Das Oderbruch zwischen natürlicher und technischer Natur – Zur Produktion einer Kulturlandschaft
Von Dr. Siegfried Bacher, Berlin
Steckbrief:
Dr. Siegfried Bacher, 1967 im bayrischen Landau an der Isar geboren, lebt und arbeitet als freischaffender Landschaftsarchitekt in Berlin. Er studierte zwischen 1988 und 1994 Landschaftsplanung an der Technischen Universität Berlin. Seine Diplomarbeit schrieb er über Kulturlandschaftselemente im Städtchen Garz im unteren Odertal. Nach zwei Jahren in einem Landschafts-architekturbüro führte ihn dann ein Promotionsvorhaben bei Prof. Hallmann ins Oderbruch. Sein wissenschaftliches Interesse galt der Beschreibung der kulturhistorischen Landschaftselemente des Entwässerungssystems im Oderbruch und der Frage, wie die kulturhistorische Dimension des Entwässerungssystems in ein wasser-wirtschaftlich und ökologisch zukunftsfähiges Konzept integriert werden kann. 1999 legte er seine Ergebnisse in dem Buch „Kulturhistorische Landschaftselemente in Brandenburg. Entwässerungssysteme am Beispiel des Oderbruchs“ vor.
Der nachfolgende Text beruht auf einem Vortrag, den Dr. Siegfried Bacher im Frühjahr 2005 an der TU Berlin gehalten hat.
Am Beispiel des Oderbruchs möchte ich zeigen, welche Faktoren bei der Entwicklung einer Kulturlandschaft wirken. Anstelle des eher neutralen Begriffs Entwicklung möchte ich den Begriff Produktion verwenden, da es ein Herstellungsprozess ist, der die heutige Landschaft des Oderbruchs im Spannungsfeld zwischen natürlicher und technischer Natur gestaltet hat. Sichtbar ist dieser Herstellungsprozess anhand der dabei gebauten Elemente, die als kulturhistorische Landschaftselemente Zeugen dieser Entwicklung sind. Anschließend werde ich eine Entwicklungsperspektive für die Gestaltung der kulturhistorischen Landschaftselemente des Entwässerungssystems im Oderbruch skizzieren.
Am Beispiel des Oderbruchs möchte ich zeigen, welche Faktoren bei der Entwicklung einer Kulturlandschaft wirken. Anstelle des eher neutralen Begriffs Entwicklung möchte ich den Begriff Produktion verwenden, da es ein Herstellungsprozess ist, der die heutige Landschaft des Oderbruchs im Spannungsfeld zwischen natürlicher und technischer Natur gestaltet hat. Sichtbar ist dieser Herstellungsprozess anhand der dabei gebauten Elemente, die als kulturhistorische Landschaftselemente Zeugen dieser Entwicklung sind. Anschließend werde ich eine Entwicklungsperspektive für die Gestaltung der kulturhistorischen Landschaftselemente des Entwässerungssystems im Oderbruch skizzieren.
Das Oderbruch
Noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts war das Oderbruch eine natürliche Auenlandschaft mit einer daran angepassten Nutzungs- und Siedlungsstruktur, in der das Leben und Wirtschaften wesentlich von den in der Regel zweimal jährlich auftretenden Hochwasserereignissen geprägt war. Die Besiedelung des Oderbruchs war auf wenige Dörfer beschränkt, die trotz ihrer Lage auf erhöhten Plätzen regelmäßig von Hochwasser beeinträchtigt wurden. In besonders regenreichen Perioden führte dies sogar zur zeitweisen Aufgabe des Oderbruchs als Siedlungsraum. Die Bewirtschaftung war sehr extensiv und beschränkte sich im Wesentlichen auf Fischfang und Sommerweide. Die Landschaft war von ihrer natürlichen Natur geprägt.
