Landschaftspflege, Rindermast und Rohwurstspezialitäten
Gespräch mit Karl-Heinz Manzke, Geschäftsführer der Weidewirtschaft-Liepe eG.
Zwischen Höhe und Niederung
Liepe markiert die Grenze zweier Landschaften. Hier trifft die Uckermark auf das Oderbruch. Vom Schiffshebewerk bei Niederfinow aus betrachtet, liegt die Struktur des landschaftlichen Übergangs deutlich vor Augen. Nördlich der langgezogenen Dorfstraße liegen die Häuser an den Südhängen des Choriner Endmoränenbogens, südlich öffnen sich die Höfe in die weitläufigen Wiesen des Niederoderbruchs. Mit einem Fernglas würde man vom nahen Schiffshebewerk in Niederfinow die Rinderherden der Weidewirtschaft-Liepe eG erkennen können: braune, schwarze und grauweiße Punkte auf dem satten Grün der Niederung oder dem hellen, ins Gelbliche gehende Grün der Magerrasen, die den Forst auf den Hängen lichten.
Die Weidewirtschaft-Liepe eG liegt mit ihrem Betriebsgelände zum Niederoderbruch hin. Das Büro von Karl-Heinz Manzke ist in einem Flachbau untergebracht, gleich neben dem Hofladen, in dem Wurstspezialitäten aus der eigenen Fleischerei verkauft werden. Es ist ruhig auf dem Hof. Die Rinder sind bis zum Winter auf den Weiden, der Hofladen nur Freitags geöffnet. Aus der Fleischerei, die in einer großen Halle untergebracht ist, kommt ein Mitarbeiter. „Der Chef ist gleich da, steht noch an der Ampel in Oderberg. Seit die Holzbrücke über die Alte Finow gesperrt ist, kommen wa nich mehr durch de Wiesen. Wegen jedem Mist musste jetzt `nen großen Bogen machen. Und die Jemeinde hat keen Geld für `ne neue. Sind keene juten Zeiten.“
Karl-Heinz Manzke fährt in einem geländegängigen rotem Pick-up vor. Er war noch in Bralitz bei einem Bauern, der Futtermais für ihn anbaut. Die Wildschweine, bemerkt Manzke, lassen es sich im Mais gut gehen, die Jäger kriegen die nicht raus, der Bauer will den Schlag abernten, um die gefräßigen Schweine loszuwerden, aber der Mais ist noch nicht so weit. „Sollen die Jagdpächter den Ausfall zahlen, wenn sie nicht genug schießen“, meint Manzke. Im Büro greift er sofort zum Telefon auf dem papiergefüllten Schreibtisch und deutet mit der anderen Hand auf die freien Stühle am Tisch im hinteren Teil des Büros. „Der Mais muss mindestens noch ein, zwei Wochen stehen… Dann müssen sie die Wildschweine da rausholen… Der hat noch nicht den Energiegehalt. Aber wozu erzähle ich dir das, du bist doch mein Berater. Kümmere dich mal drum.“ Nachdem er aufgelegt hat, setzt er sich mit an den Tisch. „Wir sind auf den Mais als Futterzusatz in den Wintermonaten angewiesen. Heu und Silage machen wir zu 90% selber.“
Der Betrieb und sein Leiter
Karl-Heinz Manzke ist seit der Gründung der Weidewirtschaft – Liepe eG im August 1991 Geschäftsführer der Genossenschaft. Bis Anfang 2004 führte er auch die Geschäfte des Tochterunternehmens der Genossenschaft, der 1998 gegründeten Weidefleisch-Liepe GmbH. Die Geschicke der hauseigenen Fleischerei und die Vermarktung ihrer Produkte liegt auch heute in seinen Händen, die GmbH wurde aber nach 6 Jahren am Markt wieder in die Genossenschaft zurückgeführt. Die Umsatzerwartungen für das Tochterunternehmen haben sich nicht erfüllt und es ist zu stark auf die Unterstützung der Agrargenossenschaft angewiesen geblieben, als dass sich ein eigenständiger Betrieb rechnete.
