Die Kirche
Die Kirche Neutornow liegt drei Kilometer nordöstlich von Bad Freienwalde am Hang der Insel Neuenhagen nahe einem Nebenarm der Alten Oder umgeben von den Nachbarorten Schiffmühle und Gabow. Das Kirchengelände bietet einzigartige Aussichten ins Oderbruch. Die Dorfkirche in Neutornow wurde 1769/70 als Kolonistenkirche von gläubigen Lutheranern auf königliche Weisung und auf königlichem Land erbaut. Lutheraner waren dafür bekannt, ihre Kirchen schlicht auszustatten.
Der quadratische, nach Plänen von Ingenieurobrist Isaak Jacob von Petri errichtete Zentralbau erhielt einen klassizistischen Dachreiter. Dieser enthielt nur eine kleine Glocke. Erst gut 100 Jahre später, 1877, an der Nordwestseite des Kirchenschiffes ein Kirchturm erbaut. Den Entwurf lieferte Georg Erbkam bereits 1872. Der vorhandene Dachreiter wurde auf den Turmhelm umgesetzt. Hinter den als Triforien gestalteten Klangarkaden im vierten Geschoss des Kirchturms befindet sich der Glockenstuhl. Der Anbau des Turms wurde genutzt, um im Südosten des Kirchenschiffs eine Sakristei anzubauen. Im November 1929 zerstörte ein Feuer das Innere der Kirche und den Kirchturm. Der Wiederaufbau unter der Leitung von Emil Rüster ging mit einer Umgestaltung des Außenbaus und einer Neugestaltung des Innenraums einher. Unter anderem wurde das Kirchenschiff über dem alten Dachgesims um etwa 1,50 Meter erhöht und mit einem flacher als zuvor geneigten Dach versehen. Das neu entstandene Attikageschoss zeichnet sich durch halbkreisförmige Fensteröffnungen aus.
Auf dem Platz südlich der Kirche befindet sich am Hang zum Bruch gelegen die Grabstätte von Louis Henri Fontane, dem Vater von Theodor Fontane. Von hier aus öffnet sich ein wunderbarer Blick über das Oderbruch.
Neben Gottesdiensten findet in der Kirche jedes Jahr die Veranstaltungsreihe »Zur schönen Kirche« mit Chorkonzerten, Lesungen und Theateraufführungen statt.
Die rührige Kirchgemeinde kümmert sich intensiv um das Kirchengebäude und den umliegenden Friedhof. Eine kleine Filmdokumentation gibt Einblick in das Gemeindeleben heute.
www.kulturerbe-oderbruch.de/orte/dorfkirche-neutornow
Die Glocken
Von den drei Glocken, die mit Bronze aus Beutegut des Krieges von 1870/71, wohl 12 Zentner von französischen Geschützen, in der Dresdner Glockengießerei Große für Neutornow gegossen wurden, ist keine erhalten geblieben. Eine Glocke wurde 1917 im Ersten Weltkrieg eingezogen, eine zersprang beim Schlagen am Neujahrstag 1926 und die dritte wurde vermutlich im Zweiten Weltkrieg konfisziert.
Ein Brand aufgrund eines defekten Ofenrohres zerstörte 1929 Kirche und Turm. Im wieder aufgebauten Kirchenbau hängen zwei Stahlglocken, die, finanziert mit Spendengeldern der Gemeinde, bereits 1926 in Apolda gegossenen worden waren. Die Große trägt die Inschrift „Friede sei mit euch“, die Inschrift der Kleinen ist nicht mehr lesbar.
Sie werden inzwischen elektrisch angetrieben und läuten jeweils gemeinsam zu Beginn und Ende des Gottesdienstes sowie bei Beerdigungen (auf Wunsch der Angehörigen zu Beginn der Beerdigung und/oder wenn zu Grabe getragen wird). Außerdem sind die Glocken zum Jahreswechsel zu hören, sowie anlässlich des Ukraine-Krieges zusätzlich mittags als Friedensgeläut. Früher wurde noch auf Todesfälle aufmerksam gemacht, mittels 3 Handschlägen des Glocken-Klöppels und am Samstag um18 Uhr der „Feierabend“ per Seilzug einer Glocke eingeläutet. Für das gemeinsame, händische Läuten beider Glocken wurden zwei Personen benötigt – hier stellte das Läuten der kleinen Glocke eine größere Herausforderung dar, da diese nicht zu schnell angetrieben werden durfte; die größere schwang aufgrund ihres höheren Eigengewichtes regelmäßiger.
Manuell wird weiterhin täglich und von zwei Personen bzw. Familien im wöchentlichen Schichtdienst die mechanische Turmuhr aufgezogen, welche die beiden Glocken als Schlagwerk nutzt. Angeschlagen wird im Viertelstunden-Takt (kleine Glocke) sowie zur vollen Stunde (4 Mal kleine Glocke + Stundenzahl mit großer Glocke).
Sowohl die Glocken als auch der Glockenstuhl werden alljährlich von Fachleuten kontrolliert. Der Glockenstuhl war beispielsweise aufgrund der unterschiedlichen Eigenfrequenz der verschieden großen Glocken schon einmal „ausschlagen“ bzw. verzogen, da er erhebliche Bewegungen ausgleichen muss.
