Haben Sie alte Obstsorten im Garten?
Aussichten wie am Neckar: die Hofmanufaktur Christian Filter
„Die Sparkasse hat sich nicht wieder gemeldet und die anderen Banken haben gleich abgewinkt.“ So sah es aus, als Christian Filter 2007 in die Selbständigkeit gehen wollte. Es gab nicht ein einziges Kreditinstitut in der Region, das den Plan, aus dem eigenen Hof im Oderbruch eine Manufaktur zur Verarbeitung alter Obstsorten zu entwickeln, für kreditwürdig befunden hätte. Auch die LEADER-Aktionsgruppe zeigte zunächst keine Begeisterung. Obst, Most, Schnaps und Schafe – das klang für die meisten romantisch und nicht wirtschaftlich: Ein Architekt aus Berlin, der sich hier selbst verwirklichen will, so sah es für viele aus.
Die GLS-Bank aus Bochum sah das anders, da sie ein anderes Wirtschaftskonzept verfolgt, in dem die betriebliche Logik eines Unternehmens nach anderen Kriterien geprüft wird, als dies bei konventionellen Banken der Fall ist. Sie prüfte das Konzept der Hofmanufaktur und befand: Es hatte Hand und Fuß, die Dinge griffen ineinander: Das Obst wird in der Lohnmosterei zu Saft verarbeitet, so auch die eigene Ernte von den bewirtschafteten Streuobstwiesen. Ein Teil der Äpfel wird zu feinem Obstbrand veredelt und mit dem Saft an Bioläden und Restaurants vermarktet. Die Schafe fressen das Gras auf den Obstwiesen und den beim Pressen anfallenden Trester (übrigens mit großem Appetit), ihre Wolle wird schließlich versponnen und verarbeitet und alles kann im Hofladen wieder verkauft werden. Ein lokaler Wirtschaftszusammenhang mit einem positiven Effekt auf die ganze Landschaft – dafür sind Bauernhöfe schließlich da. Den Stoffkreislauf möglichst geschlossen zu halten, ist eine ökonomische Strategie, die vielen Banken nicht mehr geläufig ist.
Vielleicht warfen die Vertreter von der GLS-Bank aber auch einen Blick auf den Akteur selbst und bildeten sich so ein Urteil: Christian Filter lebt mit seiner Familie in Neurüdnitz auf einem mittelgroßen Bauernhof aus dem 19. Jahrhundert. In den letzten Jahren hat er als Architekt im uckermärkischen Raum viele Projekte in der ländlichen Entwicklung betreut, deren Komplexität weit über das Bauliche hinausging. Seine Frau hat sich als Ärztin im Nachbardorf niedergelassen. Die beiden Kinder gehen im Oderbruch in Kindergarten und Schule. Das Bauernhaus ist mit Geschick und Achtung vor der alten Substanz saniert. Schafe waren schon einige da, die ersten eigenen Streuobstwiesen hatte Filter schon angelegt. Sieht man einmal vom Oderbruch ab, in dem es wegen Gehölzmangels ziemlich zugig ist – windig war hier gar nichts. Also Bitte!
2008 ging im Hause Filter alles Schlag auf Schlag. Den Auftakt bildete die Lohnmosterei. In Reutlingen wurde eine große alte Presse gekauft. Um sie in den Stall zu bekommen, der nun die Mosterei werden sollte, mussten Wand und Decke aufgebrochen werden. Ein neues schönes Tor schloss die Lücke im Gebäude wieder, dass derweil frisch und zweckmäßig hergerichtet wurde.
Bald hingen im nördlichen Oderbruch laminierte Plakate, die die Bewohner aufforderten, ihr Obst in Neurüdnitz zu Saft machen zu lassen. Die Leute kamen sehr zahlreich, der Andrang war nur mit Saisonkräften zu bewältigen. Dass man genau den Saft aus den eigenen Früchten bekommt, macht einen zusätzlichen Reiz aus. „Die Leute staunen auch, dass sie aus zwei Säcken Äpfeln 30 Liter Saft heraus bekommen.“ Filter bietet am liebsten Drei- und Fünfliterpacks an, sie sind praktisch, gut zu lagern und lassen sich langsam aufbrauchen, da sie den Saft luftdicht verschließen. Der naturtrübe Saft schmeckt je nach Sorte verschieden. Von besonders wertvollen Ernten lässt sich ein reiner Saft herstellen, der nur noch wenig mit den handelsüblichen Gemischen gemein hat.
