Naturschutz im Ehrenamt

Frau Gisela Ziehm, 1949 in Neukietz als Gisela Herrmann geboren, ist eine engagierte Naturschützerin. Anfang der 90er Jahre trat sie dem Naturschutzbund Oberbarnim (NABU Oberbarnim) bei und wurde kurz darauf in dessen Vorstand gewählt. Im Jahr 2000 übernahm sie den Vorsitz dieses Vereins. Der Schutz von Alleebäumen liegt ihr besonders am Herzen. Sie arbeitet im Aktionsbündnis Baumschutz Märkisch Oderland mit, spricht für die Schutzgemeinschaft Brandenburger Alleen und ist ein Gründungsmitglied der Alleenschutzgemeinschaft Deutschland. Ihre berufliche Tätigkeit als Mathematikerin in der Energieversorgung gab die ausgebildete Lehrerin für Mathematik und Physik nach der Geburt ihres dritten Kindes Ende der 70er Jahre auf. Nach der Wende arbeitete sie im sozialen Bereich. Gisela Ziehm pendelt seit mehr als dreißig Jahren mit ihrer Familie zwischen Berlin und Neukietz, wo sie sich nach wie vor zu Hause fühlt.

Der Deich, der die Alte Oder um die Neuenhagener Insel führt, ist das Fundament der kleinen Siedlung Neukietz im Nordwesten des Oderbruchs, die zu Bad Freienwalde gehört. Die von schattenspendenden Kastanien gesäumte Deichkrone dient gleichzeitig als Fahrweg zu den Gehöften, die an den Deich gebaut wurden. Wer aus dem Haus tritt, der steht auf dem Deich, der sich durch alle Grundstücke zieht. Bauern wirtschaften in der Siedlung heute keine mehr.

Das Wohnhaus der Familie Ziehm, die Scheune und das Stallgebäude sind direkt an den Deich gebaut. Der Hof und der große Garten fallen sacht zum Bruch hin ab und öffnen sich ins Ackerland. Dem Wohnhaus gegenüber führt eine Treppe den Deich hinunter zur Alten Oder. Die mit einigen Obstbäumen bestandene Wiese gehört zum Gehöft. Heu darf man hier machen oder Vieh weiden lassen. An der Böschung hingegen dürfen nicht mal Hühner gehalten werden, da die Grasnabe den Deich schützen soll.

Ins Wasser der Alten Oder ist ein langer Steg gebaut, der bis an die ehemalige Fahrrinne in der Mitte des Flusses reicht. Früher war der Steg kürzer und lag offen im Wasser. Wer zur Flussmitte wollte, musste schwimmen oder in den Kahn steigen. Der Fluss ist mit der Zeit schmaler geworden, Stück für Stück zugewachsen. Der so entstandene Schilfgürtel lässt den Fluss noch schmaler erscheinen.

Zufluchtsort an der Oder

Hierher an das Ende des Stegs zieht sich Gisela Ziehm gern zurück und genießt es, mit allen Sinnen an der Oder und für sich zu sein. Hier kann sie der Natur nahe sein, sich von der Arbeit auf dem Grundstück, den familiären Verpflichtungen und den viel-schichtigen Aufgaben, die ihr ehrenamtliches Engagement mit sich bringen, entspannen.

Wie selbstverständlich nennt sie den in jeder Karte „Alte Oder“ benannten, seicht strömenden Fluss „die Oder“. Als gäbe es nur eine Oder. Die „Neue Oder“ – der Kanal durch den die Oder seit 250 Jahren fließt – war immer ein entfernter Grenzfluss, den man im Alltag nicht wahrgenommen hat. Hier an der Oder ist sie aufgewachsen. Zum Schwimmen sind sie im Kahn rausgefahren. Mit dem Kahn ruderte die Oma, die gegenüber am Schiffmühler Ufer wohnte, über den Fluss, um ihre Tochter zu unterstützen, die Enkel zu bekochen oder auf dem Hof zur Hand zu gehen.

