Steckbriefe von Dörfern im Oderbruch II
Von Udo Schagen
In einer Initiative der Gemeinde Oderaue für Hinweisschilder mit kurzen Ortsporträts zur Information von Besuchern (und sicher auch von Bewohnern) schrieb Udo Schagen unter Mitwirkung von Ortsvorstehern und interessierten Bürgern im Jahr 2016 kleine Steckbriefe, die wir hier nach und nach veröffentlichen. Damit einher geht die freundliche Bitte an Menschen im ganzen Oderbruch, ebenfalls kurze Beschreibungen ihrer Dörfer zu schreiben. Wir veröffentlichen sie gern!
Neurüdnitz ist heute ein Ortsteil der Gemeinde Oderaue. Ein 1976 bei der Anlage eines Abflussgrabens aus 1,80 m Tiefe geborgenes 76 cm hohes eisenzeitliches Vorratsgefäß belegt, dass sich hier lange vor unserer Geschichtsschreibung schon Menschen angesiedelt hatten.
Neurüdnitz entstand ab 1754 nach der Trockenlegung des Oderbruchs auf der Feldmark des Altdorfes Rüdnitz, heute auf der anderen Seite der Oder zu Polen gehörig (Stara Rudnica), und wurde wegen des siebenjährigen Krieges verzögert erst 1762 fertig gestellt. Die Anlage folgt als zweizeiliges Straßendorf dem mehrfach gebogenen Verlauf eines Flüsschens („Schneller Strom“), das gleichzeitig zum Schachtgraben wurde. Anders als viele nach der Oderbegradigung entstandene Neudörfer ist der Straßenverlauf daher nicht schnurgerade. An beiden Seiten des späteren Angers fanden 69 Familien auf den Siedlungshügeln teilweise in Doppelhäusern Platz. Das Land fiel erst über einen längeren Zeitraum wirklich trocken. 1763 wurden insgesamt 306 Bewohner gezählt, die aus dem Westen und Süden Deutschlands hier eine neue Heimat gefunden hatten.
Im Ortsteil Bienenwerder Richtung Oder entstand 1754 das erste Rittergut des Oderbruchs, von dem sich bauliche Zeugnisse nicht erhalten haben. Der Friedhof am südlichen Ortsrand ist wegen der ungewöhnlich langen Reihe aufwändig gestalteter Wandgrabmäler einen Besuch wert.
Ende des 19. Jhdts. entwickelte sich das Dorf zum Handwerker- und Dienstleistungszentrum für die umliegenden Dörfer und verfügte über vier Kolonialwarenläden und drei Gaststätten. Die 1897 angelegte Eisenbahnstrecke von Wriezen nach Jädickendorf (heute: Godków in Polen) mit dem Bahnhof weit außerhalb Richtung Zäckericker Loose stellte den Anschluss zur ehemaligen Kreisstadt Königsberg/Neumark (heute Chojna) her und begünstigte die prosperierende Entwicklung hauptsächlich durch Gänsemast und Tabakanbau. Die Eisenbahnbrücke, nach dem Krieg wieder aufgebaut aber seitdem nicht mehr für den Zivilverkehr sondern nur als strategische Oderüberquerung für den Krisenfall im Rahmen des Warschauer Vertrages gedacht, war von der sich zurückziehenden Wehrmacht gesprengt worden.
Durch Flüchtlingsfamilien aus den früheren deutschen Gebieten jenseits der Oder stieg die Einwohnerzahl zeitweilig auf über 500 an. Am Ausbau „Spitz“ (kurz vor dem Oderhauptdeich gelegen) entstanden Neusiedlerhöfe für 13 Familien. Dort findet sich heute ein Stützpunkt der Oderfisch GmbH Wriezen.
Zahlreiche Nachfolgewohneinheiten aus dem 19. und beginnenden 20. Jhdt. haben ursprüngliche Fassaden bewahrt, s. insbesondere die Nrn. 6, 9. 18 und 79. 1955 war die LPG Typ III „Max Reimann“, gegründet worden, es folgten zwei weitere Genossenschaften. Daraus entstand 1991 die Agrogenossenschaft „Odervorland“ e. G. Heute verfügt der Ort noch über die Landwirtschaftsbetriebe von Kurt Müller, Herbert Lichtenberg und Eckhard Kruschke sowie den Autoservice Gordon Brodhofer, das Bauunternehmen sowie Zimmervermietung Andreas Schwager und Elektroinstallationen Bernd Klemer und insgesamt 210 Einwohner. Nicht vergessen werden darf die sehr aktive und hier für ganz Oderaue ansässige Jugendfeuerwehr.