Regionalentwicklung im Oderbruch

Regionalentwicklung im  Oderbruch

Programme und Spielregeln auf dem Prüfstand

Stipendiaten der Hans Böckler Stiftung waren im April fünf Tage zu Gast im Oderbruch. Die Teilnehmer bekamen Einblick in typische Strukturen dieser Landschaft und erfuhren in dreizehn Gesprächen mit regionalen Akteuren aus Politik, Gesellschaft, Kultur und Landwirtschaft, wie sich Menschen für ihre Region engagieren. Unterstützt wurden sie dabei durch die Akademie für Landschaftskommunikation.

Inhalt der Gespräche waren Besonderheiten und Probleme der Region, sowie Beispiele, Ideen und Förderungen zur Entwicklung des Oderbruchs. Wie setzt man sich für die eigene Region ein und welchen Einfluss haben z. B. die europäischen Förderprogramme im ländlichen Raum?

Der demografische Wandel, die Konflikte zwischen Naturschutz und Landnutzung, der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Vertrauensverlust zwischen unterschiedlichen Politikebenen waren Themen, die in den Gesprächen besonders häufig thematisiert wurden. Bei den immer komplexer werdenden Zusammenhängen ist es gar nicht so einfach, Konzepte zu finden, die eine Region nachhaltig stärken können.

Im Oderbruch gibt es dennoch Menschen, die unter überregionalen politischen Einflüssen, Marktmechanismen und Förderprogrammen, für ihre Region einstehen. Sie engagieren sich für mehr kommunale Selbstverwaltung, für eigene handlungsräumliche Perspektiven, für eine eigene ländliche Kultur und neue Lösungswege. Ganz selbstverständlich sehen sie sich als Gestalter ihres eigenen Lebensraums.

Die Gespräche gaben den Seminarteilnehmern vielseitige Eindrücke, die sie in kurzen Rezensionen zusammengefasst haben:

Regionalentwicklung im  Oderbruch

Das Oderbruch ist eine Kulturlandschaft

Ein Satz der uns immer wieder im Seminar begegnete, war: Das Oderbruch ist eine Kulturlandschaft, d.h. vereinfacht gesagt, vom Menschen gemacht, erschaffen, gar geformt. Damit ist es also eben keine Naturlandschaft, obwohl man doch in ihr so viel Natur findet. Ob es an seinen Rändern die Höhen und Wälder sind, die sich erheben, oder es die vielen Äcker und Wiesen sind, die uns in die Ferne schweifen lassen. Am letzten Tag unseres Aufenthalts mitten an der Oder zu stehen, hatte etwas Beruhigendes. 

Was es heißt, eine Kulturlandschaft zu sein, zeigte sich uns auf vielfältige Art und Weise. Als 2003 der Unterausschuss „Denkmalpflege“ der Kultusministerkonferenz die folgende Definition formulierte, musste er wohl an das Oderbruch gedacht haben:
„Die Kulturlandschaft ist das Ergebnis der Wechselwirkungen zwischen naturräumlichen Gegebenheiten und menschlicher Einflußnahme im Laufe der Geschichte. Dynamischer Wandel ist daher ein Wesensmerkmal der Kulturlandschaft.“[1]
Genau dieser dynamische Wandel scheint sich im Oderbruch zu vollziehen.

Vom Theater am Rand, über einen Zoobesuch, den Kinoleinwänden und Filmfestivals bis hin zur Umgestaltung von Museumskonzepten. Jede Stadt, Gemeinde und jedes Dorf scheint hier nicht nur zum Lebenswert beizutragen, sondern auch darum zu kämpfen, lebenswert zu bleiben. Die Weite und der Freiraum, die das Oderbruch bieten, scheinen daher ideal. 

Doch auch wenn wir nicht den Wanderwegen Theodor Fontanes gefolgt sind, selbst mit dem Auto wurden uns viele Facetten dieses einzigartigen Gebietes eröffnet. Und wenn alle in der Region dabei bleiben, sich für ihre Heimat einzusetzen und sie mitzugestalten, dann bin ich guter Hoffnung, dass das Oderbruch auch eine Kulturlandschaft bleibt.

[1]Definition der Kultusministerkonferenz. 23. Sitzung Unterausschuss Denkmalpflege der Kultusministerkonferenz am 19./20.5.2003 in Görlitz, (TOP 13)

Mario Futh

Ist weniger mehr?

Mehr Angebot führt zu mehr Konsum. Dadurch sind Bürger_innen zufriedener und bleiben in den Regionen, wo sie aufgewachsen sind. Diese Schlussfolgerung sieht auf den ersten Blick ganz logisch aus. Jedoch sollte unterschieden werden, mit welchen Gütern welche Bedürfnisse befriedigt werden müssen. Die Schaffung von Infrastrukturen so, dass Grund- und Sicherheitsbedürfnisse gedeckt werden können, ist essentiell, damit Bürger_innen dort leben können. Doch das Ziel, so vielseitige Einkaufsmöglichkeiten wie in Großstädten zu schaffen, kann nicht zielführend sein. Am Beispiel der Gemeinde Letschin sahen wir, dass es viele Läden gibt, in denen Lebensmittel eingekauft werden können. Kleidungsläden gibt es hingegen weniger. Doch genau hier liegt die Chance für den ländlichen Raum: nicht den Großen hinterherzurennen und zu versuchen, Miniaturstädte nachzubauen, sondern Freiheiten zu lassen. Reizüberflutungen wie in den Städten zu vermeiden und das überschaubare Angebot als Freiheit für den Geist zu sehen. Dadurch entsteht Raum, der Möglichkeiten eröffnet. Beispielsweise benötigen Kinder keine eigens gefertigten Spielsachen, sie suchen sich die Sachen, mit denen sie spielen können, und entdecken dabei kreative Möglichkeiten. Aufgrund des geringeren Angebots wird ihnen nicht ständig durch Werbung ein Konzept vorgehalten, womit ein Kind spielen muss, was die Kreativität fördert. Diesen Raum gilt es zu nutzen, anstatt die Köpfe mit zu viel Angebot zu beschränken.

