Landwirtschaft in Schiffmühle – Landwirt Siegfried Kunze

Der Landwirt Siegfried Kunze

Gespräch mit Herrn Kunze, Agrogenossenschaft Schiffmühle am 5. März 2004 in Gabow

Landwirt Kunze
Siegfried Kunze (Mitte) und zwei Mitarbeiter der Agrogenossenschaft vor dem Betrieb in Gabow.

Biografisches:
Siegfried Kunze wurde 1943 in Altlietzegöricke (heute Stare Lysogórki) geboren und siedelte nach 1945 mit seinen Eltern in Neulietzegöricke. Hier wuchs er auf und wurde Landwirt. In der Neulietzegöricker LPG war er Anfang der siebziger Jahre Leiter der Tierproduktion, zeitweise auch Vorsitzender. 1975 zog er nach Schiffmühle und arbeitete auch hier in der Tierproduktion, seit 1980 als Vorsitzender. Nach der 1989er Wende blieb Kunze Leiter des neuen agrogenossenschaftlichen Betriebes. Er ist verheiratet und lebt in Schiffmühle.

 

Landwirt Kunze
Maschinenpark des Betriebes in Gabow.

Der Betrieb:
Die Agrogenossenschaft Schiffmühle bewirtschaftet mit 13 Beschäftigten eine landwirtschaftliche Nutzfläche von insgesamt 650 ha. Davon sind 628 ha Acker- und 22 ha Grünland. Herzstück sind die Milchrindanlage in Neutornow und die dazugehörige Futterproduktion (Mais). Darüber hinaus werden Wintergetreide, Sonnenblumen und Zuckerrüben angebaut.Ein Teil der Flächen ist inzwischen vom Betrieb gekauft worden, allerdings eher zwangsweise, da die BVVG unbedingt verkaufen wollte und man dadurch in Zugzwang geriet – hätte man die gepachteten Flächen nicht erworben, wären sie an andere Landwirte gegangen und der eigene Betrieb hätte seine Existenzgrundlage verloren.

 

Landwirt Kunze
Milchviehanlage Neutornow am Fuße des Kirchhanges.

Die Flächen wären nach Kunzes Ansicht auch schnell veräußert worden – insbesondere Holländer und Westdeutsche schätzten die günstigen hiesigen Strukturen. Hinzu kämen die verhältnismäßig niedrigen Bodenpreise – für einen verkauften Hektar im dicht besiedelten Rheingebiet könne man an der Oder ganze zehn Hektar erwerben. Es sei ein Glück für den eigenen Betrieb, dass die alten Landbesitzer des Dorfes ihre Flächen aus Tradition und Stolz behielten und nicht verkaufen wollten, so etwas stehe meist nur an, wenn Land vererbt würde. Denn würden die alten Landeigentümer tatsächlich ihre Flächen preisgeben, geriete die Agrogenossenschaft unter erheblichen finanziellen Druck.

 

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Verwilderter Obstbaum am Feldrain bei Gabow.

Kunze sieht keinen großen Sinn darin, ein genossenschaftliches Eigentum an landwirtschaftlicher Nutzfläche unter den gegenwärtigen Bedingungen aufzubauen. Jede Art von Veränderung ist für einen solchen Betrieb schwierig zu bewerkstelligen und der reale Nutzen für die Genossenschafter ist gering. Dass man dennoch diesen Weg gegangen war, hing seiner Einschätzung nach mit einem krassen Informationsdefizit der Landwirte nach der 1989er Wende zusammen. Damals wollte man den Umbruch so reibungsarm und sozial wie möglich gestalten, wozu er auch heute noch stehe, da dies der redlichere Weg gewesen sei. Andere Betriebe hätten z.T. Konkurs angemeldet, den Betrieb zerschlagen und billig zurückgekauft. Einen solchen „Befreiungsschlag“ hat man in Schiffmühle nicht vollführt, was dem Betrieb heute enge Entwicklungsgrenzen setze, allerdings auch sein Gutes hatte: das Ausscheiden von den alten Mitgliedern sei relativ reibungsarm und fair vonstatten gegangen. Immerhin seien bis 1989 80 Personen in der LPG beschäftigt gewesen, 30 im Feldbau und 50 in der Tierproduktion. Nicht alle Beschäftigten waren Genossenschafter. Die meisten seien in der Umbruchszeit von allein ausgeschieden, die Genossenschafter mit Abfindungen, die übrigen hätten sich beizeiten neue Arbeit gesucht. „Es ging fast im Selbstlauf“.

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Verfallendes Neubauernhaus in Herrenwiese mit Silageanlage
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Im Herbst frisch aufgeworfener Ackerboden bei Schiffmü;hle.

 

Der Boden:
Der lehmige Boden ist mit durchschnittlichen Ackerzahlen von 45 nicht so hoch, wie in der Öffentlichkeit zumeist eingeschätzt.

