Inge Müller schlug den Weg zur Keramikern in den siebziger Jahren ein.
Die erste Inspiration dazu ging von Kindern aus.
Von Sonnhild Siegel
Inge Müller hat immer am Rande des Oderbruchs gewohnt, zuerst in Bad Freienwalde, wo sie geboren wurde, und danach im kleinen Dörfchen Vevais bei Wriezen, aus dem ihr Mann stammt. Sie lebt in einem Haus an der Dorfstraße, das beide Müllers 1956 unter unvorstellbaren Schwierigkeiten gebaut haben. Umgeben ist es von einem schönen Garten mit großem, eigenhändig ausgebuddeltem Schwimmteich. „Haus am See“ nennen es scherzhaft ihre Kinder.
Inge Müllers Begeisterung für die Keramik wurde vor vierzig Jahren geweckt. 1973 sah sie in einem Schaufenster von Kindern gefertigte Tonarbeiten, die ihr sehr gefielen, und sagte sich: „Das kannst du auch!“
Sie besuchte einen Keramikzirkel und begann bald, in der Schule ihres Sohnes mit den Kindern zu arbeiten. Es machte ihr so viel Spaß, dass sie gerne das Angebot annahm, sich in Berlin an einer Spezialschule für künstlerisches Volksschaffen zur Keramikerin ausbilden zu lassen. 1976 bekam sie die staatliche Anerkennung als Zirkelleiterin für Keramik. Danach leitete sie über viele Jahre drei Erwachsenen- und zwei Kinderzirkel und wurde in der ganzen Region bekannt.
Überall im Garten hat die Künstlerin Spuren hinterlassen. Fischende Reiher stehen am Teich, eine Echse speit Wasser und eine tönerne Daphne verwandelt sich gerade in den Baum, an dem sie lehnt.
Nicht wenige Wriezener und Bad Freienwalder werden sich noch an das gemeinsame Schaffen im „Schlickerkeller“ des Kulturhauses Wriezen erinnern. Die Zirkel hatten über 70 Mitglieder und trotzdem noch lange Wartelisten. Vieles, was in dem Keller entstand, wurde auf Ausstellungen geschickt und errang Preise. Auch eigene Ausstellungen wurden organisiert, Keramiken auf Basaren verkauft oder als Auftragsarbeit angefertigt. Von dem damit verdienten Geld feierten die Zirkelmitglieder Feste und finanzierten Reisen zu den Keramikhochburgen Bürgel und Pulsnitz, aber auch nach Güstrow und Prag. Auf den Festen und Fahrten wurde getanzt und gesungen, danach wurde alles Erlebte in Versform aufgeschrieben und vorgetragen, die Texte füllen ein dickes Buch.
Große Gemeinschaftsarbeiten entstanden, zum Beispiel sechs Reliefs für das Rathaus Wriezen, die das Schicksal der Stadt zeigen, kunstvolle Gefäße für die Wriezener Apotheke oder eine zauberhafte Wandgestaltung im Wriezener Kindergarten “Juri Gagarin“: zwei Kinder pusten Seifenblasen in die Luft, in denen Märchenfiguren zum Himmel schweben.
Ein Relief, das Inge Müller mit Kindern anfertigte, gelangte sogar bis nach New York und wurde dort im Gebäude der UNICEF angebracht.
Inge Müller liebt das Oderbruch. Immer wieder findet man dessen prägende Elemente, die Weite der Landschaft, die charakteristischen Bäume und typischen Einzelhöfe auf ihren Fayencen und Gefäßen.
Die Oderbrücher selbst stellt sie in Porträtplastiken dar oder als Relieffiguren, oft in historischen Zusammenhängen.
Vor dem Müllerschen Haus steht eine eindrucksvolle Figurengruppe, bestehend aus einem Mann, der einen hoch bepackten Karren zieht, dahinter laufen Frau und Kind. Das sind die ersten Siedler, die gerade nach langem Fußmarsch aus der französischsprachigen Schweiz im Oderbruch eintreffen. Friedrich der Große hatte sie eingeladen, als Kolonisten auf dem durch Entwässerung neu gewonnenen Grund und Boden zu siedeln. Ihr Dörfchen nannten sie Vevais nach dem Städtchen Vevay am Genfer See, in der Nähe ihrer alten Heimat.
Die Gemeinde Vevais hat die Figurengruppe gekauft und wird sie im Dorf aufstellen.
Die Künstlerin fühlt sich ihrem Lebensort sehr verbunden. Jahrelang wurde sie zu jeder Tages-und Nachtzeit über die Nöte ihrer Mitbürger informiert, weil Familie Müller das einzige Telefon im Dorf besaß. Es ging um Arztbesuche, Todesfälle, Geburten, Liebeskummer und geplatzte Verabredungen. Sogar die Bestellungen des Dorfkonsums wurden über ihr Telefon abgewickelt.
Anlässlich der 250-Jahrfeier der Ortsgründung im Jahre 2006 interviewte Inge Müller die dreizehn Familien, die als Geburtsort Vevais angeben konnten. Sie erfuhr dramatische Geschichten über Tod, Flucht, Neubeginn und erneute Vertreibung, aber auch über Heimatverbundenheit und Ausharren unter schwierigen Bedingungen. Daraus hat sie ein kleines Buch gemacht. (siehe Rezension: Geburtsort Vevais )
„Ich bin ein Fan vom Alten Fritz“, sagt Inge Müller. „Trotz seiner furchtbaren Kindheit ist er ein großer König geworden, der Preußen mit Klugheit und Toleranz regierte. Er hat das Oderbruch geschaffen und dort vielen Menschen eine neue Heimat gegeben“.
Anlässlich seines 300. Geburtstages im Jahr 2012 stellte sie im Gasthof“ Alter Fritz“ in Altlewin ihre Keramikarbeiten aus, die sich mit Friedrich in den verschiedensten Lebenssituationen befassen. Die aktuellste Arbeit ist ein Relief, das das Binnenhochwasser im Oderbruch zeigt. Aus einer Wolke, die über den nassen Ackerflächen schwebt, schaut der König missbilligend über das so schlecht entwässerte Land.
Er hat gerade zu dem Bericht folgende Randbemerkung verfasst: „Da mus mit Ernst nach gesehen werden und wohr die Räthe nicht Blei im Hindern haben muss der Treibsamste hingeschicket werden umb die Arbeit zu accelerieren!“
Weitere Beiträge:
<<< Topf und Landschaft – Motive des Oderbruchs auf der Keramik von Katrin Heinrich
<<< Ein Kommen und Gehen – Das Oderbruch im Spiegel seiner Keramik – Von Elke Brämer