Auch die Oder vorm Haus bildete eine Grenze: Die Kinder in Neukietz gingen nach Freienwalde, die in Schiffmühle auf der Insel Neuenhagen zur Schule. Nur wenige Beziehung außerhalb der Familie reichten im Alltag bis auf die andere Seite.

Der Hof und der Garten

Der Hof bildete die Lebensmitte der Familie. 1938 vom Vater, einem Maler und Kaufmann samt zwei Morgen Land gekauft, weil er ahnte, dass es Krieg geben würde und er aus Berlin weg wollte. Er hatte den 1. Weltkrieg in der Großstadt erlebt und sich geschworen, nie wieder zu hungern. Seine Geschäfte in Berlin führte er, solange es ging, von Neukietz aus weiter. Auch als dann die Russen kamen blieb er und wurde für kurze Zeit Bürgermeister. In der Amtstube lernte er seine Frau kennen. Nachdem sie aus dem Arbeitsdienst entlassen worden und nach Schiffmühle zurückgekehrt war, arbeitete sie erst als Lehrerin und wechselte dann als Sekretärin in das Büro des Bürgermeisters. Mit Bodenreformland bauten sie einen Landwirtschaftsbetrieb auf.

Die vier Kinder wurden geboren. Bald saßen 20 Personen mittags am Tisch, wurden 2 Zimmer für das Personal ausgebaut, eine Köchin eingestellt…Sie steckten alles in moderne Gebäude und Anlagen, waren die einzigen mit einer elektrischen Melkanlage und mit installierten Selbsttränken für die Kühe, die damals etwas ganz Besonderes waren. Die Rinder hielt man im Offenstall. Ein Exot, der Herrmann, sagten die Bauern im Dorf. Dabei bezog er nur sein eigenes Freiheitsbedürfnis auch auf das Vieh.

Als aktives SPD-Mitglied verweigerte er sich nicht nur dem Zusammenschluss mit der KPD, er ahnte auch früh in welche Richtung die Landwirtschaftspolitik sich entwickeln würde. Nicht mal fertig mit dem Aufbau des Betriebes verkauften oder verpachteten die Eltern 1953 alles wieder, weil sie nicht in die Kolchose wollten. Die 2 Morgen Land am Haus behielten sie, um privat einige Tiere zu halten.

Der Vater schraubte sich einen Trecker zusammen und baute einen Kohlehandel auf. Im Winter nahm er die Bestellungen seiner Kunden auf und in den restlichen Monaten lieferte er dann die zu Rollen gepresste Rohbraunkohle aus, die aus einem kleinen Bergbau bei Bad Freienwalde – dem Friedensschacht in der Saubucht – stammte.
<<< Dokument im Fundus: Transportaufforderung. Schreiben der VEB (K) Bergbau Grube Friedenschacht Bad Freienwalde an den Kohlehändler Lothar Herrmann aus Neukietz.

Gisela Ziehm
Neukietz mit Blick vom Schlafdeich.
Das Haus der Eltern und heutige Wohnhaus
der Familie Ziehm.
Die Alte Oder in den 50er Jahren. Der Pfahl im Wasser markiert die Fahrrinne. Wer dorthin wollte, musste schwimmen. (Foto: G. Ziehm)
Der Steg an der Alten Oder im Jahr 1998.
(Foto: G.Ziehm)
Der Steg an der Alten Oder im Jahr 2004.
Die Alte Oder an einem Wintertag Ende
der 60er, Anfang der 70er Jahre.
(Foto: G. Ziehm)
Alter Kahn in der Wiese.
Gisela Ziehm an der Alten Oder.
Oma im Kahn. (Foto: G. Ziehm)
Im Nebengelass wurden Zimmer für das
Personal ausgebaut.
Stallgebäude.
Die zweigeschossige Scheune wurde direkt
an den Deich gebaut und die untere Etage als Stall
genutzt.
Die sogenannte Saubucht – Friedenschacht.
Dokument: Transportzulassung.