anonym

Selber Gestalten

Kommt man als Außenstehender ins Oderbruch, sieht man sich auf den ersten Blick mit ähnlichen Problemen konfrontiert, die in vielen ländlichen Räumen vorherrschen: demographischer Wandel, strukturschwache Räume, wenige kulturelle Angebote. Aber ganz so einfach kann man es sich nicht machen. Nimmt man das Oderbruch etwas genauer unter die Lupe, dann wird man positiv überrascht sein. Vor allem was Kultur anbelangt. Ziehen viele Menschen in größere Städte, weil dort Kultur umfangreich angeboten wird, so könnte man das Oderbruch als ländliche Gegenbewegung ansehen. Theaterfreunde loben das Theater am Rand, im Museum Altranft findet man allerlei urige Gegenstände und im Oderbruchzoo Altreetz kommen sowohl Jung als auch Alt auf ihre Kosten. Mit viel Engagement und einer stellenweise finanziellen Unterstützung durch Fördermittel der EU schaffen sich dieBewohner des Oderbruchs ihr eigenes attraktives Lebensumfeld.

Markus Boerchi

Verteilungsmodus Gießkanne

Ähnlich einem leichten Regenschauer werden Fördermittel ausgegossen. Die Tropfen fallen an manche Orte, an andere nicht. Um etwas von der Ausschüttung zu bekommen, heißt es sich bewerben, anders als die Anderen zu sein und sich im Wettbewerb um die knappen Mittel (im Bild der Gießkanne dem Wasser entsprechend) stets und immer aufs Neue zu behaupten. Das heißt konkret nach den von Beginn an begrenzten Zeiträumen einer Förderung, sich wieder neu erfinden und darstellen. In der Konsequenz bedeutet es, dass die Akteur_innen in eine Unsicherheit hineinarbeiten. Bürger_innen werden zu Bittsteller_innen.

Theresa Schnell

Umhüllung wovon?

„Hüllenförderung“ benennt die Tatsache, dass die Hülle (und nicht der Inhalt) gefördert wird. Sachgüter und Investitionen, also Maschinen, Gebäude, Material etc., sind im schlechten Fall nicht mehr als eine leere Hülle. Ihr Vorteil ist, dass sie gut bepreist werden können und somit leicht in den Finanzierungsplänen zur Projektförderung auftauchen. Menschen, die sich in Gebäuden treffen, die in Milchkuhställen und Theatern arbeiten, die Dinge nutzen oder nutzbar machen, die zeigen, wie sie funktionieren. Eine Umwidmung ist schwer in monetären Größen zu messen. Wie kann dieses, in der Logik der Bestandsgröße einer Bilanz schwer greifbare und oft über Generationen gewachsene Kapital gefördert werden?

Theresa Schnell

Wirken sich EU-Fördermittel negativ auf die kommunale Selbstverwaltung aus?

Die Gemeinde Letschin kann nur über ca. 5% des Gesamtetats vollkommen selbst bestimmen, d.h. darüber entscheiden, ob und wie Aufwendungen in der Gemeinde von diesem Geld durchgeführt werden. Der überwiegende Teil des Gemeindehaushaltes ist fremdbestimmt.

Neben dem eigenen Finanztopf besteht allerdings die Möglichkeit, Fördergelder zu beantragen, z.B. LEADER-Mittel, die von der EU zur Förderung des ländlichen Raums vergeben werde.

Die Beantragung von Geldern ist dabei in mehrere Stufen unterteilt: Am Anfang steht die EU, welche Richtlinien vorgibt, nach welchen die bereitgestellten Fördermittel verteilt werden. Es folgen die Bundesländer, welche daraufhin eigene Entwicklungsprogramme erarbeiten. Daraufhin entwickeln einzeln gegründete LEADER-Regionen eigene regionale Entwicklungsstrategien, die durch eine engagierte lokale Aktionsgruppe (LAG) umgesetzt werden sollen.

Die „Lokale Aktionsgruppe Oderland e.V.“ zählt 100 Mitglieder, wobei über die Hälfte der Mitglieder aus der freien Wirtschaft kommen. Im von ihnen gewählten Vorstand sitzen aktuelle überwiegend Landräte, Verbände, Amtsvertreter und Unternehmen. Der Vorstand entscheidet maßgeblich, welche Projekte in der Region gefördert werden. Aber wenn der ländliche Raum als Lebens- und Wirtschaftsraum gefördert werden soll, warum sind die Kommunalvertreter nicht vertreten? Sie sind demokratisch gewählt und gleichzeitig fehlen ihnen aber wichtige Gestaltungsmöglichkeiten. Die Mittel sind nicht nur zum Wohl der Unternehmen gedacht, sondern sollten die gesamte Gesellschaft berücksichtigen.

Thomas Bollwein

Die Seminarteilnehmer danken der Gemeinde Letschin, dem Amt Barnim Oderbruch, der Landpension Oderbruch in Neuwustrow, dem Oderbruchzoo Altreetz, dem Museum Altranft, dem Theater am Rand, der Gemeinde Golzow, der LAG Oderland, der AGO Zechin, dem Hof Basta in Letschin, der Heimatstube Letschin, dem Landrat Gernot Schmidt und der Stiftung Oderbruch für die interessanten Gespräche.

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