Heute ist das Oderbruch eine durch technische Bauwerke regulierte Niederungslandschaft, die ca. 60.000 ha hochwertige landwirtschaftliche Nutzfläche mit einer Bodenwertzahl von 51 umfasst. (Auf der angrenzenden Barnimer Hochfläche liegen die Böden bei 31.) Die gegenwärtige Landschaft ist geprägt durch ihre technische Natur.
Die Gestalt des Oderbruchs ist das Ergebnis der historischen Anlage von Bauwerken zu seiner Eindeichung und Entwässerung. In einem über Jahrhunderte andauernden Prozess wurde die natürliche Auenlandschaft in die heutige Kulturlandschaft umgewandelt. Die zur Eindeichung und Entwässerung angelegten Deiche, Kanäle, Gräben, Wehre und Schöpfwerke bestimmen auch heute noch die Nutzbarkeit und die ökologischen Funktionen des Oderbruchs.
Vorbedingung für die spezifische Ausprägung des Oderbruchs sind seine natürlichen Gegebenheiten. Es lässt sich als von der Oder durchströmte Ebene beschreiben, die gleichmäßig sowohl von Süden nach Norden, als auch von Ost nach West geneigt ist, und sich deutlich von den umgebenden Hochflächen, die das Oderbruch bis zu 100 m überragen, unterscheidet. Das südliche Oberoderbruch ist dabei 10 bis 15 m höher als das nördliche Niederoderbruch.
Im Zuge der Eindeichungsmaßnahmen wurde die Oder durch Deichbauten entgegen der natürlichen Neigungsverhältnisse im kürzesten Verlauf von Süd nach Nord dicht an den höheren Ostrand gezwungen. Dadurch liegt ein Großteil des Oderbruchs unterhalb der Mittelwasserstände der Oder. Für die von Reitwein nach Bad Freienwalde verlaufende Geländerinne beträgt diese Höhendifferenz 3 bis 4 m. Die Entwässerungsanlagen dienen aufgrund dieser topographischen Gegebenheiten der Abfuhr des von der Oder über die Grundwasserleiter einströmenden Drängewassers.
Gleichzeitig sind sie Spuren der geschichtlichen Entwicklung des Entwässerungssystems. Sie prägen den Charakter und die Eigenart der Kulturlandschaft des Oderbruchs und erlangen damit sowohl eine kulturhistorische als auch eine ästhetische Bedeutung.
Der Ausbau des Entwässerungssystems vollzog sich in mehreren Etappen, die auch immer eine Nutzungsintensivierung bedeuteten.
Die Eindeichung des Oberoderbruchs
Mit der Eindeichung des Oberoderbruchs wurde im 16.Jahrhundert begonnen. Nach der Zerstörung der Deich-anlagen im 30jährigen Krieg wurden die Deichanlagen 1717 unter der Regentschaft Friedrich Wilhelms I. vollendet. Ziel dieser staatlich gelenkten Entwässerungs-maßnahmen war die Ausweitung des Ackerbaus und somit die Ertragsver-besserung der königlichen Vorwerke im Oberoderbruch.
Mit der Eindeichung wurden die ersten Hauptentwässerungs-gräben angelegt, die aber bedingt durch den Rückstau aus dem Niederoderbruch nur eingeschränkt funktionstüchtig waren.
Diese ersten Entwässerungsgräben sind auch heute noch, wenn auch verändert, vorhanden.
Die Eindeichung des Niederoderbruchs und der Bau des Oderkanals (Neue Oder)
Die Eindeichung des Niederoderbruchs und der Bau des Oderkanals (Neue Oder) von 1747 – 1753 unter der Regentschaft Friedrichs II. waren wohl die tiefgreifendsten Maßnahmen in der Entwässerungsgeschichte des Oderbruch. Der Oderverlauf wurde durch die Deichbauten vom westlichen Rand an den östlichen Rand gezwungen.
Die Oder verlief somit auf dem kürzesten Weg durch das Oderbruch, ihr Lauf wurde um ca. 25 km verkürzt. Innerhalb weniger Jahre wurde die Landschaft radikal gewandelt: Aus Auen wurden Äcker, auch wenn die Entwässerung in einigen Bereichen noch nicht zuverlässig war.
