Design für die Region

Obstschalen

diplom:oder:bruch / Oderlix

Von Stefanie Silbermann

Ich sollte nun also eine Diplomarbeit machen, im Fachbereich Produkt-Design an der Kunsthochschule Berlin Weißensee, im Jahr 2009. Das ganze Studium hindurch überlegt man, was genau dieses Produkt-Design ist, und so probiert man sich in verschiedenen Richtungen aus. Nach einem ganz eindrucksvollen Projekt, das ich mit einer Gruppe Isländern auf ihrer Insel mit Landwirten machte, dem Projekt „Designers meeting Farmers“, überlegte ich, ob ich nicht etwas ähnliches in Deutschland als Diplomarbeit machen könnte. Worum ging es hier? Um das Land, um Erwerbsmöglichkeiten in ländlichen Gebieten, um Landwirtschaft, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Autonomie, darum, nicht die große Weltwirtschaft zu sehen sondern eben diese kleinzuteilen und wie unter einer Lupe nur einen kleinen Teil herauszuzoomen und zu betrachten. Die große Weltwirtschaft besteht aus den Gebieten mit großer Kraft und denen, wo kaum was läuft. Es gibt Gefälle, Abhängigkeiten und Arbeitslosigkeit. Produkt-Design hat immer mit Produkten zu tun, Produkte werden produziert und in einem klassischen Sinne hängen an einer Warenproduktion Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft. Wir bemühen uns schon, beim Design der Produkte ökologisch zu denken und z.B. die entsprechenden Materialien so zu verbauen, dass man sie vor dem Wegwerfen leicht voneinander lösen kann. Aber ein Design explizit mit einer ländlichen Situation, mit einem ländlichen Wirtschaftszweig oder der Region, in Zusammenhang zu setzen, kommt selten vor. Das wollte ich also mal ausprobieren, das wurde meine Diplomarbeit und sie soll einen diskutablen Vorschlag mit einem Schuss Utopie darstellen. Ohne utopisches Element wird nichts.

Häuser
Boot an der Oder

Die Entstehung von Oderlix

Weil mein betreuender Professor das Oderbruch kannte, schlug er mir diese Region vor als Landstrich meines Versuchs. Weil ich keine berlinnahe Region besser einschätzen konnte, nahm ich den Vorschlag dankend an und begann damit, das Oderbruch kennen zu lernen. Es begann mit Peter Jahn in einem Berliner Café. Nach einigen Getränken hatte ich eine handvoll Namen mit Leuten, die seiner Meinung nach interessant für mich wären. So lernte ich später Axel Anklam, den Bildhauer aus Wriezen, den vevaiser Architekten Alexander Scholz und den Handwerker Christian Masche aus Ortwig kennen, die mir wiederum neue Kontakte gaben. Während 4 Monaten von März bis Juni besuchte ich insgesamt fünfmal das Oderbruch, per Auto mit meinem Professor, per Auto alleine, mit dem Fahrrad und dem Zug. Dabei sprach ich mit 29 Personen, eher lang als kurz und gewann so mein Bild von der Lage des Oderbruch, von den Problemen und Hoffnungen, Wünschen und Nischen, Bedrohungen und Verrücktheiten. Parallel las ich die Bücher, die Peter Jahn mir lieh, über die Flut, die alten Zeiten, die Alleen und die Nähe zu Polen. Mit dem Rad fuhr ich an Basta vorbei (nachdem mir Peter Huth erklärt hatte, wie er sein Belieferungssystem subsistenzwirtschaftlicher Gartenerzeugnisse gemeinsam mit anderen Oderbrüchern für Kunden nahe Berlin und Frankfurt organisiert) bis nach Kienitz, wo Norbert Bartel mit mir am Deich, den Weichholzauen und den Kopfweiden vorbeifuhr und mir eine ganze Menge darüber und über die Bürokratie des Landes erklärte. In Kienitz blieb ich und befragte die Bartels so viel wie ich konnte, und wie sie konnten. Da ist es auch gemütlich auf der Veranda, wir tranken ein paar Gläser Wein und fingen an etwas zu phantasieren, welche „Innovationen“ für das Oderbruch von Nutzen sein könnten. Ein Joint-Venture von Deutschen und Polen um alte Landfrauenkunst – das Gurkeneinlegen – wieder in die moderne Küche zu holen und mit gutem polnischen Schnaps zu verfeinern … Vodgurkis! Grandiose Idee, denn – so Norbert Bartel – mein Gott, die Oderbrücher eingelegten Gurken sein die besten, besser als die aus dem Spreewald, das sei mal klar, aber die Leute vergessen das und es wird kaum noch gemacht, verflixt und zugenäht. Ich bin ja Produkt-Designer und dafür da, Produkte zu machen … wir fanden die Idee klasse, einen Gurkeneinlegetopf für die moderne – kleine – Küche zu machen, junge Leute würden statt Popkorn in der Mikrowelle Gurken in Vodka einlegen und DVD schauen! – Oder ein Schwimmbad auf der Oder, wo sich Polen und Deutsche gemütlich beim Baden und Sonnen näher kommen können? Wir stießen an. Zum Wohl!