Audio: Vollgeläut der Kirche Neutornow
Glockenschlag zur Stunde, hier für 12 Uhr
Die Objekte
Dinse-Orgel
1852 wurde eine Orgel der Berliner Werkstatt Lange und Dinse in die Kirche eingebaut. Die 30 Prospektpfeifen wurden 1917 zu Kriegszwecken abgegeben und eingeschmolzen. 1929 brannte der Dachstuhl und auch die Orgel wurde beschädigt und war nicht mehr spielbar. Daraufhin wurde 1929/30 durch den Eberswalder Orgelbauer Gerbig im Zuge des Neubaus des Daches eine neue Orgel mit elf Registern eingebaut. Wie die gesamte Innenausstattung der Kirche zeichnet sich dieser Orgelbau durch seine Sachlichkeit aus. Das Prospekt ist geschlossen, es sind keine Pfeifen sichtbar.
Kriegsschäden wurden 1950 durch die Eberswalder Orgelbauer behoben, aber in den 1970er Jahren wurde die Orgel stillgelegt und erst zwanzig Jahre später von Eberswalder Orgelbauer A. Kienscherf, dem Nachfahren Karl Gerbigs, repariert und 2010 umfänglich saniert. Alle Pfeifen konnten wiederverwendet werden, einige sind rund 150 Jahre alt.
Auf der Einfassung des Gebläsekastens der Orgel im Obergeschoss des Turms finden sich auf dem Holz vier Malereien. Sie stellen die Symbole der Evangelisten dar: Engel, Löwe, Stier und Adler für Matthäus, Markus, Lukas und Johannes.
Foto Alex Schirmer
Kanzelaltar
Die Kirche war vermutlich mit einem Kanzelaltar ausgestattet, von dem nur noch die Kanzel und der Schalldeckel erhalten geblieben sind.
Die beige-grau-rote Farbgebung ist nicht aus der Bauzeit erhalten, sie ist späteren Datums. Neben dem Altar steht ein hölzernes Taufbecken mit einer Schale aus Messing, teils emailliert.
Zum Inventar gehören auch eine Reihe von Gedenktafeln für die Gefallen verschiedener Kriege: zum Befreiungskrieg gegen Napoleon 1813, dem Jahr der Völkerschlacht bei Leipzig, über den Deutsch-französischen Krieg 1871 bis zum Zweiten Weltkrieg.
Foto Alex Schirmer
Leuchter im Bauhausstil
Die Lampen in der Kirche stammen aus den späten 1920er Jahren, sie wurden mit dem Neubau des Daches 1929 installiert. Damals wurde das Dache etwas höher gesetzt, eine Attika aufgesetzt und mit kleinen Halbrundfenstern versehen und die Empore verändert. In diesem Zuge wurden auch neue Beleuchtungskörper im Bauhausstil eingebaut: funktional und sachlich.
Foto Alex Schirmer
Die Kirchturmuhr
Bemerkenswert an der Kirchturmuhr, deren Ziffernblatt nach Osten in Richtung des Dorfes und des Oderbruchs zeigt, ist, dass sie nach wie vor per Hand aufgezogen wird.
Foto Alex Schirmer
Die Grabstelle Louis Henri Fontanes
Auf dem Platz südlich der Kirche befindet sich am Hang zum Bruch gelegen die Grabstätte von Louis Henri Fontane, dem Vater des Schriftstellers Theodor Fontane. Von hier aus öffnet sich ein wunderbarer Blick über das Oderbruch.
Der Apotheker Louis Henri Fontane wurde am 24. März 1796 in Berlin geboren und starb am 5. Oktober 1867 in Schiffmühle. Er wohnte seine letzten Lebensjahre in Schiffmühle unweit von Neutornow an der Wriezener Alten Oder.
Bemerkenswert ist die Schreibweise des Namens auf dem Grabstein: Louis Hanri Fontane. Der Steinmetz schrieb offensichtlich den Namen so, wie er ihn aussprach.
Für einen Jugendworkshop „Kunst trifft Kirche – digitales Erzählen stärken“ sprach Henning Höhne unter anderem über die Grabstätte von Fontanes Vater und die besondere Lage der Kirche Neutornow.
Foto Alex Schirmer
Gestühl der Kirche
Das Gestühl der Kirche stammt wohl ebenfalls aus dem Jahr 1929. Einige Bänke wurden im Zweiten Weltkrieg teilweise beschädigt. Diese Schäden sind hier und dort noch sichtbar. Die Kirche wurde mit Granaten beschossen, dass Dach stürzte ein, einige Granatsplitter durchschlugen das Gestühl. In der Kirche finden ca. 200 Menschen Platz.
Foto Alex Schirmer
Model der Kirche
Dieses ca. 100 cm hohe, im Maßstab 1:20 handgefertigte, detailgenaue Modell wurde der Gemeinde zu Ostern 2004 geschenkt.
Foto Alex Schirmer
Quellen:
Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Brandenburg. Bearbeitet von Gerhard Vinken, durchgesehen und erweitert von Barbara Rimpel; Deutscher Kunstverlag 2012, S. 756.
Reinhard Schmook: Kirchen und Gemeindehäuser im Evangelischen Kirchenkreis Oderbruch. Findling Verlag. Kunersdorf 2012
weitere Links
wikipedia.org/wiki/Dorfkirche_Neutornow
www.kulturerbe-oderbruch.de/orte/dorfkirche-neutornow
www.orgellandschaftbrandenburg.de/orgelinventar
Kirchengemeinde Neutorow Beitrag aus 2009
Vielen Dank an Christian Lukas, Otto Schmitt und Henning Höhne