Zur ihrer Kolonisierung wurden 1200 Familien aus allen Teilen des deutschsprachigen Raumes und der hohenzollerschen Besitztümer angeworben und in den neu errichteten Kolonistendörfern angesiedelt.
Die Verfestigung der Entwässerung im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert wurden die Entwässerungsanlagen ausgebaut und verbessert. 1832 wurde die Neue Oder durch die Coupierung der Alten Oder allein durchgängig Wasser führend. Die Verlegung des Rückstaupunktes nach Norden durch die Verlängerung der Deichlinie nach dem Heuerschen Plan von 1849 – 1859 und die Errichtung der Entwässerungspolder am Ende des 19. Jahrhunderts verbesserte sich die Entwässerungsleistung wesentlich. Das System an Entwässerungsgräben wurde weiter differenziert. Durch diese Maßnahmen gewann das Oderbruch an Ertragsfähigkeit. Durch die Einführung neuer Technologien in der Landwirtschaft (Zuckerfabriken) stellte sich ein wirtschaftlicher Aufschwung ein.
Intensivierung der Entwässerung im 20. Jahrhundert
Die Entwässerungsmaßnahmen im 20.Jahrhundert – sowohl in den 20er Jahren als auch während der Komplexmelioration seit den 60er Jahren – hatten die Verbesserung der Bearbeitbarkeit und die Ausweitung der Ackerflächen zum Ziel. Zur Regelung des Grundwasserspiegels und Verbesserung der Entwässerungsleistung wurden bis 1989 38 Schöpfwerke und 273 Wehre errichtet, Wasserläufe begradigt und vertieft und Gräben teilweise durch Drainagen ersetzt. Ziel war eine Schlagvergrößerung auf zuletzt mindestens 100 ha und die Regulierbarkeit des Wasserhaushaltes durch Be- und Entwässerung.
Mit dem Wandel der Ansprüche an die Landschaft, in der Vergangenheit hauptsächlich bestimmt durch den technologischen Fortschritt in der Landwirtschaft und durch das erhöhte Sicherheitsbedürfnis vor Überschwemmungen, unterliegt das Entwässerungssystem einer permanenten Weiterentwicklung und Anpassung. Einige Elemente wurden, da kontinuierlich in Funktion, instand gehalten oder immer wieder erneuert. Andere, da funktionslos geworden, verfielen oder wurden gar abgetragen.
Alle Elemente, die heute noch präsent sind, ob noch in Funktion oder funktionslos, sind als kulturhistorische Landschaftselemente anzusehen, gleichgültig, ob sie vor 250 Jahren während der Trockenlegung des Niederoderbruchs unter Friedrich dem II. oder während der Komplexmelioration in den letzen Jahrzehnten der DDR entstanden sind. Denn sie alle sind Produkte des historischen Prozesses und Zeugen der Entwässerung des Oderbruchs.
Die Kulturhistorischen Landschaftselemente
Die Kulturhistorischen Landschaftselemente bestehen zunächst aus Bauwerken, die angelegt wurden, um das Oderbruch vor den regelmäßigen Hochwasserereignissen zu schützen und zu entwässern. Dazu gehören:
-
- Deiche; Hauptdeiche sowie Schlaf- und Polderdeiche und dazugehörige Elemente wie Siele und Deichhäuser;
- Vorfluter; sowohl natürlich entstandene aber dann begradigte Wasserläufe als auch künstlich angelegte Gräben und Kanäle;
- Schöpfwerke und
- Wehre.
