Heimat.Land.Zukunft.

Irene Fischer

Heimat. Die Fotos sind entstanden auf dem Loosegehöft bei Letschin im Oderbruch, das mir beinahe mehr Heimat geworden ist als mein Geburtsort bei Dresden bzw. Berlin, wo ich seit 1968 lebe, studiert und auch meine zwei Kinder geboren habe.

Mein Leben im Oderbruch begann 1980 auf diesem Bauernhof. Die Bauern waren schon betagt und nach Letschin gezogen, weil für sie das Leben hier zu beschwerlich geworden war.

Zu erreichen ist das Grundstück nur über einen Feldweg, der wetterbedingt entweder gut zu befahren ist oder mit der Angst, in den Graben zu rutschen oder im Schlamm stecken zu bleiben.

Das Klo ist im alten Hühnerstall hinten auf dem Hof ein Bio-Klo-Eigenbau. Wenn die Kiste voll ist, kommt der Inhalt auf den Kompost. Auch das Abwaschwasser bringe ich ihm. Das sehr eisen- und manganhaltige Wasser aus dem hauseigenen Brunnen wird bis heute im alten Filterfaß gefiltert, weil es sonst nach kurzer Zeit braun ist. Eine Filteranlage wird hoffentlich Abhilfe schaffen. Die Bauern mußten mit Regenwasser waschen.

Dieses mitunter beschwerliche Leben hier wird belohnt mit einem phantastischen Sternenhimmel, die Jupitermonde und die Andromedagalaxie ziehen mich regelmäßig in ihren Bann. Das Kommen und Gehen der Sonne und des Mondes sind immer wieder ein Schauspiel. Dazu gehören aber auch Stürme und Gewitter. Ich geniere mich nicht zu sagen, daß ich da manchmal rechte Angst habe, so allein auf weitem Feld.

Jedes Jahr ab Mai leisten mir acht bis zehn Rauchschwalbenfamilien Gesellschaft. Anfang September versammeln sich dann hier mehr als vierzig Schwalben zur gemeinsamen Reise in ein warmes Land. Wenn sie wiederkommen, erzählen sie mir viele Geschichten aus ihrem Leben und von unterwegs und freuen sich, ihre  Nester vom letzten Jahr wiederzufinden.

Das Grundstück steht unter Denkmalschutz, weil dieser alte Buchsbaumgarten aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts der einzige ist im Umland und über 100 Jahre lang gehegt und gepflegt wurde von den Bauern, die hier lebten und arbeiteten. Darum lade auch ich jedes Jahr im Juni zu den „Offenen Gärten im Oderbruch“ zum Besuch in meinem Garten ein (www.odergaerten.de). Besucherin ist auch immer die nun fast 80jährige Tochter der Bauern, die noch in Letschin lebt. Sie ist glücklich, daß ihre alte Heimat noch lebt und Erinnerungen weckt, nach denen ich fast süchtig bin. Gekauft habe ich 1980 ja nur die Steine und das Grün, die Geschichten um das Haus bekomme ich nun nach und nach geschenkt. Es ist nicht nur Idylle, wie mancher denken mag. Dies alles zu erhalten bedeutet, immer etwas zu tun zu haben.

Land. Seitdem es in rund 900 m Entfernung 10 Windräder gibt, die nicht selten ihre akustischen Ohrfeigen austeilen, ist das Wohlfühlen erheblich gestört.

Im Oderbruch gibt es in ehemaligen LPG-Ställen Puten- und Entenmastanlagen, die für einen erheblichen LKW-Verkehr sorgen, dazu tragen auch die Biogasanlagen bei, die wie Pilze aus der Erde schießen und betriebsbedingt große Teile der Landschaft in Maisfelder verwandeln.

Der Höhepunkt aber ist die im Sommer 2010 genehmigte Broilermastanlage in 1.800 m Entfernung. 2,6 Millionen Tiere sollen hier im Jahr gemästet werden in 6 Ställen. 40 Tonnen tote Tiere sind gleich eingeplant. Sie überstehen die grausamen Haltungsbedingungen nicht. Der Unternehmer ist der Ansicht, dass er nur noch so seine Familie ernähren kann. Das Gelände ist schon abgesteckt. Sobald die Felder befahrbar sind, wird der Bau beginnen. Noch dürfen laut Gesetz außerhalb der Ortschaften, im sogenannten Außenbereich, privilegiert Anlagen, zu denen auch die riesigen Ställe der Massentierhaltung gehören, gebaut werden.

