C. Mundt: Ein Blick auf den Oderbruchpavillon

Ein Blick von oben: Wie der Oderbruchpavillon als Kommunikationsplattform und durch seine spezielle Arbeitsweise im „Sein“ eine nachhaltige Regionalentwicklung betreibt

Meine Untersuchung ist der Nachhaltigkeit von Regionalentwicklung gewidmet. Dabei stütze ich mich auf eine Konzeption des Philosophen und Sozialpsychologen Erich Fromm, (1900-1980), der mit seiner Gegenüberstellung der menschlichen Existenzweisen von „Haben“ und „Sein“ unter anderem einen Hinweis auf wesenseigene Kräfte und eine Haltung zur eigenen Natur gibt. (Vgl. Erich Fromm 2010) Nicht das Hinterherlaufen hinter bestimmten Trends und eine Orientierung an äußeren Maßstäben (Haben) sollten das Handeln bestimmen, sondern vielmehr die Förderung eigener Potentiale (Sein). Ich habe diese Idee von der individuellen Ebene auf die Selbstwahrnehmung einer ganzen Region übertragen.

Ergänzt wird diese Betrachtung durch die kommunikationswissenschaftliche Herangehensweise von Marko Ivanišin, der mit dem Stakeholder-Prinzip einen Ansatz für die praktische Umsetzung einer nachhaltigen Regionalentwicklung entwickelt hat. Er stellt theoretisch heraus, dass Kommunikation und Kooperation in einer nachhaltigen Regionalentwicklung entscheidende Faktoren darstellen. Die regionalen Wirtschaftsakteure können somit über Kooperationen und Austauschprozesse selbst Lösungen erarbeiten und eine Regionalentwicklung von innen heraus betreiben. Diese Methoden können dann ebenfalls der Existenzweise des „Seins“ zugeordnet werden.

Beide Perspektiven habe ich  auf die Kunst- und Kulturschaffenden im Oderbruch angewendet. Welche Rolle spielen sie in der Regionalentwicklung? Aus meiner Sicht fördern sie eine nachhaltige Regionalentwicklung im „Sein“, indem sie die Region und deren spezifische Merkmale in ihren Produkten und Konzepten aufarbeiten und der Öffentlichkeit präsentieren. Der Oderbruchpavillon tut dies ebenfalls, durch seinen Ansatz der Landschaftskommunikation.

Sowohl die Kunst- und Kulturschaffenden, als auch der Oderbruchpavillon können als Vermittler (Mediatoren) und als Initiatoren in Bezug auf Netzwerkarbeit und nachhaltige Regionalentwicklung (im Sein) angesehen werden. Ihre Aktionen sind eine Bereicherung für die Region, ihr Werkzeug ist zumeist die Kommunikation. Sie erbringen Voraussetzungen dafür, dass die lokalen Akteure und Wirtschaftsunternehmen ein regionales Bewusstsein entwickeln oder ihr regionales Bewusstsein (wieder) entdecken. Die Grundlagen dafür entwickeln sie in Aktionen, die die wesenseigenen Potentiale der Region sensibel aufdecken, so dass sie bewusst artikuliert werden können und durch verschiedene Aufmerksamkeiten in die Öffentlichkeit getragen werden. Auf einer gemeinsamen visuellen Plattform  – dem  Oderbruchpavillon – werden die Aktionen gesammelt und sind somit jederzeit zugänglich. Weiterhin wird mit diesem gemeinsamen Forum die Transparenz hinsichtlich einer Regionalentwicklung von innen heraus erhöht. Vielerorts engagieren sich unterschiedliche Akteure ehrenamtlich oder privatwirtschaftlich in Sachen Regionalentwicklung, ohne voneinander zu wissen und ohne die Arbeit des Anderen zu kennen oder sich untereinander auszutauschen. In solchen Fällen fehlt die gemeinsame strukturelle Plattform, welche für ein kommunizierendes Regionalmanagement ausschlaggebend sein kann.