Neben diesen Bestandteilen der Entwässerungsanlagen gibt es Elemente, die erst durch die Entwicklung des Entwässerungssystems angelegt werden konnten und die spezifisch für diese Entwässerungs-landschaft sind. Dazu zählen insbesondere Siedlungsformen, die nur in Entwässerungslandschaften zu finden sind, und zwar sowohl Siedlungen, die vor den groß angelegten Entwässerungsmaßnahmen entstanden sind wie zum Beispiel Alt-Reetz als auch solche, die nach diesen Entwässerungen angelegt wurden wie Neulietzegöricke. Spezifische Siedlungsformen sind:
-
- Siedlungsformen vor der Trockenlegung
- Kolonistendörfer
- Loose
Des Weiteren wurden zur Erinnerung an die Trockenlegung des Bruchs und an die Katastrophen, die seitdem geschehen sind, Denkmäler errichtet. Auch sie zählen zum Ensemble der kulturhistorischen Landschaftselemente des Entwässerungssystems.
Zur Typologie der Entwässerungsanlagen
Die einzelnen Bestandteile der Entwässerungsanlagen haben in Abhängigkeit des Entstehungszeitraumes und ihrer weiteren Entwicklung unterschiedliche Typologien entwickelt.
Die Deiche:
Im Wesentlichen entspricht die heutige Linienführung der Deiche der Linienführung der Erstanlage. Im Laufe der Zeit wurden jedoch einige Oderschleifen und Altarme abgetrennt, die bei der ursprünglichen Linienführung noch berücksichtigt worden waren. Die alten Deichlinien wurden aber meist nicht abgetragen, sondern sie blieben als Schlaf- und Polderdeiche weiter bestehen.
Im Oberoderbruch folgt die im 16.Jahrhundert begonnene und 1717 vollendete Deichlinie im Wesentlichen den Windungen des natürlichen Verlaufes der Oder. Der Deich im Niederoderbruch verläuft geradlinig, den künstlichen Kanal der um 1750 geschaffenen Neuen Oder begleitend.
Die Dimensionierung der Deiche wurde immer den steigenden Hochwassermarken angepasst. Dieser Grundsatz wurde bereits in der Teich- und Ufer-Ordnung von 1717 aufgestellt: „Die Teiche sollen […] so hoch gemachet werden, daß das grosse Wasser niemahlen darüber schlagen […] zu welchem Ende dann bey denen Teichschauen die Verstärkung und Erhöhung derselben von Zeit zu Zeit anzubieten.“ Nach diesem Grundsatz und den verheerenden Überschwemmungen des 17. und 18. Jahrhunderts wurden die Deiche in mehreren Etappen erhöht. Ausgelöst durch das Hochwasser vom Sommer 1997 wurden die Deiche ein weiteres Mal ausgebaut.
Ein Abschnitt des Deiches im Oberoderbruch sowie nahezu alle Schlaf- und Polderdeiche wurden seit Mitte des 19.Jahrhunderts mit Alleen bepflanzt, um die Deiche als Verkehrswege zu nutzten. Diese Alleen geben auch heute noch den Deichen ihre charakteristische Gestalt und bieten eine angenehme Passage. Im Rahmen des jüngsten Ausbaus und der Erhöhung des Deiches um bis zu 1 m und aufgrund der Einschätzung des Landesumweltamtes, dass die Bäume die Standfestigkeit der Deiche beeinträchtigen, wurden weite Abschnitte der Eichenreihen auf dem Hauptdeich im Oberoderbruch gerodet.
Die Vorfluter:
Die Vorfluter lassen sich typologisch nach ihrer Funktion für die Entwässerungsleistung, nach ihrer baulichen Anlage (den eingesetzten ingenieurbiologischen Maßnahmen) und nach ihrem Uferbewuchs, der für ihre Erscheinung wesentlich ist, beschreiben.
Die funktionale Differenzierung vollzieht sich im Wesentlichen nach der Trockenlegung des Oderbruchs ab 1747. Vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung und der heutigen Nutzung lassen sich drei Ordnungen von Vorflutern unterscheiden:
- Vorfluter 1. Ordnung; Dies sind die zentralen Vorfluter des Entwässerungssystems. Sie umfassen sowohl natürliche Wasserläufe (z.B. Alte Oder) als auch Gräben, die teilweise bereits im 18. Jahrhundert angelegt wurden. Ihre Gesamtlänge beträgt 174 km.