Pferdewagen
Feld
kleines Fachwerkhaus
Garten

Einen halben Tag raste ich mit Alexander Scholz mit, spazierte mit dem Künstlerehepaar, das mir von der Wende erzählte, um den See in Möglin, dort hörte ich auch die Diskussionen über Thaer, die Technik in der Landwirtschaft und manche Wut in den Stimmen, die von Befürchtungen und der Suche nach Lösungen in einer ganz aktuellen prekären Situation zeugten. Auf den Zick-Zack-Straßen im Oderbruch verfuhr ich mich halbwegs selten, wurde aber von der Polizei geblitzt als ich auf dem Weg zum Oderbruchpavillon, also zu Kenneth Anders war. Naja 10 Euro geht noch. Immer wieder blätterte ich in den Oderbruchfiktionen, die die Diskussion in Möglin für mich hilfreich ergänzte. In Wilhelmsaue verpasste ich Bettina Männel, weil die Alleen länger waren, als ich eingeschätzt hatte und mir die Termine durcheinander gerieten. Es war zwar erst April und noch kalt, aber die Abendsonne beschien so warm die grüne Hausfront und die Veranda mit den Tischen, dass ich am liebsten gleich dort geblieben wäre. Das ist also das idyllische Oderbruch, in dem man neben den rechtwinklig gezüchteten Agrarflächen doch ein Stück Natur genießen kann. Na nicht nur hier, immer wieder sauge ich – ein schwarzwälder Landkind zwar aber seit 6 Jahren in Berlin lebend – die natürliche Schönheit der Region auf. Großartig wird’s dann Ende April und Mai, wenn die Felder sattgrün stehen, die Bäume blühen und man im Sonnenschein unter dem Apfelbaum von Peter Herbert sitzen kann und stundenlang über das Oderbruch, die Geschichte, das Leben, die Bemühungen, die Schwierigkeiten und Ideen für Diplomprodukte sprechen kann … oder auf der Veranda von Thea Müller in Buschdorf, mit den wilden Hunden rundherum, Kaffee, Plätzchen und Weidensets. Hier, sowie im Weiden-Museum und in ihrer Werkstatt höre ich viele Geschichten über die Weide, das Handwerk als Gewerbe, das Oderbruch und die Zukunft der Korbflechterei. Sobald ich mein eigenes Geld verdiene, kaufe ich einen Korb bei ihr! Sie zeigt mir das Feld mit Stockweiden von ihr und Schulzens im Norden und sie machen mir einen spezial-Studentenpreis, als ich ihnen 26 kg Stockweide für Versuchszwecke abkaufe. Wisst ihr, wie viel Stockweide im Kilo kostet? Einiges. Das ist edles Material!

Zweimal fahre ich mit einem Kombi vollbeladen mit Weidenruten aus dem Oderbruch nach Berlin Weißensee auf den Campus der Hochschule, die im Sommerschlaf liegt. Die wenigen Diplomanden treffen sich im Sonnenschein schnell zum Essen und arbeiten dann weiter. Es wird sogar brutal heiß im Sommer 2009. Da hab ich’s am besten, weil ich mit den Weiden draußen arbeiten kann: im Garten und vor der Werkstatt, wo ich ein 4 m langes Bassin ausgehoben habe, um die Ruten darin zu lagern. Ich fand genug Gartenschläuche, um sie einigermaßen regelmäßig mit frischem Wasser zu versorgen, in dem ich manchmal bis zu den Knien stand.