Der Oderbruchpavillon hat die Methode der Landschaftskommunikation für sich entdeckt und somit eine besondere (bisher virtuelle) Plattform initiiert. Das Ziel ist es, über Kommunikation Regionalentwicklung zu betreiben und darüber hinaus die Landschaft als “Vielfalt von Aneignungsweisen, Sichtweisen und Interessengruppen zu verstehen“ (vgl. Oderbruchpavillon). Hier werden Aktionen, die auf einer Verbindung von Kunst und Naturschutz beruhen und regionale Vielfalt und Aneignungsweisen vermitteln, veröffentlicht. Mit einem selbst gesetzten bildungspolitischen Auftrag – die Kenntnisse über die eigene Landschaft zu verbessern – werden Erfahrungsberichte, Konzepte, Ideen sowie wissenschaftliche Fragestellungen möglichst breit kommuniziert. Akteuren soll darüber hinaus die Möglichkeit gegeben werden, sich über die Region auszutauschen und sich über ihr Handeln in der Region selbst zu erfahren. Somit entstehen Gelegenheiten zur Gründung von (Unternehmens-)Netzwerken (z.T. auf Zeit) bzw. zur Stärkung des Bewusstseins für die Region. In diesem Zusammenhang wurde die Region des Oderbruchs über ihre naturräumliche Ordnung definiert und regionalisiert, wobei der menschliche Einfluss auf diese Region hin zu einer besonderen Kulturlandschaft als der größte eingedeichte Flusspolder Deutschlands eine gleichermaßen große Rolle spielt. Die Entstehung bzw. Förderung der Region als Summe natürlicher und menschlicher Einflüsse wird immer wieder thematisiert. Die Region wird zur (Kultur)Landschaft, die durch den Oderbruchpavillon eine besondere “Aufmerksamkeit“ (Vgl. Georg Franck 2007) erfährt. Somit betreibt ein Teil der Kunst- und Kulturschaffenden unter dem Begriff der Landschaftskommunikation eine spezielle Form der nachhaltigen Regionalentwicklung im „Sein“, da sich speziell diese Methodik mit den wesenseigenen Potentialen der Region auseinandersetzt und diese für die Weitervermittlung bereit stellt. Über verschiedene Kommunikationstechniken wie Sommerseminare, Workshops, Projektwochen (an Schulen), Kunst-Installationen, Forschungsprojekte, Publikationen, Informationstafeln und -Veranstaltungen, Theaterstücke, Bildungsprogramme und Tourismuskonzepte, wird die Region zum Thema und wird der Reichtum der Landschaft erschlossen. Dieser vielfältige Reichtum wird durch die einzelnen Projekte, aber auch durch den Oderbruchpavillon selbst, an Interessierte weiter vermittelt. Die Identifikationsmöglichkeiten mit der Region werden bewusst gesteigert, indem “Wissenschaftliche Forschung mit praktischer Aneignung kontrastiert wird“ (vgl. Oderbruchpavillon). Im Grunde wird regionales, implizites Wissen expliziert und öffentlich zugänglich gemacht. Diese Öffentlichkeit soll für ein breites Verständnis und für einen gegenseitigen Respekt unterschiedlicher Akteure untereinander sorgen, die Identifikation mit der Region erhöhen, bzw. das damit verbundene Selbstverständnis fördern, und somit schließlich die Bindung zur Region verbessern. Dies kann ein entscheidender Beitrag für eine von Abwanderung stark bedrohte Landschaft wie das Oderbruch sein, bisweilen sind die Ergebnisse jedoch schwer messbar. Im Sinne einer “produktiven Tätigkeit“ (vgl. Erich Fromm 2010) ist das Resultat in erster Linie eine “Qualifizierung im Umgang mit der Region. Die Selbstqualifikation ist gestiegen und die eigene Sicherheit im Umgang mit der Landschaft sowie das Sich-gegenseitig-respektieren.“ (vgl. Oderbruchpavillon) Durch regionale Aneignungspraktiken, die die Kunst- und Kulturschaffenden im Zusammenhang mit dem Oderbruchpavillon aufdecken oder über unterschiedliche Projekte bewusst konstruieren, erschließt sich eine regionale Vielfalt, welche ihrerseits Möglichkeiten zur regionalen Entwicklung eröffnet. Region wird als offener Diskurs verstanden, zu dem alle einen Zugang haben sollen und welcher stetig aufrechterhaltenund verbessert werden muss, um Wirkung zu zeigen. Regionale Alltagsroutine wird durch die Aktionen immer wieder durchbrochen, um in Form von integrierten, interdisziplinären Interventionen “Blinde Flecken“ (vgl. Niklas Luhmann) ausfindig zu machen und regionale Potentiale nicht nur zu entwickeln, sondern auch zu ent-wickeln (vgl.  Marko Ivanišin 2006), also aufzudecken.