- Vorfluter 2. Ordnung; Sie sammeln das Wasser eines größeren Einzugsgebietes und führen es in die Vorfluter 1.Ordnung ab. Auch diese Vorfluter existieren größtenteils seit dem 18. Jahrhundert, wurden aber in der Folgezeit stark umgebaut. Beispiele für Vorfluter 2. Ordnung sind: Jesargraben, Posedingraben, Seelacke, Rüdnitzer Kanal, Tergelgraben.
- Vorfluter 3. Ordnung; Diese Vorfluter haben nur ein kleinflächiges Einzugsgebiet. Ihre Lage änderte sich häufiger durch die Anpassung an die Schlagstrukturen. Seit Anfang des Jahrhunderts und insbesondere seit der Komplexmelioration wurden sie teilweise durch Drainagen ersetzt.
Zusammengenommen bilden die Vorfluter 2. und 3. Ordnung eine Strecke von 950 km.
Betrachtet man die bauliche Typologie der Vorfluter lassen sich natürliche Vorfluter von technisch begradigten und künstlich angelegten Vorflutern unterscheiden.
- Unter natürlichen Vorflutern sind Wasserläufe zu verstehen, die sich im Wesentlichen noch in ihrem ursprünglichen Gewässerbett befinden. Uferbefestigungen sind nicht durchgängig vorhanden, sondern nur an Böschungen zu finden, die gegen ein Abrutschen gesichert werden müssen.
- Die begradigten Vorfluter sind aus natürlichen Wasserläufen entstanden und wurden wie künstliche Vorfluter ausgebaut. Teilweise sind in ihrem Ober- oder Unterlauf noch naturnahe Strukturen vorhanden. Beispiele dafür sind die Seelake, östlich von Seelow, und Teilabschnitte der Volzine.
- Die künstlich angelegten Wasserläufe wurden hingegen unabhängig von bestehenden Gewässerstrukturen gebaut. Sie verbinden bestehende natürliche und begradigte Vorfluter oder entwässern Bereiche, in denen vorher keine Entwässerung erreicht wurde. Beispiele sind der Schleußengraben oder der Graben bei Küstrinchen.
und Faschinenpflöcke am Abzugskanal bei Neu-Glietzen
Der heute im Oderbruch vorherrschende Ausbauzustand der begradigten bzw. künstlich angelegten Vorfluter ist das mit Rasen bekleidete Trapezprofil mit einem durch Faschinen gesicherten Böschungsfuß. Diese Bauweise erfordert die Durchführung von kontinuierlichen Arbeiten zur Erhaltung des Abflussprofils und der stark schwankenden Wasserspiegel.
Mit den baulichen Veränderungen der Vorfluter unterlagen auch die uferbegleitenden Gehölze einer Differenzierung. Waren die ehemals natürlichen Wasserläufe von einer Auenvegetation begleitet, änderte sich dies mit dem Ausbau beziehungsweise dem Neubau der Vorfluter.
Der erste Hinweis zur Anlage von Gehölzen ist in der Deich- und Ufer-Ordnung von 1769 enthalten: Um eine Zerstörung der Grabenböschung durch Vieh zu verhindern, sollten „besagte Ufer mit lebendigen Geheegen versehen werden“. Durch die Anpflanzung von Weiden und die Anlage von „lebendigen“ Zäunen vor allem an Brücken sollte verhindert werden, dass das Vieh in die Gräben bricht und diese zerstört. Aus den topographischen Karten des 19. Jahrhunderts ist ersichtlich, dass insbesondere im Oberoderbruch die meisten der Gräben mit Bäumen bepflanzt waren. Die Bepflanzung mit Kopfweiden diente zur Gewinnung von Faschinenmaterial, aber auch zum privaten Gebrauch der Anlieger, die daraus z.B. Korbwaren oder Fischereigeräte anfertigten. In den 20er Jahren dieses Jahrhunderts wurden die Kopfweiden auf den Grabenborden als Hindernis für den Grabenausbau angesehen. Sie wurden, teilweise durch Sprengung, ersatzlos gerodet.