Manzke, Jahrgang 58, ist auf Rügen aufgewachsen. Nach Liepe führte ihn seine Frau, die er 1986 heiratete. Arbeit fand der Agraringenieur bei der LPG Oderberg. Er übernahm die Leitung des Betriebsteils Färsenproduktion in Liepe. 25 Mitarbeiter waren damals in der Rinderaufzucht beschäftigt. Die Kälber bezog man von den Betrieben der Kooperation in Parstein, Lunow, Lüdersdorf oder Brodowin. Gestützt auf eine intensive Gründlandwirtschaft wurden die Tiere aufgezogen und als tragende Färsen für die Milchproduktion weiterverkauft. Nach der Wende brach der Absatz ein und der Betriebsteil der LPG Oderberg in Liepe stand vor dem Aus.
Vor die Wahl gestellt, in die Arbeitslosigkeit zu gehen, oder den von der Schließung bedrohten Betriebsteil in Liepe zu übernehmen, entschlossen sich Manzke und 7 Mitarbeiter für die Ausgründung einer selbstständigen Genossenschaft. Die neue Genossenschaft bot nur noch den 8 Eigentümern, alle um die 30 Jahre jung, einen Arbeitsplatz. Die älteren Mitarbeiter gingen den Weg in den Vorruhestand. Die Stallanlagen und Wirtschaftsgebäude sowie die notwendige Agrartechnik wurden von der LPG Oderberg/Liepe durch Teilung übernommen. Ebenso wurden die Altkredite der LPG geteilt und dem jungen Unternehmen mit auf den Weg gegeben. Das Weideland für die knapp 500 Mütterkühe, 200 Jungrinder und 15 Deckbullen wurde gepachtet, insgesamt 650 Hektar.
Ökologische Grünlandnutzung und Landschaftspflege
Ein Drittel der Flächen liegt im Landschaftsschutzgebiet „Choriner Endmoränenbogen“, das zu den Entwicklungszonen des 1990 gegründeten Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin gehört. Die anderen beiden Drittel sind Teil des Naturschutzgebietes „Niederoderbruch“, einer Pflegezone des Biosphärenreservates. Der Naturschutz verfolgt in den Wiesen der Oderniederung das Ziel, die über viele Jahrzehnte durch die Beweidung und Mahd entstandene Kulturlandschaft mit ihrem Reichtum an naturnahen Lebensräumen für Tiere und Pflanzen zu erhalten. Unter diesen Voraussetzungen war abzusehen, dass eine intensive Grünlandwirtschaft auf diesen Flächen keine Zukunft haben würde. Konsequenter Weise entschied sich die Genossenschaft dafür, den Betrieb ökologisch auszurichten und die Grünlandwirtschaft zu extensivieren. „Dabei wurden wir vom Biosphärenreservat unterstützt, denn wenn die Rinder weg sind, dann gibt es hier bald auch kein Naturschutzgebiet mehr.“
Im zeitigen Frühjahr werden die Rinderherden auf die Weiden an den Südhängen des Choriner Endmoränenbogens getrieben. Hier kalben die meisten Mutterkühe und ziehen mit ihrer Milch die Kälber auf. Mit Argusaugen achten die Bullen und Leitkühe der Herden auf die Kälber. „Ab und an, meist so im Mai kommen auch ein paar Touristen und wollen das Kalben beobachten. Ich kann denen nur raten, nicht auf die Koppeln zu gehen“, betont Manzke. „Durch artgerechte Weidehaltung verwildern die Tiere wieder ein Stück, prägen ihren Herdeninstinkt aus. Da weiß man nie und ehe man sich versieht, hat man es mit dem Bullen oder einer besonders fürsorglichen Mutterkuh zu tun.“ Auf die Mitarbeiter der Genossenschaft regieren die Rinder zwar etwas gelassener, da sie sie kennen, aber nicht unbedingt immer friedlich.