Der Mauerbau und das Risiko, die vier Kinder über die sich schnell schließenden Grenzbefestigungen zu bringen, durchkreuzte die geplante Flucht aus der DDR. Trotz allem war die Familie glücklich über ihr Leben in Neukietz – über Haus und Hof, den Garten, die schöne Landschaft. Vor allem der Vater, in ärmsten Großstadtverhältnissen aufgewachsen, genoss den Freiraum, den er sich und seiner Familie in Neukietz geschaffen hatte.

Die Kinder bekamen früh ihren eigenen Bereich im Nutzgarten des Hofes, den sie selbstständig bestellen konnten. Eine Arbeit, die Gisela stärker interessierte und prägte, als ihre Geschwister. Ohnehin verbrachte sie als Kind jede freie Minute beim benachbarten Bauern auf dem Acker oder in dessen Ställen. Oft blieb sie bis in den Abend hinein, bis alle Tiere versorgt waren. Ihre Neugier führte das junge Mädchen in die Arbeitsgemeinschaft junger Naturforscher an ihrer Schule, die vom Biologielehrer Siegfried Vogel geleitet wurde. Hier lernte sie Pflanzen bestimmen, legte Herbarien mit an, staunte über Terrarien und Aquarien. Exkursionen mit der Gruppe führten sie durch Wald und Feld; „Die Vögel der Seen und Teiche“ hieß das Buch, dass sie zum Abschied von ihrem Lehrer bekam.

Über ihre Eltern lernte sie die engagierten Naturschützer und Vegetarier Erna und Kurt Kretschmann uynd deren Lehr- und Schaugarten in Bad Freienwalde kennen. Sie begleitete die beiden auf Wanderungen und half bei Arbeitseinsätzen. Die Lebensweise der Kretschmanns beeindruckte sie tief. Ihre Liebe zu Bäumen verdankt sie wohl den alten Kastanien auf dem „Kietzer Damm“ und den Linden auf dem „Weidendamm“, die den Schulweg als Schattenspender und Windschutz erleichterten. Aber auch die vom Vater im Hof und Garten gepflanzten Bäume, wie zum Beispiel der Boskop auf der Oderwiese, bedeuten ihr sehr viel. Sie mag es, wie die Kirsch-, Pflaumen-, Apfel- und Birnbäume den Wechsel der Jahreszeiten anzeigen und viele Jahrzehnte Früchte spenden.

Als Gisela Ziehm 1967 nach dem Abitur, das eine Berufsausbildung zur Elektrikerin einschloss, mit 18 Jahren nach Berlin ging, um Mathematik, Physik und Pädagogik zu studieren, begann ihr Pendlerdasein. Den Hof, vor allem den Garten verlor sie nicht aus den Augen. Im Lehrerberuf hingegen wollte sie nicht anfangen zu arbeiten. Den Ansprüchen der „sozialistischen Erziehung und Moral“ wollte und konnte sie nicht entsprechen. Sie suchte sich Arbeit als Mathematikerin in der Energieversorgung und war in diesem Bereich bis zur Geburt ihres 3. Kindes berufstätig. Nach der Wende arbeitete sie im sozialen Bereich beim Diakonischen Werk in Berlin.

Obwohl Gisela Ziehm bis zur Wende mit ihrer Familie, der Wohnung in Berlin und dem großen Grundstück in Neukietz vollauf beschäftigt war, hat sie sich immer auch ehrenamtlich engagiert. Zunächst in den Kindergärten und Schulen ihrer 3 Kinder, später dann im sozialen Bereich für Menschen in Krisensituationen.