Die Lohnmosterei war eine erste Gelegenheit mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Christian Filter interessiert sich für alte Obstsorten, viele stellen auf einmal fest, dass sie hier und da noch einen interessanten Baum im Garten haben. Filter hofft, dass sich noch mehr Menschen bei ihm melden, die schöne alte Sorten im Garten hätten. Es gäbe hier immer noch viel zu entdecken und wieder in Wert zu setzen. „Wir gehen sehr kleinteilig heran, wenn es auch nur winzige Bestände sind, sind wir doch gern bereit, sie zu pflegen und dafür nutzen zu können. Manchmal sind es alte Leute, die haben vier, fünf Bäume im Garten, da stellen wir zwei Schafe drunter, dass sie nicht mähen müssen und kümmern uns um die Bäume. Und die Leute freuen sich, dass es wieder gepflegt und genutzt wird. Manchmal lohnt sich die Mühe auch bei einem einzigen Baum.“
Mit der Anlage neuer Streuobstwiesen auf dem eigenen Ackerland sowie auf der großen Angerfläche im Dorfinneren, die auch hier zum Kolonistenhaus dazu gehört, hat Filter erste Akzente im Dorf gesetzt, über 100 Bäume hat er hier gepflanzt. Die Nachbarn reagieren mit Interesse und Vorsicht. Irgendwie ist doch zu spüren, dass es Filter nicht nur um die Obstbäume geht, sondern um die ganze Landschaft. „Ich würde mich freuen, wenn die Leute ihr Ackerland auch zu einem Stück Vielfalt entwickeln würden. Aber beim Umgang mit dem eigenen Land etwas zu verändern ist sehr schwierig.“
Zusätzlich zu den eigenen Beständen und zwei gepachteten Streuobstwiesen in Sonnenburg und Kienitz bewirtschaftet Filter eine 17 ha große Streuobstwiese in der Schorfheide – die größte in Brandenburg. Der Schnitt der Bäume macht sehr viel Arbeit. Die Hofmanufaktur beschäftigt inzwischen noch einen festen Angestellten aus dem Dorf. Der Arbeitsplatz wurde im ersten Jahr gefördert – „sonst hätten wir das auch nicht geschafft.“
Ein nächster Schritt war der Einstieg in die Vermarktung, die viel Geduld erfordert. „Die Mengen, die einem zunächst abgenommen werden, sind klein, die Lieferung ist oft unverhältnismäßig aufwändig, es lohnt sich nicht sofort. Aber man muss Präsenz zeigen, ins Gespräch kommen, für sein Produkt einstehen. Schon jetzt, nach einem halben Jahr, zeigen sich erste Erfolge und die Nachfrage verstetigt sich. Durch den Einstieg in einen Großhandel verringert sich zwar der Gewinn für jeden Liter Saft, aber am Ende ist es doch sinnvoll. Im nächsten Jahr könnte sich die Vermarktung selbst tragen.“
Die Schafherde ist inzwischen auf über sechzig Tiere angewachsen, wobei sich Filter durchaus Mühe mit der Zuchtwahl gibt. Zwei Drittel bilden Shetland-Schafe zur Wollproduktion, ein Drittel stellen die heimischen und wesentlich robusteren Skudden. „Von denen haben wir neulich einige bei dem Metzger von Weidefleisch Liepe schlachten und verarbeiten lassen. Das wird immer eine Nebenstrecke bleiben, aber die Wurst ist sehr schmackhaft.“ Die Wolle kann bislang in der Region nicht verarbeitet werden, es gibt keine kleinen Spinnereien mehr. In Dänemark und in Estland ist man inzwischen fündig geworden, das ist zwar weit weg, aber im Moment gibt es keine andere Möglichkeit. Perspektivisch wünscht sich Christian Filter, dass Strickwaren aus seiner eigenen Wolle bei ihm im Hofladen verkauft werden können. Dann sollte der Hof auch hier und da für kulturelle Nutzungen geöffnet werden.
Vor dem Hofladen steht aber zunächst die Brennerei an. Dafür muss der kleine Schweinestall am anderen Ende des Hofes umgebaut werden. Das LEADER – Regionalmanagement hat seine Skepsis inzwischen abgelegt und will die Strecke fördern. Die räumliche Trennung von Mosterei und Brennerei entspricht auch dem unterschiedlichen Charakter der beiden Gewerke. „Mosten ist laut und macht Dreck. Für das Brennen braucht man Ruhe und Ordnung.“ An der Universität Hohenheim hat Filter einen Brennerkurs absolviert, zuvor hatte er schon als Praktikant in einer Brennerei in Dresden Erfahrungen gesammelt. „Trotzdem muss man im ersten Jahr einen Brennmeister an der Seite haben.“
Was in nächster Zeit vor allem fehlt, ist Platz. Die große Scheune wird sich wohl nicht halten lassen, ein Äquivalent ist unbedingt erforderlich. Allein für die Obstkisten und die Maischelagerung ist der Stauraum schon zu knapp. Es wird noch eine Weile dauern, bis sich der Kreis wirklich schließen kann. Der Start war hier und da Kräfte raubend und Christian Filter macht das Zeitmanagement in seiner Tätigkeit manchmal zu schaffen. Baumschnitt und Vermarktung, Lohnmosterei und Schafzucht, Weiterbildung und Buchhaltung: Es ist vielseitig, aber es ist auch viel. Allerdings haben ihn die Erfolgserlebnisse schon im ersten Jahr der Hofmanufaktur dafür mehr als entschädigt. Und außerdem: im Herbst gibt es den ersten Obstbrand.
Kenneth Anders