Sind die Weiden abgegrast, werden die Herden umgetrieben. Eine Arbeit, die alle Mitarbeiter der Genossenschaft beansprucht, damit die Herden nicht ausbrechen. Im Hochsommer wird das Futter an den Hängen knapp und die Tiere in die frischen Wiesen im Niederoderbruch getrieben. Hier können die Kälber in Ruhe aufwachsen. Den Winter verbringen sie dann in den Rinderställen mit Auslauf und werden mit dem Heu gefüttert, das zwei Mal im Jahr auf den Wiesen im Oderbruch gemäht wird.
Da die Genossenschaft gemäß den Richtlinien des ökologischen Landbaus keine Chemie auf ihrem Grünland ausbringt, bekommen die für die Rinder wichtigen Nutzgräser immer stärkere Konkurrenz von Kräutern und Unkräutern und die Futterqualität lässt nach. „Der Naturschutz sieht den Artenzuwachs natürlich gern. Aber die wachsende Zahl von Giftpflanzen, wie Wasserschierling, Herbstzeitlose, schwarzer Nachtschatten, scharfer Hahnenfuß und andere, wird zunehmend zur Gefahr für die Rinder“, berichtet Manzke. Plötzliche Verendungen von Tieren auf der Weide deuten darauf hin, dass Tiere an Pflanzengiften zu Grunde gehen oder erkranken. Wenn die Vertragsnaturschutzgelder nicht rückläufig wären, könnte er beispielsweise teures Guayano, einen naturverträglichen Dünger, kaufen und ausbringen, um den Boden mit Nährstoffen für die Nutzgräser anzureichern. Auch die Grünlandpflegemaßnahmen, wie Schleppen, Walzen und konsequentes Nachmähen und gezielte Nachsaat der Weideflächen verbessern die Grünlandbestand. Da er das Geld aber nicht hat, „wird derzeit eben nur das Nötigste gemacht, und die Wiesen verunkrauten zunehmend.“
Die betriebswirtschaftliche Strategie, ökologische Landwirtschaft und Landschaftspflege zu verbinden, ging auch deshalb auf, weil die Weidewirtschaft-Liepe eG neben den normalen Agrarsubventionen auch auf Mittel aus dem Vertragsnaturschutz zugreifen konnte. Diese werden in jüngster Zeit immer knapper, was die Liquidität des Betriebes prekär gestaltet. Ohne diese Zuschüsse komme der Betrieb nicht aus, betont Manzke und auch die Landschaftspflege leide darunter. „Ohne Bewirtschaftung verbuschen die Wiesen, schwinden die Lebensräume für Storch, Kranich und Co., verschwindet die Kulturlandschaft mit ihrer speziellen Flora und Fauna.“ Daher hofft er, dass mit der EU-Agrar-Reform die Leistungen der Landwirte für die Landschaftspflege stärker in der Vordergrund treten und angemessen honoriert werden.
„Hier fahren doch alle um ihr Leben“
Um die eigene Wirtschaftskraft der Genossenschaft zu erhöhen und so auch finanziell unabhängiger von Zuschüssen zu werden, gründete die Weidewirtschaft-Liepe eG 1998 eine Tochtergesellschaft für die Veredelung und Direktvermarktung hauseigener Rindfleischprodukte: die Weidefleisch-Liepe GmbH. Überzeugt von der besonderen Qualität der ökologisch erzeugten Rinder – über deren gut „marmoriertes, feinfasriges Fleisch“, das „kernig und herzhaft im Geschmack“ ist, Manzke ins Schwärmen gerät – wurde eine Fleischerei nebst Hofladen, der nicht nur Fleisch und Wurst aus eigener Produktion verkaufen, sondern auch Lebensmittel von anderen Produzenten aus der Region anbieten sollte, eingerichtet. Die Fleischerei kaufte die Tiere von der Genossenschaft, ließ sie im nahegelegenen Schlachthof von Bad Freienwalde schlachten und verarbeitete dann das Fleisch. Produziert wurde vor allem frisches Biorindfleisch, vom Kamm über Rouladen bis zum Filet, aber auch Salami und andere Rohwurstspezialitäten bis hin zu Leber- und Blutwurst, die im Glas angeboten wurden. Das für die Wurstherstellung notwendige Schweinefleisch wurde von Bauern der Region zugekauft. Die Naturgewürze, die nicht aus der Region bezogen werden konnten, mischte der Fleischermeister selbst.