Das oft notwendige kämpferische Naturell hat sie wohl von den Eltern. Die haben nicht nur in der Nachbarschaft geholfen, wo sie es konnten und wenn es galt, sich durchzusetzen. Sie setzten sich auch für das Allgemeinwohl ein, wo sie etwas bewegen wollten. So haben sie zum Beispiel für den Straßenbau und eine Beleuchtung in Neukietz gestritten und nicht nachgelassen, auch wenn der Erfolg Jahre auf sich warten ließ.

Der Vater war einer der ganz wenigen Menschen, die die Teilnahme an den „Wahlen“ in der DDR verweigert haben. Mit allen Konsequenzen, die das damals nach sich zog. So sollte die Tochter, obwohl Klassenbeste, keinen Platz an der Erweiterten Oberschule bekommen. Auch dagegen setzen sich die Eltern durch. Das hat Gisela Ziehm geprägt.

Der Hof in Neukietz wurde neben der Berliner Wohnung zum zweiten Lebensmittelpunkt der Familie. Ihre Kinder wollte sie nicht ausschließlich in Berlin aufwachsen sehen, sie sollten, wie sie in ihrer Kindheit, draußen in der Natur oder im Garten sein können. Aber nicht nur deshalb übernahm sie Mitte der 80er Jahre nach dem Tod ihrer Eltern den Hof in Neukietz. Sie selbst ist mit dem Hof verwachsen.

Von der Mutter hat sie gelernt, achtsam mit den Ressourcen umzugehen, die Hof und Garten hergeben. Wo sie kann, setzt Gisela Ziehm auf Selbstversorgung mit Obst, Gemüse, Kräutern etc. Was sie selbst nicht verarbeiten kann, wird weitergereicht oder geht, wie das viele Fallobst, in die Ställe der Nachbarn.

Gisela Ziehm in ihrem Garten.
Ein Entwässerungsgraben in diesem Garten.
Widmung des Biologielehrers in „Die Vögel unserer
Seen und Teiche“ 1959.
Wallnussbaum im Hof der Familie Ziehm.
Boskop auf der Oderwiese und ein Detail des
Stamms. Selbst wenn der Stamm eines alten
Baumes kaum noch zu halten scheint, trägt er doch
noch Früchte. Außerhalb des Gartens hätte ein
solcher Baum, wie Boskop wohl kaum eine Chance.
Der Fahrweg auf dem „Kietzer Damm“, für dessen
Befestigung lange gestritten wurde. (Foto G. Ziehm)
Der Rohbau des Autohauses nahe der B 156 bei Bad Freienwalde. (Foto G. Ziehm)

Die Naturschützerin und die Bäume
Für den Naturschutz begann sie sich 1990 öffentlich zu engagieren. Der Bau eines Autohauses im Außenbereich von Bad Freienwalde – auf der grünen Wiese – ärgerte sie so sehr, dass sie eine Unterschriftensammlung initiierte, um der Ohnmacht der Verwaltung in dieser bewegten Zeit etwas entgegenzusetzen und den Bau zu verhindern. Leider, so Giesela Ziehm zurückblickend, gelang das nicht. Zu den ersten Erfahrungen im öffentlichen Engagement für den Naturschutz gehörte, dass viele Einheimische ihre Landschaft nicht recht zu schätzen wissen. „Wir haben doch genug Wiesen“, wurde ihr öfter entgegnet. Dass sie Verbündete brauchen wird, „um die Natur im Oderbruch zu schützen und solchem Frevel – das Bauen im Außenbereich, wo es in der Stadt genug Industriebrachen gibt, ist ein solcher – Einhalt zu gebieten“, wurde ihr schnell bewusst. Unterstützung fand sie im NABU-Oberbarnim. Allerdings waren auch hier nur wenige der Ehrenamtlichen bereit, sich öffentlich für den Naturschutz einzusetzen. Trotzdem erfuhr Gisela Ziehm hier Ermutigung und Hilfe. Zum Beispiel auch durch die Kretschmanns.