Unterschiedliche Interessengruppen werden aufgefordert, Position zu beziehen, auf diesem Wege Wissen preiszugeben und im Gegenzug vom Anderen zu lernen. Denn “Landwirte verstehen sie [die Landschaft] anders als Naturschützer, Künstler verarbeiten sie anders als Kommunalpolitiker, Einheimische reflektieren sie anders als Besucher“ (vgl. Oderbruchpavillon). Hierdurch wird ein regional-kollektiver Lernprozess initiiert, welcher durch fortschreitende Kommunikation, Zusammenarbeit und Aufrechterhaltung von Diskurs bewahrt wird. Die Region wird zum Thema gemacht. Ausgehend von der Überzeugung, dass vielen geförderten Projekten die Nachhaltigkeit fehlt, weil sich die Menschen im Vorfeld nicht genügend mit der Region auseinandergesetzt haben, ist es das Ziel, über unterschiedliche Aktionen Kommunikationsprozesse und Selbstreflexion zu initiieren. Es soll erreicht werden, die Region und eigenes Handeln in der Region zu verstehen und zu erfahren sowie potentielle Möglichkeiten zu artikulieren. Hieraus ergibt sich ein vielfältiges (unreduziertes) regionales Verständnis als Grundlage für eine mehrdimensionale, selbstorganisierte, nachhaltige Regionalentwicklung im „Sein“.

Am Beispiel des Oderbruchs werden dann wesenseigene Merkmale wie zum Beispiel das Leben mit und an einem Fluss sowie der unterschiedliche Umgang mit einer stetigen Bedrohung von Hochwasser, der Schutz der Tier- und Pflanzenwelt (Biodiversität), die einzigartige Historie (Trockenlegung des Oderbruchs), die spezielle Bau- und Lebensweise im Bruch und deren Wandel, der Anbau von Energiepflanzen und landwirtschaftliche Besonderheiten (Bodenbeschaffenheit, Be- und Entwässerung), die Oder als Grenzfluss und das Nachbarland Polen, politische und kommunalpolitische Entscheidungen,  demographischer Wandel,  touristische Radwegkonzepte fernab der üblichen Professionalität, kulturelle Besonderheiten wie Verschwörungstheorien um das Oderbruch und die Provinzhaftigkeit als Potential einer Landschaft und vieles mehr, thematisiert. Die Kunst- und Kulturschaffenden sind somit Experten für “Aktionen zur Erschließung des endogenen Potentials der Regionen und Hebel zur nachhaltigen Regionalentwicklung.“ (Vgl. www.ec.europa.eu)

Die Initiatoren des Oderbruchpavillons verfolgen dabei einen doppelten Lernprozess:

1. Die Förderung des Selbstverständnisses der Region und regionaler Akteure – ohne dabei eine elitäre Haltung einzunehmen – um eigene Möglichkeiten zur Regionalentwicklung auszubilden.

2. Eine mögliche Übertragbarkeit der Arbeitsweisen auf andere Regionen.

Weiterhin kommt es in Bezug auf den Kommunikationsprozess nicht auf bestimmte Zielgruppen an. Die Inhalte sollen eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen, um eventuell eingeschränkte Sichtweisen aufzuheben. “Auf keinen Fall dürfen in sich abgeschlossene Sprachen gefördert werden. Im Prinzip soll es jeder verstehen“, macht der Verantwortliche des Oderbruchpavillons, Kenneth Anders deutlich. Damit wird der Grundsatz der Education Popular angesprochen, der darauf abzielt, durch Partizipation und im Einklang mit den eigenen Erfahrungen gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge zu verstehen. Die Education popular versucht, den Unterschied zwischen Lehrenden und Lernenden bzw. zwischen Theorie und Praxis aufzuheben. Sie setzt von den Beteiligten ein hohes Maß an Mitwirkung voraus und benötigt einen Moderator (Vermittler), der jedoch nicht mit der Aufgabe eines Lehrers verwechselt werden sollte. In der Education popular wird die persönliche Erfahrung eines Individuums, einer Gruppe, in den Kontext gesamtgesellschaftlicher Ereignisse gestellt. Die individuellen Erfahrungen erhalten somit ein komplexeres Bild, auf diese Weise wird ein politisches und gesellschaftliches Verständnis effektiv übermittelt.