„Sehr störend sind – wie unsere Bilder zeigen – für den Baggerbetrieb die langen Weidenreihen, die sich trotz ausdrücklichen Verbotes des Deichstatuts [von 1869] an beiden Seiten d. Gräben vorzufinden pflegen. Nicht weniger als 2115 Kilogramm Sprengstoff mussten im Jahre 1924 und im ersten Halbjahr 1925 verschossen werden, um diese Hindernisse zu beseitigen. Lange Baumreihen können recht schön wirken, sie unterbrechen die Eintönigkeit der Landschaft und geben den einzelnen Anliegern das gewünschte Backholz, sie können aber nicht geduldet werden,
wenn der Vorteil des Einzelnen der Genossenschaft unverhältnismäßige Opfer bereitet. Eine größere Zierde als die gefällten, meist unschönen Kropfweiden werden die Pappeln- und Eichenalleen bedeuten, die die Deichverwaltung auf den Schlafdeichen pflanzen lässt“. Text und beide Bilder aus: Schmidt (1926): Wasser- und Ausbauarbeiten im Oderbruch.
In: Oberbarnimer Kreiskalender. 15.Jg.
Während der Komplexmelioration erfuhr die Bepflanzung der Ufer eine Wende. Zum einen wurden an den auszubau-enden Gräben noch vorhandene Bäume gerodet. Zum anderen sind aber auch Neupflanzungen nach folgenden Pflanzschemata durchgeführt worden: In Reihen aus Hybridpappeln in einem Abstand von 5 m wurden je 3 Schwarz-erlen dazwischen gesetzt und davor, je nach Platzverhältnissen, jeweils eine Reihe mit Sträuchern gepflanzt. Diese nur an einer Grabenseite vorhandene Pflanzung diente hauptsächlich der Ver-hinderung von Winderosion. Sie wurde meist nicht direkt neben einen Graben gesetzt. Zwischen Graben und Pflanzung liegt meist ein Unterhaltungs- bzw. Wirtschaftsweg.
Heute sind vorwiegend sieben Typen uferbegleitender Gehölze vorhanden. Sie können gleichzeitig Aufschluss über den letzten Ausbau des Gewässers geben, da sie für die jeweilige Zeit typisch sind. Fünf dieser Typen will ich kurz nennen.
- Naturnahe Auenvegetation bis zur Wasserlinie an den meisten, aber nicht allen natürlichen Vorflutern. Teilweise finden sich aber auch nur einzelne Bäume, meist Weiden und Pappeln.
- Kopfweidenreihen, teilweise auch einzeln stehende Weiden, oberhalb der Böschung an den Vorflutern, die vor 1925 zuletzt ausgebaut wurden. Die Kopfweidenreihen sind meist lückig und die Bäume teilweise überaltert.
- Baumreihen an der Uferlinie, insbesondere an älteren ausgebauten Gräben und Kanälen. Dort setzen sich die Baumreihen vor allem aus Pappeln, Weiden und Erlen zusammen. Aber auch an den seit den 80er Jahren während der Komplexmelioration ausgebauten Vorflutern wurden überwiegend Schwarzerlen reihenartig zur Wasserlinie gepflanzt.
- Pappelreihen, die teilweise durch einen Wirtschaftsweg vom Graben getrennt sind. Manche dieser Pappelreihen sind nach dem obigen Pflanzschema teilweise mit Schwarzerle und Sträuchern unterpflanzt. Diese Pflanzung findet sich häufig an Gräben, die während der Komplexmelioration ausgebaut wurden.