Das ehemalige Schamottewerk in Bad Freienwalde.
Statt auf die grüne Wiese zu bauen, sollten zuerst
die Industriebrachen im Stadtbereich von
Bad Freienwalde genutzt werden.
Der Weidendamm bei
Bad Freienwalde.
(Foto G. Ziehm)
Allee in Neukietz.
(Foto: E.-O. Denk)
Baumpinsel.
(Foto:
S. Siegel)
Allee Neukietz im Herbst.
(Foto G. Ziehm)
Eichenalle auf dem Deich
bei Neukietz.
(Foto G. Ziehm)
Allee nach Schiffmühle.
(Foto G. Ziehm)

Vor allem Erna Kretschmanns Gabe zur Integration der verschiedensten Menschen mit ihren Stärken undSchwächen, machten ihr Mut, sich weiter für den Naturschutz im Oderbruch zu engagieren. Sie trat dem NABU-Oberbarnim bei, wurde Vorstandsmitglied und ist seit 2000 die Vorsitzende dieses Regionalverbandes. Inzwischen ist der rechtliche Rahmen, um gegen ähnliche Bauprojekte im Außenbereich vorzugehen, besser. Der NABU und andere Verbände müssen als Träger öffentlicher Belange bei solchen Eingriffen in die Landschaft gehört werden. Allerdings sind die naturschutzfachlichen Stellungnahmen solcher Verfahren so umfangreich, dass sie im Ehrenamt kaum erbracht werden können. Es mangelt weiterhin an Mitstreiterinnen und Mitstreitern. Die Wenigsten machen von den Möglichkeiten, sich einzumischen, Gebrauch. Ein wichtiges Aktionsfeld von Gisela Ziehm und des NABU im Oderbruch ist der Alleebaumschutz. Über eine Zeitungsnotiz erfuhr sie von der Gründung des Aktionsbündnisses Baumschutz Märkisch Oderland. Mit aller Kraft stieg sie in die Arbeit dieses Bündnisses ein wurde dort schnell zu einer wichtigen Koordinatorin.

Baumpinsel.
(Foto: S. Siegel)
Baumpinsel.
(Foto G. Ziehm)
Bralitzer Friedhof.
(Foto: G. Ziehm)

Den Wert, die Schönheit von Alleen und Einzelbäumen ins Bewusstsein der Menschen heben, darin sieht Gisela Ziehm eine wichtige Aufgabe. Die Gefährdung der Alleen durch den Straßenverkehr und -bau, durch falsche „Baumpflege“, unterlassene Nachpflanzungen für gefällte Bäume, Beschädigungen im Wurzelbereich und den übermäßigen Streusalzeinsatz prangert sie immer wieder öffentlich an. „Die Gesetze zum Erhalt der Alleen sind so schlecht nicht, aber sie müssen auch durchgesetzt werden. Vor allem gegen die Versicherungs- und Verkehrslobby und gegen unser aller Vollkaskomentalität.“

Gisela Ziehm lässt keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass die Gefahr in den Alleen nur sehr selten von den Bäumen ausgeht, sondern fast immer von den Autofahrern. „Baumunfälle“ ist deshalb für sie ein Unwort. Es sind Verkehrsunfälle – fast immer verursacht durch unange-messenes Fahren Einzelner. Oft werden Alleebäume durch falschen Beschnitt verstümmelt – wie jüngst die Obstbaumallee zwischen Altranft und Neureetz. „Die Mitarbeiter des zuständigen Straßenbauamtes können zwar mit der Kettensäge umgehen, aber von Baumschutz haben sie offensichtlich noch nicht viel gehört.“

Wenn solche Fälle nicht gleich während der Arbeiten bemerkt und gestoppt werden, dann werden aus nützlichen Bäumen Pinsel.