Um aus der nahezu perfekten Produktkette auch eine Wertschöpfungskette werden zu lassen, wurde viel Kraft in die Vermarktung der Produkte gesteckt, die alle das Siegel der Regionalmarke des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin trugen. Kooperationen mit anderen Regionalmarkenträgern wurden eingegangen, um sie als Weiterverkäufer zu gewinnen, aber auch, um deren Produkte im eigenen Hofladen in Liepe anzubieten, damit der an Attraktivität für die Kunden gewinnen kann. Ein Verkaufswagen für Überlandtouren wurde angeschafft. In einem Supermarkt in der Kreisstadt Eberswalde eine Fleischtheke eröffnet. Kontakte zu Märkten in der Region und zu Naturkostläden in Berlin geknüpft. „Aber das alles brachte nicht den richtigen Schub“, bilanziert Manzke. „Schauen sie sich doch mal auf einem Markt um. Da stehen drei Fleischer mit ihren Wagen und vor ihnen tummelt sich ein Kunde. Hier fahren doch alle um ihr Leben. Und wir haben noch den Nachteil, dass unsere Bioprodukte teurer in der Herstellung sind.“
Die Tochtergesellschaft konnte sich auf dem Markt für Fleisch- und Wurstwaren nicht behaupten und wurde Anfang 2004 wieder in die Weidewirtschaft-Liepe eG zurückgeführt. Von den ehemals 7 Angestellten der GmbH arbeiten heute noch zwei in der Genossenschaft, ein Geselle in der Fleischerei und eine Verkäuferin auf Stundenbasis für Verkaufsaktionen in Supermärkten und freitags im Hofladen, dessen Sortiment fast ausschließlich aus der eigenen Produktion stammt.
„Schorfheider Bio“
Manzke ist sich sicher, dass es für Ökofleischwaren kontrollierter Qualität eine gute Zukunftschance gibt. Die Genossenschaft erfüllt hierfür alle Voraussetzung: der Betrieb produziert ökologisch, was der anerkannte Verein BIOPARK jährlich überprüft und zertifiziert, die Rinder verfügen über eine fälschungssichere „digitale Akte“, die es jedem Kunden ermöglicht, die Herkunft der Fleischprodukte online penibel zurück zu verfolgen und der Betrieb setzt auf seine regionale Herkunft aus einer in Berlin gut bekannten Region. Die ökologische Rindersalami „Schorfheider Bio“ ist ein erster Schritt, die Weidewirtschaft-Liepe eG zu dem Rohwurstspezialisten der Schorfheide zu machen. „Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Produkte an den Markt, dorthin, wo die Kunden es gewohnt sind einzukaufen, in die Supermärkte. Das kann nicht jeder kleine Betrieb alleine für sich machen. Allein sind wir zu schwach.“
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Über die Profilierung der hauseigenen Fleischerei verliert Manzke die Entwicklung des Hauptgeschäfts der Weidewirtschaft nicht aus den Augen. Eine zweites Schleppdach für die Lagerung des Winterfutters will er bauen und die Dachflächen für eine Solaranlage nutzen. „Aber viel wichtiger ist, dass die gesperrte Holzbrücke über die Alte Finow, beim Schöpfwerk hinten in den Wiesen nach Bralitz zu, neugemacht wird. Jetzt müssen wir mit unserer ganzen Technik ums halbe Oderbruch fahren, um auf die Flächen vor unserer Haustür zu kommen. Das ist kein Zustand. Aber die Gemeinde hat kein Geld, nicht mal den Eigenanteil für die Förderung. Wir brauchen einen Weg in die Wiesen.“
Lars Fischer