- An einer großen Anzahl von Vorflutern sind aber auch keine uferbegleitenden Gehölze vorhanden. Entweder waren dort nie welche (dies gilt insbesondere für die Vorfluter 3. Ordnung und die Gewässer im Tiefbruch), oder sie wurden während der Ausbauarbeiten in den 20er Jahren und während der Komplexmelioration entfernt und nicht ersetzt.
Schöpfwerke, Wehre und Spezifische Siedlungsformen
Diese kulturhistorischen Landschaftselemente hier ausführlich zu behandeln, würde zu weit führen. Daher sei nur knapp auf sie verwiesen. Neben den Deichen und Vorflutern haben die technischen Bauwerke Schöpfwerk und Wehr eine große Bedeutung innerhalb der Regelung des Wasserhaushaltes im Oderbruch.
Vor der Entwässerung fanden sich im Oderbruch überwiegend Rundplatzdörfer auf Talsandinseln. Die Anlage der Kolonistendörfer entlang der vorhandenen oder neu eingerichteten Vorfluter erfolgte mit der Trockenlegung insbesondere des Niederoderbruchs 1747. Sie wurde durch Generalunternehmer nach präzisen Plänen durchgeführt. Die Hofstellen der Dörfer lagen erhöht. Zu ihnen gehörten je nach der sozialen Stellung der Kolonisten unterschiedlich große Ackerflächen von 90, 60 oder 45 Morgen. Die Häuser waren von ihrer baulichen Substanz her teilweise Pfusch und mussten bereits in den nächsten Jahren größtenteils erneuert werden. Nach der Separation von 1805 – der Auflösung gemeinschaftlicher Flächen und der Zusammenlegung von Flurstücken – entstanden ca. 600 Loose. Das sind Hofstellen außerhalb der bestehenden Siedlungen, die im Losverfahren an die Bauern verteilt wurden. Heute sind noch ca. 300 dieser Loose erhalten, von denen aber viele verfallen sind.
Zukunftsperspektiven für die Kulturlandschaft „Oderbruch“
Wie wir gesehen haben, wird die Landschaft des Oderbruchs durch ein System von Elementen unterschiedlicher Entstehungszeiten, verschiedener Typologien und Ausprägungen geprägt. Die Entstehung dieser Elemente reicht im Wesentlichen vom 18. Jahrhundert bis in die jüngste Vergangenheit vor 10 Jahren. Diese kulturhistorischen Landschaftselemente wurden nach ihrer Anlage laufend den sich ändernden Nutzungsansprüchen angepasst.
Gibt es ein Vorbild in der Vergangenheit für die zukünftige Nutzung und Gestaltung? Ein Rückgriff in die Vergangenheit erscheint mir nicht als Erfolg versprechend. Sollen wir zur Auenlandschaft vor 1747 zurückkehren, was nach dem Hochwasserereignis 1997 vielfach gefordert wurde? Oder zur „Goldenen Zeit des Oderbruchs“ wie sie Fontane im späten 19. Jahrhundert beschreibt und welche viele Besucher des Oderbruchs heute wohl suchen? Oder zur technischen, ackerbaulich hochproduktiven Landschaft der DDR-Agrarwirtschaft?
Zur Darstellung von Zukunftsperspektiven für die Kulturlandschaft „Oderbruch“ muss ein Szenario entworfen werden, welches den gesamten historischen Prozess und seine Ergebnisse, die kulturhistorischen Landschaftselemente, berücksichtigt. Dabei ist es gleich, ob sie vor 250 Jahren oder vor 20 Jahren entstanden sind. Nur so können der Charakter und die Eigenart der Kulturlandschaft in der Zukunft erhalten und der Zivilisationsprozess sichtbar bleiben.