Alte Bäume werden durch starken Verschnitt nicht nur verunstaltet, sondern geschwächt. Pilze dringen in die Schnittwunden ein. Die Lebenserwartung solcher Bäume wird wesentlich reduziert. Manchmal werden mit der Begründung, der lichte Raum der Straße, also das Lichtraumprofil sei nicht ausreichend, sogar feldseitige Äste abgeschnitten.

Bankettschäden.
(Foto G. Ziehm)
(Foto G. Ziehm)
(Foto G. Ziehm)

„Ein Irrsinn“, der auch bei Altranft praktiziert wurde. Es ist wohl eher so, scheint es Gisela Ziehm, dass auf der Feldseite die Bäume im Interesse der Landwirte beschnitten werden. Dann können diese ohne Probleme mit ihren großen Maschinen bis an den Straßengraben heranpflügen. Gleichzeitig trübt kein Schatten am Feldrand die Satellitenbilder, nach denen ihre Schlaggrößen und damit die Höhe ihrer Subventionen berechnet werden.

Oder aber der Wurzelbereich der Bäume wird bei Arbeiten am Straßenrand beschädigt. In diese Schnittwunden dringt dann das oft viel zu großzügig gestreute Salz. Das überlebt kein Baum auf Dauer. Warum können wir nicht akzeptieren, dass Winter ist und bei Schnee oder Glätte angemessen fahren? Warum müssen Straßen auch im Winter schwarz, schneefrei sein? Warum werden Bäume zu Pinseln gemacht? Nur damit wir ungestört rasen können? Fragen, die Gisela Ziehm nicht loslassen.

Infomaterial, wie dieser Handzettel über die Buche, ist für Gisela Ziehm wichtiges Arbeitsmittel.

Naturschutz und Landwirtschaft
Besorgt beobachtet Gisela Ziehm auch die Veränderungen in der Landwirtschaft direkt vor ihrem Garten und im ganzen Land. Der immense Einsatz von Herbiziden und Pestiziden beunruhigt sie. „Oft werden sie bei starkem Wind ausgebracht und Abstandsregeln zu Gräben und anderen Gewässern nicht eingehalten. Ein systematischer Fruchtwechsel erfolgt auf den Äckern hinter ihrem Garten nicht. Was angebaut wird, scheint hauptsächlich durch die Höhe der Subventionen bestimmt, nicht durch rücksichtsvollem Umgang mit dem wertvollen Boden. Die größten Flächen der Umgebung wurden längere Zeit durch Holländer bewirtschaftet, denen es offensichtlich an Beziehung zur Landschaft, Erfahrungen mit dem Boden des Oderbruchs und Kenntnis der Gesetzlichkeiten mangelt.“

„So wurden wertvolle Feuchtwiesen um Bad Freienwalde mit „round up“ totgespritzt, um Mais auszubringen. Geerntet wurde kaum etwas, da die Pflanzen regelrecht ertranken. Beim Ernteversuch versank ein Hänger bis zur Achse im sumpfigen Boden und steckte monatelang dort. Mitten in der Brutzeit der Vögel ein Entwässerungsgraben ausgebaggert, dessen Böschungen und Grabensohle zerstört, Bäume mit dem Bagger brutalst beschädigt und umgestoßen. Auch wer sich nicht näher mit dem Naturschutz beschäftigt, ist entsetzt über solches Vorgehen.“ Mit dem NABU ist Gisela Ziehm gegen diese Praktiken vorgegangen.

Inzwischen sind die Feuchtwiesen wieder als Wiesen angelegt. Die Grabenschäden werden wohl irgendwann mit Steuergeldern behoben werden. Aber auch die sogenannte „gute landwirtschaftliche Praxis“ der Intensivlandwirtschaft, da ist sich Gisela Ziehm sicher, ist alles andere als naturschonend und so auf Dauer nicht vertretbar. Dass es inzwischen auch im Oderbruch Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen gibt, ist eine neue, große Sorge für sie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter im NABU.