Oderlix Garten
Oderlix Feld wird bewässert

Die Weiden also wurden zum Diplominhalt! Es gibt da verschiedene Aspekte. Zum einen haben die Weiden im Oderbruch eine lange Kulturgeschichte. Das Holz der Weide wurde als Brennholz genutzt, doch ist sein Brennwert schlecht. Es blieb DAS Holz, DAS Material im Oderbruch, da es keinen Hartholzwald gab. Auch durch seine Form als Kopfweide tritt die Weide im Landschaftsbild neben den anderen Bäumen Erle und Pappel hervor. Sie zeugen vom menschlichen Leben hier. Doch was passiert heute damit? Die Korbflechter verschwinden leider, da es sich nicht mehr lohnt, das Gewerbe zu betreiben. Das Holz wird in die Erde zur Stabilisation eingebuddelt, oder auf schnell und leistungsfähig gezüchtet zu Hackschnitzeln verarbeitet und entweder verbrannt oder mit anderen Hölzern zu Spanplatten verpresst. Wo bleibt die Wertschätzung der natürlichen Ästhetik? Ich werde ganz Gestalter und poche auf der ästhetischen Besonderheit dieses leichten, hellen, einfach wunderschönen Holzes, die durch diese modernen Verarbeitungsverfahren einfach unter den Tisch fallen. Ich lege auch die Korbflechterei unters Mikroskop der Kritik und stelle fest: Korbarbeiten haben unbestritten ihren Charme, ihre Funktion, ihre Besonderheit, doch sie sind ästhetisch so sehr geprägt und werden uns immer an Land, Ländlichkeit, an früher erinnern. Das kann ins Altbackene abgleiten. Ich möchte aber eine neue Ästhetik des Weidenholzes finden, dem Holz eine neue Plattform geben.

In Weißensee fange ich an zu flechten, zu biegen, zu schälen, zu kombinieren. Ich besuche andere Korbflechter und das Innovationszentrum für Korbflechterei in Lichtenfels sowie die FH Coburg, die gerade Flechtprojekte ausstellte. Eine Frage im Gestaltungsprozess ist immer: Wie bringt man ein Material in eine Form, die einem hinterher was nützt? Weidenruten als Ganzes werden per Hand miteinander so verwoben, dass sich am Ende ein Geflecht in den Raum hineingebildet hat, eine Mulde z.B. mit einem Bogen darüber, ein Korb eben. Während ich an meiner Jeans herumzupfe passiert es vielleicht, als ich denke, dass Stoff ja auch so aufgebaut ist, nur flach. Im Stoff werden Fäden verwoben und mittels bestimmter Schnitte gefaltet und vernäht, dass am Ende auch ein dreidimensionales Gebilde, ein Pulli beispielsweise herauskommt und anziehbar wird. In der Architektur kam in den 70ern die Leichtbauweise auf, große geschwungene Flächen wurden zu Dächern emporgehoben. Konstruiert waren sie über tragende Netzstrukturen, die sich den Wölbungen anpassten. So kam ich auf die Idee eines neuen Verarbeitungsverfahrens für Weidenruten, nämlich aus flachen Weidengeflechten dreidimensional verformte Flächen herzustellen.

Oderlix Weisenzweig gebogen
Oderlix weiden geflechtet
Oderlix Hof
Oderlix weide als Material
Oderlix zwei Frauen
Oderlix weidenzweige werden gewässert

Ich fuhr in eine Firma bei Hannover, die Werkzeuge für die Verformung von Holzflächen – normalerweise sind das Furniere, also sehr sehr dünne Scheiben von z.B. Buchenholz – hat. Hier werden u.a. berühmte Möbel hergestellt. Ich konnte einige der Weidengeflechte in ihre Maschinen legen. Wie ein Waffeleisen pressen zwei heiße Metallformen von oben und unten das Geflecht zusammen. Es waren Werkzeuge für die Herstellung von Stuhlsitzschalen, also fuhr ich – ganz happy – mit Stuhlsitzschalen aus Weidengeflechten nach Berlin zurück. Das sind nun meine Ausstellungsstücke, und sie sind ganz gut geworden. Nicht, dass wir damit schon fertige Stühle hätten, daraus funktionierende Produkte zu machen, ist ein zweiter großer  Schritt, doch die Grundlage für ein neues Produktionsverfahren ist da.