Das Grünland befindet sich mit 20 ha überwiegend auf den Inselhöhen, dort ist es sehr trocken und die Erträge fallen entsprechend schwach aus, maximal und nur in guten Jahren könne man zweimal ernten. Dagegen sei eine geringere Niederschlagsmenge für die Bereiche in den Bruchniederungen grundsätzlich eher vorteilhaft, sieht man von extremen Dürrejahren wie 2003 ab. Dies hänge mit der guten Wasserhaltefähigkeit des Bodens und mit den steigenden Grundwasserständen im Bruch zusammen, die bereits jetzt 10 ha der Nutzfläche unbrauchbar machten. Bei größeren Niederschlägen nehmen diese Flächen zu. Durch das stehende Wasser komme es zu dauernden Verdichtungen, so dass die Prozesse teilweise irreversibel erschienen. Man habe schon versucht, die undurchlässige Deckschicht von Wassersenken mit einem Bodenmeißel aufzureißen, damit aber wenig Erfolg gehabt. Erdaufschüttungen sind aufwändig und kaum effektiv – in der Regel unterschätze man die realen Höhenunterschiede im Bruch wegen der Offenheit und geringen Profilierung der Landschaft, so dass sich aufwändige Bodenbewegungen als Teelöffelverfahren erwiesen. Lediglich an den Rändern von Senken erscheinen Auffüllungen lohnend.

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Wasserführende Senke im Oderbruch.
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Dieselbe Senke im Winter, zugefroren und mit Schlittschuhläufern

 

Abhängigkeit der Landwirtschaft vom Gewässermanagement
Historisch war die Inbetriebnahme des Neutornower Schöpfwerkes ein tiefgreifender Einschnitt für die landwirtschaftliche Nutzung des nördlichen Oderbruchs, speziell der von der Agrogenossenschaft bewirtschafteten Flächen. Große Teile waren bis dahin nur als Grünland nutzbar gewesen, so auch die 150 ha (600 Morgen) des Gutes Herrenwiese. Die meisten Landwirte waren traditionell in der wendischen Siedlung Gabow ansässig, hier sind die Hänge nicht ganz so schroff und waren teilweise landwirtschaftlich nutzbar gemacht worden. Nach der sukzessiven Entwässerung der Bruchniederung kamen Landwirte in Neutornow hinzu. (Schiffmühle dagegen ist überwiegend durch Lohnarbeiter und kleine Handwerker geprägt.)

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Schöpfwerk Neutornow

Zu DDR-Zeiten sei wesentlich mehr melioriert und ein für die Landwirtschaft günstigerer Wasserhaushalt ermöglicht worden. Bis zur Wende ist diese Leistung von einer eigens gebildeten Meliorationsgenossenschaft erbracht worden. Diese war nicht nur Dienstleister der Bauern, sondern auch unmittelbar mit deren Produktionsstruktur verknüpft: “ das waren die eigenen Leute“. Heute werden diese Aufgaben vom Gewässer- und Deichverband Oderbruch (GEDO) übernommen. Auch der GEDO ist ausführendes Organ, müsse jedoch von mindestens vier Seiten Einflüsse akzeptieren: von den Landwirten, vom Landesumweltamt, dem Wasserstraßenamt und dem Naturschutz. Damit stehe er unter einem erheblichen Druck, auch von Seiten der Landwirte. Da Kunze im Vorstand des GEDO mitarbeitet, kennt er die stattfindenden Konflikte und kann sich wahlweise in die Partner hineinversetzen. So würde der GEDO wegen unzureichender Pflege der Gräben kritisiert, zugleich aber sei das Zeitfenster für diese Pflege extrem kurz, da viele Landwirte den Zugang entlang ihrer Felder wegen der drohenden Ernteverluste nicht erlaubten. Seit dem 250. Jubiläum des Deichdurchstichs am Neuen Oderkanal mache sich aber ein sozialer Klimawandel und damit eine wachsende Kompromissbereitschaft bemerkbar.

Landwirt Kunze
Altmädewitzer Landgraben

In der Alten Oder nimmt Kunze eine Lebensader des Oderbruchs wahr – sie ist der zentrale Drängewasserabfluss und aus diesem Grunde sowie als bedeutendes Wasser- und Naturreservoir ein Gewässer 1. Ordnung, für dessen Pflege das Landesumweltamt zuständig sei. Ihre einstige Bedeutung als Verkehrsweg hat die Alte Oder verloren. Den Zustand der Alten Oder hält Kunze für prekär – sie erreiche nur noch die halbe Breite und auch nicht mehr die Tiefe früherer Zeiten. Damit könne sie ihre wasserwirtschaftliche Funktion nicht mehr ausüben. Gegenstimmen, die darauf vertrauten, die Alte Oder stelle sich in Umfang und Tiefe selbst auf die Erfordernisse ein, hält Kunze für verfehlt. Nicht einmal in ökologischer Hinsicht sei der jetzige Zustand sinnvoll: die massiv verbreiterten Schilfgürtel trügen vielmehr zur Verarmung des Gewässers bei, in dem sie Prädatoren begünstige und viele Brutvogelarten benachteilige, ja sogar vernichte. Seit dem Hochwasser stünden viele tote Erlen in der alten Oder. Der allgemeine Zustand sei nicht gut.