Die von mir gegründete sehr kleine Bürgerinitiative kommt natürlich gegen die gegenwärtige Gesetzeslage nicht an. Fachanwälte, die Tausende Euro kosten, könnten in den Antrags-Unterlagen vielleicht einen Mangel finden – mangelhafte Vorsorge für den Fall eines Brandes zum Beispiel oder ein mögliches Oderhochwasser. Die Mäster bekommen ausreichend finanzielle Unterstützung, um ihre Anträge mit Hilfe von Gutachterbüros und Anwälten gegenüber den Genehmigungsbehörden makellos erscheinen zu lassen. In diesem Falle ist es das Landesumweltamt in Frankfurt/Oder. Nahezu alle Forderungen der Einwender zu einem Kompromiss wurden abgewiesen. Filter werden aus Kostengründen abgelehnt, Strohballen sollen Gleiches bewirken.

Zukunft. Die Befürchtung, dass nun weitere Bauern sich zur industriellen Mast in diesen Ausmaßen entschließen, ist nicht von der Hand zu weisen. Dann wird aus dem so gern als Kulturlandschaft bezeichneten Oderbruch ein Industriegebiet, in dem aber kaum Arbeitsplätze benötigt werden. Die Massentierhaltung ist hoch automatisiert. Wem kann solch eine Region dann noch Heimat sein?

Eines Tages wird auch mir der Aufenthalt hier aus Altersgründen nicht mehr möglich sein, ich werde dieses mir zur Heimat gewordene Stückchen Land aufgeben müssen. Wird sich unter diesen Bedingungen jemand finden, der es kauft? Die Geräuschimmissionen der Windräder, den Gestank aus der Putenmast – hart an der Ekelgrenze, die brummende Biogasanlage und den nun dazukommenden Gestank aus der Broilermast und die lärmenden Ventilatoren darf ich dem Käufer nicht verschweigen, auch wenn am Tage der Besichtigung die Sonne scheint, alles schön grün ist und alles ganz nach Wohlfühlen aussieht. Findet sich kein Käufer, geht wertvolles Kulturgut verloren, erhalten und gepflegt von vielen Generationen.

Die Forderung nach artgerechter Tierhaltung und nachhaltiger Landwirtschaft und die Demo zum Auftakt der „Grünen Woche 2011“, die diesen Forderungen Nachdruck verleihen soll, machen ein ganz klein wenig Hoffnung. Es wird wohl ein langer Weg sein.

Sollte die Politik jetzt, nach dem Dioxin-Skandal, nur mit Regelungen zur Futtermittelherstellung reagieren, wäre das ein deutliches Zeichen, dass sie eigentlich die Agrarindustrie fördert, einen halbherzigen Verbraucherschutz praktiziert und damit weitere derartige Unfälle riskiert.

Die absolute Stille, die das Rauschen des Blutes im eigenen Körper hörbar macht, gibt es kaum noch. Aber noch schlägt im Frühling die Nachtigall, ruft der Kuckuck und tirilieren die Feldlerchen, noch höre ich die die Kraniche, noch ist der Himmel groß, noch sagen sich hier Fuchs und Hase Gutenacht. Möge all dies und all das Schöne, was ich hier nicht beschrieben habe, erhalten bleiben. Möge der Wert dieser besonderen Landschaft das Bewusstsein aller Entscheidungsträger prägen und ihr Handeln zum Erhalt dieser Landschaft bestimmen.

Irene Fischer, Berlin/Letschin
im Januar 2011


Dieser Text entstand zu der Ausstellung, die das Diskussionsgespräch zum diesem Thema anlässlich der Demo am 22. Januar 2011 gegen Gentechnik, Tierfabriken und Dumpingexporte begleitete.

Nachsatz
Inzwischen haben die Bauarbeiten zur Mastanlage begonnen.
Zu sehen sind schon die Erdwälle, die bepflanzt werden und laut Genehmigungsschreiben die ausgeräumte Landschaft aufwerten.

Juninebel, 2009 vom Dach aus
Juninebel, 2009 vom Dach aus

 

 

Garten
Herbstrausch, Oktober 2010

 

Pflanze
Eine Jungfer im Grünen, Juni 2005

 

Strommasten
Diffuser Strom, Oktober 2010

 

Spinnweben
Spinnerei, Oktober 2010

 

Garten
Kreuzung im Winter, Januar 2003

 

Bettbezug
Fleißarbeit. Bettbezug, der von den Bauern im Haus verblieben war, 1980