Ein Kulturprojekt mit elf freiwilligen Feuerwehren im Oderbruch und auf den angrenzenden Höhen
Gefördert durch den Fonds
Neue Länder der
Befragung: Kenneth Anders, Lars Fischer, Tobias Hartmann, Anne Kulozik, Almut Undisz
Fotografie: Stefan Schick
Stückerstellung: Kenneth Anders
Grafik/Layout: Claudia Fischer
Schauspiel: Jens-Uwe Bogadtke
Technik/Musik: Tobias Hartmann
Regie: Matthias Brenner
Ob das alte Spritzenhaus, die Feuerwache mit Schlauchturm oder das moderne Gerätehaus, beinahe in jedem deutschen Dorf steht ein Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr. Die Feuerwehr ist da. In diesem einfachen Satz, der uns alle seit Kindertagen begleitet und sofort, tatü tata, Bilder und Geschichten wachruft, steckt eine ganze Welt. Mit der Kirche und dem Gemeindebüro bildet die Feuerwehr das Fundament dörflichen Lebens.
Vielerorts hat dieses Fundament Risse bekommen. Manche Kirchgemeinde sieht ihrem Ende entgegen, Dörfer werden zu Ortsteilen. Ziehen sich Staat und Kirche aus dem Dorf zurück, sind es oft die Kameraden der Feuerwehr, die der Gemeinschaft wie selbstverständlich den Rücken stärken. Dass sie in ländlichen Regionen eine wichtige Rolle spielen, wird kaum jemand bestreiten. Trotzdem werden sie unterschätzt. Nur wenige nehmen die vielfältigen Anforderungen wahr, denen die Menschen, die sich hier engagieren, gerecht werden müssen.
In diesem Projekt haben wir Feuerwehrleute im Oderbruch und auf den umliegenden Höhen nach ihren Erfahrungen gefragt. Wir trafen sie in Altreetz, Alttrebbin, Bad Freienwalde, Falkenberg, Neuenhagen/Insel, Neulewin, Neuranft, Neutrebbin, Reichenow, Schiffmühle und Wriezen. Es waren junge und alte darunter, Frauen und Männer, Neueinsteiger und Feuerwehrleute in der dritten Generation. Was sie uns zu erzählen hatten war interessant, anrührend, manchmal auch heiter, und es hat uns in jeder Hinsicht Respekt abverlangt.
Aus den Gesprächen sind ein Buch und ein Theaterstück entstanden. Das Buch soll den Feuerwehrleuten bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung den Rücken stärken. Die darin enthaltenen Fotografien von Stefan Schick zeugen von der ungebrochenen Vitalität der hiesigen Feuerwehren und geben einen Eindruck von der Architektur der Feuerwachen und Gerätehäuser.
Außerdem sind die Aussagen der vielen Interviews sind miteinander verknüpft und in die szenische Form eines Theaterstücks gebracht worden. Als ein Ein-Personen-Stück sollen sie den Weg zurück in das dörfliche Leben finden. Es ist zu verschiedensten Anlässen in den Dörfern spielbar und kann gern eingeladen werden.
Wenn etwas leben soll, müssen wir es auch beschreiben.
Wir danken allen, die uns für diese Beschreibung ihr Vertrauen und ihre Zeit geschenkt haben.
Ich bin dabei
(nach „I Walk The Line“ von Johnny Cash)
Ich bin grad eingeschlafen, als das Handy geht,
und die Sirene über alle Dächer kräht.
Wer weiß, wohin der Wind uns heute wieder weht.
Was es auch sei, ich bin dabei.
Ich springe auf und schlüpfe in die Kluft,
von meiner Süßen nehm ich einen letzten Duft.
So mancher Einsatz führt mich beinah an die Gruft.
Was es auch sei, ich bin dabei.
Und wird’s auch heiß, es heißt besonnen sein.
Wo ’s schlimm ist, gehen wir zusammen rein.
Niemals vergessen: Ich bin nicht allein.
Was es auch sei, ich bin dabei.
Wir haben dich aus Autoblech befreit,
wir war‘n für dich beim letzten Brand bereit,
wir geben euch im Sturm sich’res Geleit.
Was es auch sei, ich bin dabei.
Man muss auch tanzen in der Politik,
wir führen manchmal einen öden Bettelkrieg,
und jeder Euro ist ein kleiner Sieg.
Was es auch sei, ich bin dabei.