So präsentiere ich die Probestücke des neuen Weidenmaterials im November in Weißensee und bin wieder ganz happy weil alle sehr happy über das Resultat sind. Diplom also bestanden. Der Prüfungskommission und dem Publikum erklärte ich, dass der Weidenanbau im Oderbruch den dortigen Landwirten eine Alternative bieten könne. Denn der konventionelle Anbau werde immer schwieriger, da die Kosten der Entwässerung hoch sind und aufgrund von neuen EU-Richtlinien eventuell immer höher werden. Damit drohe, dass immer weniger entwässert werden könne, die Böden immer nässer werden, und man nach Alternativen suche, dieses nasse Land zu nutzen ohne einen noch größeren technischeren Aufwand zu betreiben. Da Weiden die Nässe gut abhaben können und zudem viel Wasser saugen, könnte ihr Anbau eine Zukunft bieten. Doch um eine Relevanz für den Anbau der Weiden zu schaffen, bräuchte man auch eine Verarbeitung und dafür habe ich ein manufakturelles Verfahren aufgezeigt, das all die angebauten Weiden dann auch verwenden könnte. Befühl- und benutzbare Produkte „made im Oderbruch“ würden der Region vermutlich auch mehr nützen als als reiner Brennstofflieferant für etwas, was irgendwo aus der Steckdose eine Kaffeemaschine betreibt.

Für was formgepresste Weidengeflechte konkret benutzt werden sollen, ist noch nicht genau ausgearbeitet, doch habe ich eine Skizze für eine „Regionalschale“ angefügt. Regionale Produkte werden immer bedeutender – egal ob bio oder nicht – , denn hier werden Transportwege verkürzt, die Produktion bleibt für den Konsumenten transparent, die eigenen ländlichen Gebiete werden unterstützt, man kann den Bauern sogar besuchen fahren. Im Berliner Kaisers gibt es ja nun die Regionalmarke „von hier“ mit eigenen Etiketten und eigenem Regal. Das finde ich schon super, dass die regionalen Produkte im Supermarkt derart inszeniert Einzug halten. Sie sind die wichtigsten. Damit werden sie auch auf DER Plattform des Einkaufens, dem Supermarkt, präsent und erweitern damit ihr Territorium über die Grenzen von Wochenmärkten und klitzekleinen special-Nischenläden oder temporären Buden und konspirativen Kundenetzwerken hinaus. Ich weiß, ich bin faul, ich gehe nämlich sehr selten auf den Markt in Berlin und lerne, welche Produkte nun wirklich aus Brandenburg kommen und welche einfach vom Großmarkt. Es sieht dort auch fast alles gleich aus, alle verwenden die Eurokisten, mal gelb mal blau mal grün mal rot. Ich bleibe einfach stur und will, das regional produzierte Produkte im Supermarkt den wichtigsten Platz einnehmen und rund um die Uhr gekauft werden können.
Warum kann ich nicht über die Präsentationsform der Waren direkt erkennen, welche aus der Region kommen? Das ist mein Vorschlag: Präsentationskisten, Auslegen, Regale, vielleicht bis hin zu Verpackungen. Sie so zu gestalten, dass sie sich vom üblichen Erscheinungsbild abheben. Funktional und platzsparend ja, aber anders. Ich benutze die Weidenruten aus dem fiktiven Anbauort im Oderbruch, stecke sie in die fiktive Produktionsstätte mit den Waffeleisenwerkzeugen – im Oderbruch oder in der Nähe – und forme daraus Behälter für die Präsentation von regionalen Produkten. Die Produktion ganz alleine für Oderbruchwaren zu fahren, ist wohl zu romantisch, doch für den flächendeckenden Bedarf an regionalen Warenströmen ist der Vorschlag durchaus eine Möglichkeit, die man mal durchrechnen sollte.

Auch noch viel mehr Fragen gibt es bei meinem Vorschlag zu klären. Wie geht das überhaupt mit dem Anbau der Weiden im Oderbruch? Was kommt heraus, wenn man das auch mal genau durchrechnet? Welche Weiden eignen sich? Interessiert das jemanden im Oderbruch? Wie ökologisch ist das bzw. wie ökologisch und naturnah kann man den Anbau hinkriegen? Wieviel Wertschöpfung könnte möglich sein? Woher kommt Geld? Wer organisiert das? Wer produziert das? Wo kann eine Produktion aufgebaut werden?

Mit schönen Grüßen aus Berlin: Stefanie Silbermann

Kontakt:
Stefanie Silbermann
Produkt Designerin, Berlin
si7@arcor.de

www.becker-kg.de

Teile der Ausstellung „ODERLIX“ waren am 6. Mai 2010 im Theater am Rand im Rahmen des Randthemas zu sehen.

Oderlix Detail Weidenstuhl
Oderlix Weidenstuhl

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