte, fand er sich wieder auf seinem Rastplatz sitzen. Nur noch dunkel konnte er sich der Einladung erinnern und wie gut er dabei gegessen und getrunken hatte. Er machte sich noch einmal zur Ruine des Schlosses auf dem Berge auf. Aber hier war alles tot und verfallen, und nichts erinnerte mehr daran, daß er hier gespeist haben sollte. Als er am Abend endlich sein Heimatdorf erreicht hatte, kam ihm alles fremd und ungewohnt vor. Niemand kannte den Schuhmacher mehr, der daherkam und nach Leuten fragte, die lange tot waren. Keine Spur seiner Familie war mehr zu entdecken. Er hatte einhundert Jahre verschlafen.