Darum hat sie die „Freienwalder Initiative gegen Gentechnik in Lebensmitteln und Landwirtschaft“ mitbegründet und wirkt im Aktionsbündnis „Gentechnikfreie Landwirtschaft Berlin-Brandenburg“ mit. Die Folgen, die der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft für die Natur haben wird, sind heute noch nicht zu ermessen. Für die Physikerin Ziehm sind sie vergleichbar mit den anfangs ungeahnten Folgen der Erfindung der Kernspaltung.

Gisela Ziehm ist besorgt, wenn sie über die Felder schaut. Viele Hecken und Wege zwischen den Schlägen sind seit ihrer Kindheit verschwunden. Irgendwo inmitten der großen Ackerflächen liegt noch Land ihrer Familie, das verpachtet wurde, aber Gisela Ziehm kann nicht genau sagen, wo das ist. Es gibt keine Grenzen mehr. Da müsste sie auf eine Flurstückskarte schauen.

Manchmal, wenn sie zum Beispiel nach Polen oder in die alten Bundesländer fährt, erinnert sie die kleinteilige Landwirtschaft daran, wie es früher hier bei Neukietz aussah.

Das Oderbruch ist ein Schatz in der Nähe von Berlin. Die Pflanzen und Vögel an den kleinen Flüssen und den Flussniederungen der Alten Oder, die vielen kleinen Feuchtgebiete der Oderwiesen, die dünne Besiedelung, die Schönheit der Einzelgehöfte mit ihren Bäumen, die Höhenzügen am Horizont: das alles macht für Gisela Ziehm den einzigartigen Wert dieser Landschaft aus. Das muss auch den Menschen im Oderbruch noch viel bewusster werden. Die Zukunft dieser Landschaft liegt in der Schonung der Natur. Autohäuser, Tankstellen und Schnellstraßen wie die Odertrasse haben wir überall, solche wertvollen, weiträumigen Landschaften und Alleen aber nicht mehr.

Gisela Ziehm sieht den Wert des Oderbruchs in seinem Naturpotential. Sie träumt davon, dass Naturschutz und Landwirtschaft wieder zu einer Einheit werden, dass die Menschen im Oderbruch erkennen, wie einzigartig die Landschaft ist, in der sie leben und dass die Artenvielfalt in Flora und Fauna nicht noch weiter zurück geht und die Alleen auch noch von ihren Enkeln bewundert werden können. Sie ist überzeugt davon, dass dieses Naturpotential in unmittelbarer Nähe Berlins sich neben der Landwirtschaft zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entwickeln ließe.

Abgeholzter Alleeabschnitt an der B 158.
(Fotos; G. Ziehm)
Fahrspuren und eingesunkener Hänger in einer
zu Acker umgewandelten Feuchtwiese.
(Foto G. Ziehm)
Zerstörter Entwässerungsgraben bei Bad Freienwalde. (Foto: G. Ziehm)
Mit „round up“ für die Aussaat von Mais gesäuberte
ehemalige Feuchtwiese bei Bad Freienwalde.
(Foto: G. Ziehm)
Maissaat auf gespritztem Feld.
(Foto: G. Ziehm)
Auf dem gespritzten und einfach zu feuchten Standort
ertrunkenes Maisfeld, das kaum Erträge bringt.
(G. Ziehm)

Lars Fischer

Blick vom Schiffmühler Wald über Neukietz aus den 80er Jahren. (Foto: G. Ziehm)
Blick vom Schiffmühler Wald über Neukietz aus den 80er Jahren. (Foto: G. Ziehm)
Neukietz mit Deich im Frühling. (Foto: G. Ziehm)
Neukietz mit Deich im Frühling. (Foto: G. Ziehm)
Straße der Zukunft. (Foto: G. Ziehm)
Straße der Zukunft. (Foto: G. Ziehm)
Pappelallee
Pappelallee.
November im Oderbruch.
November im Oderbruch.