Durch stete Schulung wird der Truppmann schlau,
Wir sind gebildet, machen kein‘ Radau,
Praxis und Schulbank nehmen wir genau,
was es auch sei, ich bin dabei.
Es sind noch immer manche Leute hier,
wo man zusammentrifft, da ist auch Bier.
Gemeinschaft hilft gegen Eigennutz und Gier.
Was es auch sei, ich bin dabei.
Wer bei uns mitmacht, hat sich nicht gedrückt,
und ist auch sonst so manches nicht geglückt,
bin ich doch gerne feuerwehrverrückt.
Was es auch sei, ich bin dabei.
AUSZUG: Die Feuerwehr ist da. Ein Stück in sieben Szenen.
Es treten auf: Heiko Butzke, Ortswehrführer einer Freiwilligen Feuerwehr im Oderbruch
Anja und einige weitere Kameraden
Auf der Bühne steht rechts eine alte Tragkraftspritze, mittig sind einige Stühle, angeordnet wie Sitze in einem Tragkraftspritzenfahrzeug. Gegenüber, am linken Rand, sind in einer angedeuteten Spindgarderobe acht Feuerwehrschutzanzüge aufgehängt, unten die Stiefel, oben der Helm. Heiko tritt auf, man hört ihn schon von weitem.
Scheiße!
Scheiße, verdammte Scheiße!
Sag ich auch noch zu! Beim zehnten Termin werd ich schwach. Herr Butzke, sie müssen auch mal was annehmen! Sie können nicht immer bloß sagen, das ist nichts für mich. Und nun hab ich hier was ganz Tolles für sie, so eine schöne Stelle, gut bezahlt und mit Aufstiegsmöglichkeiten und sie willigen immer noch nicht ein? Sagen sie mal, wissen sie eigentlich, wofür die Arbeitslosenversicherung da ist? Zur Überbrückung!
Aber, sag ich, Frau Moll, der Job ist in Stuttgart! Ich will nicht nach Stuttgart! Und ich will auch nicht aufsteigen!
Es geht aber nicht nur ums Wollen, sagt sie, es geht auch um ´s müssen und um ´s sollen!
Ich kann hier nicht weg, sag ich. Ich gehör hierher!
Sie können, sagt sie, es ist zu ihrem Besten, außerdem gibt ´s ne Prämie für den Ortswechsel.
Und dann hab ich unterschrieben. Ich bin so ein Idiot!
Wie ist denn das, bei Amazon kannst du doch auch noch 30 Tage lang ohne Angabe von Gründen alles rückgängig machen? Kann ich das auch beim Jobcenter? Mann, verdammt, was soll ich denn meinen Leuten heute Abend erzählen?
Stellt sich vor die Schutzanzüge.
Äh, Kameraden, passt mal auf, ich muss euch mal was sagen. Ihr wisst ja, dass ich letztes Jahr meinen Job verloren habe, weil die Straßenbaufirma hier dicht gemacht hat. Ich hab jetzt, also ich weiß, wir stecken gerade in der Vorbereitungen für den Karneval und dann ist nächstes Jahr Dorfumzug und du, Torsten, brauchst mich auch mit bei der Jugendarbeit und Karola, wir haben uns auf den Sommernachtsball gefreut, aber April, April, ich geh nach Stuttgart!
Die halten mich doch für verrückt! Und was sag ich Karola? Wir sind hier ein Paar geworden, wir haben im Gerätehaus geheiratet! Uns geht es gut hier! Marcel, was unser Jüngster ist, hat ´ne Leerstelle im Autohaus, der bleibt hier. Die kommen nicht mit, nie und nimmer!
Geht an die Spritze. Wollt ich reparieren das alte Ding, für die Jugendfeuerwehr. Mach ich auf jeden Fall noch fertig.
Holt Werkzeug und schraubt die TS auf, hantiert daran herum. So, was haben wir hier… ich nehm´ die TS mit nach Stuttgart, damit die mal sehen, mit was für Technik wir hier großgeworden sind. In Stuttgart haben die bloß ´ne Berufsfeuerwehr. Da komm ich nie rein. Außerdem versteh ich kein Schwäbisch. Wenn die ‘n Befehl sagen, varsteh ick Bahnhof. Stuttgarter Bahnhof versteh ich da, Stuttgart Einundzwanzig, haha. Scheiße. Scheiße, Heiko, du bist so ein Idiot!
Im weiteren Stück folgen die Szenen:
– Technik
– Feierwehr?
– Wettkämpfe
– Wenn es ernst wird
– Politik
– Ausbildung und Alarm
Ist das kunstfähig?
