Thea Müller, Korbflechtmeisterin in Buschdorf
Aufgeschrieben von Tobias Hartmann
Eigentlich wollte ich Veterinärmedizinerin werden. Nach meiner Ausbildung zur Zootechnikerin in Eberswalde bekam ich jedoch keinen Studienplatz. Dabei war bereits mein Vater Tierarzt. Nun hatte ich in der Freizeit schon Körbe geflochten und die Möglichkeit zur Selbständigkeit war in diesem Handwerk sehr attraktiv für mich. Ich entschied mich, Korbmacherin zu werden und machte eine Ausbildung, die als Umschülerin nur ein Jahr dauerte. Anschließend wurde ich Korbflechtmeisterin. Bis heute bin ich Korbflechterin und betreibe eine der beiden letzten Korbmacherwerkstätten im Oderbruch.
Das Korbmacherhandwerk trägt seinen Ursprung in der bäuerlichen- und familiären Nebenarbeit. Im Zuge der Trockenlegung und der vermehrten landwirtschaftlichen Produktion wuchs im Oderbruch insbesondere der Bedarf an Grünkörben. Grünkörbe wurden aus ungeschälter Weide geflochten und dienten als wichtiges Transport-, Versand- und Lagermittel für landwirtschaftliche Produkte.
Im Oderbruch entwickelte sich das Korbmachen zu einem Gewerbe und Orte wie Kienitz, Groß Neuendorf oder Genschmar waren richtige Korbmacherdörfer. Im heutigen Ortsteil Sydowswiese sollen zu dieser Zeit nur zwei Familien keine Korbmacher gewesen sein. Noch zu DDR-Zeiten sicherte die Einkaufs- und Liefergenossenschaft den Absatz. Mein Meister ließ seinen Gesellen jeden Tag einen Wäschekorb flechten und konnte pro Jahr bis zu 300 Körbe liefern. Doch mit dem Ende der DDR-Planwirtschaft brach das Korbmacherhandwerk auch im Oderbruch ein.
Heute gibt es im gesamten Oderbruch nur noch zwei Korbmacherwerkstätten. In beiden Werkstätten arbeiten wir Meister allein, ohne Gesellen und Lehrlinge. Der Bedarf an Korbwaren ist heute unbedeutend. Wer geht heute noch mit einem geflochtenen Wäschekorb zur Wäscheleine? Und in der Erwerbslandwirtschaft findet der Weidenkorb längst keine Verwendung mehr.
Unsere Stärken liegen heute in der individuellen Kundenbetreuung. Das Korbmacherhandwerk ist dabei vielfältig genug, um mit der richtigen Beratung und korrekten Materialauswahl eigentlich jeden Kundenwunsch erfüllen zu können. Die Serienproduktion gehört dagegen der Vergangenheit an. Korbwaren kommen heute aus der ganzen Welt. Zu häufig entscheidet sich der Kunde für das ausländische Billigprodukt und übersieht die Qualität seines Korbmachers in der Region. Es ist daher kaum noch möglich, mit dem Handwerk des Korbmachens den eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen. Die Ausbildung von Lehrlingen findet im Oderbruch nicht mehr statt.
Die Aufmerksamkeit durch Presse und Fernsehen ist in den letzten Jahren dagegen enorm gestiegen und konnte einige Kunden in die Werkstatt locken. Bedauerlicherweise ist es aber schwierig, in den Medien als Handwerker wahrgenommen zu werden. Das Korbmachen ist für die meisten eine historische, abgelegte Tätigkeit. Presse und Fernsehen suchen Bilder aus einer urigen alten Werkstatt oder einer Frau, die auf dem Markt am besten in traditioneller Tracht ihr Handwerk vorführt. Handwerker zu sein, eine eigene Werkstatt zu betreiben, bedeutet aber für mich, Gebrauchsgegenstände herzustellen und nicht in Landmagazinen das Handwerk zu romantisieren. Ich kann meine Kollegen daher gut verstehen, die ein derartiges Schauflechten lieber ganz ablehnen.
Um den Kunden ein zusätzliches Angebot zu machen, habe ich 1998 das heute einzige Korbmachermuseum in Brandenburg gegründet. Es zeigt fast
2000 Exponate aus der ganzen Welt. Körbe, Schalen, Kinderwagen, Spielzeuge, Hüte oder Wandschmuck sind bei mir ausgestellt. Jeder der Gegenstände ist mit den Händen hergestellt, ein Unikat, dass eine ganz eigene Geschichte in sich trägt. Und wer genau hinguckt, erkennt anhand der Form und dem gewählten Material, woher der Gegenstand kommt. Denn jede Region hat ihre eigene Flechttechnik und benutzt dazu andere Materialen. Der Spreewaldkorb oder der Nürnberger Huckelkorb sind immer auf die gleiche Weise geflochten. Im Oderbruch kamen durch die eingewanderten Kolonisten unterschiedliche Flechttechniken zusammen, die das Handwerk sehr vielfältig gestalteten. Ein regionaltypischer Korb hat sich im Oderbruch daraus aber nicht entwickeln können.
Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass das Umweltbewusstsein in der Gesellschaft weiter steigt und der Korb wieder an Bedeutung gewinnt. Denn die Weide bleibt ein sehr umweltfreundliches Produkt. Aber was die Zukunft auch bringt, ich freue mich über jeden Tag, an dem ich wieder etwas flechten kann. Ich bin bis heute Korbmacherin aus Leidenschaft.
Aus: Handwerk – Fotografien von Ingar Krauss und Berichte von Handwerkern aus dem Oderbruch. Werkstattbuch 1, Aufland Verlag 2016
Die Texte entstanden im Zusammenhang der Recherchen
für das Projekt »Ein Handwerkerhaus für Altranft«
im Rahmen des Themenjahres Kulturland Brandenburg 2016
»handwerk – zwischen gestern & übermorgen«.