Ein Szenario für das Oderbruch
Das nachfolgend entworfene Szenario folgt zwei Prinzipien:
- Die kulturhistorischen Landschaftselemente sollen so entwickelt werden, dass sie weiterhin nutzbar bleiben. Das Szenario berücksichtigt deshalb die sich abzeichnenden wasserwirtschaftlichen, ökologischen und touristischen Anforderungen. Die gesellschaftlichen Veränderungen seit der Wiedervereinigung haben die Kosten der Entwässerung für den Schöpfwerksbetrieb und den Unterhaltungsaufwand der Vorfluter ins Bewusstsein gerückt, und das Sommerhochwasser 1997 führte die Anfälligkeit dieser Kulturlandschaft deutlich vor Augen. Die ökologischen Auswirkungen der Entwässerung auf den Fließgewässercharakter, die Störung des auetypischen Wasserregimes mitsamt seinem Stofftransport rücken ins Blickfeld. Mit dem 250jährigen Jubiläum der Trockenlegung des Oderbruchs wurde die Notwendigkeit erkannt, die Identität dieser Kulturlandschaft auch für touristische Zwecke zu stärken.
- Das Szenario ist Versuch der Produktion >>simultaner<< Zeit, wie das der Philosoph Martin Seel genannt hat. Die zukünftigen Gestaltungsstrukturen werden mit den Strukturen der Vergangenheit überlagert.
Für die zukünftige Nutzung bedeutet dies im Wesentlichen eine Anhebung der mittleren Grundwasserstände um ca. 0.8 m im Frühjahr, was nach Studien der FH Eberswalde und des ZALF Müncheberg zu einem Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche von bis zu 3 % führen würde. Aber auch zu einer wesentliche Kostenreduktion des Schöpfwerksbetriebs.
Aus der kulturhistorischen Perspektive lässt sich folgendes Szenario für die Entwicklung der Vorfluter darstellen. Neben der Gestaltung der Deiche, insbesondere der Schlafdeiche als erhabene Wege durch die Landschaft, sind die Vorfluter prägend für das Oderbruch.
Ausgangspunkt des Szenarios ist die funktionale und bauliche Typologie der Deiche und der Vorfluter, die beide Ergebnis des historischen Prozesses sind. Entsprechend dieser Typologien wird für die Vorfluter ein Konzept entwickelt, welches diesen historischen Prozess aufgreift und ihn mit den zukünftigen Nutzungsanforderungen verbindet, die auf eine Reduzierung des Unterhaltungsaufwandes und einer Verbesserung der Fließgewässerstruktur hinauslaufen.
- Die noch vorhandenen ehemaligen Hauptarme der Oder erhalten ein begleitendes Auenband. Durch das breite Auenband wird das natürliche Gerüst des Entwässerungssystems erkennbar.
- Die übrigen Vorfluter 1. Ordnung, die Gräben und Kanäle erhalten eine in der Regel beidseitige Bepflanzung zum Beispiel durch Weiden oder Erlen in Höhe des Wasserspiegels. Durch diese „dritte Dimension“ werden sie als zentrale Vorfluter erkennbar. Dieses Schema wird durch die bereits vorhandenen Baumstrukturen aufgebrochen, da alte Kopfweiden aus dem Beginn dieses Jahrhunderts oder teilweise mit Sträuchern unterpflanzte Pappeln aus der Flurmelioration die Gräben begleiten.
- An den Gräben 2. Ordnung erfolgt nur eine einseitige Bepflanzung mit Erlen oder Weiden entlang der Wasserlinie. Auch hier wird das Schema durch bereits vorhandene Gehölzstrukturen in der geschilderten Weise unterbrochen.
- Die Vorfluter 3. Ordnung erhalten keine durchgängigen Baumstrukturen. Einzeln stehende (Kopf)-Weiden werden zu Markierungspunkten der Gräben.
Durch diese Maßnahmen bleiben der historische Prozess und die Charakteristik der kulturhistorischen Landschaftselemente erkennbar. Gleichzeitig werden die zukünftigen Anforderungen an diese Landschaftselemente berücksichtigt. Das Szenario eröffnet damit die Möglichkeit die Eigenart der Kulturlandschaft Oderbruch zu erhalten, ohne das diese museumsgleich auf einen historischen Zustand zurückgeworfen wird.
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