Die Arbeit der Kunst- und Kulturschaffenden sowie der Landschaftskommunikation kann insofern als eine Form von Education popular angesehen werden, als ihre Aktionen mit generierenden Themen (Vgl. Marko Ivanišin) gleichzusetzen sind. Sie präsentieren mit ihren Werken die wesenseigenen Merkmale der Region (Ideen, Werte, Konzepte, Herausforderung usw.) in verschlüsselter Form. Diese werden von Bewohnern, Besuchern und Interessierten mit ihren eigenen Erfahrungen und Einstellungen entschlüsselt. Die Widersprüche, die dabei möglicherweise entstehen, sorgen für ein Nachdenken über die Region und sich selbst und idealerweise auch für ein Umdenken im Umgang mit Region und regionalen Aufgaben. Somit werden ihre Beiträge in Form einer Education popular schließlich zur stetigen Aufgabe in einer sich stetig wandelnden Region. Das Umdenken, das sich dabei immer wieder ergibt, kann als ein andauernder, aktiver Lernprozess  verstanden werden, der in Verbindung mit den inneren Interessen der Region, auch als Lernprozess im „Sein“ angesehen werden kann.

Die ständige Auseinandersetzung mit der Region, das Aufdecken wesenseigener Potentiale und der Beitrag der Kunst- und Kulturschaffenden sowie der Landschaftskommunikation durch den Oderbruchpavillon können somit – – als eine Art von nachhaltiger Regionalentwicklung angesehen werden.

Carolin Mundt , April 2012

Carolin Mundt

Carolin Mundt wurde 1982 in Wriezen geboren. Nach dem Abitur 2002 absolvierte sie eine schulische Ausbildung zur “gestaltungstechnischen Assistentin mit dem Schwerpunkt Grafik und Design“ in Angermünde. Anschließend nahm sie die Möglichkeit eines sechsmonatigen Auslandsstipendiums, verbunden mit einem Praktikum in England wahr. Nach unterschiedlichen Projekten und Tätigkeiten im Bereich Grafik und Design entschied sie sich dann 2006 für ein Studium im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften mit dem Fokus Kulturwissenschaften an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg. Verbunden mit einem Semester an der Humboldt Universität in Berlin und einer Tätigkeit im Stadtmarketing bzw. in der Stadtplanung während des Studiums entwickelten sich die Schwerpunkte in Richtung Stadt- und Regionalentwicklung bzw. Stadt- und Regionalsoziologie sowie Nachhaltigkeit. Besonders interessiert sie hierbei der Beitrag von Kultur und Kulturschaffenden in unterschiedlichster Form an einer räumlichen Entwicklung.

Literatur
Bardouin, J. (Hrsg.): Kultur und Regionalentwicklung: Eine Herausforderung für die Zukunft,
Broschüre der Generaldirektion für Regionalpolitik (GD XVI), Referat 2, Brüssel, 2000 [pdf:
www.ec.europa.eu/regional_policy/innovation/innovating/…/de_cult.pdf (November 2011)]
Franck, G. (2007): Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München: Deutscher
Taschenbuch Verlag. [S. 7-11, 208-250].
Fromm, E. (2010): Haben oder Sein. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. 37. Auflage.
Ivanišin, M. (2006): Regionalentwicklung im Spannungsfeld von Nachhaltigkeit und Identität,
Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. [Dissertation an der Fakultät für Human- und
Sozialwissenschaften der Universität Wien: Nachhaltige Entwicklung als Identität. Ein
kommunizierender Denkansatz für Regionen und Regionalentwicklung. Eingereicht von
Marko Ivanišin, Wien, Dezember 2004.].
Kneer, G./Nassehi, A. (2000): Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Eine Einführung, UTB
für Wissenschaft. München: Wilhelm Fink Verlag. 4. unveränderte Auflage.
www.oderbruchpavillon.de/index.htm (August 2011)
www.landschaftskommunikation.de/index.htm (August 2011)