Ein erstes Resümee
Bedenken gab es viele, als wir vor einem Jahr begannen, uns mit den Feuerwehren im Oderbruch zu befassen. Nichts gegen das Thema, das sei ohne Zweifel wichtig, aber was habe das mit Theater zu tun? Diesem Stoff fehle die künstlerische Fallhöhe, der echte Konflikt, den Kunst braucht, um ihre Kraft zu entfalten.
Die Feuerwehrleute wiederum gaben uns zwar bereitwillig Auskunft zu allem, was wir von ihnen wissen wollten, ließen uns an den Ausbildungen und Übungen teilnehmen und halfen, wo sie nur konnten. Ob es aber eine gute Idee sei, all das künstlerisch zu verarbeiten, da hatten im Stillen auch unter Ihnen sicher so manche ihre Zweifel.
Wir sehen uns heute im Fernsehen Serien über den englischen Landadel oder über skandinavische Kriminalermittler an, wir lesen Bücher über Menschen in aller Welt, wir betrachten die Kunst als etwas Kosmopolitisches, als das Große für die große Welt. Und wirklich: Das Menschliche ist universal, es darf sich nicht von den Grenzen einer kleinen Provinz beschränken lassen und die ganze Welt kann eine Quelle künstlerischer Inspiration sein. Aber dass wir umgekehrt das eigene Leben nicht für kunstfähig halten, ist Ausdruck eines kulturellen Schismas und es ist der entscheidende Grund für den anhaltenden Bedeutungsverlust öffentlicher Kultureinrichtungen. Soziale Systeme entwickeln sich dadurch, dass sie sich selbst beschreiben – eben hierin liegt das Potenzial der Kunst, sofern sie etwas für Regionalentwicklung tun will: Nicht das Wegsehen zu fördern, sondern das Hinsehen, das genaue Beschreiben dessen, was man hat und tut und hofft und fürchtet. Was gehört denn auf die Bühne, wenn nicht die täglichen Erfahrungen der Menschen hier, die Leute, ihre Dorffeste, ihre Feuerwehren?
Man kann natürlich spektakuläre Festspiele aufbauen, mit „hochkarätigen“ internationalen Künstlern, die wiederum zahlungsfähige Touristen anlocken. Man kann versuchen, in elitären Szenen zu punkten, in denen man am eigenen Feingeschmack arbeitet. Aber so wird Kultur zu einem Unterhaltungsbetrieb für den Fremdenverkehr – und die Leute in der Region, die hier ihren Broterwerb haben, werden zu dessen Animateuren. So war das doch aber nicht gedacht mit der Schaubühne als moralischer Anstalt! Diese Idee Schillers, so emphatisch sie heute klingen mag, ist immer noch überzeugend und einfach: eine eigene Gerichtsbarkeit zu schaffen, in der nach menschlichen Maßstäben geurteilt wird. Und auch zu der Frage, ob die Bühnenkunst bei diesem Geschäft überhaupt tief genug sinken kann, hat Schiller eine klare Vorstellung: „Auch da, wo Religion und Gesetze es unter ihrer Würde achten, Menschenempfindungen zu begleiten, ist sie für unsere Bildung noch geschäftig.“
Nach der Buch- und Theaterpremiere von „Die Feuerwehr ist da“ können wir in aller Bescheidenheit feststellen: es geht – und es geht gut, Dorf und Feuerwehr auf der Bühne können die Leute in ihren Bann ziehen. Aber was hier in einer intensiven und glücklichen Stunde zwischen Jens-Uwe Bogadtke als Schauspieler und seinem wachen Publikum in einem vollen Theatersaal geglückt ist, ist dennoch nur ein erster Schritt. Gemessen an dem Rückstand, den es in Bezug auf die künstlerische Beschäftigung mit lokalen und regionalen Stoffen aufzuholen gibt – für Schriftsteller und Theaterleute, Musiker und bildende Künstler – ist ein weiter Weg zu gehen. Das betrifft nicht nur die Anerkennung von Stoffen vor der ländlichen Haustür, es betrifft auch die kooperative, aber nicht affirmative Haltung zu den betroffenen Menschen. Denn diese Menschen sollten schließlich gemeint sein – nicht ein versiertes, aber anderswo sitzendes Publikum.
Buchbestellung:
<<< Kenneth Anders und Stefan Schick – Die Feuerwehr ist da – Eine Beschreibung in Szenen und Fotografien – Auflandverlag