Landwirt Kunze
Alte Oder mit Schilfgürtel.

Das Nachlassen der Meliorationsleistung führt Kunze im Wesentlichen auf zwei Gründe zurück: zum einen sei elektrische Energie zur Betreibung der Pumpen inzwischen erheblich teurer geworden, die Entwässerung sei also schlicht ein Kostenfaktor. Zum anderen stünden Interessengruppen gegen eine stärkere Meliorierung. Einige hatten nach dem Hochwasser 1997 sogar gefordert, Teile des Bruchs wieder zu fluten. Die öffentliche Stimmung gegenüber dem Oderbruch sei davon stark beeinflusst worden und erst im Zuge der Feierlichkeiten zum 250. Jubiläum der Errichtung des neuen Oderkanals wieder umgeschlagen.

Landwirt Kunze
Blick vom Hochsitz in das Niederoderbruch bei Bralitz.

Die Jagd
Kunze ist seit dem 18. Lebensjahr leidenschaftlicher Jäger: „das ist das letzte, was ich abgebe“. Den Jagdbezirk in Schiffmühle teilt er sich mit drei weiteren Jägern in einer Pächtergemeinschaft. Einen Sonnenaufgang auf dem Hochsitz direkt an der Oder zu erleben, wenn die Natur aktiv wird und der Dampf vom Fluss aufsteigt, sei ihm viel wichtiger, als einen Schuss abzugeben.

Zwar befinden sich im Oderbruch kaum Waldflächen, durch die Prägung als Bewohner und Nutzer der umliegenden Höhen hat Kunze jedoch eine dezidierte Beziehung zum Wald. Er steht in einer ganzheitlichen Tradition der Bewirtschaftung des ländlichen Raums in der Trias Landwirtschaft/Forst/Jagd.
Rasant mache sich die Ausbreitung des Bibers bemerkbar – eines guten Verbündeten der Naturschützer. Mit atemberaubender Geschwindigkeit habe dieser sich einzelne Gewässerarme im Oderbruch zurückerobert. Die Biber wühlten sich in Dämme, gefährdeten deren Sicherheit, behinderten den Wasserabfluss und rasierten Maisflächen mit äußerster Präzision ab. Kunze zollt dem fleißigen Tier großen Respekt, sieht ihn gleichwohl als nicht ungefährlichen Schädling der Oderbruchlandschaft an. Er entwickle sich zum so genannten „Wolf“ des Oderbruchs.

Im Oderbruch mache sich der nachlassende Nutzungsdruck auch am Landschaftsbild bemerkbar. Früher wurde jeder Streifen Grünland, jeder Feldrain genutzt, um Viehfutter zu gewinnen. Die zahlreichen kleinen und großen Nutzer hätten die Landschaft bis auf den letzten Stecken Feuerholz ausgenutzt. Dies habe auch zu dem ausgeräumten und ordentlichen Eindruck beigetragen, der auf alten Fotografien vermittelt wird.

Landwirt Kunze
Blick auf die Polnische Oderseite bei Stary Kostrzynek

Die Beziehungen zur polnischen Oderseite
Sind für Siegfried Kunze nicht irrelevant, da diese die Alte Heimat für ihn darstellt. Wie viele Flüchtlinge, die sich nach dem zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland niedergelassen hatten, hielt auch er einen geringfügigen Kontakt zum Dorf seiner Kindheit aufrecht, sah es hin und wieder und wusste also, wie es sich entwickelte und veränderte. In den letzten Jahren haben diese Kontakte eher nachgelassen, da es keine Beziehungen persönlicher oder arbeitsmäßiger Natur gibt.

Landwirt Kunze
Trecker auf Flächen in Neutornow

Das Oderbruch als Lebens- und Arbeitslandschaft
Siegfried Kunze resümiert, dass das Oderbruch als Landschaft zu wenig von jenen bestimmt würde, die in und von ihr lebten und arbeiteten. Seine Schicksale seien letztlich sehr stark dem Einfluss von Personen unterworfen, die nicht selbst hier wohnten und damit den landschaftlichen Risiken auch nicht ausgesetzt seien. Dadurch gerieten die Bewohner des Oderbruchs in eine Verteidigungshaltung, die schwer wieder aufzubrechen sei. Jemand, der nicht von den Gefahren der Landschaft betroffen sei, könne sich mit dieser auch kaum identifizieren – eine verlorene Ernte, ein dauerhaft nasser Keller: die Infragestellung der eigenen Existenz sei an Außenstehende kaum vermittelbar. Aus der gleichen Betroffenheit heraus sei es dagegen auch möglich, soziale und persönliche Unterschiede zu überwinden und sich auf die Zukunft der geteilten Landschaft zu besinnen. Allerdings räumt Kunze ein, dass sich die Landschaft nur schwer „aus sich selbst“ tragen könne. Allein die Gebühren für den GEDO müssten sich von 9 € je Hektar ungefähr vervierfachen, was eine erfolgreiche Landwirtschaft sehr schwierig machen würde.

Kenneth Anders